1 Allgemeine perioperative Maßnahmen
G. Rettinger, O. Guntinas-Lichius
1.1 Allgemeine Operationsvorbereitungen
1.1.1 Indikation und operative Planung
Eine Entscheidung zur Operation muss wohl überlegt sein, stellt sie doch aus rechtlicher Sicht einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und damit eine Körperverletzung dar, die nur nach einer wirksamen Einwilligung des Patienten erlaubt ist (s. u.). Zunächst stehen jedoch medizinische Gesichtspunkte ganz im Vordergrund und dabei in erster Linie das Wohl des Patienten. Für diesen wird entscheidend sein, ob eine vorgeschlagene Operation seine Beschwerden behebt oder einen Krankheitsverlauf günstig beeinflusst. Ist das der Fall, war also der Eingriff richtig indiziert und durchgeführt, so wird man als Arzt in der Regel mit einem zufriedenen Patienten belohnt. Eine Hilfestellung bieten die Hinweise zu Indikation und Kontraindikation bei den jeweiligen Eingriffen in dieser Operationslehre. Trotz Beachtung aller medizinischen Gesichtspunkte wird man jedoch nicht jeden Patienten zufriedenstellen können. Das kann in einer unrealistischen Erwartungshaltung und damit in der Persönlichkeit begründet sein, deren Einschätzung auch zur Indikationsstellung gehört. Sofern es die Schwere der Erkrankung zulässt, ist es nicht zuletzt die Patientenauswahl, die über Erfolg oder Misserfolg der operativen Tätigkeit entscheidet. Im Zweifel kann es durchaus gerechtfertigt sein, eine nicht unbedingt nötige Operation abzulehnen.
Nach der Indikationsstellung ist der nächste Schritt die Wahl des am besten geeigneten Operationsverfahrens. In der Regel wird es verschiedene Möglichkeiten des Zugangs oder der Technik geben. Bei gleicher Erfolgsaussicht sollte man sich für die am wenigsten aufwändige Methode entscheiden, da sie meist auch die geringste Komplikationsrate besitzt. Daneben können aber auch Operationsdauer und andere Faktoren (Alter, Begleiterkrankungen etc.) bei den Überlegungen eine Rolle spielen. Ohne Kenntnis der bei einer bestimmten Indikation zur Verfügung stehenden Operationsverfahren, ihrer Vor- und Nachteile, wird man nicht die für den individuellen Patienten am besten geeignete Operation selektieren können. Auch hier gibt die Operationslehre durch besondere Hinweise und Alternativen eine Hilfestellung.
1.1.2 Rechtliche Voraussetzungen, Dokumentation und Aufklärung
Die Statistiken der Schlichtungsstellen und des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) in Deutschland weisen im Verlauf der letzten 10 Jahre eine stetige Zunahme von Behandlungsfehlervorwürfen auf. Dabei nimmt die HNO-Heilkunde in der Häufigkeit der betroffenen Fachgebiete einen eher mittleren Rang ein. Im Jahr 2015 wurden von allen Anschuldigungen nur 30% als Fehler eingestuft, bei denen ganz überwiegend auch die Kausalität gegeben war (d. h. der Fehler war auch für den beklagten Schaden verantwortlich). Dabei betreffen die Fehlervorwürfe die operative Therapie nur in ca. 17% der Fälle, am häufigsten werden Diagnoseirrtümer (ca. 40%) und Mängel in der Nachsorge (31%) beklagt. Beiden Punkten wird in der Operationslehre bei der Besprechung der einzelnen Operationen Rechnung getragen.
Ob ein vorwerfbarer Behandlungsfehler vorliegt wird an Hand des sog. medizinischen Standards beurteilt, meist in Form von medizinischen Sachverständigengutachten. Der Standard ist eine variable Größe und richtet sich nach dem Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung. Regelmäßig wird der sog. Facharztstandard gefordert. Er ist z. B. in sog. Leitlinien beschrieben, die von den medizinischen Fachgesellschaften herausgegeben werden und je nach ihrer Erstellungsmethodik in verschiedene Klassifikationsstufen unterteilt werden. Im Gegensatz zu Richtlinien (grundsätzlich rechtlich verbindlich) sind sie nicht-verbindliche Handlungsempfehlungen sowie Orientierungs- und Entscheidungshilfen, von denen im begründeten Einzelfall abgewichen werden kann. Weiterhin dienen u. a. Operationslehren zur Bestimmung des medizinischen Standards.
Bei einem Behandlungsfehler handelt es sich um einen Verstoß gegen anerkannte Regeln (objektive Standardunterschreitung) verbunden mit einem Verschulden ("kann passieren"). Ein grober Behandlungsfehler setzt eine erhebliche Standardunterschreitung voraus, die einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“ (die Einstufung wird vom Gericht vorgenommen). In letzterem Fall muss der Arzt darlegen, dass er keinen Fehler begangen hat, während ansonsten der Patient einen Behandlungsfehler nachweisen muss.
Im Streitfall spielt eine ausreichende Dokumentation aller wesentlichen Maßnahmen und deren Folgen eine Rolle. Was nicht dokumentiert ist, gilt vor Gericht in der Regel als nicht ausgeführt. Dehnbar ist der Begriff „wesentlich“, weshalb mit großem Aufwand oft mehr dokumentiert wird als eigentlich erforderlich ist, so auch Selbstverständlichkeiten („immer zu einer bestimmten Maßnahme gehörig“) oder Routinebehandlungen. Bei einem Dokumentationsmangel ist eine „Beweislastumkehr“ möglich.
Sollte es nicht gelingen, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, wird sehr oft die Aufklärung als mangelhaft angeschuldigt: „Der Patient hätte sich nicht operieren lassen, wenn er über die Risiken richtig aufgeklärt worden wäre“. Der Arzt muss nachweisen, dass er diese korrekt vorgenommen hat. Dies setzt eine schriftliche Dokumentation der mündlichen, individuellen Aufklärung mit der Unterschrift der Beteiligten voraus.
Für eine wirksame Aufklärung sind einige Gesichtspunkte zu beachten:
Ziel der Aufklärung Der Patient soll in die Lage versetzt werden, eine vernünftige Entscheidung für oder gegen den vorgesehenen Eingriff zu treffen
Art und Umfang Die Aufklärung erfolgt im persönlichen Gespräch durch einen qualifizierten Arzt/Ärztin, der/die nicht unbedingt die Operation selbst durchführen und auch nicht Facharzt sein muss ( es gilt aber der Facharztstandard). Nicht-ärztliches Personal darf die Aufklärung nicht vornehmen. Neben dem Umfang des Eingriffs sind Notwendigkeit, Dringlichkeit, Erfolgsaussichten und natürlich die Risiken wesentlicher Bestandteil des Gesprächs. Dabei kommt es nicht auf die Häufigkeit möglicher Komplikationen an, sondern auf ihre Bedeutung für die weitere Lebensführung. Die Aufklärung muss umso ausführlicher sein, je weniger notwendig oder je folgenreicher der Eingriff ist. Dies reicht bis zu einer „schonungslosen Aufklärung“ bei fehlender medizinischer Notwendigkeit (z. B. „Schönheitsoperation“). Gibt es medizinisch anerkannte Alternativen zur vorgeschlagenen Operation, so sind diese dem Patienten mit ihren Risiken und Heilungschancen darzulegen.
Der Patient kann auf eigenen Wunsch auf eine ausführliche Aufklärung verzichten. Er ist ggf. auch auf mögliche wirtschaftliche Folgen (Kostenerstattungen, Selbstbehalte etc.) hinzuweisen.
Zeitpunkt Wenn sofortiges Handeln erforderlich ist, kann u. U. auf eine Aufklärung verzichtet werden. In diesem Fall gilt der „mutmaßliche Wille“ des Patienten. Dieser spielt auch eine Rolle, wenn es intraoperativ zu einer nicht erwarteten Änderung oder Erweiterung der besprochenen Operation kommt. Ansonsten gilt der Grundsatz: Je weniger dringend der Eingriff, desto länger die Bedenkzeit. Bei notwendigen Operationen soll die Aufklärung spätestens am Vortag erfolgen. Nur bei kleineren ambulanten Eingriffen kann sie auch am Operationstag selbst stattfinden, aber nicht unmittelbar vor der Operation ("auf dem Tisch"), damit der Patient noch eine Rücktrittsmöglichkeit hat.
Dokumentation Das Aufklärungsgespräch muss schriftlich dokumentiert werden. Wird ein vorgefertigtes Aufklärungsformular verwendet, ist es vorteilhaft, wenn erkennbar ist, dass die Aufklärung individuell erfolgte (z. B. durch handschriftliche Einträge). Außerdem sollte bestätigt sein, dass der Inhalt verstanden wurde (ggf. mit Hilfe einer sprachkundigen Person) und keine weiteren Fragen mehr bestehen. Ein Duplikat der Aufklärung ist dem Patienten auszuhändigen.
Minderjährige Patienten Bei kleineren Eingriffen genügt die Zustimmung eines Elternteils, sonst ist sie von beiden erforderlich. Verfügt der Minderjährige über die „notwendige Reife“, so ist er ebenfalls aufzuklären und muss der Operation zustimmen. Er hat ein Vetorecht bei abweichenden Meinungen der Eltern.
Auch bei Beachtung aller medizinischen und juristischen Erfordernisse kann es zu unerwünschten Ergebnissen und gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen. Sind die negativen Folgen unvermeidbar und schicksalshaft, so spricht man von „Komplikationen“. Diesen stehen die eigentlichen Behandlungsfehler gegenüber, die u. U. vermeidbar gewesen wären. Während der Patient bei einem ungünstigen Ergebnis eher geneigt sein wird, dahinter einen Fehler des behandelnden Arztes zu vermuten, wird dieser eine durch ihn nicht beeinflussbare Komplikation anschuldigen. Letztlich schuldet er aber dem Patienten die bestmögliche Planung und Ausführung der Behandlung, nicht aber ein bestimmtes Ergebnis. Zwischen den Parteien besteht ein „Dienstvertrag“ und kein „Werkvertrag“.
Immer ist die Rechtswirksamkeit der Operationseinwilligung auch an die Erfüllung nachfolgender Voraussetzungen gebunden: