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Jerusalem - geteilt, vereint

Araber und Juden in einer Stadt

AutorMenachem Klein
VerlagJüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl317 Seiten
ISBN9783633758067
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die Geschichte der Koexistenz von Juden und Arabern scheint schon immer eine Geschichte des Konflikts zweier unversöhnlicher Kulturen gewesen zu sein. Aber trifft das wirklich zu? Menachem Klein spürt dem gemeinsamen Leben von Juden und Arabern in Jerusalem nach, vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Er beschreibt eine Gesellschaft, in der einstmals ein intensiver Austausch zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen herrschte, von lebhaften Geschäftsbeziehungen bis zu gemischten Ehen. Die zunehmende Entfremdung, die 1948 in der Gründung des jüdischen Staates kulminierte, wirkt bis heute nach.

In seiner Kulturgeschichte einer faszinierenden Stadt vereint Klein die Stimmen von Juden und Arabern zu einem Mosaik beeindruckender Geschichten, lebendiger Erfahrungen und jener Persönlichkeiten, die diesen Austausch in den vergangenen 150 Jahren geprägt haben.]]>

<p>Menachem Klein studierte Nahost- und Islamwissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem und ist heute Professor an der Bar-Ilan-Universität. Bei den Friedensverhandlungen 2000 in Camp David gehörte er als Berater zum israelischen Team in der Jerusalem-Frage, 2003 war er Mitunterzeichner der Genfer Initiative zum Nahostkonflikt.</p>

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Leseprobe

1

Das Tor der Gabelungen


Ich mache mich über die Alrov-Mamilla Mall in die Altstadt auf. Eine Fußgängermeile mit Cafés und geschmackvoll eingerichteten Geschäften dämpft den Straßenlärm und bringt mich zum Jaffa-Tor. Attraktive Schaufensterauslagen — von Nike, Gap, Nautica oder dem Juweliergeschäft H. Stern — sind in die Fassaden aus behauenem, glatten Jerusalemer Stein eingelassen. Dezente Hintergrundmusik berieselt mich, während ich an modernen Skulpturen vorbeischlendere — inmitten einer bunten Menge aus israelischen Teenagern auf der Suche nach der neuesten Mode, orthodoxen Familien, die einen Ausflug unternehmen, Müttern im Hidjab aus Ost-Jerusalem bei einem Schaufensterbummel. Nichts erinnert an die nahe gelegene Jaffa-Straße. Einst die moderne Trasse im Westen Jerusalems, ist sie jetzt eine häßliche und heruntergekommene Straße, die wieder in Schwung zu bringen die Stadtverwaltung sich bemüht. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war sie die Verkehrsader, die Jerusalem mit Tel Aviv und Jaffa, den beiden größeren Städten der Küstenebene, verband. Der lange Abstieg der Jaffa-Straße setzte 1948 ein. Die 2007 eröffnete Alrov-Mamilla Mall wurde errichtet, um das erbärmliche Erscheinungsbild der alten Straße zu maskieren. Die Architektur möchte den Eindruck erwecken, daß es sich hier nicht um eine Flanier- und Einkaufsmeile handelt, sondern um eine authentische Jerusalemer Straße, die den modernen westlichen Teil der Stadt mit deren historischem Kern verbindet.

Das Wort »Alrov« im Namen der Mall verweist auf die Firma, die den Komplex baute, zu dem außerdem ein Luxushotel und exklusive Apartments gehören und in dem der Gewerbe- und Geschäftsbereich nur einen Teil ausmacht. Die andere Hälfte des Namens, »Mamilla«, steht sozusagen zur Beschwichtigung, als eine Art Entschuldigung da, ein fernes Aufleuchten aus der Vergangenheit. Der Komplex steht dort, wo sich einst das alte Mamilla befand — der Name kommt aus dem Arabischen maʾaman Allah, was soviel wie Gottes Zuflucht bedeutet — ein Viertel, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurde. Sowohl Juden wie Araber lebten dort, bis der Krieg von 1948 die Einwohner trennte. Mamilla gehört der Vergangenheit an, Alrov dem 21. Jahrhundert.

Es stellt sich heute so dar, als hätten privates Unternehmertum und Modernisierung dieses tragische Erbe bewältigt. Oder ist das nur der Eindruck, den diese moderne Einkaufszone bei mir hinterlassen möchte? Sind wir zu einer gemeinsamen jüdisch-arabischen Erfahrung zurückgekehrt, die den Riß in diesem Gefüge flickt?

Ich denke darüber nach, daß vom Ende des 19. Jahrhunderts an Juden aus den neuen Vierteln mit Arabern aus der Altstadt in dem offenen Bereich außerhalb des Tors zusammenlebten und miteinander verkehrten. Reisende aus Jaffa und Hebron begegneten ausländischen Touristen, die sich wiederum mit den Einheimischen trafen. Es war die Zeit, als Entfernungen immer kürzer wurden und das Tempo des alltäglichen Lebens sich stetig erhöhte. Durch den Ersten Weltkrieg und den Nationalitätenkonflikt zwischen Juden und Arabern gestaltete sich das städtische Leben wesentlich turbulenter. Das Jaffa-Tor und seine unmittelbare Umgebung wurden zu einem Treffpunkt nicht bloß von Menschen, sondern auch von Ansichten und Lebensweisen. Nachrichten von fernen Vorkommnissen trafen ein, desgleichen Meinungen aus anderen Ländern — und alles zusammen bildete den hiesigen Gesprächsstoff.

Die Araber nennen das Jaffa-Tor Bab al-Khalil — das Hebron-Tor — und das ist kein Zufall. Auf der Route Jerusalem-Hebron reisten die Pilger, die die heiligen Stätten der beiden Städte besuchten. Auf ihr wurden aber auch Tafeltrauben, Eier oder Geflügel von Hebron nach Jerusalem gebracht. Dafür bezahlte Jerusalem mit Zeitungen und Büchern, die zur Diskussion neuer Fragen in Hebron anregten, Fragen von der Art, die Jerusalemer Intellektuelle zu Hause und in den Cafés erörterten. 1919 wurde in Hebron ein kleiner, feiner englischer Club mit mehreren Räumen eröffnet. Die Mitglieder konnten dort Bücher und Zeitungen lesen, sich zu Brett- und Kartenspielen treffen, Musik hören und Mahlzeiten einnehmen.1 Pferdekutschen brachten die Einwohner von West-Jerusalem zum Jaffa-Tor, wo sie im suq, dem Basar oder Markt, ihre Einkäufe tätigten, von wo sie dann möglicherweise zu Fuß weitergingen, um an den heiligen Stätten zu beten. Jüdische und arabische Kutscher fuhren Touristen und Pilger in ihren in Deutschland gefertigten Equipagen vom Tor zu bereitstehenden Booten im Hafen von Jaffa.

Als in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre der Konflikt zwischen Juden und Palästinensern eskalierte, war das Jaffa-Tor nicht länger zentraler Treffpunkt. Der Krieg schnitt das Tor von seinem Hinterland ab. Die Bezeichnungen in Arabisch, Hebräisch und Englisch verloren in jeder Hinsicht ihre ursprünglichen Bezugspunkte. Die Altstadt von Jerusalem wurde von der palästinensischen Küstenebene abgeschnitten, deren Mittelpunkt Jaffa war. Jaffa verlor seine Verbindung zur Hebron-Straße. Bis in die achtziger Jahre sah sich die Jaffa-Straße in einer leicht besseren Lage als das Tor, insofern sie etwas von jenem Status behielt, den sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts als Hauptverkehrsstraße der Neustadt innegehabt hatte. Sie blieb im Zentrum der Innenstadt und fungierte als Hauptverkehrsverbindung des provinziellen Jerusalem zum weltläufigeren Zentrum des Landes. Doch bis 1967 wurde sie an ihrem östlichen Ende von einer häßlichen Mauer aus Stahlbeton blockiert, die die Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien markierte. Ein schmaler Spalt in der Mauer ermöglichte es den Jerusalemer Bürgern diesseits und jenseits, die gegnerische Stadt in Augenschein zu nehmen. Aber viel konnte man da nicht erkennen. 1954 spähte der hebräische Dichter Nathan Alterman durch den Ritz und erklärte kategorisch: »Von hier bis Shanghai ist Asien; von hier bis zur Hayarkon-Straße in Tel Aviv erstreckt sich der Staat Israel«.2 Das jordanische Jerusalem wurde erst im Juni 1967 für das jüdische Jerusalem sichtbar, und dann auch nur für kurze Zeit. Innerhalb weniger Jahre sollte die israelische Entwicklung nichts von ihm übriglassen. Israels europäische Entfremdung von Asien — in diesem Sinne definierte sich das neue Land — wurde durch ein Gefühl der Besitzergreifung und vom Wunsch ersetzt, sich in das neue Territorium auszudehnen. Nach dem Juni 1967 wurde das, was Alterman einmal als »Asien« bezeichnet hatte, jüdisch und israelisch.

Der Hebron-Straße erging es weit schlechter als der Jaffa-Straße. Der Krieg von 1948 schnitt das Jaffa-Tor von der früheren Straße ab, die zum größten Teil auf der israelischen Seite der Waffenstillstandslinie lag. Die Straße konnte nun nicht mehr genutzt werden, um vom Tor zur Stadt Hebron zu gelangen. Der Bereich von Abu Tor bis ans Ende von Talpiot lag im jüdischen Teil Jerusalems und wurde im Süden von der Waffenstillstandslinie abgeschnitten. Heute ist die Hebron-Straße eine harmlose urbane Strecke, ein grauer Asphaltstrich, öde bis dort hinaus, obwohl sie an historisch und religiös bedeutenden Stätten vorbeiführt. Eine ist das Tal Hinnom, das in der Bibel als ein Ort des Todes und Abschlachtens erwähnt wird, wo die Väter ihre Söhne dem heidnischen Gott Moloch opferten. Weiter südlich liegt die »Anhöhe des Bösen Rats«, wo nach christlicher Überlieferung der Rat der jüdischen Ältesten die Auslieferung Jesu an die Römer beschloß. Der jüdischen Tradition zufolge ist es der Ort, von dem aus Abraham den Berg Moriah erstmals erblickte, den Gott ihm gewiesen hatte, um dort seinen Sohn Isaak zu opfern. Da ließ er seine Diener zurück und ging mit seinem Sohn zu Fuß weiter. (1 M 22,1-6)

Knapp zwei Kilometer weiter südlich liegt das Kloster Mar Elias, von dem die Christen glauben, der Prophet Elias habe dort auf der Flucht vor der Königin Isebel gerastet. Und noch ein Stückchen weiter südlich befindet sich das Grab von Rachel. Jede dieser Stätten befindet sich dort aus eigenem Recht, ohne Bezug zu der Straße, die sie miteinander verbindet. Nach dem Krieg von 1967 stellte Israel die Verbindung zwischen dem Jaffa-Tor und der Jaffa-Straße wieder her, nicht aber die von der Hebron-Straße zum Bab al-Khalil. Sie sind durch das Teilstück einer Straße getrennt, die einen anderen Namen, nämlich den der Jerusalem-Brigade, trägt: jener Armee-Einheit, deren Versuch des Durchbruchs zum...

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