Die Zeiten, in denen in der Pflege jeder alles können musste, liegen hinter uns. Eine Pflegefachkraft sollte früher ein »eierlegendes Wollmilchschwein« sein. Sie musste die Medikamentenkunde ebenso beherrschen wie die Berechnung von Insulingaben. Sie konnte Verbände und Wunden ebenso gut versorgen wie sie die Angehörigen beriet und einen demenziell veränderten Menschen nebenher liebevoll betreute. Dass sie dabei die Kosten für die Flachwäsche und das Inkontinenzmaterial im Kopf hatte, wurde einst ebenso vorausgesetzt wie die Tatsache, dass sie in der Lage war, Schüler richtig anzuleiten, das Ernährungsregime zu übernehmen und jegliche Dokumentation zu beherrschen. Nein, das geht eigentlich nicht, es ging vermutlich noch nie.
Es ist Augenwischerei zu glauben, eine einzige Person beherberge derart viele Talente: von sozialer Kompetenz über Fach- und Steuerungskompetenzen bis hin zum Krisenmanagement in Notfällen. Und wenn Einrichtungs- oder Pflegedienstleitungen meinen, genau auf solche Fachkräfte warten zu müssen, warten sie vergebens. Es mag einer unter 50 sein, der rundum alle Erwartungen erfüllen kann und zudem ein engagierter Allrounder ist.
Ausbildung hilft weiter!
Warten Sie bitte nicht, bis Sie einen Mitarbeiter finden, der all Ihren Erwartungen entspricht. Suchen Sie die Talente unter Ihrem jetzigen Mitarbeiterstab: Schaffen Sie ein Beauftragtenwesen bzw. bauen Sie Ihr bestehendes aus.
Bei anderen Arbeitsanforderungen gibt es das doch auch schon:
• Inkontinenzbeauftrage wissen um die Produktvielfalt und können entscheiden, welches Produkt für welche Situation bei welchem Pflegebedürftigen am besten passt. Nebenher behalten sie das Bestellwesen und die Kosten im Griff.
• Wundbeauftragte wissen um die Arten von Wunden und deren optimale Versorgung. Sie dienen darüber hinaus dem Arzt als kompetente Ansprechpartner und den Kollegen als Ratgeber.
• Hygienebeauftragte wissen um die Aktualität von Veröffentlichungen und Anforderungen in ihrem Bereich. Sie kontrollieren die Umsetzung von Standards und Verfahrensanweisungen und schützen so die Klienten, Mitarbeiter und die Einrichtung vor möglichen Regressansprüchen.
• Ernährungsbeauftragte haben immer eine Idee, wie man das Thema Ernährung in schwierigen Situationen anpacken kann oder wann welche Maßnahmen einzuleiten sind. Sie wissen um die ethischen Grundsätze bei Ernährungsproblemen und sind Koordinator des Netzwerkes rund um die Ernährung eines Klienten.
• Demenzbeauftragte sind Fachleute, die mit ihrem speziellen Wissen Kollegen und Angehörigen Rat geben, in Krisen intervenieren können und Menschen mit Demenz eine Perspektive geben.
Bei einem Pflegegrad-Manager sieht das Arbeitsfeld so aus:
• Sie managen den gesamten Prozess der Eingradung.
• Sie achten permanent auf mögliche Höherstufungspotenziale.
• Sie sprechen mit den Versicherten und deren gesetzlichen Vertreter, wenn es um die Beantragung bei der Pflegekasse geht.
• Sie füllen das NBI aus.
• Sie prüfen die Vollständigkeit der Dokumentation des Pflegebedürftigen.
• Sie begleiten die Gutachter bei der Eingradung.
• Sie formulieren Widersprüche, wenn es erforderlich ist.
Steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in dem Maße an, wie die GKV27 es ermittelte, so ist das Arbeitsfeld für die Pflegegrad-Manager ein Wachstumsfeld (vgl. Abbildung 3).
Abb. 3: Prognosen zur Pflegebedürftigkeit. Darstellung: GKV-Spitzenverband
Allerdings werden wir erleben, dass an anderer Stelle Kürzungen durchgeführt werden. Und die Kürzung kann bedeuten, dass Pflegegrade weniger »locker« erreicht werden als bisher. Die Eingradung geht, wie bereits beschrieben, nicht im laufenden Betrieb einfach mal nebenher, und schon gar nicht automatisch, wie einem diverse Softwarehäuser suggerieren.
Ein Beauftragtenwesen zu etablieren und konsequent zu nutzen, bedeutet
1. Arbeit,
2. Zeit und
3. Geld.
Genau diese drei Kriterien sind für Kritiker das Argument, Beauftragte erst gar nicht einzusetzen.
Achtung
Wer für kritische Bereiche keine Beauftragten einsetzt, lebt in kritischen Bereichen nur mit einem Mittelmaß an Qualität.
Die Etablierung eines Beauftragtenwesens bedeutet Arbeit, weil der Beauftragte zunächst gefunden werden (siehe Kapitel 2) und dann befähigt, das heißt geschult werden muss.
Befähigung bedeutet, sich Wissen anzueignen, Schulungen zu besuchen, Literatur zu lesen, in die praktische Übung zu kommen. Diese Schulung bedeutet für Sie als Leitungskraft bzw. Ihre Einrichtung: Sie müssen Geld investieren.
Wenn der Beauftragte gefunden und geschult ist, benötigt diese Person Zeit, um die Pflegegrade sukzessive zu durchforsten und das Verfahren zur Höherstufung zu begleiten (siehe auch Kapitel 4.3).
Gesucht werden Pflegegrad-Manager, die das Wissen und den Mut haben, das Thema Pflegegrade umfassend zu bearbeiten und zu ihrem Steckenpferd zu machen.
Das Wissen muss man sich aneignen, denn das Thema Eingradung war immer schon komplex, heute noch mehr als früher. Meines Erachtens verlangt eine umfassende Kenntnis mit Praxisübungen wenigstens eine zwei Tage umfassende Schulung, mit vertiefenden Praxisanteil gern auch drei Tage. Damit ist der Grundstein für ein solides Wissen gelegt.
Schulung schafft Wissen
Nur mit einem soliden Wissen kann der Pflegegrad-Manager ein Höherstufungspotenzial erkennen, die Begutachtung vorbereiten und begleiten sowie die notwendige Nacharbeit bis hin zum Widerspruch sinnvoll begleiten.
Doch Wissen ist nicht alles. Es muss zudem darauf geachtet werden, dass der künftige Pflegegrad-Manager auch eine entsprechende Persönlichkeit besitzt. Die Person muss in der Lage sein, jedem Gutachter Rede und Antwort zu stehen und mitunter auch Paroli (»Wo steht das?«) bieten zu können. Jedes Wissen um die Eingradung nutzt nichts, wenn es nicht angewendet werden kann, im Sinne: Was nützt ein Ferrari in der Garage, wenn niemand ihn fahren kann?
Management bedeutet Mut
Die Person des Pflegegrad-Managers ist eine Person mit Wissen und dem Mut, dieses Wissen auch anzuwenden. Sie ist organisiert, kompetent, strukturiert und besitzt ein gutes Zeitmanagement.
Wenn Sie eine solche Person gefunden und geschult haben, kann die tägliche Arbeit losgehen. Sehen wir sie uns im Detail an.
Ein Pflegegrad-Manager übernimmt die meisten Prozessschritte auf dem Weg zum richtigen Pflegegrad. Denn die »wichtigste Aufgabe des PGM ist die zeitnahe Identifikation eines voraussichtlich dauerhaft veränderten Pflege- und Betreuungsbedarfs der pflegebedürftigen Person«28:
• Wird ein neuer Klient aufgenommen, überprüft der Pflegegrad-Manager den aktuellen Pflegegrad und leitet ggf. die entsprechende Höhergruppierung ein und – wo immer möglich – begleitet er sie auch.
• Darüber hinaus durchforstet der Pflegegrad-Manager systematisch, mindestens monatlich, besser 14-tägig, alle potenziellen Höherstufungskandidaten. Das Durchforsten läuft, je nach Einrichtung, unterschiedlich.
Ein Pflegegrad-Management erfolgt immer in vier Schritten:
1. Entdecken (zeitnahe Identifikation von Veränderungen des Pflege- und Betreuungsbedarf)
2. Bewerten (Reichen die Informationen für eine erneute Begutachtung aus?)
3. Entscheiden (Unverzüglich reagieren oder zunächst abwarten?)
4. Begleiten (Begutachtungsprozess vorbereiten und begleiten)
Wird mit einer EDV-gestützten Pflegedokumentation gearbeitet, kann der Pflegegrad-Manager am Computer sitzen und die Akten nach Veränderungen durchforsten. Damit ist jede Veränderung des Gesundheitszustandes gemeint oder Krankenhausrückkehrer. Evaluierte Pflegeplanungen oder Maßnahmenpläne (Strukturmodell/SIS®) geben Hinweise auf ein mögliches Höherstufungspotenzial. Neuaufnahmen werden dem Pflegegrad-Manager direkt gemeldet, oder er erkennt sie in der Dokumentation anhand eines elektronischen Reitersystems. In der EDV kann sich der Pflegegrad-Manager also sehr schnell einen Gesamtüberblick verschaffen.
Arbeitsaufwand »Durchforstung« per EDV
Für die Durchforstung der Dokumentationen benötigt ein...