Vorwort
Im August 2017, als Donald Trump Nordkorea die Vernichtung mit «Feuer und Zorn» androhte, schien die Welt am Rande eines Atomkriegs zu stehen. Das Undenkbare war plötzlich denkbar geworden – so dramatisch eskalierte der rhetorische Schlagabtausch zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem nordkoreanischen Jungdiktator Kim Jong Un. Dominanzgehabe drohte die politische Vernunft auszuschalten. Selbst den Europäern, die bis dahin von dem Konflikt um das Nuklearprogramm Pjöngjangs kaum Notiz genommen hatten, wurde mit einem Mal bewusst, welche Gefahr im Fernen Osten heraufzog.
Die ersten Anzeichen dafür, dass sich die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea zuzuspitzen begann, waren im Herbst 2016 zu registrieren. Auf Konferenzen munkelten Diplomaten und Rüstungsexperten, das Thema sei auf der sicherheitspolitischen Agenda Washingtons ganz nach oben gerückt. Und als nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl Barack Obama mit Donald Trump bei einer Begegnung im Oval Office über die größten Herausforderungen des Landes sprach, da stand Nordkorea an erster Stelle — vor dem Kampf gegen den «Islamischen Staat», vor der wachsenden Macht Chinas.
Schon seit Beginn der neunziger Jahre gab es kaum noch einen Zweifel, dass Nordkorea nach der Bombe greifen wollte. Das Regime in Pjöngjang bestritt dies, behauptete vielmehr, die Kerntechnik allein für die Energieversorgung nutzen zu wollen. Doch die Erkenntnisse der westlichen Nachrichtendienste, nicht zuletzt dank immer präziserer Satellitenaufnahmen, ließen keinen Zweifel am militärischen Charakter des nordkoreanischen Atomprogramms. Bereits 1994 dachte die Regierung von Bill Clinton über einen Präventivschlag gegen die Atomanlagen des damaligen Diktators Kim Il Sung nach. Aber zu unkalkulierbar schienen ihr die Folgen zu sein, zu groß die Gefahr für die Zivilbevölkerung in beiden koreanischen Staaten, insbesondere für die Einwohner von Seoul, der Hauptstadt des Südens.
George W. Bush, der Nordkorea gemeinsam mit dem Irak und Iran zur «Achse des Bösen» erklärte, trug mit seinem Krieg im Irak und dem Sturz Saddam Husseins zur beschleunigten nuklearen Aufrüstung Nordkoreas bei. Denn darin war sich das Regime in Pjöngjang sicher: Einen Saddam mit Atomwaffen hätten die Amerikaner niemals angegriffen. Fragt man nach den wirklichen Gründen für das nordkoreanische Atomprogramm, dann findet man sie hier: in der festen Überzeugung, allein Nuklearwaffen garantierten die Unabhängigkeit des Landes und das Überleben des Regimes. Weil die Kim-Dynastie glaubt, sich ohne die Bombe nicht behaupten zu können, ist jede Hoffnung illusorisch, sie ihr auf diplomatischem Wege abzutrotzen.
Die Kim-Familie, die das Land in dritter Generation beherrscht, handelt keineswegs irrational. Im Gegenteil, das Handeln Pjöngjangs lässt sich ziemlich genau erklären. Zynisch, ja, das ist es, aber keineswegs verrückt. Kim Jong Un agiert außerordentlich kaltblütig, ja ruchlos, und ist damit ein getreuer Erbe seines Großvaters Kim Il Sung und seines Vaters Kim Jong Il. Seit siebzig Jahren halten sich die Kims an der Macht. In dieser Zeit brach die Sowjetunion zusammen, wurden die Länder des ehemaligen «Ostblocks» Mitglieder von EU und Nato, erlebte China die Rückkehr des Kapitalismus, diesmal unter der Obhut der Partei. Die Kims regieren immer noch.
Dies konnte ihnen gelingen, weil sie ihr Land rigoros von der Welt isoliert haben. Die Ideologie vom eigenen Weg, vom Vertrauen auf die eigene Kraft war zwar immer nur hohle Phrase; in Wirklichkeit war das Land seit Anfang der sechziger Jahre abhängig von sowjetischer und chinesischer Hilfe. Aber fremde Gedanken sollten nicht nach Nordkorea hineindringen. Mit unglaublicher Brutalität haben die drei Kims ihre totalitäre Herrschaft abgesichert. Viele hunderttausend Nordkoreaner sind in den vergangenen Jahrzehnten in die Lager für politische Häftlinge gesteckt worden, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen dahinvegetierten. Mord, Folter, Hunger, Vergewaltigung sind in diesen Lagern bis heute an der Tagesordnung. Der nordkoreanische Gulag ist eine Schande für die ganze Menschheit. Erst im Jahr 2014 hat der Bericht einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen das Grauen in allen seinen Einzelheiten beschrieben. Kim Jong Un müsse sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten, forderte die Kommission; ein Schicksal, das dem Diktator dank des Vetorechts Chinas und Russlands im UN-Sicherheitsrat erspart bleiben dürfte.
Wenn man über die Gefahren spricht, die von der nordkoreanischen Atombombe ausgehen, dann muss man über den Charakter des Regimes sprechen. Es ist die wohl bösartigste Despotie der Gegenwart. Man vergegenwärtige sich nur die völlig gegensätzliche Entwicklung der beiden koreanischen Staaten. Der Süden hat schon in den achtziger Jahren die Militärdiktatur überwunden, er ist zu einer lebendigen Demokratie mit einer blühenden Wirtschaft herangewachsen. Der Norden dagegen verharrt trotz zaghafter Reformversuche in Armut, Isolation und Rückständigkeit. Mit seiner einfältigen «Juche»-Ideologie und dem bizarren Personenkult entmündigt er seine Bürger. Die furchtbare Wahrheit ist: Die Kim-Diktatur hat Millionen Menschen ihr Leben gestohlen.
Mit Marxismus-Leninismus hat dies alles wenig zu tun. Nordkorea ist kein sozialistisches Land. Seine Führerideologie, der vollkommen übersteigerte Nationalismus und ein kaum verhüllter Rassismus lassen den Staat der Kims dem Faschismus näher sein als dem Kommunismus.
Dieses Land ist nun drauf und dran, Interkontinentalraketen mit atomaren Sprengköpfen zu bestücken, mit denen es die Metropolen der Vereinigten Staaten erreichen kann: Los Angeles, Denver, Chicago, vielleicht New York und Washington. Für alle Präsidenten in Washington war der Bau einer solchen Rakete bisher die rote Linie, die nicht überschritten werden durfte. Aber Donald Trump steht vor dem gleichen Dilemma wie seine Vorgänger: Ein Angriff auf Nordkorea hätte katastrophale Zerstörungen auch im Süden der Halbinsel zur Folge. Das ist Kim Jong Uns Kalkül, dass die Furcht vor einem zweiten Koreakrieg, gar vor einem Atomkrieg, jeden Angriff auf sein Land verhindert.
Müssen wir also mit der nordkoreanischen Bombe leben? Müssen wir Nordkorea als neunten Atomstaat (nach den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Indien und Pakistan) akzeptieren? Gilt auch für Nordkorea die Logik des Kalten Krieges: Abschreckung und Eindämmung? Oder muss jetzt gehandelt werden, da der Bestand Nordkoreas an Nuklearwaffen noch gering ist und atomar bestückte Raketen die USA noch nicht erreichen können?
Darüber wurde während der vergangenen Monate in Washington, Tokio und Seoul heftig debattiert. Als das Manuskript für dieses Buch im September 2017 abgeschlossen wurde, war offen, ob sich die Politik des Containment, also des Einhegens der Diktatur bei gleichzeitiger Akzeptierung ihrer Atomwaffen durchsetzen würde. Oder ob die Überzeugung obsiegen würde, dass die Gefahren, die von Nordkorea ausgehen, von Jahr zu Jahr weiter wachsen würden und ihnen deshalb militärisch begegnet werden müsse.
So klar wie zwischen Ost und West im Kalten Krieg verlaufen in Ostasien die politischen Fronten nicht. Die Interessen der drei Atomstaaten USA, China und Russland sowie Japans stoßen hier aufeinander. Niemand von ihnen will ein nuklear bewaffnetes Nordkorea. Aber China will auch kein vom Süden dominiertes wiedervereinigtes Korea mit amerikanischen Truppen an seiner Grenze. Japan und Südkorea sind zwar Amerikas engste Verbündete in Asien, untereinander aber wahrlich keine Freunde; bis heute sind sie nicht fähig, die Bürden der Vergangenheit abzuwerfen. Südkorea braucht den militärischen Schutz der Vereinigten Staaten, aber jeder Gedanke in Washington, militärisch gegen den Norden vorzugehen, löst bei den Südkoreanern Ängste und Proteste aus.
Unbestritten ist, dass China und Amerika den Nordkoreakonflikt nur gemeinsam lösen können. Im Ziel einer koreanischen Halbinsel ohne Atomwaffen sind sich Washington und Peking einig, nicht aber über den Weg dorthin. Eine partielle Kooperation ist möglich. Doch scheitert ein strategisches Zusammengehen an der geopolitischen Rivalität zwischen der etablierten und der aufsteigenden Supermacht. Zu tief sitzt das gegenseitige Misstrauen.
Ich habe...