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Psychologie der Motivation und Emotion

Grundlagen und Anwendung in ausgewählten Lern- und Arbeitskontexten

VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl210 Seiten
ISBN9783844428766
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
In diesem Buch werden sowohl die Grundlagen zum Verständnis von Motivation und Emotion in Lern- und Arbeitskontexten dargelegt als auch Beispiele für die Arbeit mit diesen Konzepten in verschiedenen Anwendungsbereichen illustriert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der anschaulichen Vermittlung dessen, wie theoretisches Wissen um Motivation und Emotionen für Anwendungen nutzbar gemacht werden kann. Im ersten Teil werden theoretische Grundlagen, Diagnose- und Fördermöglichkeiten von Motivation und Emotion im Allgemeinen dargestellt. Dabei werden einige der für Forschung und Praxis fruchtbarsten theoretischen Ansätze vorgestellt, wie zum Beispiel diejenigen zu Fähigkeitsselbstkonzepten und Selbstwert. Der zweite Teil widmet sich verschiedenen Anwendungskontexten. Es wird veranschaulicht, wie das Wissen um Motivation und Emotionen etwa in der Schulpsychologie, der Psychotherapie und im Human Resources Management angewandt wird. Das Buch zeichnet sich durch einen starken Anwendungsbezug aus. Jedes Kapitel beginnt mit einem Fallbeispiel, das ein motivationales oder emotionales Problem illustriert. Davon ausgehend werden die theoretischen Konzepte erläutert und zentrale Forschungsbefunde dargestellt. Einschlägige diagnostische Instrumente werden kompakt vorgestellt. Die Kapitel werden durch eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse sowie durch Verständnisfragen abgerundet.

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Leseprobe

|26|2 „Yes, I can!?“ – Entstehung, Auswirkung und Förderung von Fähigkeitsselbstkonzepten


Oliver Dickhäuser

Lena besucht derzeit die Stufe 11 eines neusprachlichen Gymnasiums in Mannheim. Sie ist entschlossen, nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife zu studieren. Intensiv beschäftigt sie sich mit der Frage, welches Studienfach sie wählen soll. Für die in Frage kommenden Studienfächer gibt es nur moderate Zulassungsbeschränkungen, sodass Lena, die eine vergleichsweise gute Durchschnittsnote im Abitur erwartet, nicht in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt sein dürfte. Lena fragt sich, wo eigentlich genau ihre Talente, Begabungen und Fähigkeiten liegen und was sie weniger gut kann. Diese Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten gleicht sie ab mit den vermuteten inhaltlichen Anforderungen der verschiedenen Studienfächer. Auf der Grundlage dieser Überlegungen und der vergleichenden Abwägungen zieht sie schließlich ein Studienfach in Betracht, von dem sie glaubt, ihm gewachsen zu sein und in dem sie glaubt mit größerer Wahrscheinlichkeit als in anderen Fächern erfolgreich sein zu können.

Einer der Pioniere psychologischer Forschung, William James, beschäftigte sich bereits 1890 mit dem Selbstkonzept. James unterschied zwischen zwei Komponenten des Selbst, nämlich dem Selbst als Subjekt des Erkennens („Self as knower“) und dem Selbst als Objekt der Erkenntnis („Self as known“). Wenn im oben genannten Fallbeispiel eine Person über sich selbst nachdenkt, dann ist sie Subjekt des Erkennens, zugleich aber auch Objekt der Erkenntnis. Die Inhalte unserer Selbsterkenntnis, die Überzeugungen über die eigene Person können sich dabei auf unser Erleben und Verhalten auswirken. In unserem Beispiel sind es die Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten (das Fähigkeitsselbstkonzept), die nachfolgendes Erleben und Verhalten beeinflussen.

|27|2.1 Definition


Das Selbstkonzept wird typischerweise als die kognitive Repräsentation einer Person ihrer selbst verstanden – das Fähigkeitsselbstkonzept ist ein Teil dieser Repräsentation. Shavelson, Hubner und Stanton (1976), die unter dem Selbstkonzept die Wahrnehmung einer Person von sich selbst verstehen, postulieren Selbstkonzepte als organisiert und multifaktoriell (d. h. die Selbstwahrnehmungen beziehen sich auf verschiedene, geordnete Inhaltsbereiche) sowie hierarchisch (mit spezifischen Selbstwahrnehmungen am unteren Ende und sehr allgemeinen Selbstwahrnehmungen, beispielsweise dem allgemeinen Selbstwert, an der Spitze der Hierarchie).

Das Fähigkeitsselbstkonzept ist die strukturierte kognitive Repräsentation einer Person über die eigenen Fähigkeiten. Fähigkeitsselbstkonzepte sind auf bestimmte Inhaltsbereiche bezogen und mehr oder weniger fachspezifisch.

Fähigkeitsselbstkonzepte sind diejenigen Teile des Selbstkonzepts einer Person, die sich auf die wahrgenommenen eigenen Fähigkeiten oder Begabungen beziehen. Fähigkeitsselbstkonzepte umfassen die Gesamtheit der kognitiven Repräsentationen eigener Fähigkeiten (Stiensmeier-Pelster & Schöne, 2008; vgl. auch Meyer, 1984). Wahrnehmungen eigener Fähigkeiten sind auf verschiedene Inhaltsbereiche bezogen. Schon bei Erstklässlern sind Begabungswahrnehmungen nach Schulfächern trennbar (Eccles, Wigfield, Harold & Blumenfeld, 1993). Die Fähigkeitswahrnehmungen werden im Laufe der Entwicklung zunehmend differenzierter: Neben allgemeinen Vorstellungen über die Höhe eigener Fähigkeiten bilden Personen mehr und mehr auch fachspezifische Fähigkeitsselbstkonzepte aus.

Wahrgenommene Begabungen in verschiedenen Inhaltsbereichen sind für Personen subjektiv unterschiedlich zentral. Zentrale Bereiche sind dabei eher geeignet, Personen in ihrer Identität zu bestärken oder zu erschüttern als weniger zentrale (Wigfield & Eccles, 1992). Entsprechend zeigt sich beispielsweise, dass der Selbstwert (die Bewertung der eigenen Person als wertvoll oder wertlos) von Personen je nach Zentralität eines Bereiches unterschiedlich eng mit den wahrgenommenen Fähigkeiten in eben diesem Bereich zusammenhängt (Dickhäuser & Schrahe, 2006; vgl. Kapitel 3).

Mit dem Fähigkeitsselbstkonzept theoretisch wie empirisch eng verwandt ist die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person. Dieses Konzept geht auf Bandura (1997) zurück. Es beschreibt die Erwartung einer Person, bestimmte Handlungen |28|erfolgreich ausführen zu können. Solche Erwartungen sind eng mit den Wahrnehmungen eigener Fähigkeit verbunden, allerdings sind (Selbstwirksamkeits-)Erwartungen grundsätzlich auf die Zukunft gerichtet, Wahrnehmungen eigener Fähigkeiten auf die Gegenwart (zu weiteren Unterschieden siehe Bong & Skaalvik, 2003).

2.2 Entstehung des Fähigkeitsselbstkonzepts


Das Fähigkeitsselbstkonzept entsteht aufgrund von Umwelterfahrung. Die Hauptdeterminante des Fähigkeitsselbstkonzepts ist die Leistung der Person selbst. Die Leistungen wirken sich aber nicht direkt auf das Fähigkeitsselbstkonzept aus, sondern die Leistungen werden unter Nutzung verschiedener Vergleichsmaßstäbe (Bezugsnormen) eingeordnet, um aus den Beobachtungen der eigenen Leistungen Rückschlüsse auf die eigene Begabung vorzunehmen (Skaalvik & Skaalvik, 2002). Dabei kann die eigene Leistung mit den Leistungen anderer Personen verglichen werden (sozialer Vergleich), die eigene Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt kann mit eigenen früheren Leistungen in diesem Bereich verglichen werden (individuell-temporaler Vergleich), die eigene Leistung kann mit einem sachlichen Kriterium verglichen werden (kriterialer Vergleich) oder aber die Person kann die eigene Leistung in einem bestimmten Bereich auch mit eigenen Leistungen aus einem anderen Bereich vergleichen (individuell-dimensionaler Vergleich).

Um Auskunft über die Höhe eigener Fähigkeiten zu erhalten, nehmen Menschen soziale Vergleiche (Vergleiche mit den Leistungen anderer), individuell-temporale Vergleiche (Vergleiche mit eigenen früheren Leistungen), kriteriale Vergleiche (Vergleiche mit sachlichen Maßstäben) oder individuell-dimensionale Vergleiche (Vergleiche mit eigenen Leistungen in anderen Bereichen) vor.

Soziale Vergleiche haben einen starken Effekt auf das Fähigkeitsselbstkonzept. Die Annahme sozialer Vergleichsprozesse wird auch genutzt, um Bezugsgruppeneffekte auf das Fähigkeitsselbstkonzept aufzuklären: Bei gleicher individueller Leistungsstärke resultieren in leistungsstarken Vergleichsgruppen niedrigere Fähigkeitsselbstkonzepte als in leistungsschwachen (vgl. Marsh & Hau, 2003), da in leistungsstarken Vergleichsgruppen selbstkonzeptabträgliche soziale Aufwärtsvergleiche (Vergleiche mit besseren Personen) wahrscheinlicher sind als Abwärtsvergleiche. Darüber hinaus gibt es auch Hinweise, dass individuell-dimensionale sowie individuell-temporale Vergleiche sich in Veränderungen des Fähigkeitsselbstkonzepts niederschlagen können (Dickhäuser & Galfe, 2004; Lüdtke & Köller, 2002).

Vergleichsprozesse als vermittelnde Mechanismen zwischen Leistung und Fähigkeitsselbstkonzept haben zur Folge, dass Fähigkeitsselbstkonzepte auch bei ein |29|und derselben Ausgangsleistung unterschiedlich ausfallen können, je nachdem, welcher Vergleichsmaßstab gewählt wird.

Dies gilt in ähnlicher Weise für Attributionen, also subjektive Ursachenannahmen einer Person, als vermittelnde Mechanismen: Ein und dieselbe erzielte eigene Leistung können sich Personen ganz unterschiedlich erklären. Je nachdem, wie die Ursachenerklärung ausfällt (ob also etwa ein Erfolg auf eigene Fähigkeiten oder auf Zufall zurückgeführt wird) fällt das Fähigkeitsselbstkonzept unterschiedlich aus (vgl. Kapitel 10).

Neben dem über Vergleichs- und Attributionsprozesse vermittelten Einfluss von Leistung auf das Fähigkeitsselbstkonzept nehmen auch die Begabungseinschätzungen durch bedeutsame Sozialisationsinstanzen (etwa die Fähigkeitseinschätzungen durch Eltern und Lehrkräfte bzw. deren Wahrnehmung durch die Person) Einfluss auf das Fähigkeitsselbstkonzept einer Person (vgl. Dickhäuser & Stiensmeier-Pelster, 2003). Dieser Effekt kommt insbesondere durch direkte und indirekte Mitteilungen von Fähigkeitseinschätzungen zustande. Unter anderem konnte in einer Reihe von Arbeiten gezeigt werden, dass Lob nach einer leichten Aufgabe, ungebetener Hilfestellung oder Mitleid nach Misserfolg vom Empfänger als Mitteilungen über niedrige...

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