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Warum schaust du dir so etwas an?

Eine empirische Untersuchung zur Rezeption von Horrorfilmen

AutorBenjamin Ressel
VerlagBundeslurch Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783963506123
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Warum schaust du dir so etwas an?' Mit dieser Frage werden Rezipient*innen von Horrorfilmen immer wieder konfrontiert. In einer Gesellschaft, die auf einem friedvollen und solidarischen Miteinander beruht, wirkt es absurd, sich an Gewalt und dem Leid anderer zu erfreuen - so zumindest der implizite Vorwurf. Mit dieser Arbeit wollte ich nicht nur theoretische Antworten finden, sondern auch die Rezipient*innen von Horrorfilmen selbst zu Wort kommen lassen. Es wurde eine Online-Befragung mit 1318 freiwilligen Teilnehmer*innen durchgeführt, deren Ergebnis hier ausgewertet und vorgestellt wird - und sicherlich einige überraschende Antworten bereithält.

Benjamin Ressel wurde im Juni 1990 im thüringischen Saalfeld (Saale) geboren. Er besuchte ein humanistisches Gymnasium in Kassel und absolvierte dort 2010 sein Abitur. 2015 folgte der Bachelorabschluss in Germanistik mit dem Nebenfach Philosophie. Seitdem arbeitete er nebenberuflich zum Masterstudium als Lektor, Korrektor und Autor, gründete und leitete auch ein Onlinemagazin für Autor*innen, bis er im Sommer 2018 seinen Masterabschluss (Master of Arts) in Germanistik erlangte.

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Leseprobe

2.Definition


Im folgenden Kapitel wird es darum gehen, den allgemeinen Begriff Horror, Horror als allgemeines Genre und Horrorfilm im Unterkapitel als Arbeitsbegriff im Rahmen dieser Arbeit zu definieren. Ziel soll zunächst die Erarbeitung einer Definition von Horror sein, die für Horrorliteratur, -Filme bis hin zu -Computerspielen Gültigkeit haben kann, aber sich vor allem auf Horrorfilme und -literatur, den beiden wichtigsten Horrormedien, bezieht. Darauf aufbauend werden dann weiterführende spezifische Merkmale des Horrorfilms aufgezeigt. Die Unterkapitel zum Horrorfilm zeigen filmtechnische Aspekte, wiederkehrende Handlungsorte, Arten von Protagonist*innen, Antagonist*innen und Nebencharakteren sowie Subgenres.

2.1Was ist Horror?

Der Begriff Horror leitet sich aus dem lateinischen Substantiv horror ab, das mit Schauer, Grauen oder Entsetzen übersetzt werden kann.[12] Kaum ein allgemeines Literatur- oder Kulturlexikon setzt sich mit dem Begriff Horror beziehungsweise Horrorliteratur auseinander, und wenn, dann oft in nicht neutraler, um Objektivität bemühter Weise. So beschreibt zum Beispiel von Wilpert im Sachwörterbuch der Literatur die Horrorliteratur folgendermaßen: »Sammelbz. für lit. Werke aller Gattungen, die betont Unheimliches, Entsetzliches und Gräßliches darstellen und damit nicht mit dem Abscheu, sondern der primitiven Sensationsgier der Leser rechnen«.[13] Im Rahmen der Recherche fand sich nur im Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart ein neutraler und ausführlicher Eintrag zu Horrorliteratur, das Handbuch der literarischen Gattungen kennt lediglich den historischen Vorläufer Schauerroman und Der Brockhaus, Literatur beschreibt Horrorliteratur nur als »literarische Werke aller Gattungen, die Unheimliches, Verbrechen und andere Entsetzen oder Abscheu erregende Gräueltaten und Zustände gestalten«,[14] Deswegen ist es an dieser Stelle nötig und sinnvoll, auch populärwissenschaftliche beziehungsweise Definitionen aus essayistischen Texten zu berücksichtigen, um so mit Hilfe mehrerer bedingt wissenschaftlicher Quellen eine intersubjektive und damit zumindest relativ allgemeingültige Definition herauszuarbeiten.

Erwähntes Lexikon von Metzler definiert Horrorliteratur als »ein nur unscharf begrenzbares literarisches Genre«,[15] bei dem »die Verarbeitung kollektiver, individueller und sexueller Ängste im Vordergrund«[16] steht. Formal-ästhetisch zeigt Horrorliteratur »das Bizarre, Grausame und Blutige, oftmals versetzt mit einer gewissen humoristischen Note und berücksichtigt in verstärktem Maße trivial- und populär-kulturelle Bereiche«.[17] Außerdem betont der Artikel die Wechselwirkung zwischen Horrorfilm und -literatur.[18]

Das Horror-Lexikon definiert Horror als Kunstform folgendermaßen im Vorwort:

All die Geschichten, Filme und Bilder, die das Horrorgenre ausmachen, bemühen sich einzig darum, ob in Schrift, Bild oder Ton, einen Ausschnitt der Hölle abzubilden. […] Es ist das Allgemeingültige des Schreckens, Urängste, Zivilisationsängste, die Faszination von Eros und Thanatos, das kollektive Gefühl der Angst, in dem gewisse Personen jene zahllosen Geschichten, Bilder und Filme zu sehen, niederzulegen vermögen [sic].[19]

Aber als Lexikon-Eintrag später im Werk:

Mit Horror wird das Schreckliche, Entsetzliche und Angsteinflößende an sich bezeichnet, das oftmals auch zentraler Gegenstand der Literatur und des Films wird und somit die Kategorien Horrorfilm und Horrorliteratur formt. Die Freude des Konsumenten am Horror wird dabei oft als Bewältigung eigener Ängste und durch literarisch resp. filmisch dargelegte gesehen.[20]

Baumann definiert Horror folgendermaßen:

Die Absicht der Horrorwerke ist es demgegenüber, beim Rezipienten Empfindungen von Angst, Grauen, Ekel oder Abscheu zu erwecken. Da aber niemand, der nicht geistig erheblich gestört ist, freiwillig und wiederholt etwas rezipieren würde, das nur solche Empfindungen auslöst, müssen die beschriebenen Personen, Wesen, Sachverhalte und Handlungen in einer Weise dargestellt sein, die einen – wie auch immer – lustvollen Umgang mit ihnen erlaubt. Diese Lust folgt nun nicht – wie die Kritiker allzu kurzschlüssig voraussetzen – aus der perversen Befriedigung an dem Leid, das anderen zugefügt wird, sondern daraus, was uns diese fiktionalen Beschreibungen über die wirkliche Welt und unsere Stellung darin lehren.[21]

King gibt keine fest gefügte Definition von Horror in Danse Macabe, aber ein paar Grunddaten und Eckpfeiler vor, die aufgrund der hohen Relevanz des Werkes für die Kulturforschung – im Laufe der Recherche hat sich ergeben, dass sich die meisten späteren Autor*innen auf King beziehen – hier nicht unbeachtet bleiben sollten. Zunächst erwähnt King die Flucht in Fantasieschrecken, die im Horror erzeugt werden, vor den realen Schrecken.[22] Werke des Horrorgenres funktionieren nach ihm immer auf zwei Ebenen: Die erste Ebene ist die des Anwiderns mit mehr oder weniger künstlerischer Finesse; er gibt hier jedoch keine Erklärung, was der Sinn dieses Anwiderns ist, sondern stellt nur fest, dass es diese Ebene immer im Horror vorhanden sei. Die zweite Ebene nennt King den »phobischen Druckpunkt«.[23] Er definiert ihn folgendermaßen:

Ist Horror Kunst? Auf dieser zweiten Ebene kann ein Horrorwerk nichts anderes sein; es erreicht die Ebene der Kunst einfach dadurch, dass es nach etwas jenseits der Kunst sucht, etwas, was vor der Kunst existierte: Es sucht nach etwas, das ich phobische Druckpunkte nennen möchte. Eine gute Horrorgeschichte wird sich ins Zentrum Ihres Lebens tanzen und die Geheimtür finden, das – wie Sie glaubten – außer Ihnen keiner kennt. Sowohl Albert Camus wie auch Billy Joel haben darauf hingewiesen, dass uns Der Fremde nervös macht …, aber im Geheimen möchten wir uns gern an seine Stelle versetzen. […] Weil Bücher und Filme Massenmedien sind, war das Horror-Genre im Verlauf der zurückliegenden dreißig Jahre häufig imstande, Besseres zu leisten, als nur persönliche Ängste anzusprechen. In diesem Zeitraum (und zu einem geringeren Ausmaß auch in den etwa siebzig Jahren davor) war das Horrorgenre häufig auch imstande, nationale phobische Druckpunkte zu finden, und die Bücher und Filme, die am erfolgreichsten waren, spielen scheinbar fast immer mit jenen Ängsten und drücken jene Befürchtungen aus, die in einem breiten Bevölkerungsspektrum existieren. Solche Ängste, die häufig eher politischer, wirtschaftlicher oder psychologischer statt übernatürlicher Natur sind, verleihen den besten Horrorwerken einen angenehm allegorischen Hauch – und es ist die Allegorie, in der die meisten Filmemacher zu Hause zu sein scheinen.[24]

Das Zitat wurde deswegen in dieser Länge wiedergegeben, um den Begriff phobischer Druckpunkt in seiner bei King etwas ungenauen Komplexität verständlich zu machen. King betont in Danse Macabre immer wieder die sozial-historische Abhängigkeit des Genres.[25]

Künstlerisch-ästhetisch führt King drei Arbeitsweisen- oder Ebenen des Horrorgenres ein: Schrecken, Horror (im Sinne von Entsetzen, welcher Ausdruck im Folgenden zur besseren Abgrenzung zum Genre Horror benutzt wird) und Ekel.[26] An dieser Stelle ist bei King nicht ganz deutlich, wie sich die beiden Ebenen-Einteilungen genau zueinander verhalten. Nach der Lesart dieser Arbeit sind das Anwidern und der phobische Druckpunkt die Ziele der Produzent*innen, die sie bei den Rezipient*innen auslösen wollen, während das Bewirken von Schrecken, Entsetzen und Ekel die künstlerisch-ästhetischen Mittel dafür sind. Logischerweise sollte hier Ekel mit Anwidern korrelieren, während Schauer und Entsetzen zur Erzeugung von phobischen Druckpunkten gehören, auch wenn King diese Zuordnung nicht macht. Vossen baut aus den drei Begriffen in Bezug auf King eine Art Eskalations-Skala zur Bemessung der Heftigkeit von Horrorfilmen,[27] was im nächsten Unterkapitel näher erläutert wird und King nicht tut. An dieser Stelle scheint es sinnvoll, zunächst Schrecken, Entsetzen und Ekel nach King zu definieren. Schrecken ist das nicht Sichtbare, Offensichtliche, was Angst[28] verursacht; der Teil von Horror, der im Verstand durch Imagination entsteht....

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