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E-Book

Kursbuch 195

#realitycheck_medien

VerlagKursbuch Kulturstiftung gGmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783961960378
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Hat Marshall McLuhan noch recht? Werden alte Medien von neuen Medien nicht verdrängt? Wird das Tablet dem Radio nicht zu Leibe rücken und Youtube dem Kinofilm nichts anhaben? Oder erfassen wir den Bezugsrahmen ganz falsch und müssen die Frage auf einer grundsätzlicheren Ebene ansetzen: Was begreifen wir als Medium? #realitycheck_medien prüft nicht nur, was unsere Realität an Medien hergibt, sondern welche Medien unsere Wirklichkeit erst erzeugen. Neben Essays dieses Mal auch mit zwei Interviews: das eine mit FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube, das andere mit den SZ-Investigativreportern Frederik Obermaier und Bastian Obermayer.

Seit 2012 erscheint das Kursbuch unter der Herausgeberschaft von Armin Nassehi und Peter Felixberger. ARMIN NASSEHI (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem 'Mit dem Taxi durch die Gesellschaft', in der kursbuch.edition erschien 'Gab es 1968? Eine Spurensuche'. PETER FELIXBERGER (*1960) ist Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers. Als Buch- und Medienentwickler ist er immer dort zur Stelle, wo ein Argument ans helle Licht der Aufklärung will. Seine Bücher erschienen bei Hanser, Campus, Passagen und Murmann. Dort auch sein letztes: 'Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?'. Das Kursbuch wurde 1965 von Hans Magnus Enzensberger zusammen mit Karl Markus Michel gegründet. Als einer der wichtigsten kritischen Begleiter der bundesdeutschen Öffentlichkeit setzte die Kulturzeitschrift Themen, die sonst nicht auf der öffentlichen Agenda standen. Demgegenüber gilt es heute, im vorhandenen Themendickicht neue Schneisen zu schlagen und überraschende und ungewohnte Verbindungen herzustellen. Unter der Herausgeberschaft von Peter Felixberger und Armin Nassehi bietet das Kursbuch solche neuen unerwarteten Perspektiven an. Nicht die großen Unterschiede werden diskutiert, sondern das, was einen Unterschied macht.

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Leseprobe

Frederik Obermaier/Bastian Obermayer
» Irgendetwas stimmt da nicht!«

Ein Gespräch mit den investigativen Journalisten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer (Süddeutsche Zeitung), die im Zusammenhang mit den Panama Papers zu Weltruhm gelangten. Von Peter Felixberger und Armin Nassehi

Frederik Obermaier

»Ich komme aus der Ecke Mühldorf in Oberbayern und bin in Polling auf dem Dorf aufgewachsen. Da war naturgemäß wenig los. Das Highlight war das Maibaumaufstellen. Geredet hat man über das Wetter und die Ernte. Ich war der Einzige, der Hochdeutsch gesprochen hat. So richtig habe ich zum Dorfleben nicht dazugehört. Weshalb es mich schnell hinausgetrieben hat nach Burghausen, Altötting oder München – nach damaligem Maßstab also in die weite Welt. Nach dem Abitur habe ich Politikwissenschaft studiert und Journalistik noch dazugenommen. Ich bin in den Jemen gegangen, um Arabisch zu lernen, dann nach Südafrika zum ZDF und nach Kolumbien zum Studium. So entstand der Wunsch, Auslandskorrespondent zu werden. Nach einem Volontariat bei der Süddeutschen Zeitung bin ich in die investigative Recherche reingerutscht. Hans Leyendecker hatte einen Mitarbeiter für eine Hells-Angels-Geschichte gesucht. Nach dieser Recherche hat er mir eine Teilstelle angeboten. Seit fünf Jahren bin ich fest dort.«

Bastian Obermayer

»Ich bin aus Rosenheim, was einem lange in den Knochen steckt. Aus einer Gegend mit einem Medienmonopol, das uns als junge Leute wahnsinnig gemacht hat, weil vieles einfach nie den Weg in die Zeitung gefunden hat, wie zum Beispiel die Abhöranlagen in Bad Aibling. Ich wollte immer Fußballprofi und Schriftsteller werden, war aber für beides nicht gut genug. Dann wollte ich auf Sportjournalist umsatteln, bin aber zum Glück im SZ-Magazin gelandet, wo ich für mich das lange Reportageformat – angefangen bei den Patres im Kloster Ettal bis zu einem SS-Mörder, der an einer Massenerschießung in der Ukraine beteiligt war – entdeckt habe. Daraufhin hat mich Hans Leyendecker gefragt, ob ich nicht in die investigative Recherche wechseln wolle. So war’s.«

Kursbuch: Sie sind beide aus der Provinz in die weite Welt gezogen. Mit dem Impuls, mehr zu sehen, mehr zu erkennen, mehr wahrzunehmen, Grenzen zu überschreiten. Investigativer Journalismus bedeutet Grenzüberschreitung. Steckt dahinter mehr als ein biografischer Impuls?

Frederik Obermaier: Grenzen überschreiten ist vielleicht eine Überinterpretation. Ein Antrieb bei mir waren die Geheimnisse, die es in meiner Familie gab. Offenkundige Anhaltspunkte, über die aber nie gesprochen wurde. Meine Urgroßeltern waren Sudetendeutsche, und ich kann mich noch genau an ein Foto bei meiner Uroma erinnern, auf dem mein schon verstorbener Uropa in einer sehr dunklen Uniform zu sehen war. Niemand hat je über seine Nazivergangenheit geredet. In einem anderen Zweig der Familie wurde nie groß erzählt, wer eigentlich der Vater diverser Kinder ist. Zu wissen, wer wo herkommt, war im bayerischen Hinterland für den Umgang miteinander grundlegend wichtig. Mich hat das alles sehr früh sehr interessiert, und mit meiner Neugier bin ich natürlich ständig an Grenzen gestoßen. Das wurde mein Antrieb: nicht voranzukommen, aber zu spüren, dass da doch irgendetwas ist. Hier würde ich die Parallele zum investigativen Journalismus sehen. Oft ist der Auslöser auch hier ein diffuses Gespür, eben ein Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt. Um dem dann nachgehen zu können, braucht man natürlich die Freiheit, über Monate hinweg eine Geschichte zu recherchieren.

Kursbuch: Sie haben auf eine interessante Differenz innerhalb des Mediensystems hingewiesen, nämlich auf die zwischen Oberfläche und Tiefe. Medien beschreiben oft nur die Oberfläche. Gleichzeitig sind die Geschichten, die wir über unsere Welt erzählen, größtenteils Mediengeschichten. Das heißt: Fast nichts von dem, was wir heute wissen, ist nicht über die Medien rückbestätigt. Dekonstruieren Sie in und durch Ihre Arbeit diese medial vermittelten Oberflächenbilder?

Bastian Obermayer: Als investigative Journalisten erfüllen wir weniger eine rein beschreibende Funktion. Wenn ich als Magazinreporter jemanden begleitet habe, war es für mich klar, mehr oder weniger alles aufzuschreiben, was ich gesehen habe. Das meiste davon habe ich nicht groß hinterfragt. Ein investigativer Reporter oder eine investigative Reporterin hinterfragt dagegen ständig: Stimmt das, was mir hier erzählt wird? Sind das verlässliche Angaben? Das Hinterfragen kann natürlich auch nerven, aber bei vielen Medien geschieht genau das zu selten, oft übernehmen sie Aussagen ohne jede Prüfung auf ihren Wahrheitsgehalt. Bei Themen allerdings, die wichtig für unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben sind, braucht es diese distanziert kritische Haltung. Besonders gegenüber Menschen, die eine öffentliche Funktion innehaben und sich deshalb in der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen. Das macht den Unterschied. Wenn der Maler nebenan behaupten würde, dass er jede Form von Schwarzarbeit ablehnt, aber sonntags immer sein Arbeitszeug in den Wagen packt, hat man unter Umständen eine Vermutung, geht aber der Sache nicht weiter nach. Der Mann ist nicht so relevant, dass man sein womöglich widerrechtliches Tun öffentlich machen müsste. Wenn aber jemand, der in ein Amt gewählt wurde, Dinge tut, die nicht mit dem übereinstimmen, was er sagt – dann sind wir da und hinterfragen die Sache. Bei mir sind es übrigens weniger die Geheimnisse in der Familie als der Umstand, dass meine Mutter von München aufs Land gezogen ist, Mitte der 1980er-Jahre, also in den Zeiten von Wackersdorf. Sie war natürlich die einzige linksalternativ-grüne Frau im Dorf und für alle die »grüne Hexe«. Von ihr habe ich einen sehr ausgeprägten Sinn für Ungerechtigkeit übernommen. Franz Josef Strauß war für sie der absolute Feind. Wenn ich böse wäre, würde ich ihr unterstellen, dass sie nicht sonderlich traurig war, als er gestorben ist. Auch der Atomunfall in Tschernobyl war für uns ziemlich prägend, weil wir danach lange Zeit vieles einfach nicht mehr durften.

Kursbuch: Ein Streiter also für Gerechtigkeit?

Bastian Obermayer: Ja, mit einer wichtigen Einschränkung: Selbst wenn etwas schreiend ungerecht ist, muss man ohne Schaum vor dem Mund recherchieren und alles in Ruhe anschauen, sonst macht man Fehler. Die Wut kann nur der Antrieb sein, noch genauer zu recherchieren. Interessant übrigens, dass wir ähnliche Erfahrungen gemacht haben, Frederik – wusste ich gar nicht. Im Fußballverein musste ich Bayerisch lernen, weil ich als »Preiss« sonst nie akzeptiert worden wäre. Wenn du dich in so einer Umgebung nicht anpassen kannst, wirst du nie Teil des Ganzen werden. Trotzdem habe ich nie so richtig dazugehört. Und als ich dann später aufs Gymnasium ging, habe ich mich sogar noch weiter separiert. »Die vom Gymi« waren eben angeblich anders.

Kursbuch: Wenn man den Kontext mit der Geschichte einer anderen Person herstellt, überschreitet man dennoch eine Grenze. Nicht im Sinne einer schlichten Oberfläche, sondern als Durchdringen vielschichtiger, kontroverser und komplexer Wirklichkeiten. Wie bekommt man als investigativer Journalist überhaupt das Gefühl, dass man umfassend in die Tiefe recherchiert? Oder anders gefragt: Leidet man nicht daran, dass nur die Oberfläche angekratzt wird? Die Panama Papers blieben als riesige Datenrecherche letztlich doch auch auf der Ebene unter der eines konkreten Eindringens in die Lebenswelten der Betroffenen.

Frederik Obermaier: Das zeigt ein grundsätzliches Problem im Journalismus. Ich habe selten das Gefühl, mich mit einem Thema so weit befasst zu haben, wie ich es gerne getan hätte. Aber es ist gut, dass man irgendwann auch zur Veröffentlichung kommen soll. Sonst verliert man sich oft in Details, die für unsere Leser und Leserinnen vielleicht gar nicht so wichtig sind. Für eine Geschichte ändert es womöglich wenig bis nichts, ob eine Firma Sunshine Limited oder Sunshine LLC heißt, hinter der wiederum eine Sunshine Limited steht. Allerdings ja: Dieses Spannungsverhältnis hat man immer, nur lernt man, besser damit umzugehen. Bei den Panama Papers zum Beispiel sind wir über Monate hinweg immer wieder auf den Namen Leticia Montoya gestoßen. Der steht für eine Frau, die Zehntausende Firmen wohlgemerkt auf dem Papier leitet, darunter auch solche, die in den Siemens- oder FIFA-Korruptionsskandal verwickelt sind. Wir kannten die Frau nur vom Papier, also wollten wir genauer wissen, wer sie ist, diese Scheindirektorin – die auch noch ziemlich schlecht bezahlt wird und ganz offensichtlich gar nicht mitbekam, was sie alles unterschrieben hat. Wir sind also nach Panama gereist, in ein Fischerdorf – insgesamt sehr ärmliche Verhältnisse –, und haben versucht, mit ihr zu reden. Sie hat leider nicht in ein längeres Gespräch eingewilligt. Und mit Prominenten und Politikern ist die Kommunikation dann ohnehin nur sehr beschränkt möglich. Wir hatten beispielsweise vor einigen Jahren herausgefunden, dass der Militärstandort Rammstein eine wichtige Rolle im US-Drohnenkrieg spielt. Barack Obama hat dann bei einem Deutschland-Besuch – sozusagen in einer Kommunikation auf indirektem Wege – heraustrompetet, er hätte gehört, dass deutsche Journalisten etwas über den Drohnenkrieg verbreiten würden. Er könne dazu nur sagen, dass von Deutschland aus keine Drohnen starten würden. Aber genau dies hatten wir nie behauptet oder geschrieben. Was wir gesagt haben, war, dass hier eine...

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