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E-Book

Freiheit unterm Schleier

Frauen im Iran

AutorBita Schafi-Neya
VerlagBraumüller Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783991002208
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Das Bild über Frauenrechte im Iran ist oft durch Schleierpflicht geprägt. Aber das Kopftuch rutscht: Iranische Frauen sind selbstbewusster denn je. Über muslimische Frauen gibt es viele Vorurteile. Ist das Kopftuch wirklich ein klares Zeichen der Unterdrückung? Erlaubt der Koran den Männern, über ihre Ehefrauen zu bestimmen? Wie steht es um die Frauenrechte in muslimischen Ländern heute? Vor allem: Gibt es von Land zu Land gravierende Unterschiede? Bita Schafi -Neya hat für dieses Buch zahlreiche Interviews geführt, die zu interessanten und oft überraschenden Einsichten führen.

Die Deutsch-Iranerin Bita Schafi -Neya arbeitet seit mehr als 25 Jahren als freie Journalistin überwiegend für den NDR und produziert eine Reihe von Feature für WDR, Deutschlandfunk und RBB. Auch in diversen Magazinen und Tageszeitungen - darunter Welt am Sonntag, Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung - sind Artikel erschienen. Im April 2012 hat sie beim staatlichen Sender IRIB in Teheran gearbeitet - später von Deutschland aus. Sie besitzt sowohl die deutsche als auch die iranische Staatsbürger schaft und hat im Jahr 2014 vier Monate im Iran verbracht.

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Leseprobe

Kopftuch und Lebenslust


In meiner Kindheit kamen mir häufig schwarz vermummte Frauen und streng dreinblickende Sittenwächter in den Sinn, wenn ich an Iran dachte. Doch inzwischen sieht es anders aus. Die Kopftücher sitzen immer lockerer und rutschen weiter nach hinten. Häufig sind sie nur noch ein Modeaccessoire und werden von den Frauen ganz elegant über die hochgesteckten Frisuren gelegt. Die Mäntel werden kürzer, modischer und vor allem bunter. Die Natur hat die Iranerinnen großzügig mit Reizen bedacht und sie verstehen sich zur Schau zu stellen. Röhrenjeans unter hautengen Überwürfen sind keine Seltenheit mehr. Die Kopfbedeckung ist zwar noch Pflicht, aber die Regeln haben sich gelockert. So dürfen die Frauen inzwischen auch Fahrrad fahren, was im Jahre 2002 noch verboten war. Damals flogen mein Mann und ich auf Hochzeitsreise nach Iran. Während dieser Reise lernten wir die Studentin Maryam und ihren Freund Reza kennen. Es war nach langer Zeit wieder meine erste Reise in meine „zweite Heimat“. Damals regierte Präsident Chatami das Land. Ein eher gemäßigtes Staatsoberhaupt, das versuchte, die Islamische Republik liberaler zu gestalten. Zweimal war er Präsident des Landes (1997–2005). Eine überwältigende Mehrheit hatte ihn damals gewählt, 75 Prozent bei der ersten, 60 Prozent bei der zweiten Wahl. Als er 1997 vom Volk gewählt wurde, gaben mehr als 20 Millionen Iraner dem religiösen Reformer ihre Stimme. Chatami sprach von einer modernen Interpretation des Islams und gab das Versprechen von Freiheit und Demokratie im Rahmen der iranischen Verfassung. Jugendliche und besonders Frauen hatten entscheidenden Anteil an seiner Wahl.

Im Westen reagierte man auf die Wahl des Mannes mit Staunen. Die Islamische Republik galt den meisten als ein finsterer Ort, bevölkert von rückständigen Fanatikern, die ein repressives System errichtet hatten. Ganz plötzlich brachte dieses Land einen Reformer hervor, der vor allem von der Jugend wie ein Popstar verehrt wurde. Schließlich war der Wunsch nach Freiheit, Farbigkeit, Freude, Lachen und einer Welt frei von Krieg und Gewalt groß und rief die bekümmerten Herzen wach.

Als ich gegenüber meinem Mann damals den Wunsch äußerte, nach Iran reisen zu wollen, war er gleich Feuer und Flamme. Wir buchten eine organisierte Reise und machten uns auf den Weg. Damals gab es nur wenige Touristen, die es wagten, das Land zu bereisen. So waren wir die einzigen Gäste dieser Reisegruppe:

Maryam ist unsere Reiseleiterin in Teheran. Mit ihrem Job verdient sie sich einen Teil ihres Studiums. Sie stammt aus einer eher einfachen Familie – ihr Vater ist Busfahrer, ihre Mutter ist Hausfrau und kümmert sich überwiegend um Maryam und ihre zwei Geschwister. Manchmal, wenn das Geld nicht reicht, geht sie putzen. Wenn Maryam das Haus verlässt, trägt sie immer einen Hijab – eine Kopfbedeckung, bei der kein einziges Haar herausguckt. „Ich trage das Kopftuch aus Überzeugung und nicht, weil es mir vorgeschrieben wird“, sagt Maryam selbstbewusst. Sie lacht gern. Dann bekommt sie kleine Grübchen und ihre haselnussbraunen Rehaugen mit den fein gezupften, nachgezogenen Augenbrauen strahlen übers ganze Gesicht. Auf den Straßen begegnen uns immer wieder Frauen im Tschador (ein schwarzer, langer Umhang) und mit farblosen Kopftüchern – sie wirken auf mich wie schwarze Raben. Die traditionelle Kleidung überwiegt. Es ist eine Mischung aus Tradition, Religiosität, Anpassung und Druck vom Elternhaus, die viele Frauen nach wie vor zum Tschador greifen lässt. Die Sittenpolizei ist zu dieser Zeit auch noch sehr präsent. In regelmäßigen Abständen geht die Regierung hart gegen Leute vor, die angeblich gegen Sitte und Moral verstoßen.

Man erkennt diese jungen Männer auch heute noch an ihren Flaumbärtchen, Palästinensertüchern und Cargohosen. An den Kreuzungen sitzen sie in ihren Autos. Die Sittenwächter fahren weiße Wagen mit einem grünen schmalen Streifen um die Karosserie. Sie halten Ausschau nach Iranerinnen, die ihrer Meinung nach nicht richtig gekleidet sind. Sitzt vielleicht das Kopftuch nicht richtig, werden sie angesprochen und zur Räson gebracht. Meist bleibt es bei einer Verwarnung. Doch werden die Mädels aufmüpfig, kommt es auch schon einmal vor, dass sie mit auf die Wache müssen. Ich habe es erst kürzlich bei einem meiner Aufenthalte im Iran miterlebt, wie eine junge Frau von Sittenwächtern angesprochen wurde. Ihr Mantel sei zu weit geöffnet und auch ihre langen Haare würden zu sehr rausgucken. Weil sie eine schnippische Antwort gab und frech wurde, nahmen die Beamten ihre Personalien auf und riefen ihre Eltern an. Die mussten sie dann abholen und sich eine Standpauke anhören. Freunde haben mir erzählt, dass in den 80er-Jahren häufig illegale Geburtstagspartys oder Hochzeitsfeiern gesprengt und einige Gäste sogar verhaftet wurden. Das war damals, doch inzwischen kommt für viele junge Frauen der schwarze Schleier nicht mehr infrage. Teheran ist bunt geworden. Wo früher die Iranerinnen fast ausnahmslos wie schwarz-graue Schleier über die Straßen und öffentlichen Plätze huschten, gibt es heute eine Fülle greller Farbkleckse. Wie ein Regenbogen, der den Himmel strahlen lässt. Inzwischen kontrollieren die Sittenwächter auch nicht mehr so viel. Präsident Rohani hat es ihnen sogar zeitweise verboten.

Zu Touristen allerdings waren sie damals schon nett und freundlich. Mein Mann erzählt heute noch gerne mit einem Schmunzeln im Gesicht, wie er von der Polizei angesprochen wurde. Martin spazierte alleine durch die Straßen, weil ich an diesem Abend Kopfweh hatte und im Hotel blieb. Plötzlich kam mein Mann an einer Polizeistation vorbei. Die Beamten sahen gerade irgendein spannendes Fußballspiel. Martin lugte um die Ecke und plötzlich sprachen die Polizisten ihn auf Englisch an: „Hallo, guten Abend, können wir bitte mal Ihren Ausweis sehen?“ Mein Mann zuckte kurz zusammen und bemerkte, dass er seine Papiere im Hotelzimmer gelassen hatte. Die Beamten fingen an zu lachen und meinten, das sei auch gut so. Puh, noch mal Glück gehabt. Touristen gegenüber sind die Iraner alle aufgeschlossen, auch die Polizisten.

Am nächsten Tag treffe ich mich mit unserer Bekannten Maryam zum Tee in unserem Hotelzimmer. Ich möchte sie interviewen, doch auf der Straße hat sie Angst, entdeckt zu werden. Sie öffnet mir somit die Türen und gewährt mir Einblicke in das Leben im Iran, die weit über das hinausgehen, was eigentlich auf „normalen“ Reisen möglich ist.

Heutzutage führe ich meine Interviews übrigens ohne Probleme in der Öffentlichkeit. Die meisten Iraner sind locker geworden und haben keine Angst. Sogar einige Taxifahrer sind sehr redselig und schimpfen laut und ungezwungen über die Regierung.

Maryam erzählt mir ein wenig aus ihrem Leben. Den Job als Reiseleiterin hat sie angenommen, um während ihres Germanistikstudiums ein bisschen Geld zu verdienen und um die deutsche Sprache zu trainieren. Gemeinsam mit ihren Eltern und zwei Geschwistern wohnt die 21-Jährige in einer kleinen Wohnung im Osten von Teheran. Ihre Familie ist eher westlich orientiert, allerdings mit Einschränkungen. „Ich darf mich zwar mit meinen Freundinnen aus der Schule nachmittags in einem Café treffen, aber dass ich einen festen Freund habe, würden sie niemals akzeptieren“, sagt Maryam etwas wehmütig. So trifft sie sich heimlich mit Reza, meist in einem der großen Parks von Teheran.

Dort begegnet man heutzutage übrigens immer mehr Pärchen, die Hand in Hand laufen oder sich auch mal küssen. Die Frauen und auch die Männer missachten in der Öffentlichkeit das Verbot, sich zu berühren. Viele Iranerinnen strecken bei der Begrüßung ihre Hand aus oder umarmen ihre Freunde. Beides ist eigentlich verboten. In den zahlreichen Parks von Teheran konnte man schon damals einen Eindruck von der Aufmüpfigkeit der iranischen Jugendlichen bekommen. Im Mellat-Park – der größten und schönsten Grünanlage der Stadt – treffen sich Menschen jeden Alters, um den Abend ausklingen zu lassen. Familien und Liebespärchen sitzen in Tretbooten auf einem künstlichen See und drehen ihre Runden. Daneben liegt ein Café, ein beliebter Treffpunkt für Teenager, die hier den gleichen pubertären Spielchen nachgehen wie ihre Altersgenossen in Europa. Junge neckt Mädchen, Mädchen neckt Junge. Es sind nicht nur Cousins und Cousinen, die hier anbändeln, sondern wildfremde Kids, die sich über Chatrooms im Internet kennengelernt und verabredet haben. Die Jugendlichen sind ganz unbekümmert und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie hören Popmusik oder rauchen Wasserpfeife – junge Iranerinnen sitzen in den Teehäusern, in der einen Hand das Handy, in der anderen Hand das Mundstück einer Wasserpfeife. Die iranische Jugend hat sich mühsam ihre sozialen Freiheiten erkämpft. In Restaurants und Cafés wird heftig geflirtet, doch junge turtelnde Pärchen haben es schwer im Iran, denn Flirts in der Öffentlichkeit sind von den Sittenwächtern nicht gerne gesehen. Deshalb lassen sich die...

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