I GESPRÄCH
INTERVIEW. DOCH.
MARLENE STREERUWITZ ANTWORTET. FRAGEN STELLT DORIS MOSER.
Die ersten veröffentlichten Texte der Marlene Streeruwitz waren Hörspieltexte und Theatertexte. Was fehlt – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – ist, ich nenn es jetzt einfach so, die literarische Einstiegsdroge Lyrik. Gab es die nicht oder hat sie Ihren Ansprüchen nicht genügt?
Das alles gab es, Gedichte, sogar ein Epos. Aber es ist wirklich nur ein Einstieg. Um wirklich gut dabei zu sein, müsste eine andere Beschäftigung damit erfolgen, und die liegt nicht vor. Ich weiß auch gar nicht, ob ich sie leisten könnte oder möchte, weil ich sehe, dass – und da kommen wir gleich auf das seltsame weibliche Schreiben, das kein weibliches Schreiben ist, sondern weibliche Biografien betrifft – dass Frauen so viel in Zuständen leben und dass sich aus Zuständen heraus keine Sprache formen lässt, und daher die Gedichte absolute Schreie sind, die im Grunde genommen noch nicht versprachlicht sind, die sich also der lyrischen Sprachen, die wir lernen, bedienen, also noch absolut kein Eigenes entwickelt haben, kein lyrisches Ich, das auch ein Selbst ist. Und ich glaube, das schaffen sowieso nur wenige, würde ich mal vermuten. Ich kenne auch in der großen Literatur, wenn man es weltweit betrachtet, nur ganz wenige lyrische Autorinnen und Autoren, bei denen sich das wirklich durchzieht. Weil ich glaube, ein Gedicht, ein Gedichtzyklus reicht ja nicht. Das wirklich Tragische daran ist ja, dass das eine ganz andere Beschäftigung sein müsste, die viel tiefer mit dem eigenen Leben analytisch umgeht, um dann wieder zurückzukehren in das andere. Ich nehme an, ein dialektischer Prozess zwischen Übersicht und Nichtsicht, und das würde einfach alles beanspruchen. Nachdem ich zu den berühmten allein erziehenden Müttern gehört habe, wäre das einfach auch vom Wirtschaftlichen her nicht möglich gewesen. So glaube ich, gibt es kein weibliches Schreiben, sondern weibliche Schreibbiografien, die da noch ganz anders Rücksicht nehmen oder sich anders definieren müssen.
Ein Beispiel für eine derartige Schreibbiografie könnte Christine Lavant abgeben. In den letzten Jahren hatte ich die Gelegenheit mit ihrem Nachlass zu arbeiten, und da zeigte sich, dass ihr zugegeben sehr hermetisches lyrisches Werk von einem Geflecht aus Metaphern, Verweisen, Bildern und dergleichen durchzogen ist, das in der Zusammenschau der vielen Gedichte den Charakter einer eigenen Sprache annimmt. Die Kehrseite: der Großteil ihrer Gedichte ist bis dato nicht veröffentlicht, sie selbst hat sich als gescheitert betrachtet.
Ich glaube, dass sich das an der ästhetischen Biografie der Bachmann auch beschreiben ließe, wie es noch weitere Schritte eines großen Vor und Zurück bedurft hätte, um es vom Sprechen in diesen geborgten lyrischen Bereichen in ein eigenes Sprechen zu bringen. Und da waren auch die Zeiten nicht günstig dafür, und der Erfolg. Erfolg ist da nie gut, weil es eine Selbstfestlegung ist. Und eine Frau zu sein, die von Männern umgeben ist, die für sie mitdenken, ist noch einmal ein Schicksal. Für mich ist die Bachmann die Jungfrau, die in den Vulkan der Lyrik geworfen wurde, geopfert nach dem Krieg, um die deutsche Sprache wieder weiß zu machen.
»Die Frau muss ein unverdrängtes stolzes Bild von sich entwerfen«, fällt mir dazu ein. Ein Satz, den Sie in Poetik-Vorlesungen formuliert haben. Wie soll ich mir das, gerade auch in Bezug auf eine weibliche Schreibbiografie, vorstellen?
Das heißt Verzicht auf alles, was die Literatur verspricht an Aura, Erfolg und Gesehenwerden, was für Frauen doppelt schwierig ist, weil sie ja nur im Gesehenwerden existieren. Verzicht auf diese Möglichkeiten in sich selbst, und Einkehr bei dem Begriff ‚Versuch’ oder ‚Prozess’ oder ‚Fluss’ und dann aber wieder zurückgreifen auf das Wissen, dass das tägliche Leben täglich ist und immer wieder neu beginnt und endet, und dass hier einfach ein je neu Denken auch ein je neu Erkennen mit sich bringt. Wir (Frauen) sind ja mit einer anderen Form von Hinfälligkeit konfrontiert, weil wir diese seltsame Geschichte mit den Kindern in unserem Leib, die dann auch schon tot sein können, ja ganz anders kennen müssen, da bleibt ja gar nichts übrig. Also das Absolute bleibt da sehr weit weg und auch nicht interessant. Obwohl natürlich der Trend dahin geht, den Körper soweit auszuschalten, dass das Absolute für jeden und jede erreichbar ist, und da passiert auch mittlerweile eine Gleichschaltung der Geschlechter. Aber in meiner Biografie war das noch nicht so. Und ich glaub, es wird dann auf der zweiten Ebene, wo das wirkliche Leben stattfindet, über die Körper eine andere Geschichte erzählt, und ich halte die ja auch für die wichtigere. Ich halte die Geschichte der Frauen für die wichtigere, weil sie beides schon erzählen kann von Anfang an: nicht hinaus und an der nächsten Kreuzung den Tod von außen dann herbei führen, wie uns Parzival und Co. immer vorführen, sondern es ist etwas, was ich in mir schon vereinige. Das ergibt einfach eine andere Ahnung von vornherein, das möchte ich auch nicht essentialistisch sehen, aber es ist eine Tatsache, die mir beim Denken und Sprechen einen anderen Rahmen steckt, einen schwierigeren. Deswegen bin ich durchaus überzeugt davon, dass Frauen länger brauchen, zu diesem Eigenen zu kommen, aber dass die Zeichen der Zeit nicht darauf ausgerichtet sind, ihnen diesen Raum zu überlassen.
Geht es neben dem Schaffen von Eigenem nicht auch um die Schaffung dieses Raumes, in dem das Eigene entstehen kann? Ein Raum, von dem gerade jüngere Frauen behaupten, er stünde ihnen ohnehin schon längst zur Verfügung, Feminismus, der dies noch fordert sei längst überholt.
Ich halte Feminismus ja für eine logische Entwicklung einer aufmerksamen Analyse, ich glaube, dass auch jeder aufmerksame Mann das ergreifen muss. Ich halte Feminismus, feministische Politik jetzt auch aufs Schreiben bezogen, für die grundlegendste Revolution und die einzige auch richtige, die unter der Eroberung von Würde eine natürlich anarchistische Utopie verwirklichen kann, in der jeder und jede selbst verhandeln lernt mit der Gesellschaft und sich selbst, in der Sicherheit, dass Würde zugestanden und gegeben und selbst hergestellt wird, und man leben und alle anderen Tätigkeiten ausüben kann. Das Ziel wäre, dass die Leben sich in Kunst auflösen und Kunst das wird, was gelebt wird, und damit wahrscheinlich die größtmögliche Form von Freiheit erreicht ist, die erreicht werden kann. Weil Freiheit für mich nur im Ausdruck bestehen kann und nicht in Zulassungen. Dass ich mit dem Mountainbike über jeden Berg fahren darf, das ist nicht Freiheit. Und da glaube ich, ist es jetzt in der Globalisierung die einzige Grundlage, alle anderen mitzudenken, ohne sofort in Unterdrückungsszenarien zu verfallen. So gesehen halte ich es natürlich für die einzige Möglichkeit überhaupt, zu denken und dann auch zu sprechen, aber das zieht nach sich, dass alle Sprachen, die gesprochen werden, verworfen werden müssen, und mit der Suche nach den Zusammenhängen dieser Sprache begonnen wird. Das Verwerfen ist ja immer wieder in Abstraktion ausgeartet, völlig sinnlos. Wenn ich die Kommunikation aufgebe, bin ich auch außerhalb. Deswegen in einem sanften Abbau auch der eigenen Machtvorstellungen, die tief geprägt sind, immer neu einen Zugang finden und herausfinden, was nun wieder Besitz nimmt von einem oder einer, und sich da fortwurschteln, das ist ein ziemlich mühsamer Prozess und hat was von Raupentätigkeiten, aber das ist genau die Anordnung. Ich würde mir wünschen, dass zumindest beim Lesen gemeinsam kleine Schritte in die Richtung gemacht werden. Ich denke, es ist ein Projekt, das sich letzten Endes über Jahrhunderte zieht, und das ist auch richtig so. Was ich schrecklich finde bei den Revolutionen, wie sie uns überliefert sind, ist, dass ja so nicht gelebt werden kann, und ich halte es natürlich für die Grundvoraussetzung, dass die Leben gelebt werden können und nicht untergehen oder beendet werden müssen. Ich hör jetzt sehr oft russische Revolutionslieder, und die Vorstellung, mit welchem frommen Ton Menschen da in ihr absehbares Ende gehen, ist ja unerträglich. Und das ist nur eine Form, gegen die anzugehen ist. Trotzdem höre ich sie mir an und hab immer auch eine Faser, die sich dafür begeistern könnte. Aber genau das muss ja untersucht werden, also was ist es denn und wie muss anders gesprochen werden, anders geredet werden, um zu einer eigenen Sprache zu kommen.
Das ist ja von Helene bis Selma auch das Projekt der Heldinnen in ihren Romanen, wobei meiner Beobachtung nach das Ende der Geschichte, also dessen, was sie als Autorin erzählen, zusammenfällt mit einem Zeitpunkt, an dem sich vielleicht für die Protagonistinnen eine neue Form des Lebens ergeben könnte. Viele der Schlüsse sind ja auch offen gehalten, aber es gibt Perspektiven. Sie sagten eben, wir stehen noch am Anfang der – ich sag jetzt mal – Dekonstruktion der vorgefundenen Strukturen und Ordnungen und der uns beigebrachten Sprache. Hat es damit zu tun, dass über diese neuen freien Formen, die eine Utopie sind, noch nichts gesagt werden kann, weil wir dafür noch keine Sprache haben?
Erstens mal würde es die auktoriale Erzählung, die ja ansatzweise vorhanden ist, ins Didaktische treiben. Das finde ich unerträglich, fand ich immer unerträglich. Welches Modell dann einmal entwickelt wird, wäre ja schon die Arbeit der Freiheit, die Arbeit des Durchwurschtelns im Text, die des Durchgehens durch das große Leid, das angesammelt worden ist, das natürlich Erkenntnisleid ist. Deshalb bin...