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Wir sind ja nicht zum Spaß hier

Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte

AutorDeniz Yücel
VerlagEdition Nautilus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783960540748
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
'Dieser Ort', schreibt Deniz Yücel im Februar 2017 aus dem Polizeigewahrsam in Istanbul, 'hat keine Erinnerung. Alle, die ich hier kennengelernt habe - kurdische Aktivisten, Makler, Katasterbeamte, festgenommene Richter und Polizisten, Gangster - alle haben mir gesagt: ?Du musst das aufschreiben, Deniz Abi.? Ich habe gesagt: ?Logisch, mach ich. Ist schließlich mein Job. Wir sind ja nicht zum Spaß hier.?' Während seiner einjährigen Haftzeit hat Deniz Yücel - in mühsamer Kommunikation über seine Anwälte und kuratiert von der Journalistin Doris Akrap - eine Auswahl aus seinen Texten aus den vergangenen 13 Jahren zu einem ebenso klugen wie unterhaltsamen und in jeder Hinsicht abwechslungsreichen Buch zusammengestellt: Reportagen, Satiren, Polemiken, Kommentare, Glossen und andere 'Gebrauchstexte aus dem Handgemenge'. Dazu kommen zwei Stücke, die er im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 hierfür verfasst hat, sowie einen Beitrag seiner Frau, der Fernsehproduzentin und Lyrikerin Dilek Mayatürk Yücel. Ob es um Journalismus geht - 'Scheißefinden und Besserwissen' -, um unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund - 'Mathe für Ausländer' -, um ganz Allgemeines wie 'Biokoks und Surenbingo' oder, natürlich, um die Türkei - 'Der Chef, der Putsch und der Park': Bei Yücel geht bissige Gesellschaftskritik mit einer klaren Analyse der harten Fakten einher. 'Die Beiträge, die Deniz Yücel in diesem Buch veröffentlicht hat, sind großer Journalismus. In die Tiefe gehend, prall gefüllt auch mit persönlich Erlebtem, nicht geschwätzig-feuilletonistisch überladen, sondern in den Kontext passend und von großer Einfühlsamkeit. Ich glaube an die Kraft dieses Buches.' Günter Wallraff, DER SPIEGEL

?lker Deniz Yücel, 1973 als Kind türkischer Einwanderer in Flörsheim am Main geboren und seit Mai 2015 Türkei-Korrespondent der Welt. Hat in Berlin Politikwissenschaft studiert und vor seinem Wechsel zur Welt als Redakteur der tageszeitung und zuvor der Wochenzeitung Jungle World sowie als freier Autor für verschiedene Medien gearbeitet. Mitgründer der preisgekrönten antirassistischen Leseshow Hate Poetry. 2014 erschien in der Edition Nautilus sein erstes Buch 'Taksim ist überall - Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei' (erweiterte Neuausgabe April 2017). Wurde 2011 mit dem Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik und 2017 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Im Februar 2017 wurde Deniz Yücel in Istanbul verhaftet und saß ein Jahr lang im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9. Dort heiratete er seine Lebensgefährtin Dilek Mayatürk.

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Leseprobe

Scheißefinden und Besserwissen Texte über Journalismus


Mach’s gut, taz!


Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass ich bei der Main-Spitze, dem Rüsselsheimer Lokalteil der Mainzer Allgemeinen, ein Praktikum absolvierte. Als ich dem betreuenden Redakteur Dirk Feuerriegel meinen ersten Artikel vorlegte – es ging um die Lesung einer Kinderbuchautorin –, wollte er wissen, warum ich Journalist werden wolle. »Ich will die Leute informieren«, antwortete ich, »ich will über Missstände aufklären, die Welt verändern«. Was man halt so sagt, wenn man 16 ist und glauben darf, die Antworten auf die großen Fragen der Menschheit gefunden zu haben.

Feuerriegel antwortete: »90 Prozent aller Journalisten sind Journalisten geworden, weil sie es toll finden, ihren Namen in der Zeitung zu lesen. Das ist in Ordnung, man sollte sich nur dessen bewusst sein. Darum beginnst du jeden Text damit, indem du deinen Namen hinschreibst.« Gleich nach den W-Fragen war dies meine zweite Lektion in Sachen Journalismus. Ich war so verblüfft, dass ich vergaß nachzufragen, was mit den übrigen zehn Prozent los ist.

Mein Betreuer hatte mich dazu aufgefordert, über das eigene Tun nachzudenken. Aber er war kein Zyniker und hatte nichts dagegen, das Schreiben in den Dienst des Guten, Schönen und Wahren zu stellen. Das ist nämlich das Wunderbare an diesem Beruf: Weil man dabei helfen kann, die Dinge zu ordnen und zu verstehen. Weil man immer wieder in fremde Welten eintauchen und seine Leser dorthin mitführen kann. Weil man Dinge formulieren kann, über die andere Menschen sagen: »Sie haben meine Gedanken auf den Punkt gebracht.« Oder gar: »Sie haben Worte für meine Gefühle gefunden.« Nicht, weil man mit einem Artikel die Welt verändern könnte – das passiert nur in höchst seltenen Fällen. Aber dazu beizutragen, dass sich die Leserinnen und Leser hinterher etwas schlauer fühlen, ist schon viel wert. Und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, nicht weniger.

Noch ein Privileg genießt man als Journalist: Man kann, wie es Stefan Ripplinger einmal formulierte, nach Herzenslust scheißefinden und besserwissen. »Die Frage, welcher der Töne ›besser‹ sei: Do, Re oder Mi, ist eine unsinnige Frage. Der Musikant muss aber wissen, wann und auf welche Taste er zu schlagen hat.« Dieses in einem anderen Zusammenhang gesagte Wort von Trotzki habe ich stets für eine gute Maxime beim Schreiben und Blattmachen gehalten.

Doch was wir Journalisten produzieren, ist keine Kunst, auch keine Philosophie. Es sind Gebrauchstexte mit begrenzter Haltbarkeit, verfasst aus dem Handgemenge. »Ärger dich nicht zu sehr über einen schlechten Text und bilde dir nicht zu viel auf einen guten ein – in die Zeitung von heute wird morgen Fisch eingewickelt«, lautet ein weiterer Satz in meinem Goldenen Notizbuch. Er stammt von meinem heutigen taz-Kollegen Maik Söhler, der einst bei der Jungle World zusammen mit Klaus Behnken meine Ausbildung fortführte.

Es geht nicht ohne Handwerk. Und es geht nicht ohne Haltung. »Es ist in Ordnung, beim Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein«, hätte Dirk Feuerriegel vielleicht gesagt. Wer eine neue Geschichte erzählen oder einen neuen Gedanken formulieren will, geht ein Risiko ein. Und wer etwas riskiert, kann auf die Fresse fliegen.

So gibt es einige wenige Texte, von denen ich wünschte, ich hätte sie geschrieben. Und es gibt einige Texte und Formulierungen, die ich besser nicht geschrieben hätte. Die Irrtümer und Fehler waren jedenfalls meine, nicht die der taz. Als Autor bin ich hier an keine unüberwindbaren Grenzen des Erlaubten gestoßen. Die taz ist das, was ihre Redakteure und Autoren aus ihr machen.

Eine gute Zeitung aber macht man mit Neugier, mit Leidenschaft und Lust und mit Teamwork. Ich jedenfalls hatte hier sehr viel mehr Spaß, ob beim Schreiben oder beim Blattmachen, bei der Arbeit mit Kollegen wie Kai Schlieter, Frauke Böger oder Daniel Schulz, mit Jan Feddersen bei allerlei Sonderprojekten, bei der Betreuung der Panter-Workshops oder bei der Leseshow Hate Poetry, die ich mit Doris Akrap, Ebru Taşdemir, Yassin Musharbash und Mely Kiyak vor über drei Jahren im taz-Café ins Leben rief. Für mich war die taz ein großer Spielplatz. Mit allem, was dazugehört: Abenteuer und Raufereien, Händchenhalten und Hundescheiße. Das Ziel: Für Sie eine gute Zeitung zu machen.

Dies ist nun mein letzter Text für die taz. Meine taz.

Ich gehe in Demut vor einer Zeitung, die in ihren besten Momenten eine der besten der Welt sein kann. Ich gehe in Dankbarkeit für eine aufregende Zeit, in freundschaftlicher Verbundenheit zu vielen Kolleginnen und Kollegen, und mit Respekt für die verstorbenen taz-Autoren Christian Semler und Klaus-Peter Klingelschmitt, dessen Kolumnenplatz zu übernehmen ich die Ehre hatte.

Um es in Anlehnung an den heutigen Spiegel-Online-Redakteur Stefan Kuzmany zu sagen: Ich danke allen Leserinnen und Lesern, die es bedauern, dass ich die taz verlasse; allen, die sich darüber freuen, und allen, denen es egal ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Bleiben Sie der taz treu. Sie ist eine Gute.

Besser: So.

Du ergreifst Partei, so oder so


Wer als Journalist über die Türkei berichtet, handelt sich von Anhängern der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) nicht nur schnell Beschimpfungen und Drohungen ein, sondern auch den Vorwurf, »parteiisch« zu berichten. Das sagen AKP-Fans mit Abitur, das sagen türkische Nationalisten, die jede Kritik für »Vaterlandsverrat« halten, und das sagen deutsche Fans der AKP, die immer noch um ihren Traum von einer muslimischen CDU kämpfen. Einer von ihnen ist Ruprecht Polenz, früher Bundestagsabgeordneter der CDU und heute hauptsächlich als Nervensäge im Internet und Ehrenvorsitzender des AKP-Freundeskreises Münsterland beschäftigt.

Den Wortwechsel mit ihm auf meiner privaten Facebook-Seite nehme ich nun zum Anlass für ein paar grundsätzliche Worte zur Frage: Wie halte ich es in der Türkeiberichterstattung mit der Parteilichkeit?

Dabei ist mir nicht die Kritik irgendwelcher Nervensägen aus dem Internet »über die Leber gelaufen«, wie Polenz schrieb. Nein, das Einzige, was mir in der Wahlnacht durch die Leber floss, war Raki. Und das reichlich, im Kreis von Kolleginnen und Kollegen im Journalistenclub von Diyarbakır, wo für mich und meine Kollegin Özlem Topçu von der Zeit, mit der ich zur Wahlbeobachtung in der größten Stadt der kurdischen Region gereist war, diese Nacht endete.

Spätestens nach dem Bombenanschlag auf die Kundgebung der prokurdisch-linken Demokratiepartei der Völker (HDP) am Freitag hatten sich alle am Tisch die Frage gestellt, wie diese Nacht verlaufen würde: Tränengas, Schüsse und Bomben? Du hast solche Ängste, du besuchst noch am Abend vorher einige Anschlagsopfer im Krankenhaus – und dann das!

Am Tisch saß Ahmet Şık, der vielleicht beste investigative Journalist des Landes. Im Jahr 2011 war er wegen seines zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlichten Buches über die Gülen-Gemeinde unter dem Verdacht verhaftet worden, der angeblichen Putschistenorganisation »Ergenekon«, also dem »Tiefen Staat«, anzugehören. Plötzlich war er gemeinsam mit einigen Figuren angeklagt, denen man, allerdings aus anderen Gründen, tatsächlich den Prozess machen müsste – wegen Verbrechen, über die Şık seit den Neunzigerjahren unter Einsatz seines Lebens berichtet hatte.

Die Ermittlungen führten Staatsanwälte aus der Gülen-Gemeinde; Recep Tayyip Erdoğan, damals Ministerpräsident, verteidigte diese Prozesse, waren die Gülen-Leute und die AKP damals doch Verbündete. Der Kollege saß ein Jahr im Knast, das Verfahren ist weiter anhängig. Und während jene Staatsanwälte heute selber inhaftiert oder auf der Flucht sind, droht Şık die erneute Verhaftung – diesmal womöglich wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Organisation. Absurd? Sicher. Aber nicht ausgeschlossen in Tayyipistan.

Am Tisch saß zudem ein Kollege von der Nachrichtenagentur Doğan, der davon überzeugt war, dass der gleichnamige Medienkonzern im Fall eines Wahlsieges der AKP enteignet worden wäre. Angesichts Erdoğans jüngsten Attacken keine paranoide Befürchtung – ebenso wenig wie die Sorgen von Şıks Kollegen von der Cumhuriyet, dass Erdoğan seiner persönlichen Strafanzeige gegen den Chefredakteur Can Dündar weitere Schritte folgen lassen und dieser traditionsreichen Zeitung den Garaus bereiten könnte. Von den Knasterfahrungen der anwesenden Kollegen von kurdischen Medien will ich gar nicht erst anfangen.

Wer nicht versteht,...

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