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Weiß der Himmel ...?

Wie ich über die Frage nach Leben und Tod stolperte und plötzlich in der Kirche saß

AutorTillmann Prüfer
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641227647
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
»Bis vor Kurzem kam mein Leben sehr gut ohne Gott aus.« (Tillmann Prüfer)
Tillmann Prüfer ist ein renommierter ZEIT-Journalist, der sich in diesem Buch mit den Themen Leben, Sterben, Tod und Sinn auseinandersetzt. Eine schwierige Lebensphase mit Krankheit und Sterben eines Freundes veranlasst den überzeugten Agnostiker, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Grundfeste seines bisherigen Lebens geraten ins Wanken, er stellt in Frage, lernt zu beten, wird zum regelmäßigen Kirchgänger und reflektiert seine Gedanken schließlich in einem Kloster ...
»Urplötzlich bin ich in eine Situation geraten, in der ich Glaube und Zuversicht dringend nötig habe.« Dieses Buch schildert die glaubwürdige Suche des Autors.
  • Persönliche Erfahrungen eines ZEIT-Journalisten
  • Neue Ausfahrt: Glaube
  • Überraschendes zu Leben, Tod und Sinn


Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Stilchef und Mitglied der Chefredaktion des ZEITmagazins. Ausgezeichnet mit mehreren Journalistenpreisen schrieb er mehrere erfolgreiche Bücher. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Leseprobe

1 MEIN FREUND

Leben.

Das denke ich, während ich vom Krankenhaus zur U-Bahn gehe. Die kalte Winterluft in meinen Lungen, der Boden unter mir gefroren, ich muss darauf achten, nicht hinzufallen, einen Schritt behutsam vor den nächsten zu setzen. Das ist Leben.

Gerade habe ich mich von meinem Freund verabschiedet, ich habe ihn auf die Stirn geküsst. Sie war fiebrig heiß. Der Körper voller Aktivität. Unvorstellbar, dass der Mensch, dem er gehört, im Begriff ist zu gehen. Dass es seine letzten Stunden sind. Unbegreiflich das alles.

Drei Monate zuvor hatten wir noch einen Spaziergang durch die letzten Tage des sich verabschiedenden Berliner Sommers gemacht. Ich versuche, das alles innerlich nachzuvollziehen, es einzuordnen, aber es gelingt mir nicht.

Vor drei Monaten hat sich die Welt verdunkelt. So lange ist die Diagnose eines bösartigen Gehirntumors im linken Schläfenlappen bei meinem Freund her.

Er war ins Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem seine Frau ihn bewusstlos in der Wohnung aufgefunden hatte. Am gleichen Tag hätten wir uns am Abend zum Essen treffen wollen.

Als ich davon erfuhr, dachte ich zunächst an zahllose Gründe, warum man ohnmächtig werden kann: Blutdruck, Hitze, Stress. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch überzeugt, dass wir uns bald wiedersehen und darüber lachen werden. Dass diese Episode sich auflösen wird wie die allermeisten Ereignisse im Leben, die bedrohlich wirken, und man auf das Beste hofft. Man irgendwie darauf vertraut, dass alles gut wird.

Später am Tag erfuhr ich, dass mein Freund nicht in die Kardiologie eingeliefert worden war, sondern in die Neurologie. Er hatte einen epileptischen Anfall gehabt. Das klang ernst, aber nach etwas, das man mit Medikamenten in den Griff kriegen kann. Dann aber berichtete seine Frau, dass die Ärzte eine »Raumforderung« im Gehirn als Ursache vermuteten. Der Begriff hörte sich auf eine bedrohliche Weise harmlos an. Ich gab ihn bei Google ein. Und sah, dass es eine Chiffre für Gehirntumor ist. Und bald darauf sollte es sich als Gewissheit herausstellen. Mein Freund war an einem der aggressivsten bösartigen Gehirntumoren überhaupt erkrankt. Bei dem es nicht die Frage ist, ob man ihn überlebt – eher die Frage, wie lange und wie gut man damit leben kann.

Die Tage waren voller schlechter Nachrichten, die jeweils von noch schlechteren Nachrichten abgelöst wurden. Der Tumor beeinträchtigte vom ersten Tag an den Mann, an den man sich gewöhnt hatte. Das Tröstende war, dass hinter allen Beschwerden immer die Persönlichkeit meines Freundes leuchtete, dass er nie seine Liebe und seine Güte verlor. Der Tumor konnte ihm so viel nehmen, aber nicht seine Menschlichkeit und nicht einmal seinen Humor.

Seine Persönlichkeit hatte mein Leben gewärmt, vom ersten Tag an, als ich ihn kennengelernt hatte. Er war ein Mann der Sprache. Der schönen Sprache. Er hatte ein Gespür für die richtigen Worte. Er liebte gute Worte und gute Bücher. Und er wusste, was die richtigen Worte bewirken können.

Wir kannten uns seit zwölf Jahren. Ich erinnere mich noch, wie er mir an dem Abend, als wir uns kennenlernten – wir waren bei ihm zu Hause – viele Fragen stellte. Aber keine diente dazu, mich abzuprüfen oder einzuordnen. Er war unvoreingenommen interessiert. Er machte keine Anstalten, sich selbst in einem möglichst positiven Licht darzustellen oder zu beeindrucken. Er war humorvoll, aber ohne jede Spur von Eitelkeit. Sondern in einer schmeichelnden und zugewandten Weise. Alles war so bestellt, dass man sich in seiner Gegenwart wohlfühlte.

Als wir an jenem Abend später beisammen saßen, holte er eine Flasche Linie Aquavit hervor. Es ist ein altmodisches Getränk. Ein Anis-Geist, der in Sherry-Fässern reift, während er im Bauch eines Containerschiffes mitfährt. Mein Freund sagte, dass für ihn der Geist der Schiffsreise im Aquavit zu schmecken sei. Das Rollen der Wellen.

Man könne sitzen und trinken und gleichzeitig reisen. Was man auch tue, man könne dabei reisen. In dem Augenblick wusste ich, wir würden Freunde werden.

Und jetzt verlässt er mich.

Die vergangenen Monate sind wie ein Horrorfilm in meinem Kopf. Operation, Chemotherapie, Bestrahlung, Angst, Bangen. Ich hatte mir zuvor nie bewusst gemacht, wie wichtig mein Freund für mich geworden war. Und jetzt Abschied zu nehmen, das geht über meine Vorstellungskraft.

Die letzte Zeit lebte ich in dem ständigen Gefühl, zu wenig zu tun. Zu wenig Trost zu spenden, zu wenig zu tun, um stark an der Seite seiner Angehörigen zu sein. Die Kinder mussten in der Schule begleitet, der eigene Job musste bewältigt werden. Plötzlich bestand meine Welt, die gerade noch so geordnet schien, nur noch aus Chaos. Und ich hatte immer das Gefühl, alles zu tun – und trotzdem alles schuldig zu bleiben.

Das erste Mal in meinem Leben spürte ich, dass ich Gottvertrauen brauche. Dass ich eine beruhigende Stimme in mir nötig hätte, die sagt, dass alles gut werde. Eine Quelle der Kraft. Sie fehlt mir, ich hab sie irgendwann verloren. Ich tastete nach etwas in mir, das mir Halt geben könnte, aber ich griff ins Leere. Nur Erschöpfung in mir.

Ich habe viel Zeit damit verbracht, über meinen Freund nachzudenken. Es gibt zwei Dinge, die ich erst von ihm über die Welt gelernt habe: Es gibt keinen uninteressanten Menschen. Und wenn man vom Besten bei einem anderen Menschen ausgeht, hat man die größten Chancen, auch das Beste von ihm zu bekommen. In den zwölf Jahren, die ich ihn kannte, habe ich ihn kaum einmal über jemanden schlecht reden hören. Er war ein Mensch, der ohne Arg war. Er hatte niemals versucht, jemandem das Leben schwer zu machen. Er hatte keine Rechnungen zu begleichen. Wenn zwei im Streit waren, war er es, der schon an die Zeit nach dem Streit dachte. Der verhindern wollte, dass sich beide Parteien so auseinandersetzen, dass kein Ausgleich mehr möglich wäre. Er dachte meist an seinen eigenen Vorteil zuletzt. Er war bereit, zuzuhören und immer wieder zuzuhören. Er war bereit zu verstehen. Er konnte sich dem Standpunkt eines anderen Menschen annähern. Es machte ihm keine Probleme, die eigene Position zu verlassen, um erfahren zu können, wie jemand anderes die Welt sieht. Er war ein guter Streitschlichter, weil er die Fähigkeit besaß, Brücken zwischen Menschen zu bauen.

Und jetzt verlässt er mich.

In all seiner Grausamkeit hatte der Tumor eine einzige Gnade. Mein Freund spürte keine Angst. Die Krankheit hatte ihn vom ersten Tag an stark eingeschränkt. Der fortschreitende Krebs, so schien es zumindest, machte es ihm wohl die meiste Zeit unmöglich, die Lage in ihrer ganzen Härte zu begreifen. Er wusste, dass er schwer krank war, aber es ließ ihn nicht verzweifeln.

Die meiste Zeit, die ich noch mit ihm verbrachte, war er dankbar für das Leben, das er gehabt hatte, und die Zeit, die ihm blieb. All die Qualen der Therapie ertrug er stoisch, erwähnte sie kaum einmal. Manchmal verdunkelte sich sein Zustand, sodass er kaum Worte fand. Dann wieder war es gewesen, als bräche die Sonne hervor, und er machte Witze. Er konnte gutes Essen und guten Wein genießen, Zuneigung zeigen und empfangen. Immer wieder saßen wir gemeinsam vor dem Fernseher und schauten Sportschau und kommentierten die dürftige Spielweise seines Lieblingsvereins Werder Bremen, die schlechten Spielerzukäufe und die Chancen, jetzt noch die Liga zu erhalten. Dann redeten wir, als sei das einfach irgendeine Bundesliga-Saison, als fürchteten wir nicht, es sei unsere letzte.

Ich habe den Tod mein ganzes Leben lang weggedrängt, in die Ecke gestellt. Jetzt trifft er mich, als wäre ich gegen eine Wand gerannt. Ich habe immer so getan, als wäre es ein Problem, das vor allem andere betrifft. Mit dem man sich irgendwann mal beschäftigen könnte. Irgendwann ist jetzt. Aber ich bin noch im Irgendwo.

Bis jetzt lebte ich in dem Gefühl, die Dinge im Griff zu haben. Wo ein Problem war, da konnte man etwas tun. Es gab eine Lösung, die zumindest eine Besserung versprach, ich konnte Zuversicht versprechen und Hoffnung verbreiten. Nun weiß ich, dass das eine kühne Annahme war. Es müssen nur die allerbanalsten Dinge geschehen, Dinge, die ständig überall auf der Welt passieren, wie der Tod eines geliebten Menschen. Und schon sind alle Strategien hinweggefegt.

Die Frage nach dem Jenseits. Nichts, was ich erlebt habe, kann eine Antwort darauf geben. Aber als ich mich von meinem Freund verabschiedet habe, war ich mir auf einmal ganz gewiss, dass es etwas nach dem Leben gibt. Ich sah einen schwer atmenden Menschen, der sich auf einen Übergang vorbereitet. Wie ein Junge, der auf einem Zehn-Meter-Brett steht und sich nicht traut zu springen.

Die letzten Stunden verbringt er mit seinen engsten Angehörigen. Man sagt, dass Sterbende mit über ihr Sterben bestimmen. Vielleicht muss man sich zum letzten Atemzug wirklich entscheiden. Mein Freund entscheidet sich wenige Stunden nach meinem Abschied zu sterben. Die dabei waren, sagen, er habe ausgesehen wie eingeschlafen, nur ohne eine Regung. Alle Anspannung sei von ihm gewichen, und dann, nach einer Weile, habe er sich in die sterbliche Hülle seiner selbst verwandelt. Ganz, als ob die Seele aus ihm gefahren sei. Mein Freund ist gegangen.

Kurz bevor ich das Krankenhaus verlassen habe, hatte ich auf dem Weg nach draußen in der Krankenhaus-Kapelle vorbeigeschaut. Ein düsterer Raum mit wenig Trost. Aber vermutlich wird keiner der Besucher hier mit gleichgültigen Gefühlen sitzen. Ich betete zu Gott, dass er meinen Freund gut begleiten möge.

Es war in dieser Situation ganz...

Blick ins Buch

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