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E-Book

Gaddafis Rache

Aus dem Tagebuch einer Geisel

AutorMax Göldi
VerlagWörterseh Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl624 Seiten
ISBN9783037637616
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Am 15. Juli 2008 wurde Hannibal Gaddafi, Sohn des damaligen libyschen Diktators Muammar Gaddafi, in Genf vorübergehend in Haft genommen. Der Vorwurf: Er und seine Frau hätten ihre Bediensteten misshandelt. Der Gaddafi-Clan sah dadurch seine Familienehre beschmutzt und begann einen unerbittlichen Rachefeldzug gegen die Schweiz, der zwei Jahre dauern und in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Um der Schweizer Regierung Zugeständnisse abzupressen, nahm das libysche Regime den Schweizer Max Göldi und den schweizerisch-tunesischen Doppelbürger Rachid Hamdani in Haft. Nun erzählt Max Göldi von den schwierigen, nervenraubenden, bizarren und völlig absurden Irrungen und Wirrungen, die sein Leben zur Hölle machten. Er erzählt von immer wieder zerstörten Hoffnungen und großen Ängsten, davon, wie er sich während seiner Haft den sich ständig verändernden Lebensumständen anpassen musste, vom Überleben in libyschen Gefängnissen, von Entführung, Einzelhaft, Lösegeldforderungen, Willkür und kafkaesken Schauprozessen. Er weiht uns in Fluchtpläne ein, erinnert sich an boshafte Mitmenschen, überforderte Beamte, schillernde Vermittler und standfeste Diplomaten. Und daran, wie es war, als er am 14. Juni 2010 in Begleitung der damaligen Außenministerin Micheline Calmy-Rey in der Schweiz landete und endlich seine Frau wieder in die Arme schließen konnte.

Max Göldi, geb. 1955, arbeitete nach seiner Lehre als Elektroniker und einem abgeschlossenen Informatikstudium beim weltweit operierenden Technologiekonzern ABB. Für diesen war er nicht nur in der Schweiz, sondern auch in verschiedenen Positionen im Ausland tätig. So zum Beispiel in Irak, Pakistan, Kanada, China, Libyen und Japan. Während seines Einsatzes als ABB-Länderverantwortlicher für Libyen wurde er vom Gaddafi-Clan fast zwei Jahre lang als Geisel festgehalten. Heute ist er pensioniert und lebt in Asien.

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Im Visier des Gaddafi-Clans


Samstag, 19. Juli 2008


Ahmed Sharata, mein Stellvertreter, ruft an und informiert mich, dass die für Firmenregistrierungen zuständige Behörde um ein Uhr zu einer wichtigen Besprechung in unser ABB-Büro in Tripolis kommen wird. Hausbesuche dieser Behörde sind völlig unüblich, und zudem ist ja Wochenende und die Büros dieser Behörde sind eigentlich heute geschlossen. Was kann wohl so dringend sein? Im vergangenen Jahr hatten wir intensiven Kontakt mit dieser Behörde, da wir für die ABB-Gruppe nicht nur eine sogenannte Repräsentanz (auf Englisch »representative office«) neu registriert hatten, sondern auch langwierige Verhandlungen für die Eröffnung einer Niederlassung für ABB Italien führten.

Ahmed Sharata und Shebani Hadi1, der in meinem Team für »Behörden-Kontakt« zuständig ist, warten schon auf mich, als ich beim ABB-Büro vorfahre. Pünktlich erscheinen drei Behördenvertreter. Das ist äußerst bemerkenswert, denn Pünktlichkeit ist in Libyen ein Fremdwort. Zwei der Besucher tragen Uniform, und einer ist in Zivilkleidung. Sie präsentieren eine Liste mit fünf Dokumenten, die wir haben sollten, um unsere Repräsentanz zu betreiben. Ahmed und Shebani Hadi können vier der verlangten Dokumente vorlegen, das fünfte ist ihnen jedoch völlig unbekannt und demzufolge auch nicht vorhanden. Der Beamte in Zivil ist überhaupt nicht überrascht, dass wir das fünfte Dokument nicht haben. Ganz offensichtlich hat er genau das erwartet. Er sagt, da wir nicht alle notwendigen Bewilligungen hätten, müsse er unser Büro umgehend schließen, und wir dürften das Gebäude nicht mehr betreten. Zum Glück lässt er mich aber mein Notebook und ein paar Unterlagen aus meinem Büro holen, bevor er die Haupteingangstür versiegelt.

Wir sind ziemlich überrumpelt und ratlos. Ahmed, mein Stellvertreter, vermutet, dass die Firmenschließung mit der Verhaftung von Hannibal in Genf zusammenhängt. Wurde tatsächlich die ABB-Repräsentanz deswegen dichtgemacht? Heute können wir in dieser Angelegenheit nichts weiter unternehmen, deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Ich informiere aber Liliana Pescini, die Schweizer Vizekonsulin in Libyen, und Gian Francesco Imperiali, meinen direkten Vorgesetzten, der sein Büro in Mailand hat. Zudem informiere ich diverse ABB-Kollegen, die entweder in Libyen arbeiten oder sonst geschäftlich mit Libyen zu tun haben.

Abends um zehn Uhr klingelt die Hausglocke. Ein Polizeiauto und drei Uniformierte von der Einwanderungsbehörde stehen vor dem Eingangstor. Sie wollen mich zur Befragung mitnehmen. Zu dieser späten Stunde? Nun, Libyer sind ausgesprochene Nachtmenschen, und vieles wird spätabends erledigt. Auch Kundenmeetings hatten wir schon mitten in der Nacht. Vom Gartentor aus rufe ich den Schweizer Konsul, Frédéric Schneider2, an. Er kann mir keinen brauchbaren Ratschlag geben, lässt aber immerhin Hassan, den Übersetzer der Botschaft, mit den Polizisten sprechen. Danach rufe ich auch noch Ahmed Sharata an und bitte ihn, mit den Polizisten zu verhandeln. Die lassen sich aber nicht umstimmen und werden langsam ungeduldig. Es ist offenbar nichts zu machen, und ich muss mitgehen. Ich ziehe mich um, nehme wie verlangt meinen Pass mit und verabschiede mich von Yasuko, meiner Frau.

Wir fahren zu einer Polizeistation der Einwanderungsbehörde in der Nähe der Altstadt. Vom Auto aus rufe ich Ahmed an. Er hat aber schon mitgekriegt, wo ich hingebracht werde, und ist sogar schon dort, als wir ankommen. Zum Glück weiß jetzt wenigstens jemand, wo ich bin! Ahmed darf aber das Gelände der Polizeistation nicht betreten. Die Polizisten lassen mich etwa eine Stunde im Auto warten, bevor ich ins Gebäude gebracht werde. Dort muss ich den Pass abgeben, und dann werde ich befragt: Name von Vater, Mutter, Großvater, Einreisedatum, Wohnadresse, wo ich arbeite und so weiter und so fort. Nach der Befragung muss ich Mobiltelefon und Gurt abgeben, danach werde ich in eine Zelle gebracht. Dort ist das Licht an, eine Klimaanlage läuft, und es gibt vier Metallbettgestelle mit dünnen Matratzen. Drei der Betten sind bereits belegt. Zwei der Häftlinge schlafen, der dritte ist wach und recht gesprächig. Er ist aus Indien und arbeitet für die Genfer Firma P & S Products and Services SA, die medizinische Geräte vertreibt. Auch diese Firma wurde heute durch die libyschen Behörden geschlossen. Der Inder sagt, dass die zwei schlafenden Zellengenossen auch beide für Schweizer Firmen arbeiten würden. Der eine ist Bulgare und arbeitet als Wächter. Der andere heißt Rachid Hamdani und ist tunesisch-schweizerischer Doppelbürger. Ahmed hatte wohl recht, es sieht tatsächlich so aus, als hätten die Firmenschließungen und die Verhaftungen mit dem Hannibal-Vorfall in Genf zu tun. Die Beziehung Schweiz–Libyen war in den letzten Jahren eigentlich gut, und ich bin zuversichtlich, dass die Schweiz umgehend alles Notwendige in die Wege leiten wird, um die aufgebrachten Libyer baldmöglichst zu beschwichtigen.

Sonntag, 20. Juli 2008


Ich habe ein wenig geschlafen, obwohl das Bett ziemlich durchhängt und es recht kalt ist. Wir dürfen die Toilette neben unserer Zelle benutzen. Um zehn Uhr werden mein Zellengenosse Rachid Hamdani und ich ins Verhörzimmer gebracht. Rachid bekommt seinen Gurt, meiner ist nicht mehr auffindbar. Wir steigen in ein Polizeifahrzeug und fahren sogleich los. Vor der Polizeistation steht Ahmed. Guter alter Ahmed! Seine Anwesenheit macht mir etwas Mut in dieser ungemütlichen Situation. Ich kann ihm gerade noch zurufen, dass wir jetzt zum Richter fahren. Tatsächlich fahren wir aber zu einem anderen Polizeiposten. Dort will man mit uns aber nichts zu tun haben.

Unsere zwei Polizisten sind offensichtlich etwas ratlos, aber nach etwa einer Stunde fahren wir weiter. Rachid erweist sich als große Hilfe, da er vom Arabischen ins Englische übersetzt und mich so auf dem Laufenden halten kann. Unsere nächste Destination ist ein Gerichtsgebäude »für kleine Fälle«, wie Rachid sagt. Kleine Fälle? Klingt doch irgendwie beruhigend! Dort angekommen, stehen wir lange im Korridor herum. Dann erscheint plötzlich Rachids kleine Truppe: Nadia, die Frau von Rachids Neffen Sami, ein Mitarbeiter von Rachids libyscher Firma sowie der Anwalt dieser Firma. Rachid sagt, sein Geschäftspartner sei der Waadtländer Geschäftsmann Jean-Miguel Stucky.

Es kommt mir wie ein kleines Wunder vor, dass Rachids Leute uns hier aufgespürt haben, denn Ahmed hat unsere Fährte inzwischen offenbar verloren. Ich bitte Nadia, die Schweizer Botschaft anzurufen und dort mitzuteilen, wo wir sind. Rachid und ich werden nun in eine große Zelle mit etwas über zehn Häftlingen gebracht. Es ist sehr schmutzig, und es hat nur wenige Sitzgelegenheiten. Einige der Zellengenossen waren offenbar in einen Unfall oder eine schlimme Schlägerei verwickelt, denn sie haben Kopfverbände, tragen blutverschmierte Kleider und halten Röntgenbilder sowie Tüten mit Medikamenten in den Händen. Gott sei Dank werden wir nach einer Stunde wieder abgeholt. Offenbar fühlt sich auch dieses »Gericht für kleine Fälle« nicht zuständig für uns.

Jetzt fahren wir zu einem Richter in der Nähe des Gargaresch-Kreisels im Westen der Stadt. Völlig unerwartet bringt uns Nadia Essen, aber wir haben keinen Hunger. Wir vereinbaren, dass Rachids Rechtsanwalt auch mich vor Gericht vertreten wird. Aber es kommt nicht so weit, denn es ist inzwischen drei Uhr nachmittags und somit Feierabend. Wir fahren zurück zur altbekannten Polizeistation. Rachid ist sehr deprimiert. Zurück in unserer Zelle, haben wir nun einen fünften Mithäftling. Es ist ein Libyer, der für Luc Tissot arbeitet. Ich kenne Luc, ein Sprössling der Gründerfamilie der bekannten Schweizer Uhrenmarke Tissot. Also schon wieder eine Schweizer Firma, die geschlossen und versiegelt wurde und deren Angestellter verhaftet wurde! Am Abend wird der Libyer dann aber weggebracht, und somit muss keiner von uns sein Bett mit ihm teilen. Rachid ist sehr niedergeschlagen. Zum Glück kann ich etwas schlafen.

Montag, 21. Juli 2008


Die Polizisten lassen uns lange warten, bis wir endlich einer nach dem anderen auf die Toilette dürfen. Um zehn Uhr geht es dann aber wieder los für Rachid und mich. Auf zum Richter beim Gargaresch-Kreisel! Dort angekommen, treffen bald schon Rachids tunesische Familienangehörige und sein Rechtsanwalt ein. Kurz danach kommt auch Ahmed, mein Stellvertreter. Im Schlepptau hat er Nour Salam3, den Anwalt von ABB. Während wir warten, treffen der Schweizer Konsul Frédéric Schneider und Yasuko ein. Wir können zwar nur kurz miteinander sprechen, doch meine Frau wirkt gefasst. Sie wohnt seit Samstagabend mit allen anderen Schweizern in der Botschaft.

Der ABB-Anwalt Nour Salam und ich werden zuerst zum Richter vorgelassen. Der Fernseher ist eingeschaltet. Steht ein Fernseher in einem libyschen Büro, bedeutet dies, dass es der Arbeitsplatz einer wichtigen Person ist. Während Besprechungen Trickfilme zu schauen, ist hier nichts Ungewöhnliches. Da ich kein Arabisch kann, wird die Anhörung unterbrochen und Rachids Fall vorgezogen. In der Zwischenzeit verlangt Anwalt Salam von Ahmed relevante Firmenregistrierungsunterlagen, und ich bitte Yasuko, einen bestimmten Ordner mit Geschäftsunterlagen aus...

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