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E-Book

"Schwester, ich muss mal"

AutorEnit Reuber
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783752871043
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Ich bin Krankenschwester. Laut Fernsehprogramm organisiere ich also das Privatleben meiner Patienten, indem ich in meiner Freizeit ihre Kinder vom Drogenmissbrauch abhalte oder ihre zerrüttete Ehe rette. Des Weiteren habe ich eine Affäre mit meinem gut aussehenden Oberarzt, der sich aus Liebe zu mir seit Neuestem die Augenbrauen zupft. Ich arbeite gleichzeitig im OP, auf Intensivstation und im Kreißsaal und die Mitarbeiter des Krankenhauses sind wie eine große, glückliche Familie. Mein Dasein ist erfüllt, ich bin immer gut gelaunt und ohne mich würde die ganze Klinik zusammenbrechen. Bis auf die Tatsache, dass der Einzelne (mich eingeschlossen) gerne denkt, dass ohne ihn alles im Chaos versinken würde, stimmt nichts davon. In Wahrheit sind Krankenschwestern gereizt oder genervt und sie interessieren sich mehr für das Paarungsverhalten von Bettpfannen, als für das Privatleben ihrer Patienten. Und als Krönung bin ich auch noch Single.

Enit Reuber, Jahrgang 1978, ist von Beruf Journalistin. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt sie in Köln und widmet sich - neben ihrer Arbeit - dem Verfassen von Essays und Romanen.

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Leseprobe

Aber wenn es um die Liebe geht, sieht es plötzlich ganz anders aus. Langweilig ist der beste Freund, der schon immer in einen verliebt war. Anziehend wird dieser, wenn er mit einer anderen daherkommt. Sogar kleine Kinder erklären die Wasserpistole, die seit Jahren im Schrank vergammelt, zum Lieblingsspielzeug, wenn ein Fremder damit rumspritzen will. Wer kennt das nicht? Man befindet sich seit geraumer Zeit in einer festen Beziehung und will sich schon seit einem halben Jahr trennen. Bisher hat man aber einfach noch keine Zeit für ein klärendes Gespräch gefunden und so wartet man weiter auf den richtigen Zeitpunkt. Erst war Weihnachten, dann Jahrestag und Aschermittwoch ist auch kein geeignetes Trennungsdatum. Wenn der Andere dann seine Sachen packt, bevor man ihm gesagt hat, dass es aus ist, wird er urplötzlich wieder interessant. Schlagartig wird einem klar, dass man die Person liebt, die gerade ihr Musikinstrument aus der gemeinsamen Wohnung schleppt. Man unternimmt alles, bis der andere einlenkt. Dieser ist leicht zu überzeugen, denn wer hat schon Lust, ein Klavier aus der vierten Etage ohne Aufzug die Treppe herunter befördern? Man lebt glücklich bis zu dem Tag, an dem das mangelnde Taktgefühl des Anderen einen erneut in den Wahnsinn treibt. Schlussletztendlich trennt man sich dann doch und wo früher stolz das Klavier weilte, steht jetzt eine Stereoanlage.

Ist das Besitzerstolz, masochistisch oder einfach nur idiotisch?

Ein Oli, der sich nicht meldet, ist allemal interessanter als der gleiche Oli, dessen Anrufe ich nicht angenommen habe. Das ist total krank, aber wenigstens bin ich mir darüber im Klaren.

Ich hege den Verdacht, dass in meinem Inneren der Ehrgeiz eingezogen ist und wo er es sich schon einmal gemütlich gemacht hat, lässt sich dieses garstige Männchen nicht so schnell vertreiben. Meine Gedanken drehten sich an diesem Morgen um einen Typen, den ich eigentlich kaum kenne und der die Frechheit besitzt, mich zu ignorieren und das schon seit über zwölf Stunden. Während der Kaffee durch die Maschine läuft, stelle ich verschiedene Theorien auf, die erklären, warum Oli mich mit Nichtachtung straft. Vielleicht hat er sein Handy verloren oder sein Gedächtnis oder einfach das Interesse?

Eine Niederlage, bevor der eigentliche Kampf begonnen hat? Das ist mal etwas ganz Neues. Normalerweise lernen mich die Männer erst intensiv kennen, bevor sie beschließen, mich sitzen zulassen. In Gedanken versunken stopfe ich mein Frühstück in mich hinein. Kekse und Kaffee. So krank kann ich gar nicht mehr sein. Der Alltag hat mich wieder. Das Telefon klingelt. Endlich! Gut, dass ich die Nerven bewahrt und darauf verzichtet habe, das Fassungsvermögen von Olis Mailbox zu testen.

“Steffi, wo bleibst du?“, schallt mir eine eindeutig weibliche Stimme entgegen, die verdächtig nach meiner Kollegin Maike klingt. „Ach, du bist es nur“, antworte ich gewohnt charmant. „Was gibt's denn?“ „Was es gibt? Du hast seit ner halben Stunde Spätdienst!“ „Aber das kann doch gar nicht sein! Ich muss doch erst Freitag wieder arbeiten“, erwidere ich verdutzt. „Heute ist Freitag!“, klärt Maike mich auf „Und beeil dich, Madame Medusa hat ganz schlechte Laune!“ Oh je, ist nur ein vages Gefühl, welches mich gerade beschleicht, aber das klingt nicht gut. MEDUSA ist unsere Abteilungsleitung. Das ist eine moderne Version der früheren Oberschwester. In den goldenen Zeiten, als Krankenhäuser noch viel Geld besaßen und die Patienten noch verängstigte, zahme Schäfchen ohne jegliche Rechte waren, konnten sich die Kliniken auf jeder Station eine Oberschwester leisten. Irgendwann erfand dann ein Weltverbesserer die Menschenrechte. Das war nur der Anfang vom Ende der bis dato unangefochtenen Alleinherrschaft der Oberschwestern. Ihr strenges Regime wurde in ein kundenorientiertes umgewandelt und bewährte, platzsparende Einrichtungen wie beispielsweise Sechsbettzimmer wurden abgeschafft. Schicke Zweibettzimmer sind natürlich teuer, genau wie regelmäßige Fortbildungen zum Thema Umgangsformen. Solche Pflichtveranstaltungen finden tatsächlich in unserer Klinik statt! Gebildete, erwachsene Menschen, die im Bereich Medizin oder Pflege arbeiten, können dort lernen, dass man sich bei Patienten erst vorstellt, bevor man sie aufschneidet oder ihnen Einläufe verpasst. Darüber hinaus erfährt man, dass Hände nicht in Hosentaschen, Zimmertüren nicht zugeknallt und Patientenessen nicht in Mitarbeitermägen gehören. Auf den Gesichtern der Teilnehmer ist stets eine Mischung aus Überraschung und Entsetzen abzulesen. Die Klinik würde sicher enorme Gewinne erzielen, wenn sie das Personal bei solchen Versammlungen filmen und die Urheberrechte an private Fernsehsender verkaufen würde. Da aber das Management für solche Vorschläge zu spießig ist, kosten diese Fortbildungen nur Nerven und Geld. Heute müssen bekanntlich alle sparen und Sie werden sehr überrascht sein, wenn ich Ihnen nun verrate, dass auch unser Gesundheitssystem finanziell gesehen eher schlecht dasteht. Wo aber soll man Geld herbekommen, wenn kreative Ideen im Keim erstickt werden, man Patienten nicht beklauen und die Behandlungspreise nicht selbst festlegen darf? In unserem Krankenhaus hat sich die Führungsetage dafür entschieden, bei den Angestellten zu sparen. Die Mitarbeiterpreise in der Cafeteria wurden verdoppelt, Parkplatzgebühren für Personal eingeführt und - wo man schon einmal dabei war, die Belegschaft zu schröpfen - berechnete man den Stellenschlüssel neu. Unter anderem befand man, dass eine Oberschwester pro Abteilung völlig ausreichend ist. Kurzerhand wurden Stellen wegrationalisiert und vier Stationen unter die Leitung von Madame Medusa gestellt. In der naiven Vorstellung der meisten Menschen ist eine Oberschwester eine übergewichtige, unfreundliche und rigorose Person, die mit mittelalterlichen Methoden ihre Untergebenen tyrannisiert. Dieser Mythos ist natürlich völlig veraltet, denn es gibt viele junge, innovative und kompetente Führungskräfte in der Pflege, die ihre Mitarbeiter durch ihre freundliche Art motivieren und fördern. Medusa entspricht leider dem herkömmlichen Klischee auf der ganzen Linie. Sie überwacht penibel alle unfallchirurgischen Stationen, terrorisiert ihre Untergebenen und bei dem kleinsten Verstoß gegen diverse Auflagen droht sie mit Abmahnungen, Entlassungen oder Folter. Unpünktlichkeit kann sie übrigens gar nicht leiden.

Doch nicht nur Medusas Führungsstil soll hier besonders Erwähnung finden, auch ihre Geschwindigkeit ist bemerkenswert.

Ihre größte Spezialität ist das lautlose Anschleichen von hinten, besonders in Situation, in denen man sie am wenigsten gebrauchen kann. Trotz ihrem massiven Gewicht von geschätzten 130 Kilo kann sie größere Distanzen in einer lächerlichen Zeit überwinden und ich bin überzeugt, dass sie mich bei einem 100-Meter-Lauf locker schlagen würde. War Madame Medusa gerade noch damit beschäftigt, das Laborpersonal im Erdgeschoss zusammenzustauchen, taucht sie Sekundenbruchteile später im dritten Stockwerk auf, um in ihrer Abteilung ein neues Opfer zu finden. Ich persönlich hege ja die Vermutung, dass Medusa sich in einem Selbstversuch geklont hat und ihre Kopien an strategisch wichtigen Punkten postiert hat. Da ich diese Theorie nicht beweisen kann, glauben mir meine Kollegen leider nicht. Maike behauptet sogar, ich sei psychisch auffällig, weil ich so ungewöhnliche Ideen habe. Sie wird sich ganz schön wundern, wenn ich ihr eines Tages ein Foto präsentieren werde, welches fünf Medusas zeigt, die aufgrund meiner Enttarnung völlig überrascht in die Kamera blinzeln!

Natürlich heißt unsere geliebte und hoch geschätzte Abteilungsleitung nicht wirklich Medusa. Aber es ist schon schwierig genug, einer solch massive Erscheinung in die Augen zu sehen und Dinge wie „Aber natürlich, Frau Fleischhauer“, zu sagen. Sie aber hinter ihrem Rücken so zu nennen, entbehrt jeglicher Realität! Da sich sowohl äußerlich als auch charakterlich eine gewisse Ähnlichkeit nicht verleugnen lässt, haben wir sie nach dem Monster benannt, welches in dem Trickfilm Bernhard und Bianca den Mäusen das Leben schwer macht. Medusa ist quasi das weibliche Gegenstück von Gargamel. Wenn die beiden aufeinander treffen ist es so, als würde in einem Erdbebengebiet ein Vulkanausbruch dem obendrein tornadogeschädigten Land den Rest geben. Man stelle sich die kleine Steffi, die diesen Monat erst zum zweiten Mal zu spät kommt, zwischen diesen Naturgewalten vor und fragt sich, was wohl von ihr übrig bleiben würde.

Es ist also höchste Eile geboten, wenn ich dem Ende des Tages nicht als arbeitsloser, zerzauster Abklatsch von mir selbst begegnen will! Soweit es meiner Umwelt zuzumuten ist, verzichte ich auf kosmetische Behandlung und zerre, nach einer viel zu kurzen Dusche, die obersten Kleidungsstücke aus meinem Schrank. Hastig klettere ich in die auserwählten Klamotten und werfe aus purer Gewohnheit einen kurzen Seitenblick in den Spiegel. Hellblauer Pullover auf grün-gelb gemustertem Rock - gewagte Kombination! Zum Umziehen bleibt keine Zeit, zumal das zwanghafte „Ich verlasse meine Wohnung-Ritual“,...

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