Vorwort
«Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl sind in unserer Gesellschaft Symptome des Versagens. Negativ besetzte Charakterzüge wie Gerissenheit, Habgier, Gewinnsucht, Gemeinheit, Geltungsbedürfnis und Egoismus hingegen sind Merkmale des Erfolges. Man bewundert die Qualität der ersteren und begehrt die Erträge der letzteren.»
John Steinbeck
Eine Autobiographie zu schreiben ist ein schmerzhafter Prozeß. Es ist, als ob man sich selbst am offenen Herzen operiert – ein chirurgischer Eingriff bei vollem Bewußtsein, bei dem der Patient auch noch selbst das Skalpell führt.
Warum habe ich mir das dennoch antun wollen?
Eine Karriere ist nie die Geschichte einer Person: Sie ist immer die Geschichte von vielen, Bekannten und Unbekannten, die dazu beigetragen haben, daß einer etwas Besonderes leisten konnte. Der Erfolg ist auch eine Verpflichtung, sich an diejenigen zu erinnern, ohne die das Gelingen nicht möglich gewesen wäre. Ich möchte dieses Buch deshalb auch als Ausdruck meiner Dankbarkeit verstanden wissen.
Aber ich wollte mir mit diesem Buch auch Klarheit darüber verschaffen, woher ich gekommen bin und wer ich war.
Mein Weg hinein in die Welt des sogenannten Topmanagements hat selbst im Rückblick noch etwas Rätselhaftes an sich – ich empfand mich wie eine Märchenfigur, die unabsichtlich und ohne es zu wollen vom Schicksal vorangeschoben wird und für die sich am Schluß, allen Fährnissen zum Trotz, alles zum Guten wendet.
Ganz so märchenhaft endete mein Weg nicht. Mein Ausscheiden bei VW erfolgte eher abrupt.
Der Bruch mit einer Welt, die für Jahrzehnte auch meine gewesen war, zeitigte Folgen, die mich zum Nachdenken zwangen und meinen Blick auch auf mein eigenes Tun und Handeln veränderten.
Während man über Jahre hinweg nur mit sich selbst konfrontiert und der Weg nach oben auch von einem zunehmenden Maß an Narzißmus und Autismus begleitet war, erzwingt das Schreiben eine andere Art der Selbstwahrnehmung: Man durchschreitet plötzlich den Spiegel der Selbstgefälligkeit, den man vor sich hatte, und sieht sich aus einer neuen, fremden Perspektive. Man erkennt auch die Beschädigungen, die man sich selbst und anderen auf diesem Weg zugefügt hat. Man entdeckt ein neues, zuweilen prekäres Selbst. Dieses anzunehmen ist eine Form der Selbstliebe, die Oscar Wilde gemeint haben muß, als er so treffend bemerkte, sich selbst zu lieben sei die sicherste Art, sein ganzes Leben geliebt zu werden.
Und Liebe braucht jeder, egal ob Manager oder Handwerker. Oft werden zwar andere Begriffe genannt: Da ist die Rede von Verständnis, Sympathie, Achtung oder Respekt. Doch in der Semantik dieser Wörter schwingt immer Emotionales mit, ist Liebe immer mehr oder weniger mit gemeint.
Es heißt, Leistung sei die Voraussetzung zu Zufriedenheit und Glück. Das glaube ich nicht. Die Erfahrung hat mich das Gegenteil gelehrt: Nur Menschen, die sich geliebt wissen, können große Leistungen vollbringen.
Ich mag die Menschen und habe mich wohl deshalb in allen meinen beruflichen Aktivitäten immer auch gefühlsmäßig engagiert.
Dabei verwechselte ich oft das Subjekt mit seinem Schatten, den Schein mit der Realität. Für bare Münze nahm ich etwa die Reaktionen auf meine Witze oder auch die kommentarlose Zustimmung zu meinen Analysen.
Ich vermochte das höfische Zeremoniell nicht zu durchschauen, das auf der Vorstandsetage herrscht. Ich erkannte nicht, daß man dem Chef aus Prinzip nicht widerspricht und um ihn herum ein goldenes Gefängnis baut, das ihm unversehens zum Verhängnis werden kann.
Der Mächtige weiß oft genug nichts von der schweren Goldkrone, die er trägt, und die Beziehung zu seinen Lakaien scheint ungetrübt – solange er auf dem Thron sitzt. Er bekommt alles, was er will. Er umgibt sich mit einer Entourage nach seinem Geschmack und empfängt Menschen aus aller Welt, die den Kontakt zu ihm suchen. Im Glauben, daß das alles mit seiner eigenen Person zu tun habe, entfernt er sich weiter und weiter von der Realität des menschlichen Lebens. Sein Schatten wird überlebensgroß, bis dahinter alles verschwindet: die Wirklichkeit, die anderen, und auch er selbst – bis er im wahrsten Sinne des Wortes ein Schatten seiner selbst wird.
Wie wirklich ist die Wirklichkeit des Managers noch an dem Tag, da er geht oder gehen muß und glaubt, mit dem Abschied von seinem prächtigen Schreibtisch und anderen äußerlichen Insignien seiner Herrlichkeit sei die Trennung vollzogen?
Als ich bei VW ausschied, glaubte ich zuversichtlich an die Fortdauer zumindest eines großen Teils der Beziehungen, die sich über die Jahre entwickelt hatten. Ich irrte. Ich hatte mir eingebildet, zu denen, um die es mir ging, ganz normale und nicht zu irgendwelchen Zwecken funktionalisierte zwischenmenschliche Beziehungen zu haben. Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Schon in den Tagen unmittelbar vor meinem Ausscheiden, als ich auf Wiedersehen sagen wollte, meldete sich dieser oder jener nicht. Ich verstand nicht warum, ich hatte doch nur adieu sagen wollen.
Später habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten und aus unterschiedlichen Gründen – aber gewiß nie auf der Suche nach irgendwelchen Vorteilen – versucht, Fäden, die gerissen waren, von neuem zu knüpfen. Und ich mußte die Erfahrung machen, daß was einmal selbstverständlich, mit einemmal unglaublich schwierig, meistens unmöglich geworden war.
Beim ersten Anruf meldet sich freundlich die langjährige Sekretärin – der Chef sei leider gerade nicht frei. Dafür hat man Verständnis. Man ruft wieder an und realisiert, wie unabdingbar ein Sekretariat offensichtlich für den Schutz eines großen Mannes oder einer großen Frau ist. Dieses zweite Telefongespräch wird dann schon nach allen Regeln der Kunst der Ausrede geführt. Kaum einer der Großen hat den Mut, selbst zum Hörer zu greifen, um sich für seinen Zeitmangel zu entschuldigen, geschweige denn, diesen zu begründen.
Man erhält erst gar keine Chance zu erklären, daß es nur um das schlichte zwischenmenschliche Anliegen geht, einen abgerissenen Faden wiederaufzunehmen. Warum in aller Welt soll es denn nicht möglich sein, solche Beziehungen wieder anzuknüpfen und weiterzuentwickeln? Bin ich naiv, daß ich diese abrupte Verhaltensänderung nicht verstehen kann? Das waren doch Kollegen, mit denen so oft, über das Berufliche hinaus, persönliche Gespräche von Mensch zu Mensch geführt worden sind.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß auch andere in meiner Situation jenes Gefühl kennen, plötzlich persona non grata zu sein, als sei man von einer ansteckenden Krankheit gezeichnet, Träger eines gefährlichen Virus, der nur auf den Tag des Abschieds gelauert zu haben scheint, um dann sofort auszubrechen. Mit einem entthronten Herrscher wollen jene, für die er jahrelang ein wichtiger Partner war, nichts mehr zu tun haben.
Man sagt, daß für gewisse Positionen ungeeignet sei, wer sich kein dickes Fell wachsen lasse. Nun, ein solcher Pelz schützt vielleicht gegen die Verletzbarkeit durch andere. Ich räume auch ein, daß sich hinter der Dickfelligkeit nicht zwingend ein abgebrühter und mit allen Wassern gewaschener Typ verbergen muß. Aber bei so einem Dickhäuter kann es auch zu einem Abbau der Empfindsamkeit kommen. Auch ein dickes Fell läßt irgendwann die Realität des Lebens nicht mehr bis in jene Zonen des eigenen Selbst vordringen, wo sie erst spürbar, fühlbar, erfahrbar wird. Die Gefahr, daß so einer bald ähnlich handelt wie die, gegen die er sich schützen wollte, ist groß. Das nächstemal ist er es, der Kontakte unvermittelt abbricht und Leid und Schmerz im eigenen Kreis verschuldet.
Ich werde immer wieder gefragt, ob ich meine mit Perserteppichen ausgelegte Wolfsburger Bürosuite nicht vermisse. Es sind wahrhaftig nicht diese Attribute einer hohen Position, die mir heute fehlen. Es bedeutet für mich überhaupt kein Problem, von dort in einen schlichten Bungalow umzuziehen, wo ich meinen Schreibtisch stehen habe. Mir ein eigenes Büro einzurichten, darauf habe ich bewußt verzichtet.
Aber was mich bis heute noch beschäftigt, ist dieses seltsame Verhalten der sogenannten oberen Etage, der Führungskräfte.
Aber auch die Welt des «Normalen», der Menschen, für die man Autos gebaut und Presseerklärungen unterschrieben hat, um die man geworben hat, damit sie das eigene Produkt kaufen, ist einem fremd geworden. Kehrt man eines Tages in diese Welt zurück, so stellt man fest, daß man sie nicht mehr kennt.
Das hat natürlich auch private Konsequenzen. Ohne Team und ohne die stützenden Stäbe des goldenen Käfigs muß man sein eigenes Gleichgewicht in Harmonie mit demjenigen des Partners oder der Partnerin finden. Auf diesen schwierigen Prozeß ist man nicht im geringsten vorbereitet.
Der Manager ist menschlich gehandikapt, um nicht zu sagen: ein Krüppel, und zwar nicht weil es ihm an irgend etwas fehlte, sondern weil er zuviel hatte und überdies geglaubt hat, alles zu haben: Geld, Macht, Erfolg, Anerkennung, viele Kontakte, Beziehungen zu Menschen, die ihm dauernd bestätigen, wie gut er sei.
Dieses wonnige Gefühl, dessen er sich so sicher wähnte, ist eine Illusion, ein Schein. Es sind die vielen Dinge, die ihn arm machen. Er hat in einer Welt gelebt, die ihn den Bezug zu anderen Welten hat verlieren lassen. Das Problem des ausscheidenden Managers ist deshalb weniger ein Imageverlust als vielmehr ein Identitätsverlust.
Das Bild, das gemeinhin vom Spitzenmanager existiert, ist ein Mythos. Er...