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E-Book

Die Reformation

Wittenberg - Zürich - Genf 1517-1555

AutorMartin H. Jung
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843805650
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
500 Jahre Reformation. Martin H. Jung blickt zurück und zieht Bilanz. Die Reformation begann mit Luthers Thesen 1517 und endete mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555. Der Autor schildert, wie es zur Reformation kam und welche Folgen sie hatte. Er zeigt, wie nicht nur neue, evangelische Kirchen entstanden, sondern auch die alte katholische Kirche allmählich verändert wurde. In vielem hat die katholische Kirche Luther, den sie 1520/21 verketzerte, im Nachhinein Recht gegeben. Der Autor beschränkt seine Darstellung der Reformation aber nicht nur auf Luther, sondern bezieht auch Melanchthon, Zwingli und Calvin mit ein. Er scheut sich nicht, heikle Themen anzusprechen, so den Aufstand der Bauern und das Aufbegehren der Täufer sowie Luthers feindliche Haltung zu den Juden und seine negative Sicht auf die Türken und den Islam. Ohne Tabus behandelt der Autor Licht- und Schattenseiten der Epoche. Dem Engagement von Frauen, für und gegen die Reformation, wird besondere Beachtung geschenkt. Die Darstellung der Geschichte findet dabei immer Brücken zur Gegenwart. Die Reformation hat Deutschland und Europa nachhaltig geprägt und prägt besonders Deutschland und die Schweiz noch heute.

Prof. Dr. Martin H. Jung (geb. 1956 in Bietigheim-Bissingen) studierte 1977-1984 Evangelische Theologie, Religionswissenschaft und Pädagogik in Tübingen und Berlin (West). Pfarrdienst in Württemberg 1984-1987 und 1900-1992. Promotion (1990) und Habilitation (1996) in Tübingen. 1997-2002 Assistenzprofessor in Basel. Seit 2002 Universitätsprofessor in Osnabrück. Er lehrt Historische Theologie und engagiert sich im christlich-jüdischem und christlich-islamischen Dialog. Die Geschichte der Reformation gehört zu seinem Forschungsschwerpunkt.

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Leseprobe

2. BEGINN DER REFORMATION


1517: LUTHERS THESEN


»Er schlug sie am Vortag von Allerheiligen 1517 öffentlich an der Kirche an, die an das Schloss von Wittenberg grenzt«, so berichtete Philipp Melanchthon (1497–1560), Luthers prominenter Kollege und Mitreformator, im Jahr 1546, als er in seiner Vorrede zum zweiten lateinischen Band der Werke Luthers von dessen Leben erzählte.13 Seither spricht man vom »Thesenanschlag«. Doch Melanchthon war 1517 noch nicht in Wittenberg, und von Luther selbst erfahren wir nur, dass er seine Thesen an Bischöfe und Freunde geschickt habe. Ob Luther am 31. Oktober seine Thesen wirklich öffentlich ausgehängt, »angeschlagen« hat, ist deshalb nicht sicher. Aber davon hängt auch nichts ab. Wichtig ist der Inhalt, und der ist bekannt und erregte sofort Aufsehen. Wir haben zwar nicht ein handschriftliches Original, aber wir haben Drucke der Thesen aus dem Winter 1517/18.

Luthers Ablassthesen, wie man den Text kurz und bündig nennt, behandeln nicht nur das Thema Ablass, sondern setzen ganz grundsätzlich beim Thema Buße an. Luther erinnert daran, dass Jesus zur Buße aufgerufen hat: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen (Matthäus 4,17). Was meinte Jesus damit? Luther erklärt in seiner 1. These: Jesus wollte, dass unser ganzes Leben Buße sei.

Die Kirche zur Zeit Luthers sah in der Buße einen sakramentalen Akt. Der Gläubige ging zu einem Priester, beichtete diesem seine Sünden und bereute sie und wurde von dem Priester anschließend im Namen Gottes von seinen Sünden frei gesprochen, selbstverständlich unter Auflagen wie zum Beispiel hundert Vaterunser-Gebeten. Nach den Vorschriften der Kirche hatte jeder Gläubige mindestens einmal im Jahr zur Beichte zu gehen und den Bußakt zu vollziehen, um die Absolution, den Freispruch, die Vergebung zu erlangen.

Die Tür der Wittenberger Schlosskirche (Bronzetür des 19. Jahrhunderts mit Luthers Thesen) – hier soll Luther seine Thesen angeschlagen haben

Das war Luther zu wenig, aber Luther wollte auch keine wöchentliche Beichte und Buße, wie sie die katholische Kirche später – bis heute – vorschrieb, sondern er forderte Buße als Lebenshaltung, als Grundhaltung des Christen. Jeder sollte sich ständig darüber im Klaren sein, dass er in den Augen Gottes ein von Schuld beladener, sündiger Mensch ist, angewiesen auf die Gnade Gottes. So lebte Luther als Mönch, und diese Lebenshaltung erwartete er nun von allen Christen, die wahrhaft Christen sein wollten.

In weiteren Thesen wandte sich Luther aber konkret dem Ablass und der mit diesem untrennbar verbundenen Lehre vom Fegefeuer zu. Luther äußerte Zweifel, ob es ein Fegefeuer überhaupt gebe, denn er konnte dazu in der Heiligen Schrift nichts finden. Sollte es kein Fegefeuer geben, wäre der Ablasslehre und dem Ablasshandel der Boden entzogen.

Ferner kritisierte Luther, dass sich die Menschen, die Ablass kauften, in falscher Sicherheit wiegten, denn die Kirche könne ja eigentlich nur solche Strafen erlassen, die sie selbst verhängt habe, nicht aber Strafen Gottes. Besser als für Ablass Geld auszugeben sei es, mit diesem Geld Armen zu helfen.

Ganz offen griff Luther die Art und Weise an, wie sich die Kirche durch den Ablass bereicherte. Das Ganze sei ein Instrument, um Geld einzutreiben: »Der Schatz des Ablasses ist das Netz, mit dem man jetzt den Reichtum der Menschen fängt.«14 Und dabei sei der Papst schon einer der reichsten Männer dieser Erde. Warum baue er den Petersdom in Rom nicht mit seinem eigenen Geld, fragte Luther.

Auch für die Theorie vom »Schatz der Kirche«, mit der die Möglichkeit der Kirche, Ablass zu gewähren und göttliche Strafen zu erlassen, seit langem begründet wurde, fand Luther in der Bibel keine Grundlage. Er erhob Zweifel, ob es diesen Schatz wirklich gebe. Ist nicht etwas ganz anderes der Schatz der Kirche? Der Schatz der Kirche, sagt Luther provozierend, ist das Evangelium, die frohe Botschaft von Gott, der den Menschen in Jesus Christus nahe gekommen ist. Dieser Schatz, diese Botschaft gehöre der Kirche, und diesen Schatz solle sie austeilen, natürlich kostenlos.

Die Reformation nahm für sich in Anspruch, in besonderem Maße am Evangelium orientiert zu sein. Deshalb werden bis heute die in der Reformation gründenden Kirchen als evangelisch bezeichnet. Das Wort meint wörtlich: gute Nachricht; gemeint ist die gute, froh machende Nachricht von Jesus Christus. Die vier Bücher des Neuen Testaments, die über Jesus berichten und das Evangelium mitteilen, werden Evangelien genannt. Natürlich wollte sich auch die alte Kirche, von der sich Luther abgrenzte, am Evangelium orientieren, und natürlich glauben auch heutige Katholiken an das Evangelium. Dennoch ist das Wort evangelisch, weil es von den Reformationsanhängern so stark betont wurde, im Laufe der Zeit zur Konfessionsbezeichnung geworden.

In seinen Thesen argumentierte Luther mit der Bibel. Was richtig oder falsch war, sei es in der theologischen Lehre, sei es in der kirchlichen Praxis, wollte er auf dem Hintergrund der Bibel klären. Die kirchliche Tradition, das religiöse Brauchtum, die Lehren mittelalterlicher Theologen und philosophische Erkenntnisse waren für ihn nicht entscheidend, sondern »die Schrift allein« (lateinisch: sola scriptura). Man hat dies später als das Schriftprinzip der Reformation bezeichnet. Es findet sich bei Luther schon in seinen allerersten Anfängen und ist eine erste Zentrallehre der Reformation. Reformatorische Theologie gründete sich auf die Bibel, direkt auf die Bibel.

Re-formation meint nicht Modernisierung. Es ging um eine Zurück-Wendung zu den Ursprüngen. Das Anliegen der Reformation war nicht modern, auch nicht konservativ, sondern streng genommen reaktionär: Eine Umkehr war gewollt – eine Umkehr in die Zukunft. Heute verbindet man mit »Reform« eine Modernisierung, einen Bruch mit dem Alten. Doch die Grundbedeutung des Wortes war eine andere. Wörtlich meint Reform Zurückformung, Wiederherstellung des (guten) alten Zustands. In diesem Sinn gebrauchte Luther den Begriff. Er wollte verändern, aber dabei die guten alten, die ursprünglichen Zustände wiederherstellen. Sein Selbstbewusstsein bezog Luther aus der Tatsache, dass er ein Doktor der Theologie war.

Luthers Ablassthesen schlugen ein wie eine Bombe. Jeder, der sie in die Hand bekam, verbreitete sie gleich weiter. Rasch wurden sie, zunächst außerhalb Wittenbergs, gedruckt, und zwar in Nürnberg, Leipzig und Basel, rasch nicht nur in lateinischer, sondern auch in deutscher Sprache. Überall sprach man darüber: In Wittenberg hat sich ein Mönch und Professor gegen den Ablass gewandt und damit gegen die Kirche und gegen den Papst.

Erzbischof Albrecht von Mainz hielt im November 1517 ein Original von Luthers Thesen in der Hand. Er leitete es nach Rom weiter und erhob Anklage gegen Luther. Er verdächtigte Luther, ein Ketzer zu sein, ein Irrlehrer, der die Kirche gefährde.

DISPUTATIONEN IN HEIDELBERG UND LEIPZIG


Im September 1518 wurde Luther nach Augsburg zitiert, um vor einem päpstlichen Gesandten, dem Dominikaner-Theologen und Kardinal Thomas de Vio aus Gaeta, genannt Cajetan (1469–1534), Rechenschaft abzulegen. Drei Begegnungen fanden am 12., 13. und 14. Oktober statt. Der Wittenberger wurde zum Widerruf aufgefordert. Weil Luther diesen verweigerte, wandte sich Cajetan brieflich an Luthers Landesherrn, Kurfürst Friedrich III. (1463–1525), genannt Friedrich der Weise, und forderte ihn auf, Luther nach Rom auszuliefern oder des Landes zu verweisen. Doch der Kurfürst dachte nicht daran, den Wunsch zu erfüllen.

Warum sich Friedrich hier und später schützend vor Luther stellte, ist nicht wirklich bekannt. Es gibt keine Äußerungen von ihm, die Einblicke in seine Motivation geben würden. Friedrich war ein ausgesprochen frommer Mann. Er hatte eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen. Er sammelte aber auch Reliquien ohne Ende. Die ganze Schlosskirche in Wittenberg diente ihm als riesiger Reliquienschrein. Im Jahre 1520 umfasste die Sammlung 19 000 Einzelteile. Und alljährlich am Allerheiligentag, dem 1. November, konnte auch hier Ablass empfangen werden. Das gefiel Luther gar nicht und vertrug sich überhaupt nicht mit seinen religiösen Überzeugungen.

Friedrich war nicht nur fromm, sondern auch mächtig und selbstbewusst und wollte nicht, dass von außen in sein Land hineinregiert würde. Sicher freute er sich auch über den Erfolg seiner neu gegründeten Universität in Wittenberg, die wegen Luther alsbald viele Studenten aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland anlockte. Friedrich schützte Luther, 1518 und später, bis zu seinem Tod. Friedrich starb im Jahre 1525. Mit Luther verkehrte er nie direkt, sondern immer über Mittelsmänner. Als Friedrich im Sterben lag, empfing er das Abendmahl auf evangelische Weise, mit Brot und Wein. Als Sterbender bekannte er sich damit...

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