2. heimatlos, ein Thema für eine psychoanalytische Tagung? – Problematisierungsversuche
Annegret Dieterle, Friedemann Schmoll, Jürgen Keim
Kann „heimatlos“ ein Thema für eine psychoanalytische Tagung sein? Diese Frage war im Vorfeld der Tagung nicht unumstritten. Die Diskussionen liefern deshalb den Ausgangspunkt des folgenden Beitrags. In einem ersten Schritt werden aus nicht-psychoanalytischer Sicht Fragen an den historischen Ballast des Heimatbegriffs gestellt, der in seiner langen Geschichte zwischen Humanisierungsversprechen und Ausgrenzungspraktiken changierte. In einer ersten assoziativen Annäherung werden grundlegende psychoanalytische Begriffe ausgeführt und Schwierigkeiten benannt, nicht nur von Heimatlosigkeit, sondern über „heimatlos“ zu sprechen. Daraus resultieren Fragen – nach dem Heimweh und was dieses in unfreiwilliger Fremde anrichten kann. Ihnen wird erneut aus historischer Perspektive nachgegangen. Schließlich erfahren die Überlegungen eine Bündelung und systematische Erörterung, um zu der Einsicht zu gelangen: Die Ankunft in einem neuen, fremden Land bedürfen zur Herstellung biographischer Kontinuität des resonanten Anderen, der Empathie und Anerkennung.
Die (unheimliche) Geschichte des Tagungsthemas und der Einwände dagegen (J. Keim)
Als es im Herbst 2014 an die verbindliche Präzisierung möglicher Tagungsthemen ging, drängten sich zunächst Phänomene der Destruktivität in der Welt geradezu mit Gewalt auf. Zu diesem Zeitpunkt warfen vor allem die Grausamkeiten in der Ost-Ukraine sowie der IS-Terror in Syrien und im Irak erneut grundlegende Fragen auf. Es war noch die Zeit vor dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ sowie den späteren Selbstmordattentaten in Paris, Istanbul, alsbald Brüssel, Israel und schließlich auch in Deutschland. Schon damals war absehbar: Gewalt schien sich auszubreiten und in ihrem Gefolge die als „Ströme“ portraitierten Flüchtlinge; Millionen von Menschen verloren und verlieren ihre Heimat, sind auf der Flucht, heimatlos.
Der Gang der Dinge zwang so zur Wiederaufnahme und zeitgemäßen Auseinandersetzung mit der u. a. von Jean Améry aufgeworfenen Frage: Wieviel Heimat braucht der Mensch? Dies reiht sich durchaus auch ein in eine Kontinuität psychoanalytischer Auseinandersetzungen. Erinnert sei nur an die kontroversen Positionierungen der 1990er-Jahre: Heimat als „seelische Plombe“ für Paul Parin, allenfalls Ersatz für die Leerstellen eines brüchigen Selbst (Parin 1996). Einerseits: Heimat als Stabilisierungsfaktor in einer für das Individuum durch den Schwund von Vertrautheit, Sicherheit und Verständnis geprägten Welt (Schmidbauer 1996)andererseits. In jedem Fall: In diesen Zeiten global wachsender Konflikte mit ihren humanen Katastrophen erschien uns die Frage nach den Folgen unfreiwilliger Heimatlosigkeit als ein im wahrsten Sinne des Wortes brennendes Zeitproblem, umso beängstigender, weil „brennend“ aus dem metaphorischen Gebrauch in die Realität hereinbricht.
Freuds Studie über „Das Unheimliche“ (Freud 1919) war ein erster und zentraler Ansatzpunkt. Die im historischen Kontext von Nationalsozialismus, Antisemitismus und Judenverfolgung noch vorrangig im individuell-psychologischen Kontext der Verdrängung diskutierte Konstellation ‚heimatlich/unheimlich‘ hat in der aktuellen Konstellation von Migration, Flucht und Verfolgung (erneut) eine bedeutsame soziale und politische Dimension (vgl. Eigler, F. 2012). Das Unheimliche heute hat bei der Globalisierung der Überwachung auch die Doppelbedeutung des Nicht-mehr-Heimlich-sein-Könnens. Heute würde man nicht nur das schon symbolisierte Verdrängte, sondern auch das noch nicht Symbolisierte, Namenlose mit hinzunehmen. Es sind dies Dimensionen, die auch Franz Wellendorf in seiner Arbeit 2007 über„die unheimliche Wirklichkeit der Übertragung“ für das Tagungsthema sehr produktiv erschloss (s.u.).
In jedem Fall: Die Beschäftigung mit „Heimatlosigkeit“, die immer auch Fragen nach Beheimatung aufwirft, ist nach wie vor vermint, mindestens problematisch nach den Aufladungen und Essentialisierungen des Heimatbegriffs im Nationalsozialismus, der dazu beigetragen hat, dass, so Mahrokh Charlier, der „Schatten der großen Exilgeschichte des 20. Jahrhundert“ (…) auf ihm liegt“ (zit. n. Leszczynska-Koenen, 2009, S. 1133)) und ebenfalls viele Psychoanalytiker ein Exilschicksal erleiden mußten. Die Beheimatung bzw. Migration ist demnach auch ein existentielles Thema der Geschichte der Psychoanalyse.
Ende 2014 waren Teile der Vorbereitungsgruppe – wie übrigens auch Autoren der Wochenzeitung „Die Zeit“ – der Meinung, dass die größere Gefahr nicht von der wiederbeginnenden Migration, sondern von der Ebola-Epidemie ausgeht – diese gilt laut Zeitungshinweis (Südwestpresse) seit dem 14. Januar 2016 als beendet. Die Migration dagegen besteht weiter. Ist sie die unendliche Geschichte eines exilistischen Grundmotives (Leszczynska-Koenen, 2009)? Verdichtet im Fort-Da (Freud, Jenseits des Lustprinzips 1920) des Heim-Weg (Karen Joisten, 2007). Dem wird gleich im nächsten Teil nachgegangen werden. Es stellte sich dabei auch die Frage, ob das Thema damit eine eine Psychoanalytische Tagung überfordernde Dimension bekommt?
Ist Migration als eine unendliche Geschichte der Menschheit eine anthropologische Grundkonstante? Wäre eine Psychoanalytische Tagung damit überfordert? Psychoanalyse ist seit ihren Anfängen nicht nur eine klinische Theorie, sondern immer auch kritische Kulturtheorie, beides dialektisch miteinander verschränkt. Freud schuf – so Micha Brumlik – „nicht mehr und nicht weniger als eine neue Anthropologie, (…) die – wie alle anderen (…) – universale und überzeitliche Gültigkeit beanspruchen muß“. (Brumlik, 2006, S. 9.)
Es gibt nicht nur in Deutschland und nicht erst heute, sondern es gab immer wieder schon Migrations-Bewegungen; heute spricht man von Migrationswellen. Dabei klingt eine ein zu schwaches Ich überschwemmende Bedrohung an. Die Beschäftigung mit diesem Themenfeld war mit viel Unsicherheit verbunden, auch mit viel Ungewissheit, was da noch kommen möge. Wir wurden ständig eingeholt und überholt von neuen Entwicklungen.
Migration bedeutet Wanderung im Raum; Heimat war lange weniger emotional aufgeladen, sondern bezeichnete eine Verortung. Wir Psychoanalytiker sind mehr in inneren Räumen der Patienten, in Gefühlszuständen zuhause und interessieren uns für die Bedeutung, die einer Sache, einem Ort, einem Objekt gegeben wird, das dann auch zu einem inneren Objekt werden kann, auch davon wird noch zu sprechen sein. Wir sind demgegenüber nicht wirklich beheimatet in kulturwissenschaftlichen und philosophischen Diskursen über Heimat und Heimatlosigkeit. Deshalb soll im Folgenden der Themen- und Problembereich im Dialog und in Perspektivwechseln zwischen Psychoanalyse und Kulturwissenschaften erschlossen werden. Wer meint was, wenn Heimat gesagt wird? In jedem Fall geht es um einen Begriff mit vielerlei möglichen Bedeutungen – Schutzraum, Kompensation und Ersatz, xenophobe Kampfparole, Rückzugsort, Kitsch-Idylle, Ware, Gefühl … Er stellt mit Bion einen Container für eine Vielzahl wichtiger Gefühle dar und kann auch als Suchbewegung verstanden werden, als ein exilistisches Narrativ (Leszczynska-Koenen 2013, S. 30), das in einer globalisierten Welt existentieller werden könnte. Konzentrierten sich Psychoanalytiker eher auf das „innere Objekt“ Heimat, so beschäftigen sich die Kulturwissenschaftler schwerpunktmäßig mit dem Entstehen polarisierter Positionen eines „Selbst ohne Ort“ bzw. eines „Ortes ohne Selbst“ (Sloterdijk, 1999) Wäre zu fragen: In welchen Beziehungen stehen Fragen der äußeren und inneren Beheimatung, inneren und äußeren Räumen? In einem ersten Schritt wird es um die Fragen gehen, wann Heimat immer wieder besonders vehement thematisiert wird, diese „Konjunktur“ hat? Und welche Elemente und Themen Heimat beheimatet.
Heimat, eine Gebrauchsgeschichte zwischen Fürsorge und Verbrechen (F. Schmoll)
Heimat ist ein vermintes Gelände, ein kontaminiertes Feld für eine volkskundliche Kulturwissenschaft. Es ist die vage Unschärfe, die das schlichte Wortgeschöpf verfügbar macht für jedwelche Absichten und fast immer auch ihr Gegenteil – Integration und Exklusion, Fürsorge und Abweisung, Humanisierung und Vernichtung. Die gespaltene Beziehung, welche dieses Fach – ehedem „Volkskunde“, heute auch Europäische Ethnologie, Empirische Kulturwissenschaft, mitunter auch Kulturanthropologie geheißen – zur Heimat unterhält, liegt nicht nur an dieser Disziplin, sondern in der Sache selbst. In ihrem Namen wurden und werden ganz unterschiedliche, auch widersprüchliche Erfahrungen Intentionen reklamiert.
So gilt für diese Disziplin, was Margarete Hannsmann einmal trefflich in ihrem persönlichen Bekenntnis „Heimatweh“ vortrug: Es gebe kaum ein Wort, so Hannsmann, „das mich zerreißt wie dieses“ – unfassbar unbestimmt im Niemandsland zwischen „schierer Angst“ und „reinstem Glückszustand“. „Schiere Angst“ befiel sie vor bornierter Enge, vor kleinkarierter Gartenzwergkultur und provinzieller Selbstgenügsamkeit. Heimat also zuvorderst als Zwang, Zurückgebliebenheit, als muffige Enge. Einerseits, andererseits aber eben auch: „reinster Glückszustand“, weil kein anderes Wort ihre Gefühle von Geborgenheit, von Aufgehobensein – die Erfahrung einer Übereinstimmung von Innen und Außen, von Vertrautheit mit der Welt besser benennen könne als eben diese scheinbar schlichte Vokabel Heimat (Hannsmann 1986, S. 36).
Für eine volkskundliche Kulturwissenschaft ist...