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Die Bücherschmuggler von Timbuktu

Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes

AutorCharlie English
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783455000290
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
»Ein Meisterwerk des investigativen Journalismus. Ein kluges, fesselndes Buch!« The Guardian Timbuktu ist ein Mythos - einst so reich, dass angeblich sogar die Sklaven Goldschmuck trugen, verfügt die abgelegene Stadt am Niger über einen ganz besonderen Schatz: eine der größten Bibliotheken mittelalterlicher Schriften. Als im Jahr 2012 die Stadt in die Hände von Islamisten fällt, droht die Vernichtung der Bücher. Doch eine Gruppe von Bibliothekaren und Archivaren schmuggelt die Bücher unter Lebensgefahr aus der Stadt. Eine große, meisterhafte Reportage über Menschen, die sich mutig der Vernichtung eines Wissensschatzes und Erbes der Menschheit entgegenstellen - und eine Zeitreise zu einer sagenumwobenen Stadt.

Charlie English arbeitete als Redakteur beim Guardian, zuletzt als Chefredakteur des Auslandressorts. Erstmals reiste er im Alter von neunzehn Jahren nach Afrika, seitdem ist er immer wieder dorthin zurückgekehrt. Er lebt mit seiner Familie in London. Auf Deutsch erschien von ihm bislang Das Buch vom Schnee (2009).

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Leseprobe

Prolog:

Ein Mann von Genie und Tatkraft


Unter den Millionen von Dokumenten, die im Staatsarchiv der britischen Regierung schlummern, befindet sich auch ein schlankes Dossier mit dem schlichten Titel »CO 2/20«. Nach dem Bändchen wird nur selten verlangt. Schließlich werden in den National Archives Unterlagen verwahrt, die tausend Jahre britischer Geschichte umfassen. Die meisten Besucher der modernen, hellen Räumlichkeiten im Londoner Stadtteil Kew sind auf der Suche nach anderen Raritäten: dem »Domesday Book« etwa oder Shakespeares Testament oder den unlängst zugänglich gemachten Akten über Verräter und Spione des kalten Krieges. Alle paar Jahre jedoch verlangt jemand nach dem Dossier »2/20« des »Colonial Office«. Dann wird die in Cheshire gelegene Stadt Winsford verständigt, wo das Dossier in einer Lagereinrichtung tief im Innern von Großbritanniens größtem Salzstock aufbewahrt wird. Dort macht sich ein Angestellter in die trockene Dunkelheit auf, sucht die Akte aus den über fünfunddreißig Regalkilometern heraus, die für die National Archives reserviert sind, und schickt sie Richtung Süden.

Die Schachtel, die einige Tage später im Leseraum eintrifft, besteht aus dicker Pappe und ist mit weißem Baumwollband zugebunden. Darin befindet sich ein Konvolut von etwa hundert handschriftlichen Dokumenten, die der britische Konsul in Tripolis Mitte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts nach London schickte. Die weichen, rissigen Blätter haben eine weite Reise hinter sich, und jedes einzelne von ihnen beschwört längst vergangene Zeiten herauf. Eine Handvoll davon besitzt besondere Relevanz für unsere Geschichte: Es sind die letzten Briefe des heute ziemlich in Vergessenheit geratenen Forschers Alexander Gordon Laing – Briefe, in denen er über jenen Teil seiner Entdeckungsreisen berichtet, der ihn in die »weithin berühmte Hauptstadt von Zentralafrika« führte. Die Rede ist von Timbuktu.

Laing, ein aus Edinburgh stammender Major mit Koteletten à la mode, war vom Schicksal dazu auserkoren, diesen sagenumwobenen Ort 1826 als erster Europäer zu betreten. Bis ins 19. Jahrhundert beflügelte Timbuktu das europäische Afrika-Bild wie »El Dorado« das Bild vom südamerikanischen Kontinent. Man glaubte, Timbuktu beherrsche eine reiche subsaharische Region namens »Sudan« – nach dem arabischen »Bilad al-Sudan«, »Länder der Schwarzen«. Gerüchte über die Existenz der Stadt kursierten seit Jahrhunderten in Europa, und spätestens im 14. Jahrhundert begann man ihren Reichtum zu preisen. Bereits Marco Polos »Zipangu« war angeblich ein Land, dessen Königspalast mit Gold gedeckt war. Auch hier hieß es nun, die Häuser Timbuktus besäßen goldene Dächer. Scharen von Entdeckern wurden entsandt, die Stadt zu finden, doch alle Versuche scheiterten.

Im Jahr 1826 war Major Laing an der Reihe. Laing war britischer Soldat – ein typisches Produkt jener Zeit zwischen Waterloo und dem »Todesritt der leichten Brigade« in der Schlacht von Balaklawa, als Militärs allerorten Ruhm und Ehre suchten und dabei den Tod nicht scheuten. Mit seinem guten Aussehen und seinem ausgeprägten Selbstbewusstsein hätte er einem Roman wie Jahrmarkt der Eitelkeit entsprungen sein können, doch es war eine andere Geschichte, die sein abenteuerliches Leben prägte: Daniel Defoes Robinson Crusoe.

»In jeder freien Minute verschlang ich Reiseberichte«, schrieb er einmal. »Besonders die Geschichte von Robinson Crusoe fesselte meine jugendliche Phantasie.« Wie Defoes Held wollte auch Laing sich nicht mit der vermeintlichen »Glückseligkeit des Mittelstands« zufriedengeben. Wie Crusoe stürzte er sich in die Welt auf der Suche nach Sinn und Erfüllung.

»Ich werde tun, was noch keiner zuvor getan hat«, schrieb er, »und mich als das beweisen, wofür ich mich stets gehalten habe, als einen Mann von Genie und Tatkraft.«

Nicht alle teilten Laings unbescheidene Selbsteinschätzung. Während seiner Stationierung in Sierra Leone im Jahr 1824 schrieb sein befehlshabender Offizier an den für die Kolonien zuständigen Kriegsminister: Laings »militärische Leistungen waren noch dürftiger als seine Gedichte«. Offenbar hatte die Kritik jedoch keine negativen Auswirkungen auf seine Karriere. Noch im selben Jahr wurde Laing zum Leiter einer neuen britischen Mission ernannt, die jene Stadt finden sollte, für deren Entdeckung er glaubte, vom Schicksal ausersehen zu sein. Sollte es ihm gelingen, Timbuktu als Erster zu erreichen, bekäme er, wonach er sich wie nichts anderes sehnte. In einem seiner Gedichte bekennt Laing freimütig:

Tis that which bids my bosom glow

To climb the stiff ascent of fame

To share the praise the just bestow

And give myself a deathless name.

[Das ist, was meine Brust erglühen lässt

Den steilen Berg des Ruhms zu erklimmen

Die gerechten Ehren zu empfangen

Und mir einen unsterblichen Namen zu machen.]

Im Sommer 1825 brach Laing nach Tripolis auf und ritt von dort in die Sahara. Zu dieser Jahreszeit war das Land so ausgedörrt, dass selbst seine Kamele bis auf die Knochen abmagerten. Sein Führer, an der Küste ein freundlicher und umgänglicher Zeitgenosse, wurde immer ungnädiger und fordernder, je weiter sie nach Süden gelangten. In der sengenden Hitze der Tanezrouft-Region scheint er Laing schließlich an eine Gruppe Tuareg verraten zu haben. Bewaffnete Männer umstellten nachts das Zelt des Entdeckers, schossen auf ihn und hieben mit Säbeln auf ihn ein. Als sie ihn tot glaubten, machten sie sich davon. Laings bemerkenswerter Bericht über die Verletzungen, die er bei diesem Angriff erlitt, befindet sich in dem Dossier des Colonial Office. Er stammt vom 10. Mai 1826 aus einem Wüstenlager etwa dreihundertsechzig Kilometer nördlich von Timbuktu. Bis dahin sind Laings Berichte in schwungvoller Schönschrift verfasst. Dieses inzwischen stockfleckige Schreiben hingegen ist ein kaum lesbares Gekrakel.

»Mein lieber Konsul«, schreibt er. »Ich kann Ihnen nur eine kurze Mitteilung machen, deren Beförderung zudem unsicher ist, um Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass ich mich von schweren Verletzungen erhole, die, auch mit der größten Gelassenheit betrachtet, jedes Maß überschreiten.« Die Geschichte des Zwischenfalls selbst ist für ihn ein Beispiel von »schändlichem Verrat und offenem Krieg«, doch davon wird er später berichten. Momentan geht es ihm nur darum, dem Konsul Anzahl und Art der Verletzungen mitzuteilen, die er bei dem Angriff erlitten hat:

Um oben zu beginnen: Ich habe drei Säbelwunden am Scheitel und drei an der linken Schläfe, allesamt Frakturen, bei denen ich viel Knochenmasse verloren habe. Ein Säbelhieb auf die linke Wange hat meinen Kiefer zerschmettert und mein Ohr zerschnitten, was eine sehr unansehnliche Wunde ergab, einen weiteren erhielt ich auf die rechte Schläfe. Schließlich habe ich noch eine klaffende Wunde im Nacken, durch welche auch die Luftröhre in Mitleidenschaft gezogen ist.

Er hat eine Musketenkugel in der Hüfte, die sich einen Weg am Rückgrat vorbei durch den Körper gebahnt hat. Außerdem hat er fünf Säbelwunden am rechten Arm und an der rechten Hand, die »zu drei Vierteln quer durchtrennt ist«. Auch die Handgelenksknochen sind durchtrennt. Er hat drei Wunden am linken Arm, der gebrochen ist, eine leichte Verletzung am rechten Bein und zwei am linken, davon »eine tiefe Wunde«, ganz zu schweigen von dem Säbelhieb über die Finger der linken Hand, mit der er den Bericht schreibt.

Liest man dieses blutige Protokoll – wie es der bestürzte Konsul sechs Monate später in Tripolis tat –, sucht man vergeblich nach Hinweisen darauf, dass Laing das Unternehmen als gescheitert ansah. Er muss aber doch geplant haben, auf dem schnellsten Weg nach Hause zurückzukehren? Muss überlegt haben, wie er auf dem Rückweg jeden Zusammenstoß mit den Räubern vermeiden könnte? Doch weit gefehlt. Die Anziehungskraft von Timbuktu – dieser Stadt hinter dem Horizont, die noch immer den europäischen Blicken entzogenen ist –, sie ist zu stark. Niemals würde er die Schmach ertragen, jetzt aufzugeben. Es gehe ihm trotz seiner Verwundungen »gut«, teilt er dem Konsul mit. Er hofft, mit »vielen wichtigen geographischen Informationen« nach England zurückzukehren. Er habe viele Dinge entdeckt, die auf der Landkarte Afrikas korrigiert werden müssten, und bete zu Gott, ihm die Zeit zu schenken, seine Arbeit zu Ende zu bringen.

Zwei Monate später schreibt Laing erneut. Seine Situation hat sich verschlechtert. Das Lager ist von einer dem Gelbfieber ähnlichen, »entsetzlichen Seuche« befallen worden, die die Hälfte der Bewohner dahingerafft hat, darunter seinen letzten verbleibenden Diener. »Ich bin nunmehr das einzige überlebende Mitglied der Expedition«, teilt er dem Konsul mit. »Meine Lage ist alles andere als angenehm.« Sein Sendungsbewusstsein ist dennoch so stark, dass er fortfährt:

Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass, wenn ich die Stadt nicht erreiche, die Welt für immer in Unkenntnis von Timbuktu bleiben wird … Es ist durchaus keine eitle Prahlerei meinerseits, wenn ich sage, dass nach mir kein Christ je wieder seinen Fuß dorthin setzen wird.

Sechs Wochen später, am 13. August 1826, ist er am Ziel seiner Träume – Timbuktu. Dann geschieht etwas Seltsames: Laing verstummt.

Fünf Wochen lang...

Blick ins Buch

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