3. Gedichte zum Thema „Stadt“
Einführung in die Themengruppe und Übersicht über die Gedichte
Die Entwicklung hin zu immer größeren Städten mit einer entsprechenden Ansammlung von Menschenmassen spielte im Denken und Dichten der Autoren des Expressionismus eine große Rolle.
Wir stellen im Folgenden kurz die behandelten Gedichte vor, damit sich jeder schnell das aussuchen kann, was ihn am meisten interessiert.
Übersicht über die Gedichte zum Thema:
1. Hugo von Hofmannsthal, „Siehst du die Stadt“
Die sanfte Stadt-Variante – Romantik mit etwas Weinen und Qual
12 Zeilen, @
Ausgangspunkt ist eine romantische Sicht, die dann zunehmend stärker differenziert wird und zwischen Qual und Pracht auch gebrochen erscheint. Am Ende wird sie aber voll angenommen.
2. Georg Heym, „Die Stadt“
Romantische Natur – Massengesellschaft – Sinnlosigkeit - Bedrohung
14 Zeilen - @@@@@
Am Anfang gibt es noch Ansätze von fast romantischer Schönheit, dann erfolgt ein Übergang zur Beschreibung der Massengesellschaft mit einem eintönigen Leben zwischen Geburt und Tod. Hinzu kommt am Ende noch ein Gefühl der Bedrohung.
3. Wolfenstein, Städter
Einsamkeit trotz Enge
14 Zeilen @@@@@
Sehr ausdrucksstark wird die Enge der Bebauung in einer Stadt beschrieben. Die wirkt sich dann bis in die Verkehrsmittel aus, wo man sich eng, fassadenartig, gegenübersitzt. Man hat das Gefühl, die anderen bekommen alles von einem mit, und fühlt sich trotzdem allein.
4. Alfred Lichtenstein, „Die Stadt“
Die total negative Sicht auf eine irre, halbtote Welt ohne Sympathie und Hoffnung
12 Zeilen, @@@@@
Es gibt in diesem Gedicht keine Harmonie mehr zwischen Himmel und Erde (Stadt), alles sieht nach Alter und Verfall aus. Dann wird ein Irrer präsentiert, der wohl stellvertretend auch für die Gesunden den Verlust der Liebe beklagt. Er wird dafür verspottet.
Am Ende erscheinen die Welt und das Leben als sinnloses Spiel mit der Andeutung eines „sanft verweinten Gottes“. Das Überirdisch-Sinnliche ist damit auch keine Rettung.
5. Georg Heym, „Der Gott der Stadt“
Die Stadt als Ort allgemeinen Untergangs:
20 Zeilen, @@@@@
Der in diesem Gedicht beschriebene Gott gehört wohl zur Stadt, lässt sich von ihr auch verehren, besteht aber vor allem aus Wut, die sich dann im Verlauf des Gedichtes auch entlädt.
Unser „Tafelbild“ dazu: Alles auf einen Blick
1.) Die Übersicht beginnt unten links mit dem Gedicht von Hofmannsthal, das noch sehr romantisch angehaucht ist, aber schon Brüche aufweist.
2.) Darüber das Gedicht „Die Stadt“ von Heym, das auch mit Romantik beginnt, diese aber sofort zerreißt. Danach geht es nur noch um Probleme der Moderne, die Massengesellschaft und deren eintöniges, sinnloses Leben, das am Ende auch noch bedroht wirkt.
3.) Wolfenstein konzentriert sich dann vor allem auf den paradoxen Gegensatz von Enge einerseits mit Verlust der Intimsphäre in der Massengesellschaft und andererseits der realen Einsamkeit des Einzelmenschen.
4.) Lichtenstein beginnt mit dem Gegensatz zwischen dem hohen Himmel und der geduckten Stadtwelt der Menschen, die nur Armut und Elend produziert. Auch fehlt es an Solidarität zwischen den Menschen. Es gibt weder Sympathie zwischen ihnen noch Hoffnung auf einen Gott, der mehr ist als „verweint“.
5.) Am Ende dann ein starker Gott, aber einer der nicht mehr den Schutz der Stadt garantiert, sondern ganz seine Zerstörungswut auslebt – obwohl die Menschenwelt alles tut, um ihn zu besänftigen und mit Opfern gnädig zu stimmen.
1. Hofmannsthal, „Siehst du die Stadt“
Erst mal selbst probieren und etwa fünf wichtige Schnell-Erkenntnisse formulieren!
Hugo von Hofmannsthal
Siehst du die Stadt?
01 Siehst du die Stadt, wie sie da drüben ruht,
02 Sich flüsternd schmieget in das Kleid der Nacht?
03 Es gießt der Mond der Silberseide Flut
04 Auf sie herab in zauberischer Pracht.
05 So geisterhaft, verlöschend leisen Klang:
06 Sie weint im Traum, sie atmet tief und schwer,
07 Sie lispelt, rätselvoll, verlockend bang...
08 Der laue Nachtwind weht ihr Atmen her,
09 Die dunkle Stadt, sie schläft im Herzen mein
10 Mit Glanz und Glut, mit qualvoll bunter Pracht:
11 Doch schmeichelnd schwebt um dich ihr Widerschein,
12 Gedämpft zum Flüstern, gleitend durch die Nacht.
Nun unsere Lösung, die nur eine Möglichkeit darstellt:
Unsere fünf entscheidenden Verständnispunkte
VP1: Das Gedicht enthält in der Überschrift eine Anrede an ein Gegenüber, das der Leser sein kann, aber wohl eher das Lyrische Ich selbst ist.
VP2: In der ersten Strophe wird die Stadt recht romantisch dargestellt.
VP3: In der zweiten allerdings machen sich negative Töne stärker bemerkbar.
VP4: In der dritten Strophe bekennt sich das Lyrische Ich ganz eindeutig zu dieser Stadt ...,
VP5: ... macht aber in den letzten beiden Verszeilen „Doch“ eine Einschränkung. Man könnte also die These vertreten, dass die Zuneigung nicht mehr nur einseitig und eindeutig positiv ist, sondern schon das Bewusstsein enthält, dass da etwas „verlöscht“, „zum Flüstern“ „gedämpft“ ist, sogar in Zeile 10 Gegensätze auszuhalten sind.
Klausurbedeutung: @@
(Die Anzahl der @-Zeichen macht unsere Einschätzung der Klausurbedeutung sichtbar – wie die Sternchen bei Hotel-Bewertungen!)
Das Gedicht kann gut als Klausur genommen werden, allerdings müssten im Unterricht die Zwischentöne des Expressionismus behandelt worden sein, sonst sucht man die extremen „Expressionen“, die es hier nicht gibt.
Anregungen:
Ausgehend von diesem Gedicht könnte man über Situationen diskutieren, in denen es auch heute noch Zuneigungen gibt, die ein „Doch“ enthalten, also ein fast trotziges Bekenntnis trotz Einwänden oder Bedenken. Hier fallen einem natürlich als erstes Beziehungsgeschichten ein.
2. Georg Heym, „Die Stadt“
Erst mal selbst probieren und etwa fünf wichtige Schnell-Erkenntnisse formulieren!
Georg Heym
Die Stadt
01: Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
02: Zerreißet vor des Mondes Untergang.
03: Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
04: Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.
05: Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
06: Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
07: Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
08: Eintönig kommt heraus in Stille matt.
09: Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
10: Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
11: Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.
12: Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
13: Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
14: Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.
Nun unsere Lösung, die nur eine Möglichkeit darstellt:
Ziel ist, das Gedicht schnell zu verstehen, damit man entscheiden kann, ob man sich noch näher damit beschäftigen möchte.
Unsere fünf entscheidenden Verständnispunkte
VP1: Der Bezugspunkt im Titel ist ganz klar die Stadt – und zwar sehr allgemein, zugleich aber auch bestimmt.
VP2: Zunächst die beiden Quartette (Vierzeiler) des Sonetts, so nennt man ein solches Gedicht-Gebilde aus 14 Zeilen.
VP3: Die Tageszeit und die freundliche Atmosphäre erinnern an schöne Romantik. Das ändert sich in der zweiten Strophe, wo von Menschenmassen die Rede ist, die nur stumpf vor sich hin leben, in völliger Eintönigkeit.
VP4: Das erste Terzett (dreizeilige Strophe) geht dann genauer auf die Eintönigkeit ein und bezieht sie auf das ganze Leben. Alles zwischen Geburt und Tod ist nur ein „Einerlei“ und geht „dumpf vorbei“.
VP5: Die letzte Strophe geht dann noch einmal auf die Nachtsituation ein, sieht sie jetzt aber negativ vor dem Hintergrund eines drohenden Infernos.
Klausurbedeutung: @@@@@
(Die Anzahl der @-Zeichen macht unsere Einschätzung der Klausurbedeutung sichtbar – wie die Sternchen bei Hotel-Bewertungen!)
Hoch, da verschiedene Elemente des Expressionismus verbunden werden.
Anregungen:
Ist die Massengesellschaft wirklich nur „stumpf“? Wie wird das heute empfunden – etwa wenn morgens Hunderte Schüler an ihrer Schule ankommen?
Was die negative Sicht auf den Ablauf des Lebens angeht: Gibt es nicht doch Highlights im Leben?
3. Wolfenstein, „Städter“
Erst mal selbst probieren und etwa fünf wichtige Schnell-Erkenntnisse formulieren!
Alfred Wolfenstein
Städter
01: Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
02: Fenster beieinander, drängend fassen
03: Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
04: Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
05: Ineinander dicht hineingehakt
06: Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
07: Leute, wo die Blicke eng ausladen
08: Und Begierde ineinander ragt.
09: Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
10: Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
11: Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle:
12: Und wie stumm in abgeschlossner Höhle
13: Unberührt und ungeschaut
14: Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.
Nun unsere Lösung, die nur eine Möglichkeit darstellt:
Unsere fünf entscheidenden...