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E-Book

Der Holocaust vor Gericht

Der Prozess um David Irving

AutorEva Menasse
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783462318555
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eva Menasses Bericht über einen Jahrhundertprozess Der Prozess, der in London im Januar 2000 beginnt, sucht seinesgleichen. Ohne Zeitzeugen, mit erstklassigen Historikern als Gutachtern, steht in gewisser Hinsicht der Holocaust vor Gericht. David Irving, von der amerikanischen Historikerin Deborah Lipstadt »einer der gefährlichsten Holocaust-Leugner« genannt, klagt seine Sicht der Dinge vor Gericht ein. Während er die Existenz der Gaskammern weiterhin bestreitet, fühlt er sich von Lipstadt verleumdet und macht sein Recht auf Meinungsfreiheit geltend. In Großbritannien liegt bei Verleumdungsklagen die Beweislast nicht beim Kläger, sondern beim Beklagten. Die Verteidigung hat daher einige der wichtigsten Holocaust-Experten der Welt aufgeboten, um einerseits Irvings skrupellosen Umgang mit Fakten, andererseits den systematischen Charakter der Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis zu beweisen. Eva Menasse hat den Prozess in London über Monate verfolgt. Sie porträtiert Zeugen, Richter und Verteidiger in einem Verfahren, in dem noch einmal pedantisch nachgerechnet wurde, wie viele Menschen auf welche Weise ermordet wurden. Und ihr Interesse gilt David Irving, dem intellektuellen Anstifter eines neuen Rechtsradikalismus und Rassismus. Die Autorin zeigt seine Winkelzüge, seine Argumente und zeichnet darin das Gesicht des Revisionismus. Im April 2000 wurde das Urteil über David Irving gesprochen. Die Urteilsschrift umfasst über 300 Seiten. Es ist ein historisches Urteil.

Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin und debütierte im Jahr 2005 mit dem Familienroman »Vienna«. Es folgten Romane und Erzählungen (»Lässliche Todsünden«, »Quasikristalle«, »Tiere für Fortgeschrittene«), die vielfach ausgezeichnet und übersetzt wurden. Preise (Auswahl): Heinrich-Böll-Preis, Friedrich-Hölderlin-Preis, Jonathan-Swift-Preis, Österreichischer Buchpreis, Bruno-Kreisky-Preis, Jakob-Wassermann-Preis und das Villa-Massimo-Stipendium in Rom. Eva Menasse betätigt sich zunehmend auch als Essayistin und erhielt dafür 2019 den Ludwig-Börne-Preis. Ihr letzter Roman »Dunkelblum« war ein Bestseller und wurde in neun Sprachen übersetzt. Sie lebt seit über 20 Jahren in Berlin.

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Leseprobe

Beruf: Rechtsextremist


1988 war David Irving selbst als Zeuge in einem Holocaust-Verfahren aufgetreten. Angeklagt der absichtlichen Verbreitung von falschen Informationen, die geeignet seien, Antisemitismus und Rassenintoleranz zu schüren, war der Deutschkanadier Ernst Zündel. Die Klage gegen Zündel, ursprünglich angestrengt von einer Holocaust-Überlebenden, der sich in der Folge der Staat Kanada anschloss, hatte zwei Gerichtsprozesse und zahlreiche Berufungen zur Folge. Ernst Zündel ist ein typischer Holocaust-Leugner nach der Art der aggressiven Krakeeler, kein Wolf im Nadelstreifen-Pelz wie Irving: Zündel zu beobachten, ihn sprechen zu hören, erzeugt dieselben Gefühle wie Naturkatastrophen und Seuchen – man muss sich hilflos und wütend damit abfinden. Dabei könnte Zündel eine Karikatur sein, wie er mit seinen Männern, Gestalten wie Baggerfahrer, Gewichtheber oder professionelle Armdrücker, Tag für Tag vor dem Gericht in Toronto aufmarschierte, mit kugelsicheren Westen und Bauarbeiter-Helmen, auf denen provokant »Freedom of Speech« stand. Wie in Errol Morris’ ausgezeichnetem Dokumentarfilm »Mr. Death – The Rise and Fall of Fred Leuchter« zu sehen ist, schleppte er einmal sogar ein riesiges Holzkreuz vor das Gerichtsgebäude. Zündel könnte eine Lachnummer sein, wie er, sobald ihm Mikrofone entgegengestreckt werden, mit so schwerem Akzent hineinspricht, dass nicht einmal Hollywood-Filme ihn als »Deutschen« engagieren könnten, ohne sich den Vorwurf absurder Überzeichnung zuzuziehen. Der Höhepunkt der Groteske würde sein, die Titel von Zündels beiden Büchern zu nennen: »The Hitler We Loved and Why« heißt das eine, »UFOs: Nazi Secret Weapons?« das andere. Doch Zündel ist kein Scherz, sondern wahrlich eher eine Naturkatastrophe. Furchterregend ist die Aggression, mit der er seine Parolen von der »Hasspropaganda« in die Kameras schreit, mit der die Juden mit Hilfe der Holocaust-Lüge seit Jahrzehnten Deutschland ausbeuten würden. Dazu nicken seine Mannen grimmig unter ihren Schutzhelmen. Zündel ist eine Art Otto-Versand für Rechtsradikale. Sein Verlagshaus Samisdat Publishers versorgt ganz Nordamerika mit der einschlägigen neonazistischen und rassistischen Propaganda. Und nicht nur das: »Westdeutschland war sein Hauptziel. Im Dezember 1980 informierten [kanadische] Regierungsbeauftragte den Bundestag darüber, dass in den vorhergegangenen zwei Jahren zweihundert Frachtladungen, bestehend aus extremistischen Neonazi-Büchern, Periodika, Symbolen, Filmen, Schallplatten und Kassetten von Samisdat Publishers ins Land geliefert worden waren.«[14]

Zündel ist so radikal und laut, dass es selbst Irving Überwindung kostete, sich mit ihm einzulassen. In seinem Expertenreport für Deborah Lipstadts Verteidigung vermutet Robert Jan van Pelt, dass es schließlich ökonomische Gründe waren, die Irving überzeugten: Zündels Distributionsnetz, seine straff organisierte Anhängerschaft und sein Talent, immer genügend Journalisten dorthin zu bringen, wo er sie braucht, könnten ausschlaggebend gewirkt haben auf einen, der wie Irving nicht nur irgendwo auftreten, Reden schwingen und akklamiert werden will, sondern auch seine teuer gestalteten Bücher verkaufen muss, um weitere produzieren zu können. Als Irving 1986 während einer seiner Lesetouren nach Toronto kam, bat er Zündel, der Veranstaltung fernzubleiben – daraufhin war sie kaum besucht. Da schrieb Zündel Irving einen Brief, in dem man vor lauter Zaunpfählen beinahe den Wink nicht mehr sieht: »Bezüglich Ihrer Befürchtungen, mit mir in Verbindung gebracht zu werden, waren Sie sehr offen zu mir, und wie Sie sich erinnern werden, habe ich jede Anstrengung unternommen, Sie nicht mit meiner Anwesenheit in Verlegenheit zu bringen. Leider hat meine Zurückhaltung zu dieser betrüblichen Abwesenheit jedweder Presse geführt – nur wenige Menschen verstehen es, die Presse ordentlich zu handhaben. […] Bemühen Sie sich bitte, dass Sie bei Ihrem nächsten Besuch jemanden Kompetenten haben – Sie verdienen das Beste! Ich habe lang und hart darüber nachgedacht, wie ich Ihnen von Nutzen sein könnte. […] Ich weiß zum Beispiel nicht, ob Sie eine Liste von Buchkäufern haben, damit meine ich eher Einzelpersonen als Verlage […].«

Und so weiter. Zündel lockte und schmeichelte Irving auf jede erdenkliche Art, bewunderte wortreich dessen Auftreten (»wenn notwendig kämpferisch und rau, aber auch bescheiden und charmant«) und bezeichnete ihn als den »Traum jedes Veranstalters«. »Der deutsch-kanadische Mephisto hatte seinen englischen Faust gefunden«, schreibt van Pelt[15]. Zwei Jahre später war David Irving Zündels Zeuge – Zündel durfte hoffen, von seines Fausts Reputation und charmantem Auftreten zu profitieren.

 

Unter den Prozessen gegen Neonazis und Holocaust-Leugner sind die beiden Verfahren gegen Ernst Zündel bis heute abschreckende Höhepunkte. Historiker wie Raul Hilberg wurden von Zündels Verteidiger im Zeugenstand persönlich attackiert, Holocaust-Überlebende wurden auf erniedrigende und zynische Weise ins Verhör genommen. Als »Lügnerin« beschimpft wurde eine aufgeregte Zeugin, nachdem sie aufgefordert worden war, zum Beweis der Richtigkeit ihrer Angaben die vollen Namen von mindestens 20 ihrer ermordeten Verwandten aufzusagen. Und jeden Tag zogen Zündel und seine Männer vor dem Gericht die gleiche aggressive Show ab, inklusive Helmen und »Hasspropaganda«-Geschrei. In seinen Briefen an Irving nennt Zündel die Gerichtsverfahren protzig den »Ersten« bzw. »Zweiten Großen Holocaust-Prozess«. Für den »Zweiten« wollte er nun Irving als seinen historischen Gutachter. Brieflich schlug er ihm vor, seinen Aufenthalt in Toronto gleich mit Vorträgen und Buch-Promotionveranstaltungen zu verbinden. »Zündel erwies sich als Meister der Überredung«: ›Sollten Sie Ihren Besuch auf andere Teile Kanadas ausweiten wollen, würde ich das sehr empfehlen, schon um Vorteil aus unseren Gerichtssaalauftritten zu ziehen. Beim ersten Prozess hatten wir so gut wie jeden Tag landesweite Berichterstattung‹«[16]

Während Zündel Irving langsam gar kochte, arbeitete er gleichzeitig an einer anderen Verteidigungsstrategie, die weitreichende Folgen haben sollte. Er engagierte Fred Leuchter, einen schrulligen Einzelgänger aus Boston, der sich aus persönlichem Interesse im Lauf der Jahre zu einem Fachmann für Hinrichtungsapparate weitergebildet hatte. Zuerst hatte Leuchter, der Sohn eines Gefängniswärters, den elektrischen Stuhl seines Heimatortes verbessert, dann wurde er, für ihn selbst überraschend, zu einer defekten Giftspritzenanlage gerufen, schließlich reparierte, wartete und entwickelte er elektrische Stühle, Galgen und andere staatliche Tötungsmaschinen in den ganzen Vereinigten Staaten – darunter auch die Gaskammer von Missouri. Leuchter, bis heute stolz auf die »humanitäre Seite« seiner Arbeit, weil sie – zweifellos – das Leiden der Delinquenten verringert, hatte in seinem Leben bisher nicht viel Anerkennung erfahren. Den Problemen, die andere mit seinem seltsamen Beruf haben, steht er völlig verständnislos gegenüber: »Die Leute fragen mich immer, ob ich nachts gut schlafe, und ich antworte ihnen, danke, ich schlafe hervorragend. Ich mache Hinrichtungen menschlicher, pietätvoller. Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, bin ich ein Befürworter der Todesstrafe. Aber ich bin sicher kein Befürworter staatlicher Folter.«[17] Leuchter, den Irving als »Simpel« bezeichnet, war leicht zu verführen, indem man ihm als dem »einzigen Experten« schmeichelte. Er erklärte sich bereit, mit seiner frisch angetrauten Frau Carolyn nach Auschwitz und Majdanek zu fahren und »Proben« zu nehmen. Es war seine und Carolyns Hochzeitsreise, es war Februar und bitterkalt in Polen. Leuchter kroch in Birkenau mit einem Assistenten unter den Trümmern des Krematoriums II herum und kratzte illegalerweise »Gesteinsproben« von den Wändern, die er in den Vereinigten Staaten unter verschiedenen Vorwänden auf Zyanid untersuchen ließ. Es war die Geburtsstunde des »Leuchter-Reports«.

Irvings Reaktion, als er von Zündel über den »Leuchter-Report« und dessen »Ergebnisse« informiert wurde, war für seinen Charakter typisch: »Warum ist mir das nicht selber eingefallen?«, rief er aus. Es hätte so perfekt zu dem Bild gepasst, das er selbst von sich hat: Feste Schuhe anziehen und raus in die freie Natur, neues Beweismaterial ausgraben. Der Ärger über sein eigenes Versäumnis tat seiner Begeisterung für Leuchters »Ergebnisse« jedoch keinen Abbruch – schon von dem Moment an, als er bloß Teile davon gelesen hatte, wechselte er endgültig zu den Radikalen vom Schlage Zündels über. In Großbritannien war es er selbst, der im Juni 1989 den »Leuchter-Report« in einer Hochglanz-Ausgabe publizierte, mit einem eigenen, rühmenden Vorwort. Bis dahin hatte er wohl die Ausmaße des Holocaust bezweifelt, die Opferzahlen unerschrocken hinunterlizitiert und den systematischen Massenmord auf Grundlage von absurd niedrigen Zahlen mit den Bombardements der Alliierten auf deutsche Städte ins Vernehmen gesetzt: »Meine Damen und Herren, 50000 Menschen wurden in Auschwitz zwischen 1942 und 1944 umgebracht. Das ist ein Verbrechen, wie ich gesagt habe. 50000 unschuldige Menschen. In drei Jahren in Auschwitz starben also ungefähr so viele Menschen, wie wir Briten in Hamburg in einer Nacht umgebracht haben.«[18] Wohl hatte er bis 1988 Hitlers Verantwortung für den Holocaust abgestritten und sie Himmler, Goebbels und Heydrich angelastet....

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