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Thomas Mann, der Amerikaner

Leben und Werk im amerikanischen Exil, 1938-1952

AutorHans Rudolf Vaget
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl592 Seiten
ISBN9783104012728
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
»Mein Deutschtum ist in dem kosmopolitischen Universum, das Amerika heisst, am richtigsten untergebracht.« Thomas Mann Thomas Mann lebte vierzehn Jahre in Amerika. Diese dramatischste Periode seines Lebens war dem Kampf gegen Hitler und dem Nachdenken über Deutschland gewidmet; er wurde US-Bürger und war gleichzeitig der angesehenste Repräsentant deutscher Kultur. In seiner facettenreichen Studie erhellt H. R. Vaget das politische und kulturelle Umfeld dieser Jahre. Zwei längere Kapitel stellen das Verhältnis zu Thomas Manns wichtigsten Bezugspersonen dar: Präsident Roosevelt und Agnes Meyer, seine Gönnerin. Weitere Kapitel befassen sich mit verschiedenen Aspekten des literarischen und politischen Kontexts. Abschließend wird Thomas Manns Rolle in der deutschen »Vergangenheitspolitik« neu zur Diskussion gestellt.

Hans Rudolf Vaget (geb. 1938) ist Professor of German Studies und Comparative Literature am Smith College (Northampton, Massachusetts). Schwerpunkte seiner Forschung sind Goethe, Wagner und Thomas Mann, zu denen er zahlreiche Arbeiten vorgelegt hat. Ehrungen: Thomas-Mann-Medaille (1994), Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung (2001), Fellow der American Academy Berlin (2012). Vaget ist Mitherausgeber der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe Thomas Manns und war von 2005 bis 2013 Mitherausgeber der Zeitschrift wagnerspectrum.

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Leseprobe

Zur Einführung: Vierzehn Jahre Exil in den USA


Auf seiner vierten Amerikareise, im Frühjahr 1938, entschloss sich Thomas Mann, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Sechs Jahre später, in Los Angeles, wurde der Emigrant aus Deutschland offiziell Bürger der Vereinigten Staaten. Er blieb es auch, als er 1952 aus seinem zweiten Exilland in sein erstes, die Schweiz, zurückkehrte. Der Dichter der Buddenbrooks und des Doktor Faustus starb als Amerikaner. Dies ist nur scheinbar und auf den ersten Blick eine quantité négligeable. In Wirklichkeit haben wir es mit einem für die Rezeption, das Werk und die Biographie gleichermaßen gewichtigen Faktum zu tun.

In der Diskussion der ersten Nachkriegsjahre um den berühmtesten und umstrittensten deutschen Emigranten erlangte der Umstand, dass der 1933 aus Deutschland Vertriebene und 1936 seiner deutschen Staatsangehörigkeit Beraubte eine fremde angenommen hatte, ein unverhältnismäßiges Gewicht. Als Thomas Mann seine deutsche Staatsbürgerschaft verlor, konnte er sich glücklich schätzen, die tschechoslowakische zu besitzen und damit einen Reisepass – ein Gut, von dessen Wert man sich in dem Post-Schengen-Europa kaum eine Vorstellung zu machen vermag. In den Augen der Deutschen jedoch war die Episode der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit belanglos angesichts des politisch weit brisanteren Umstands seiner amerikanischen Staatsangehörigkeit, auf die er selbst in seinen ersten Verlautbarungen nach dem Krieg gern und nicht ohne Stolz verwies. Sein neu erworbenes Amerikanertum musste jedoch vielen anstößig erscheinen, weil ihn dies in das Lager einer Siegermacht platzierte – einem Sieger, der es erklärtermaßen darauf abgesehen hatte, die Deutschen zu bestrafen und durch Umerziehung zu bessern.

Da mochte er noch so arglos sein amerikanisches Weltbürgertum hervorkehren und noch so treuherzig versichern, er habe in der Fremde nie aufgehört, sich als deutscher Schriftsteller zu empfinden: Die Überlebenden der Hitler-Diktatur und des Krieges hörten es nicht gern. Seine Hinweise auf seine amerikanische Staatsangehörigkeit belebten alte Ressentiments und nährten neue gegen einen, wie es scheinen musste, vom Glück Begünstigten, der irritierenderweise an Dinge rührte, die man sich zu vergessen und zu verdrängen befleißigte.

Für so manche seiner Kollegen, die im Land geblieben waren und sich zur Inneren Emigration zählten, bot die Thematisierung von Thomas Manns Amerikanertum einen willkommenen Vorwand, seine unwillkommenen Mahnungen an Schuld und Verantwortung beiseitezuschieben und seine Ansichten zu den Ursachen der deutschen Katastrophe zu ignorieren. Indem man ihn als Amerikaner wahrnahm, konnte man ihm jegliche Berechtigung, über Deutschland und die Deutschen zu urteilen, schlankweg absprechen. Noch 1949 fühlte sich eine westdeutsche Autorenvereinigung bemüßigt, gegen die Verleihung des Frankfurter Goethepreises an den »›amerikanischen Bürger‹« Thomas Mann zu protestieren.[1] In solchen Abwehrmanövern manifestierten sich die nicht unbeträchtlichen und langlebigen Reste des Nazigeistes. Diesen hatte 1937 ein Heidelberger Pädagogikprofessor auf den Punkt gebracht, als er erklärte, das neue Deutschland könne froh sein, dass »Thomas Mann aus Deutschland entrümpelt« worden sei, »weil er nie ein Deutscher war«.[2]

Die Abwehr des politischen Thomas Mann war eine Konstante der Bonner Republik und reichte noch weit in die Berliner Republik hinein; die sehr selektive Thomas-Mann-Pflege in der DDR ist ein Kapitel für sich. Bezeichnenderweise markierte das Gedenkjahr 1975, mitten in einer Periode der ideologischen Linkslastigkeit von Universität und Feuilleton, den Tiefpunkt seiner Reputationskurve in Deutschland. Mit dem wachsenden Abstand von den Querelen der ersten Nachkriegsjahre, vor allem jedoch aufgrund der Informationsexplosion in Sachen Thomas Mann in den achtziger und neunziger Jahren – man denke an die Veröffentlichung der Tagebücher und anderer wichtiger Zeugnisse der Exiljahre –, wuchs auch die Akzeptanz Thomas Manns, des Amerikaners, so dass der fünfzigste Todestag 2005 eine weitere wichtige Zäsur in Deutschlands Verhältnis zu seinem bedeutendsten Schriftsteller markierte. Zum ersten Mal ließ ein deutsches Staatsoberhaupt es sich nicht nehmen, den Faustus-Autor zu ehren. Mehr noch, in einer bemerkenswerten Ansprache in der Marienkirche zu Lübeck bekundete Bundespräsident Horst Köhler seine Zustimmung zu einem der kontroversesten Kommentare des Amerikaners Thomas Mann, nämlich die Erklärung in einer der Radiosendungen Deutsche Hörer, dass der Luftkrieg, der deutsche Städte in Schutt und Asche legte, einschließlich seiner eigenen Vaterstadt Lübeck, selbstverschuldet sei, um sodann die moralische Berechtigung von Thomas Manns unbequemen, scheinbar mitleidlosen Sätzen anzuerkennen: »[…] Thomas Mann formuliert nichts weiter als die glasklare Erkenntnis, dass das Volk, von dem so großes Unrecht ausgegangen ist, nicht straflos davonkommt – wie unterschiedlich die Schuld eines jeden einzelnen auch ist.«[3] Konsequenterweise sprach Bundespräsident Köhler von der Bedeutung des Thomas Mann’schen Erbes, auch im politischen Sinn; von diesem hatte man in Deutschland lange Zeit nichts wissen wollen. Er beschloss seine Rede mit einer ebenso sympathischen wie angemessenen Geste: »Wir verneigen uns in Dankbarkeit.« Ein Markstein in der wechselvollen Beziehung Deutschlands zu Thomas Mann!

Der 1929 gekürte Nobelpreisträger war 1933 ein höchst unwilliger Emigrant, der sich in seinem Stolz und seiner Würde schwer getroffen fühlte. Er empfand seine »nationale Exkommunikation«, von der er in seiner Replik auf Hans Pfitzner (XIII, 91) und in dem Briefwechsel mit Bonn (XII, 789) sprach, als absurd und als eine empörende Ungerechtigkeit. Seine Exilantenexistenz war ihm eine »Schicksalsirrtümlichkeit« (XII, 787), ein vom Schicksal verhängter Stilfehler (Tb. 1531933).

Gleichwohl, der Exkommunizierte verfolgte die Vorgänge im »erwachten« Deutschland sehr genau; er war entsetzt von der wachsenden Rechtlosigkeit und der Verfolgung von Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden. Er versöhnte sich jedoch überraschend schnell mit seinem Schicksal. Er sah die »Notwendigkeit«, sein »Dasein auf eine neue Basis« zu stellen, ein und hieß sie innerlich gut (ebd.). Ahnte er, dass infolge seiner »Ausstoßung« (XIII, 97) in die Fremde seine Existenz eine Erhöhung erfahren und sein Weltruhm nicht nur nicht verblassen, sondern sogar noch wachsen würde? Die kaum verhüllte Ironie, mit der er im April 1934 in dem Brief an das Reichsministerium des Inneren – er bat um die Verlängerung seines deutschen Passes – sein »Außenbleiben« als »Beurlaubung […] aus der Volksgemeinschaft für eine unbestimmte, aber gemessene Frist« (XIII, 105) charakterisierte, ist ein Zeugnis nicht der Verzweiflung, sondern des unbeirrbaren Selbstvertrauens. Mit der Übersiedlung in die Vereinigten Staaten im September 1938 und seiner Ernennung zum Lecturer in the Humanities an der Princeton University nahm die Erhöhung seiner Existenz erste, konkrete Formen an. Entscheidend war jedoch, dass mit dem Eintritt in den riesigen Echoraum der englischsprachigen Welt sein Ruhm als Schriftsteller eine neue Dimension gewann. Er galt nun weithin und praktisch bis zu seinem Tod als »greatest living man of letters« – ein Etikett, mit dem sowohl sein amerikanischer Verleger Alfred A. Knopf als auch sein literarischer Agent Harold H. Peat gern und erfolgreich Werbung machten. Nicht nur in diesem ökonomischen Sinn konnte er Ende 1945 nüchtern und zutreffend konstatieren: »Mir hat die Fremde wohlgetan.« (XIII, 747)

Thomas Manns Exil, das sich immerhin über zweiundzwanzig Jahre erstreckte – vierzehn davon in Amerika, die anderen in der Schweiz –, gereichte ihm in mehrfacher Hinsicht zum Vorteil. Die Übersiedlung in die USA erbrachte zunächst dank des einfallsreichen Mäzenatentums seiner Verehrerin Agnes Meyer, dank aber auch der Tüchtigkeit Alfred Knopfs, die materielle Sicherung seiner aufwändigen Existenz als Haupt einer sechsköpfigen Familie. Wichtiger war ihm, dass sein Weltruhm als Autor nicht etwa schon in der Verleihung des Nobelpreises 1929 kulminiert hatte, sondern im Exil noch wuchs. Ausschlaggebend dafür war ein politischer Gesichtspunkt: seine Hitler-Gegnerschaft. Passioniert und denkwürdig formuliert, wie sie war, verlieh sie seinem literarischen Ruhm eine alle Welt bewegende Aktualität und setzte der literarischen Auszeichnung von 1929 gleichsam eine politische Krone auf. Kein anderer Text hat in dieser Hinsicht nachhaltiger gewirkt als der Briefwechsel mit Bonn. Er gab nicht nur draußen in der Welt dem Bild des Buddenbrooks-Autors ein neues Gepräge, sondern auch in Deutschland selbst, wo, wie das Beispiel des jungen Marcel Reich-Ranicki zeigt, die von Hitler-Deutschland Entfremdeten und Bedrohten sich an diesem Text innerlich aufrichten konnten.[4]

Im Rückblick hat Thomas Mann die Jahre des Kampfes gegen Hitler-Deutschland eine »moralisch gute Zeit« genannt (19.1,...

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