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E-Book

Islamismus als pädagogische Herausforderung

AutorKurt Edler
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl114 Seiten
ISBN9783170345799
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
In many European countries, a new ieology casts a spell over an increasing number of young people: Islamism. They profess radically against our society and the Constitution and some of them even openly express sympathy with the terror war of the Islamic State (IS). What can school, parents, educators and trainers do to counter such developments? The book offers a couple of case studies, practical advices and experience-based knowledge from the collaboration of the author with school administrations, constitution protection, police state security, jouth work, muslim associations and professionals of intercultural education and violence prevention.

Kurt Edler, Institute for Teacher Training and School Development in Hamburg

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1


Islamismus: Ursprung und Grundmuster einer Ideologie


Islamismus ist eine totalitäre politische Ideologie, die sich einer religiösen Sprache und Rhetorik bedient und den Anspruch erhebt, die einzig konsequente Auslegung des islamischen Glaubens darzustellen (Hirschmann 2006). Er entwickelt sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten und Nordafrika zu einer wirkmächtigen politischen Bewegung. Als einer seiner wichtigsten Vordenker gilt der ägyptische Intellektuelle und Theoretiker Sayyid Qutb, der Anfang der 1950er Jahre der Muslimbrüderschaft beitrat und unter Nassers Herrschaft 1966 hingerichtet wurde. Von ihm stammt eines der wichtigsten Werke des Islamismus, die »Zeichen auf dem Weg« (Qutb o. J.). Diese Schrift beginnt mit einer radikalen Abrechnung mit dem Westen und dem Kapitalismus, lässt darauf jedoch auch eine Abrechnung mit dem Sozialismus des Ostblocks folgen und verschreibt sich dann einem dritten Weg: dem Weg zum Gottesstaat. Beeinflusst von den Ideen des arabischen Nationalismus liest sich das Traktat wie ein Kampfaufruf gegen die Unterdrückung der Muslime durch die Herrschaft der Ungläubigen. Dazu rechnet Qutb nicht nur die modernen Systeme, sondern auch die traditionellen arabischen Regime.

Der Islamismus geht davon aus, dass der Islam die Lösung für alle Probleme der Gegenwart enthält. Er ist politisch und dem Diesseits zugewandt, also keine Aufforderung zum Rückzug in die reine Frömmigkeit. Dem Islamismus geht es um politische Herrschaft unter Berufung auf die Religion. In den 1962 veröffentlichten »Zeichen auf dem Weg« heißt es dazu:

»Die Zeit ist gekommen, dass die muslimische Gemeinschaft die Aufgabe, die Gott ihr für die Menschheit auferlegt hat, erfüllt. (…) Wenn der Islam die Rolle des Führers der Menschheit wieder spielen soll, dann ist es notwendig, dass die muslimische Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Form wieder hergestellt wird.« (Sayyid Qutb: Milestones. Dar al-Ilm, Damascus, Syria, p. 9; eigene Übersetzung nach der englischsprachigen Ausgabe)

Für Qutb geht es um die Errichtung einer Herrschaftsordnung im Namen der Religion des Islam. Ihr Geltungsanspruch legitimiert sich aus göttlicher Offenbarung und ist durch kein Naturrecht und keinen Religionspluralismus begrenzt. Die ganze Menschheit zu führen, heißt, eine Weltherrschaft zu errichten. Nach Qutb kann der Islam dies allerdings nur, wenn er back to the roots geht. Nur dann kann er die vom Islamismus beklagte »Demütigung der Muslime« durch ihre Feinde beenden. Nur dann kann er zu neuem Glanz und Ruhm gelangen.

Hier ist der Anknüpfungspunkt für das, was heute als sog. Salafismus Faszination ausübt: die Vorstellung, zum Leben der Altvorderen (arab. salaf) zu Mohammeds Zeit zurückzukehren. Inzwischen kursieren jedoch besonders in der deutschen Fachöffentlichkeit so viele Begriffsvarianten – bis hin zum »salafistischen Dschihadismus« –, dass die begriffliche Grenze zum Islamismus immer mehr verschwimmt. Einen vorzüglichen Überblick über die Genese des Begriffs Salafismus bieten die Beiträge im Theorieteil des Sammelbands von B. T. Said und H. Fouad (Said/Fouad 2014). Die islamische Salafiyya, eine fundamentalistische Rückbesinnung auf den Kern der Religion, kann politisch völlig unschuldig sein (Nedza 2014). Wir sollten sie, auch in der modernen, politisierten Variante, nicht in die Nähe radikaler und menschenverachtender Vorstellungen rücken, die – wie der Islamismus von IS, al-Qaida und anderen Formationen – auf die Errichtung einer totalen Herrschaft aus sind. Wer den Begriff »gewaltbereiter Salafismus« wählt, um den Begriff Islamismus zu vermeiden, hat nicht nur das Problem, als jemand wahrgenommen zu werden, der um den heißen Brei herumredet. Er stellt unwillkürlich auch eine Verbindung zwischen tiefer Frömmigkeit und Terrorismus her. Diesen Gefallen sollten wir der politisch motivierten Kriminalität, die sich im Dschihadismus offenbart, nicht tun.

Ausgehend von der Vorstellung einer göttlichen Sendung mit politischem Auftrag ist das Endziel der islamistischen Ideologie ein weltweiter Gottesstaat (Kalifat). Für diesen muss ein »heiliger Krieg« (Dschihad) geführt werden. Dabei wird die Menschheit eingeteilt in Gläubige, Ungläubige und solche, die die religiöse Botschaft noch nicht erreicht hat. Dass die übergroße Mehrheit der Muslime sich dem islamistischen Aufruf zum politischen Kampf nicht anschließt, betrachten die Anhänger dieser Ideologie als Zeichen für einen Dämmerzustand, in dem sich die Gemeinschaft der Muslime auf der Welt befindet. Sie selber sehen sich in der Rolle einer Elite, die dieser Gemeinschaft den Weg weisen muss. Ein politisches Erweckungsmotiv ist erkennbar. Es ist verwandt mit der demagogischen Losung vom »Erwachen«.

Wir haben es also mit dem unversöhnlichen Gegenentwurf zu einer von Menschen ausgehandelten rechtsstaatlichen Ordnung zu tun, mithin zur Demokratie. Während in dieser das Menschenrecht unabhängig von Glauben, Geschlecht und Herkunft besteht und eine Herrschaft durch demokratische Verfahren legitimiert werden muss, ist der Gottesstaat in seiner Macht unbegrenzt. Die Frage des Missbrauchs der Macht im Namen Gottes stellt sich weder für Qutb noch für die Islamisten unserer Tage. Da die politische Ordnung sich für sie direkt aus dem Koran ableiten lässt und er alles Gesetz für das Zusammenleben der Menschen bereits enthält (Scharia), gilt eine Diskussion um die richtige und vernünftige Ordnung und ihre freie Ausgestaltung oder Veränderung als »gottlos«. Die Anschläge auf Parlamente, Wahllokale, demokratische Parteien und Politiker, wie sie von militanten Islamisten immer wieder verübt werden, haben hier ihre geistige Wurzel.

Doch was wäre, wenn der Teufel in die politische Führung gefahren wäre? Wer könnte sie daran hindern, in Allahs Namen Verbrechen zu begehen, wenn es kein System der irdischen Kontrolle, der Volksherrschaft und der »Checks and Balances« gibt? Diese Frage kann ein Islamist nie plausibel beantworten. Seine Rechtfertigung totaler Herrschaft speist sich jedoch nicht nur aus der Ignoranz gegenüber der Fehlbarkeit des Kalifen. Sie wird bestärkt durch eine Besonderheit seiner Ideologie gegenüber dem Mainstream-Islam: Er lehnt die Deutungsvielfalt innerhalb des Islams – mit dessen Rechtsschulen und ihrem Auslegungsdialog – ab. Die Entstehung von verschiedenen Religionsauffassungen innerhalb des Islams ist für den Islamisten ein Zeichen des Niedergangs. Diese Auffassung ist bei den salafistischen Strömungen im Islam besonders ausgeprägt. Zur Stellung des Salafismus im Islam sei auf die Beiträge von Mohammad Gharaibeh und Bacem Dziri in dem schon genannten Sammelband von Said und Fouad hingewiesen.

Die Ablehnung theologischer Deutungsvielfalt und damit letztlich jeder Theologie, die ihren Namen verdient, ist ein reizvoller Ansatzpunkt in der pädagogischen Arbeit. Wir beobachten immer wieder, dass sich vom Islamismus beeinflusste Jugendliche der Aufgabe einer Textinterpretation verweigern. Das gilt ähnlich auch für die Aufgabe, in eigenen Worten einen Standpunkt zusammenzufassen, der mit der eigenen Ideologie kollidiert. Die Sichtweise, dass jede Stelle einer heiligen Schrift schon beim Versuch, sie zu verstehen, unweigerlich eine persönliche Deutung erfährt und dass ohnehin Religion als Ganzes nie mehr sein kann als eine persönliche Beziehung zu einem (angenommenen) höchsten Wesen, ist mit dieser Ideologie nicht zu vereinbaren. Islamismus bedeutet deshalb auch eine geistige Despotie, und er ist mit den Prinzipien eines aufgeklärten, wissenschaftlichen Denkens unvereinbar.

Die Lernenden zu einer Freude am Diskurs anzuregen und sie zu ermutigen, quer und anders zu denken als die Autorität, ist daher eine elementare Verpflichtung einer demokratischen Pädagogik. »Sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen« (Kant 1974) und nicht nur Dogmen zu repetieren, ist nicht nur unser Anspruch an alle Absolventen eines demokratischen Bildungswesens, die dort einen Abschluss erreichen wollen. Kants Wahlspruch der Aufklärung von 1783 charakterisiert auch und vor allem das Lebenselixier der Freiheit.

Es ist deshalb kein Zufall, dass in islamistischen Kreisen eine Gegenbildung für die eigenen Nachkommen und Anhänger organisiert wird, die weder im staatlichen Schulwesen noch in den Moscheen der nichtislamistischen Muslime stattfindet. Solche Bestrebungen kennen wir seit langem auch von Minderheiten und Sekten anderer Religionen. Streit mit der Staatsschule gibt es zwar auch über die Abstammungslehre oder die Sexualkunde – aber von ganz elementarer Bedeutung ist die Religion als Bildungsgegenstand. Darin liegt eine der grundlegendsten Herausforderungen für das demokratische Schulwesen; denn was in ein Schattenreich verbannt ist, kann sich der Aufsicht des Staates...

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