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Queer London

Von der Antike bis heute

AutorPeter Ackroyd
VerlagPenguin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641230845
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Londons größter lebender Chronist über die »gay history« seiner Stadt
Das römische Londinium war übersät mit »Wolfshöhlen«, Bordellen und heißen Bädern, in denen es hoch herging. Homosexualität galt als bewundernswert. Bis Kaiser Konstantin die Macht übernahm und mit seinen Mönchen und Missionaren für Ordnung sorgte. Zeiten der Toleranz wechselten mit Zeiten der Ächtung und Verfolgung. Heute gehört »queer London« zur britischen Hauptstadt wie Tower und Big Ben. Londons homosexuelle Szene ist die größte in Europa und eine der größten weltweit. Peter Ackroyd zeigt uns, wie seine Stadt sich diesen Platz erkämpft hat. Er zelebriert die Vielfältigkeit und Energie der Community, zeigt aber auch die Gefährdungen, denen sie zu allen Zeiten ausgesetzt war. »Ein absolut einzigartiges Leseerlebnis.« The Independent

Peter Ackroyd wurde 1949 in London geboren, wo er bis heute lebt. Er studierte Literaturwissenschaft in Yale und Cambridge und arbeitete viele Jahre für den »Spectator« und die »Times«. Mit seinen Romanen, Theaterstücken und Biographien gehört er zu den wichtigsten britischen Gegenwartsautoren. Er erhielt unter anderem den Somerset Maugham Award und den Whitbread Award. Er gilt als brillanter Autor mit einem unverwechselbaren Stil.

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Leseprobe

1
KLEINE ERKLÄRUNG DER GEBRÄUCHLICHSTEN BEGRIFFE

Die Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt, hört mit dem Reden gar nicht mehr auf. Galt sie einst als peccatum illud horribile, inter christianos non nominandum – das entsetzliche Vergehen, das unter Christen nicht beim Namen zu nennen ist –, wird sie seitdem endlos diskutiert.

Früher drückte der Begriff »queer« Abscheu aus, heute hat er einen anderen Klang. Im akademischen Raum hat er sich als Bezeichnung durchgesetzt und die Queer Studies haben in die Lehrpläne der Universitäten Einzug gehalten.

Wer weiß schon, woher das Wort »gay« stammt? Es lässt sich sowohl vom altprovenzalischen gai ableiten, was »fröhlich« oder »munter« bedeutet, als auch vom gotischen gaheis (ungestüm) oder vom fränkischen gahi (schnell). Ungeachtet der Sprache ist die Konnotation in jedem Fall dieselbe, nämlich Heidenspaß und helle Freude. Im Englischen bezog sich »gay« ursprünglich auf weibliche Prostituierte und die Männer, die ihnen nachstellten. Alle gay ladies waren zu haben. »Gay« als Bezeichnung für gleichgeschlechtliche Liebe, wie sie seit dem 20. Jahrhundert verwendet wird, ist wohl eine Erfindung der Amerikaner aus den Vierzigerjahren. Bis diese den Weg nach England fand, würde es einige Zeit dauern. Noch Ende der Sechziger verstanden viele nicht, was mit einer gay bar gemeint war.

Sodomie konnte ab dem 11. Jahrhundert so ziemlich alles und jedes bedeuten. Darunter fielen Ketzer und Ehebrecher, Gotteslästerer, Götzendiener und Rebellen – wer auch immer also die heilige Ordnung der Welt zu stören wagte. Der Begriff wurde außerdem mit Ausschweifung und Hochmut in Verbindung gebracht und immer wieder mit übermäßigem Reichtum assoziiert. Nicht zuletzt zielte er natürlich auf all jene, die abweichende Vorstellungen von sexueller Lust hatten, und wurde gerne einer bestehenden Reihe von Anschuldigungen dieser Art einfach hinzugefügt, etwa dem Vorwurf der widernatürlichen Unzucht (»buggery«). [Im Deutschen deckte der Begriff eine ähnliche Vielfalt sexueller Normverstöße ab, bevor er Ende des 19. Jahrhunderts auf die Definition »Geschlechtsverkehr mit Tieren« eingeschränkt wurde. Anm. d. Ü.]

Der Ausdruck »bugger« meinte ursprünglich einen Häretiker und im Besonderen die aus Bulgarien stammenden Albigenser. Weil deren Lehre ehelichen Geschlechtsverkehr und überhaupt Begattung verurteilte, nahm er bald eine Bedeutung an, die über Religion hinausging. Das Wort stammt vom französischen bougre ab und ist dort auch in der Wendung pauvre bougre geläufig, zu Deutsch: armer Tropf.

Mit dem »ingle«, dem entarteten Knaben, war man spätestens Ende des 16. Jahrhunderts vertraut. Die Straße Ingal Road im Osten von London trägt ihren Namen noch immer. Der »pathic«, der passive Partner, erblickte im 17. Jahrhundert das Licht. Obwohl seine Erregung im Gegensatz zu der des aktiven Mannes zweitrangig war, wurde er paradoxerweise als einziger bestraft. Er war weniger sexuell, sondern vielmehr sozial in Ungnade gefallen. Der »pathic« wandelte auf Abwegen, deren Betreten eine Gefahr für die bestehende Ordnung und eine Verletzung seiner sozialen Pflichten darstellte.

Der »catamite«, der Buhlknabe, stammt aus derselben Zeit wie der »pathic«. Minderjährige Jungen wurden »chicken« genannt, was wiederum »chicken hawk« (Hühnerhabicht) als Ausdruck für einen Päderasten erklärt. Wörter dieser Art mögen vorher jahrzehntelang ein Dasein im Untergrund geführt haben, da sie natürlich nach wie vor einen unaussprechlichen Akt benannten. Zum Inbegriff des jungen Mannes, der das eigene Geschlecht liebt, wurde »Ganymed«, jener bartlose Jüngling, auch bekannt als kinaidos, der in Darstellungen oft einen jungen Hahn umfasst hält.

Im 18. Jahrhundert standen die »Mollys« (Weichlinge) im Zentrum der Aufmerksamkeit. »Jemmy« war eine Verballhornung des Königs Jakob I. von England, dessen erotische Neigungen weithin bekannt waren. Selten stößt man auch auf »indorsers«, ein Slangwort aus dem Boxsport, mit dem anhaltende Schläge auf den Rücken des Gegners bezeichnet wurden. In einem alten Manuskript aus dem Newgate-Gefängnis wird einem Taschendieb geraten, jene »Indorsers ihren animalischen Gelüsten zu überlassen«. Ein zahmerer Ausdruck war »fribble«, nach der gleichnamigen Figur des englischen Schauspielers und Bühnenautors David Garrick. Darüber hinaus kannte das 18. Jahrhundert Begriffe wie »madge« und »windward passage« in Anspielung auf Analverkehr, außerdem »caudlemaking« oder »giving caudle« vom lateinischen Wort cauda für Schwanz. Schwule wurden »Backgammonspieler« oder »Herren der Hintertür« genannt, die sich »miauend« vergnügten. Sowohl Männer als auch Frauen erfreuten sich an »gamahuche«, ein anderes Wort für Fellatio.

Effemination gehörte schon immer zur »Natur des Menschen«, wie es David Garrick in der Rolle des Mr Fribble ausdrückt. Der Begriff war nicht nur queeren Männern vorbehalten, sondern bezeichnete auch jene, deren Liebe zu Frauen das gesunde Maß überstieg. In seiner Bibelübersetzung aus dem frühen 14. Jahrhundert überträgt John Wycliffe effeminati als »men maad wymmenysch« (verweiblichte Männer). Sie galten als schamlos und albern, waren weich oder auch schwach. Um die Lage noch zu verkomplizieren, konnten sie auch asexuell sein.

»Effeminiert« ist nicht zu verwechseln mit dem Ausdruck »camp«, dem der Wille zum Unterhalten, Amüsieren und Schockieren innewohnt. »Camp« impliziert Extravaganz und Zurschaustellung und kommt wahrscheinlich vom italienischen Verb campeggiare für hervorstechen oder dominieren. Über »camp« herrschte die »Queen« (oder »quean«). Waren damit zunächst schamlose oder dreiste Frauen gemeint, also die Starken ihres Geschlechts, fand es im frühen 20. Jahrhundert auch Anwendung auf überkandidelte Schwule, die noch weibischer waren als die Weiber selbst.

Der Schriftsteller und Journalist Karl Maria Kertbeny führte 1868 den Begriff »homosexuell« (beziehungsweise »homosexual«) ein und gehört damit zu den heimlichen Gesetzgebern der Menschheit. Dies war für ihn keine Frage der Moral, sondern eine der Klassifikation. Ein nüchtern denkender Mensch musste sich des Themas annehmen, kein Priester. Auf Kertbenys Grab werden heute noch Blumen niedergelegt. Dreiundzwanzig Jahre später übertrug der Neurologe Charles Gilbert Chaddock den Begriff ins Englische: »homosexuality«. Der Sexualforscher Havelock Ellis nannte ihn einen »barbarischen Neologismus, entsprungen dem animalischen Ineinander griechischer und lateinischer Stämme« – doch möglicherweise verwechselte er das Wort mit dem Akt.

Als der Schriftsteller J. R. Ackerley 1918 gefragt wurde, ob er »homo oder hetero« sei, verstand er nicht, was mit der Frage gemeint war. Der Schriftsteller und Kritiker T. C. Worsley berichtet, dass Homosexualität im Jahr 1929 »immer noch ein technischer Begriff war, dessen Implikationen sich mir nicht vollständig erschlossen«. Bis in die Fünfzigerjahre vermochte das Wort die älteren Herrschaften zu verwirren, und in die Ruhmeshalle der Oxford English Dictionary zog es erst mit dem Ergänzungsband von 1976 ein.

1862 tauchte im Werk von Karl Heinrich Ulrichs eine weitere Bezeichnung auf. Die Inspiration für seinen »Uranier« oder »Urning« bezog er von Platons Symposion, in dem gleichgeschlechtliche Liebe als ouranios (himmlisch) bezeichnet wird. (Wörtlich übersetzt bedeutet ouranos übrigens »der Pinkler«, was mehr Fragen aufwirft als beantwortet.) Seines überirdischen Ursprungs zum Trotz fand der Begriff keine Verbreitung. Wer will schon »Urning« genannt werden? Das klingt wie eine Zwergenart. Eine »Urninde« war dementsprechend eine lesbische Frau, ein »Uranodioning« ein Bisexueller. Fachtermini wie »simisexualism« und »homogenic love« (homogene Liebe) waren ähnlich ungelenk. Der »invert« (der Invertierte) ist eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts, die sich aber nicht der gleichen Beliebtheit erfreute wie der »pervert« (der Perverse).

Untereinander verwendeten die bunt gemischten Brüder und Schwestern Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Euphemismen: Ist es ihm ernst? Ist er so? Ist er musikalisch? Ist er theatralisch? Ist er temperamentvoll? Ist er zu haben? In den Dreißigerjahren fragte man junge Männer, ob sie sich »eine Wohnung teilen«.

Auf der anderen Seite gab es die weniger beschönigenden Ausdrücke wie »fairy« (Tunte), »shirt-lifter« (Druntenlieger), »pansy« (Bubi), »nancy boy« (warmer Bruder), »pervert« (Perverser), »bone-smoker« (Knochensauger), »poof« vormals »puff« (Tucke), »sissy« (Lusche), »Mary Anne« (Stricher), »fudge-packer« (Nougatstecher), »butt-piler« (Hinterlader), »pillow biter« (Kissenbeißer) und das amerikanische »faggot« oder »fag« (Schwuchtel). Ein »faggot« war ein Bündel Feuerholz, wie es auch zur Verbrennung der Sodomiten [oder Sodomiter, wie man damals sagte, Anm. d. Ü.] diente. Zumindest ist das eine Erklärung. Das Schimpfwort könnte auch vom englischen »fag« kommen, das einen jüngeren Schüler meinte, der für die höheren Jahrgänge niedere Dienste zu verrichten hat. Kompliziertere Wörter tauchten aus dem Nichts auf. Ein »dangler« (wörtlich »Baumler«) war im 19. Jahrhundert jemand, der zwar vorgab, zu Frauen hingezogen zu sein, es aber in Wahrheit nicht war.

Zu den weiblichen Varianten der gleichgeschlechtlichen Liebe gehören »sapphisch« und seit den 1730er-Jahren auch...

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