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Kommunikation ist ein riesiger Regenschirm (Leben lernen: kurz & wirksam)

...der alles umfasst, was unter Menschen vor sich geht

AutorVirginia Satir
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2019
ReiheLeben lernen: kurz & wirksam 
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783608110869
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Sobald ein Mensch zur Welt gekommen ist, ist Kommunikation der zentrale Faktor, der über sein weiteres Leben bestimmt. Wie gut gelingt es ihm, vertraute Beziehungen zu knüpfen? Wie produktiv ist er? Kann er Sinn im Leben finden? Dieses Buch gibt Einblick in die Wirkweise von Kommunikation und vor allem, wie wir sie verbessern können, wenn wir auf diesem wichtigen Feld Defizite verspüren. Virginia Satir lädt mit vielen Übungen dazu ein, den eigenen Kommunikationsmustern auf die Spur zu kommen, doppeldeutige Botschaften zu erkennen, die eigenen Reaktionsweisen spielerisch zu verändern, um schließlich zu einem guten Interaktionsstil und zu befriedigenden Beziehungen zu finden.

Virginia Satir (1916-1988) war als Sozialarbeiterin und Dozentin für Familientherapie tätig, Mitarbeiterin an zahlreichen Kliniken und sozialpsychologischen Instituten in Kalifornien, Leiterin von Seminaren und Gruppentrainings in vielen Ländern, große therapeutische Praxis. Häufig wird sie als Pionierin der Familientherapie bezeichnet.

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Leseprobe

1. Kapitel

Kommunikation: Sprechen und Hören


In meinen Augen ist Kommunikation wie ein riesiger Regenschirm, der alles umfasst und beeinflusst, was unter menschlichen Wesen vor sich geht. Sobald ein Mensch zur Welt gekommen ist, ist Kommunikation der einzige und wichtigste Faktor, der bestimmt, welche Arten von Beziehungen er mit anderen eingeht und was er in seiner Umwelt erlebt.

Wie er zurechtkommt mit seinem Leben, wie er vertraute Beziehungen knüpft, wie produktiv er ist, wie er einen Sinn findet, wie er mit seinem persönlichen Gott verbunden ist, all dies hängt weitgehend von seinen Kommunikationsfähigkeiten ab.

Kommunikation ist der Maßstab, mit dem zwei Menschen gegenseitig den Grad ihres Selbstwerts messen, und sie ist auch das Werkzeug, mit dem dieser Grad für beide geändert werden kann. Kommunikation umfasst alle Möglichkeiten, mit denen die Menschen Informationen hin und her senden; sie umfasst die Nachricht, die sie geben und empfangen, und die Weise, wie von dieser Nachricht Gebrauch gemacht wird. Zur Kommunikation gehört auch, wie die Menschen diese Nachricht mit einer Bedeutung versehen. Jede Art der Kommunikation ist erlernt. Wenn wir fünf Jahre alt sind, haben wir wahrscheinlich eine Million Erfahrungen gemacht, was die Kommunikation anbelangt. Bis zu diesem Alter haben wir Ideen darüber entwickelt, wie wir uns selbst sehen, was wir von anderen erwarten können und was uns in der Welt als möglich oder unmöglich erscheint. Wenn wir keine überaus ungewöhnlichen Erfahrungen haben, werden jene Ideen zu festen Führern für den Rest unseres Lebens werden.

Sobald einer merkt, dass seine ganze Kommunikation erlernt ist, kann er sich daranmachen, sie zu ändern, wenn er es will. Zum besseren Verständnis sei daran erinnert, dass jedes Baby, das zur Welt kommt, nur mit Rohmaterialien kommt. Es hat keine Konzeption von sich selbst, keine Erfahrung in der Interaktion mit anderen und keine Erfahrung darin, was es mit seiner Umwelt anfangen kann. Es lernt all das durch die Kommunikation mit den Menschen, die von seiner Geburt an für es verantwortlich sind. Zuerst möchte ich die Bestandteile der Kommunikation in Erinnerung bringen. Zu jedem Zeitpunkt, ausgenommen bei Blindheit und Taubheit, bringt jeder die gleichen Bestandteile zu seinem Kommunikationsprozess mit.

Er bringt seinen Körper mit, der sich bewegt und Form und Gestalt hat.

Er bringt seine Werte mit, jene Konzepte, die zeigen, wie er versucht zu überleben und das »richtige« Leben zu leben (seine »Sollte« und »Müsste« für sich selbst und andere).

Er bringt seine Erwartungen an den Augenblick mit, die aus vergangenen Erfahrungen gesammelt sind.

Er bringt seine Sinnesorgane mit, Augen, Ohren, Nase, Mund, Hand, Haut, die es ihm ermöglichen zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu riechen, zu berühren und berührt zu werden.

Er bringt seine Fähigkeit zu sprechen mit, seine Worte und seine Stimme.

Er bringt sein Gehirn mit, welches das Lagerhaus seines Wissens ist, es umfasst das, was er aus vergangener Erfahrung gelernt hat, was er gelesen hat und was ihm beigebracht wurde.

Kommunikation gleicht einer Filmkamera mit Ton. Sie arbeitet nur in der Gegenwart, ganz hier und jetzt, zwischen dir und mir.

Sie arbeitet folgendermaßen: Du bist mir gegenüber. Deine Sinne nehmen auf, wie ich aussehe, wie meine Stimme klingt, wie ich rieche, was du, falls du mich zufällig berührst, fühlen kannst. Dein Gehirn berichtet dann, was dies für dich bedeutet, indem es sich auf deine vergangene Erfahrung stützt, besonders auf die, die du mit deinen Eltern und anderen Autoritätspersonen gemacht hast, auf das, was du aus Büchern gelernt hast, und auf deine Fähigkeit, diese Information zu gebrauchen, um die Nachricht aus deinen Sinnen zu deuten. Je nachdem, was dein Gehirn berichtet, fühlst du dich wohl oder unwohl, ist dein Körper entspannt oder gespannt.

Unterdessen geht in mir etwas Ähnliches vor. Auch ich sehe, höre, fühle etwas, denke etwas, habe eine Vergangenheit, habe Werte und Erfahrungen, und mein Körper tut etwas. Du weißt nicht genau, was ich begreife, was ich fühle, welches meine Vergangenheit ist, welche Wertvorstellungen ich habe, was mein Körper nun gerade tut. Du hast nur Vermutungen und irgendwelche Vorstellungen von mir und ich ebenso von dir. Wenn diese Vermutungen und Vorstellungen nicht überprüft werden, werden sie zu »Tatsachen«, und als solche können sie zu Fallen werden oder sogar zum Bruch führen.

Um die Nachricht aus den Sinnesorganen, deren gedankliche Interpretation und die sich daraus ergebenden Empfindungen und Empfindungen über die Empfindungen zu illustrieren, müssen wir Folgendes erwägen:

Ich stehe dir gegenüber; du bist ein Mann. Ich denke: »Deine Augen liegen sehr weit auseinander, also musst du ein tiefer Denker sein.« Oder: »Du hast lange Haare, also musst du ein Hippie sein.«

Um dem, was ich sehe, eine Bedeutung zu geben, ziehe ich meine Erfahrung und mein Wissen hinzu; und das, was ich mir selbst sage, beeinflusst mich, gewisse Empfindungen über mich und über dich zu haben, noch bevor ein Wort gesprochen ist.

Wenn ich mir z. B. sage, du bist ein Hippie und ich mich vor Hippies fürchte, dann könnte ich Furcht in mir selbst und Ärger über dich empfinden. Ich würde vielleicht aufstehen und diese Schrecken erregende Situation verlassen, oder ich könnte dich schlagen. Vielleicht würde ich mir sagen, du sähest wie ein Intellektueller aus. Da ich intelligente Leute bewundere und ich merke, dass du mir ähnlich bist, könnte ich eine Konversation mit dir anfangen wollen. Falls ich mir andererseits selbst dumm vorkomme, würde ich mich, da ich dich ja für einen gelehrten Kopf halte, meiner selbst schämen. Dann würde ich meinen Kopf senken und käme mir unzulänglich vor.

Inzwischen machst du dir auch ein Bild von mir und versuchst, mich zu begreifen. Vielleicht riechst du mein Parfüm, kommst zu der Überzeugung, ich sei eine Nachtclubsängerin, was dir anstößig vorkommt; darauf kehrst du mir den Rücken zu. Andererseits lässt dich vielleicht mein Parfüm zu der Überzeugung gelangen, ich sei ein ordentliches Mädel; und dann würdest du bestimmt versuchen, irgendwie mit mir in Kontakt zu kommen. Wieder findet all dies im Bruchteil einer Sekunde statt, noch bevor irgendetwas gesagt ist.

Ich habe eine Reihe von Spielen oder Übungen entwickelt, die zur Vertiefung des Bewusstseins und der Wertschätzung von Kommunikation beitragen können; in diesem Kapitel liegt dabei das Schwergewicht auf Sehen, Hören, Aufpassen, Verstandenwerden und Verstehen.

Am besten versucht man diese Spiele mit einem Partner. Wählen Sie irgendein Familienmitglied. Wenn niemand sich so frei fühlt, sich Ihnen anzuschließen, dann versuchen Sie es allein in Ihrer Vorstellung, aber jeder, der an diesen Übungen teilnimmt, wird lernen und wachsen.

Setzen Sie sich Ihrem Partner direkt gegenüber, aber nahe genug, um ihn leicht berühren zu können. Vielleicht irritiert Sie diese Aufforderung oder sie ist Ihnen unangenehm – versuchen Sie trotzdem weiterzumachen, und sehen Sie, was geschieht.

Stellen Sie sich nun vor, Sie sind zwei Personen, wobei jeder von Ihnen mit einer Kamera ausgerüstet ist und den anderen fotografiert. So ist es nämlich, wenn zwei Personen sich gegenüber sind. Da können noch andere Leute anwesend sein, aber in jedem Augenblick können sich nur zwei Leute genau gegenüber sein. Ein Bild muss entwickelt werden, damit man sehen kann, was tatsächlich fotografiert wurde. Die Menschen entwickeln ihre Bilder im Gehirn, das sie interpretiert, und dann wissen sie ›vielleicht‹, was das Bild bedeutet.

Lehnen Sie sich zuerst bequem auf Ihrem Stuhl zurück und schauen Sie die Person vor Ihnen nur an. Vergessen Sie, was Mutter oder Vater sagten, z. B. dass es unhöflich ist, jemanden anzustarren. Erlauben Sie sich das Vergnügen, den Partner genauestens anzusehen. Achten Sie darauf, was die Augen, die Augenlider, Augenbrauen, Nasenlöcher, Gesichts- und Halsmuskeln tun und wie sich die Haut verfärbt. Wird sie rötlich, rot, weiß, blau? Betrachten Sie aufmerksam den Körper, seine Größe, Form und Kleidung. Und Sie werden sehen können, wie der Körper sich bewegt, was Arme und Beine tun und wie die Haltung des Rückens ist. Machen Sie das etwa eine Minute lang und schließen Sie die Augen. Achten Sie darauf, wie klar Sie Gesicht und Körper dieser Person innerlich (wörtlich: mit Ihrem geistigen Auge) sehen...

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