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E-Book

Im Zweifel glauben

Worauf wir uns verlassen können

AutorMargot Käßmann
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451813115
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wie lässt es sich leben, wenn der Glaube unsicher geworden ist? Wenn Zweifel sich einstellen und persönliche oder öffentliche Krisen den vertrauten Kindheitsglauben infrage stellen? Margot Käßmann hat solche persönlichen Krisen selber erlebt und durchgestanden. Die Theologin und Bestsellerautorin hat mit wachem Bewusstsein für gesellschaftliche und politische Entwicklungen auch öffentliche Krisenphänomene wahrgenommen und angesprochen. In diesem Buch gibt sie Antworten aus der christlichen Tradition und der protestantischen Reformation, die aktuell, wohltuend und hilfreich sind, um dem Zweifel zu begegnen. Denn es braucht auch Mut, den Zweifel ernst zu nehmen - und es macht Hoffnung, wenn er nicht das letzte Wort hat.

Margot Käßmann, Prof. Dr. theol., Pfarrerin und Deutschlands bekannteste Theologin, ist seit April 2012 Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum 2017. Margot Käßmann ist Mutter von vier erwachsenen Töchtern. Zahlreiche erfolgreiche Veröffentlichungen.

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Leseprobe

Zweites Kapitel
Zweifel an der Existenz Gottes
Gibt es Gott?
Und wie können wir von Gott reden?


Der grundsätzlichste Zweifel im Glauben ist wohl der: Gibt es Gott überhaupt? Kann es sein, dass da etwas existiert, das wir Gott nennen, eine Macht, die größer ist als wir, ein personalisiert gedachter Gott gar, der eine Absicht hatte bei der Schöpfung? Wirkt in der Welt eine Geistkraft, die alles überschreitet, was wir als Raum und Zeit begreifen können? Oder sind das alles Schimären, Hilfestellungen für Menschen, die solche Ideen brauchen, um am Leben und seinen Abgründen, an all dem Leid und dem Unrecht nicht zu verzweifeln?

Der Dichter Jean Paul (1763–1825) hat einen eindrücklichen Text über Gotteszweifel geschrieben. Ich war eine junge Erwachsene, als ich ihn das erste Mal gelesen habe, er hat mich sehr bewegt. Jean Pauls Text trägt die Überschrift: »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei«, und er erzählt Folgendes: Ein Mann träumt, Jesus sei auferstanden von den Toten und suche nun Gott im Himmel. Überall schaut er sich um, aber er findet ihn nicht! So muss er den Menschen sagen: Es gibt keinen Vater im Himmel! Und die Menschen verzweifeln. Christus sagt bei Jean Paul:

»Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schaute in den Abgrund und rief: ›Vater, wo bist du?‹ Aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermesslichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäute sich. – ›Schreiet fort, Mißtöne, zerschreiet die Schatten; denn Er ist nicht!‹

Die entfärbten Schatten zerflatterten, wie weißer Dunst, den der Frost gestaltet, im warmen Hauche zerrinnt; und alles wurde leer. Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: ›Jesus! haben wir keinen Vater?‹ – Und er antwortete mit strömenden Tränen: ›Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.‹«1 Als der Mann aus seinem Traum erwacht und erkennt, dass es ein Albtraum war, ist er froh und dankbar, Gott wieder loben und anbeten zu dürfen …

Mich hat diese Szene beeindruckt, ja sogar beunruhigt: Stell dir vor, aller Glaube ist Einbildung und Gott eine Erfindung von Menschen! Denk den Gedanken, dass Jesus selbst sich geirrt haben könnte! Über Jahrtausende hätten sich Menschen im Glauben einem Gott anvertraut, den es nicht gibt. Solche Überlegungen können verstörend sein. Aber wir sollten sie zulassen. Schließlich lassen sie sich auch gar nicht verdrängen – die Gedanken sind frei, Menschen versuchen, mit ihrem Denken immer einen Schritt weiter zu kommen. Und das ist eine großartige Eigenschaft.

Zweifel an der Existenz Gottes zu verdrängen, zu ignorieren, nicht zu erlauben, das wäre dieser angstvolle Glaube, der sich nicht auch der Frage zu stellen wagt, ob es Gott überhaupt gibt und somit unfrei ist.

Gott beweisen?


Doch niemand kann die Existenz Gottes beweisen. Das ist in der Geschichte sehr oft versucht worden, so etwa schon durch den großen Philosophen Aristoteles vor mehr als 2300 Jahren. Es folgten bedeutende Theologen wie Anselm von Canterbury oder Thomas von Aquin, aber auch Philosophen der Neuzeit wie René Descartes, Baruch de Spinoza oder Immanuel Kant. Und auch Wissenschaftler versuchten sich am Gottesbeweis, von Gottfried Wilhelm Leibniz bis Kurt Gödel. Die einen sagen, da überhaupt etwas existiert, muss es eine Kraft geben, die diese Existenz ermöglicht hat. Andere schauen auf die Größe und Schönheit der Schöpfung und sind dadurch überzeugt: Sie muss einen Ursprung haben! Wieder andere erklären, es müsse etwas geben, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Oder: Es kann nicht anders sein, als dass es einen Anfang und ein Ziel gibt dieses Universums, das kann kein Zufall sein, dahinter muss vielmehr ein Plan beziehungsweise ein Planer stehen. Schließlich: Wenn wir das Gute erkennen, muss es einen Ursprung dafür geben, ein Wesen, das für dieses Gute einsteht.

All diese Versuche, mit logischem Weiter-Denken Gottes Existenz zu beweisen, sind faszinierend, finde ich. Beim Anblick der wunderbaren Natur kann ich den Gedanken gut nachvollziehen: Das muss erschaffen worden sein! Solche Schönheit kann kein Zufall sein, kann sich auch nicht nur biologischen Abläufen verdanken. Auch den Gedanken, dass es einen Ursprung des Lebens gibt, der gewollt war, dass sich das Leben einer guten Idee verdankt, finde ich einleuchtend. Solche Überlegungen sind ja letzten Endes Gedanken zum Sinn des Lebens. Allerdings sind sie kein Beweis für Gott.

Doch genauso wenig kann bewiesen werden, dass Gott nicht existiert. Auch das wurde versucht, etwa durch Religionskritiker wie Ludwig Feuerbach. Glaube und Religion aber entziehen sich naturwissenschaftlicher Beweisführung; es geht um ganz andere Kategorien wie Erfahrung, Vertrauen und auch Tradition. Glaube und Religion sind eben auch eine Sache des Herzens – und das »Herz hat Gründe, die der Verstand nicht kennt«, wie Blaise Pascal sagt.

Christinnen und Christen sollten den Dialog darüber nicht scheuen – einen Dialog, der mit Herz und Verstand geführt werden kann. Denn in der Auseinandersetzung kann ich meinen Glauben klären. Der französische Philosoph André Comte-Sponville hat ein herausforderndes Buch unter dem Titel »Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott«2 geschrieben. Darin setzt er sich unter anderem mit den Versuchen auseinander, Gott zu beweisen. Er erklärt: »Gott ist kein Theorem. Es geht nicht darum, ihn zu beweisen oder abzuleiten, sondern darum, an ihn zu glauben oder nicht. Man wird einwenden, dass es genauso wenig Beweise für die Nichtexistenz Gottes gibt. Zugegeben. Dennoch ist die Sache mit den Beweisen für den Atheismus weniger peinlich als für die Religion … Das Fehlen von Beweisen ist ein Argument gegen jede theistische Religion. Wenn das auch noch kein Grund ist, Atheist zu sein, ist es zumindest einer, den Glauben zu verweigern.«3 Damit müssen sich Glaubende auseinandersetzen. Und dagegen können sie nicht trotzig biblizistisch anargumentieren – auch die Bibel erbringt keinen Gottesbeweis.

Mit Comte-Sponville würde ich gern disputieren. Denn er ist kein Verächter der Religion, sondern ein Kämpfer für die Aufklärung. Und er unterscheidet sehr scharf zwischen Gott und Religion. Das halte ich als Christin für einen guten Ansatz. Diskutieren würde ich mit ihm darüber, dass er den Verlust des Glaubens als Befreiung erlebt hat, wie er schreibt. Ich selbst erlebe – gerade umgekehrt – den Glauben als Befreiung von all den Zwängen und dem Druck, den die Gesellschaft ausübt. Mein christlicher Glaube macht mich unabhängig von den Urteilen von Menschen, vom Druck des Zeitgeistes, von Zwängen des Denkens – so empfinde ich es.

Die Bibel erzählt von Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Solchen Erfahrungen begegnet Comte-Sponville folgendermaßen: »Wenn Gott sich nicht zeigt – jedenfalls nicht mir und nicht allen –, dann vielleicht weil er es nicht will. Es kann aber auch sein, und diese Hypothese scheint mir naheliegender, dass er nicht existiert.«4 Ja, denke ich, das kann sein. Aber mir liegt die Hypothese näher, dass Gott existiert, weil ich Gottes tragende Kraft in meinem Leben und im Leben anderer wahrgenommen habe. Gewiss, andere halten das für Einbildung. Aber wir leben – Gott sei Dank! – in einem Land der Religionsfreiheit, und das bedeutet die Freiheit, mit oder ohne Religion zu leben. Manches Mal geraten Menschen des Glaubens dabei inzwischen in die Defensive nach dem Motto: Hast du das nötig?

Glaube lässt sich nicht verordnen, sondern nur erleben, erfahren und auch praktizieren. Glaube meint Vertrauen, das gewagt sein will. Christlicher Glaube orientiert sich an der Bibel. Aber er ist auch spirituelle Erfahrung, Erleben von Gemeinschaft, das Gehaltensein in einer Tradition. Und der Glaube ist für mich auch eine Lebenshaltung, für die ich mich entscheide: Ich wage es, zu glauben, dass es Gott gibt. Ich wage zu vertrauen. Im Grund ist Vertrauen doch immer ein Wagnis, auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ob das Wagnis gerechtfertigt ist – wir werden sehen…

Das Bekenntnis zu Gott


Immer wieder wurde im Christentum darum gerungen, den Glauben zu versachlichen, festzuhalten, zusammenzufassen. Von Anfang an ging es den Menschen, die sich an Jesus orientierten, auch darum, zu verstehen, was sie erfahren und erlebt hatten. Sie lebten ihren neuen Glauben in den Gemeinden und redeten darüber und waren offenbar nicht immer einer Meinung. So gab es Auseinandersetzungen: War Jesus nun Mensch oder Gott? Und wie steht es mit dem Heiligen Geist? Wir können schon in den Briefen des Apostels Paulus in der Bibel sehen, wie darum gerungen wurde, Worte dafür zu finden, wie Christen Gott verstehen und wie das Verhältnis von Christus zu Gott zu bestimmen ist. Paulus schreibt das ganz knapp im 1. Korintherbrief (15,3–5): »Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben...

Blick ins Buch

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