Hauptteil: Historische und theoretische Aspekte des religiösen Taoismus
Die Grundlagen im religiösen Staatskult, geographische und kosmische Determinanten
Das religiöse Leben in den Epochen der Ch’in-Dynastie (255-208 v.Chr.) und Westlichen Han-Zeit (206 v.Chr.-23 n.Chr.) war im Bereich der staatlichen Administration wesentlich vom Ahnenkult des herrschenden Klans bestimmt, verbunden mit der Verehrung von Natur- und Sterngottheiten.21 War in der Antike der oberste Ahn des Herrscherhauses schließlich zum Gottahn (shang-ti) aufgestiegen, so wurde unter den Chou-Herrschern ab 1122 v.Chr. allmählich die oberste religiöse Autorität der vorhergehenden Herrschaft durch den Begriff des Himmels (t’ien) ersetzt, dessen Gesetzmäßigkeit im natürlichen Weltgefüge und seiner Ordnung (tao oder t’ien-tao) erkennbar ist. Dies erforderte z.B. rituelle Verhaltensweisen des Kaisers, des »Sohns des Himmels« (t’ien-tzu), die diejenigen emblematischen Zahlenkategorien praktisch realisierten, welche die Weltordnung beschrieben. Es sei bemerkt, dass der erste Kaiser der Ch’in (Ch’in Shih Huang-ti) sogar mit dem Titel »Erhabener Gottkaiser« (Huang-ti) eine im religiösen Sinne gottähnliche Position für sich selbst in Anspruch nahm. Die rituell relevanten Zahlenkategorien sollen jedenfalls in den antiken magischen Diagrammen Ho-t’u und Lo-shu enthalten sein.22 Der Kaiser hatte den Jahreszeiten entsprechend zu handeln, denn Verfehlungen im angemessenen rituellen Verhalten wurden für Naturkatastrophen und anderes Unglück verantwortlich gemacht. So hielt er im Sommer zu festgelegten Zeiten in der »Leuchtenden Halle« (Ming-t’ang) seine Audienzen. Die Ming-t’ang war ein Gebäude mit acht den Himmelsrichtungen entsprechenden Türen. Sein Parallelstück soll die »Dunkle Halle« (Hsüan-t’ang) gewesen sein.23 All dies verweist auf eine sehr von formalen Gesichtspunkten bestimmte religiöse Sphäre, in der als oberster Priester nur der Herrscher fungierte.
Sie war in der Han-Zeit (206 v. Ch.-220 n. Ch.) geprägt von einer Vielzahl religiöser Vorstellungen, die mit den Namen Huang-ti (»Gelber Kaiser«) und Lao-chün (Lao-tzu) verbunden sind, zusammengefasst unter dem Begriff Huang-Lao.24
Der »Gelbe Kaiser« (Huang-ti), auch Hsüan-yüan genannt, repräsentiert unter den fünf Gottkaisern, entsprechend der Lehre von den fünf Elementen (wu-hsing), die Farbe »Gelb«, das Element »Erde« und die »Mitte«. Der Gelbe Kaiser galt sowohl als legendärer Gottahn und erster die Welt beherrschender Idealkaiser als auch als einer der fünf Himmelskaiser und somit als Sterngottheit.25 Huang-ti avancierte in der späteren Chou-Zeit zum Ahnherrn des Herrscherhauses der Chou und erhielt daher den Klannamen Chi. Im 4. Jahrhundert v.Chr. wurde Huang-ti als historische Persönlichkeit angesehen, welcher der »Großhistoriker« Ssu-ma Ch’ien (ca. 145 - 90 v.Chr.) in seinen »Aufzeichnungen des Großhistorikers« (Shih-chi), dem ersten umfassenden Geschichtswerk Chinas, die erste Biografie widmet.26
Zugleich aber war »Huang-ti« der Schlüsselname in einer Gruppe von religiösen Instanzen, die nicht wie die antiken Heroen Yao, Shun und Yü entfernt dem Ahnenkult verbunden waren, sondern vielmehr dem Himmels- bzw. Sternenkult. In dieser Position soll Huang-ti die Götter des Regens und des Donners beherrscht haben.27 Es wird gelegentlich die Vermutung angestellt, dass Huang-ti eine andere Form des obersten Gottahns Shang-ti darstellt.28 Huang-ti wird jedenfalls in taoistisch orientierten Kreisen der ausgehenden Chou-Zeit (4./3. Jahrhundert v.Chr.) als Inspirator und Urheber makrobiotischer Schriften angesehen, als Urheber jener Fertigkeiten und Kenntnisse, die dem Streben nach einer Verlängerung des Lebens, ja nach Unsterblichkeit, entspringen.29
Die Exponenten solcher Vorstellungen und Schriften, Experten für Techniken der Pflege des menschlichen Lebens – Atemtechnik, Gymnastik, Diätetik, Sexualpraktiken –, verstanden sich auch auf divinatorische Fertigkeiten und rituelle Formen der Bestätigung der Herrschaftslegitimation. Sie berieten die Verwaltung ebenso, wie dies früher schon Lao-chün (Lao-tzu) getan haben soll, bevor er die Chou-Herrschaft als seiner Dienste unwürdig erkannte und China verließ. Nun aber erschien Lao-tzu als Patriarch einer Schule, welche die Verlängerung bzw. Bewahrung des Lebens durch Meditation erstrebte. Herz und Bewusstsein seien von allen möglichen Inhalten zu entleeren, bis ein Zustand absoluter Leere und Stille erreicht sei, der sowohl in die »harmonische Natürlichkeit« (tzu-jan) hineinführe wie auch zu einer »Wirksamkeit durch Nichthandeln« (wu-wei).
In der Han-Zeit meint der Begriff »Huang-Lao« wohl zwei Gruppen von Schriften, die am Kaiserhof von Beratern vertreten werden. Sie konzentrieren sich auf die staatliche, politische Umsetzung der taoistischen, mit Lao-tzu verbundenen Lehre vom Nichthandeln (wu-wei).30 Es ist offensichtlich, dass die staatliche, offizielle Anteilnahme an »Religion« höchst vielseitige Anknüpfungspunkte kannte. In diesem Rahmen kommt den Vertretern der Huang-Lao-Lehren eine nicht unerhebliche Rolle zu.
Wie sich Vorstellungen, die in der Forschung mit dem Taoismus verbunden werden, mit von ihm unabhängigen Staatsritualen vermischen, zeigen klar die so genannten Feng- und Shan-Opfer.31
Beide Opfer wurden am Berg des Ostens, dem Berg T’ai-shan in der Provinz Shantung vollzogen. Eine »Leuchtende« und eine »Dunkle Halle« sollen sich an der nordöstlichen Seite dieses Berges befunden haben, offensichtlich angelegt zum Empfang des Sonnenlichts, das auch im späteren religiösen Taoismus eine sehr wichtige Rolle spielt. Gemäß den »Aufzeichnungen des Großhistorikers« von Ssu-ma Ch’ien soll Huang-ti bis dato der einzige Herrscher gewesen sein, der erfolgreich die Feng- und Shan-Opfer ausführen konnte.32 Sie fanden auf dem Berg selbst (feng) sowie auf einem seiner Vorhügel (shan) statt. Vielleicht kann dies mit alten schamanistischen Ansichten verbunden werden, wonach der Mensch Berge besteigen und dort oben mit den Gottheiten kommunizieren könne.33 Das Feng-Opfer richtet sich also mit Proklamationen zu vollbrachten Herrschaftsleistungen an die Himmelsgottheiten, vor allem an den »Größten Einen« (T’ai-i), das Shan-Opfer dagegen an die Erdgottheiten.
So konnte also Huang-ti, weiß Ssu-ma Ch’ien zu berichten, mit den Gottheiten in Verbindung treten und auf einem Drachen reitend zu ihnen auffahren.34 Die Verbindung zu den Gottheiten, die rituell herzustellen ist, kann als Schlüsselthema der antiken chinesischen Religion bezeichnet werden, das der viel spätere religiöse Taoismus integriert und weiterführt.
Als 110 v.Chr. der Han-Kaiser Wu-ti (141-87 v.Chr.) erstmals den T’ai-shan bestieg, um das Feng-Opfer zu vollziehen, war dies ein Triumph für die Taoisten, die mit den Huang-Lao-Lehren verbunden waren. Han Wu-ti wollte es dem Huang-ti gleichtun und wie jener versuchen, die irdische Profanität abzulegen. Der T’ai-shan wurde also bestiegen und eine versiegelte Meldung des Kaisers an die Himmelsgötter dort oben deponiert.35
Vergleichbar ist diese Unternehmung mit dem Versuch des »Ersten Kaisers der Ch’in«, die »Inseln der Unsterblichen« aufsuchen zu lassen, um die »Medizin der Unsterblichen« zu bekommen.36 Durch sie sei es dann möglich, glaubte der Kaiser, ein »Vollkommener« (chen-jen) zu werden, dem unbegrenztes Leben gegeben sei.
Als Kaiser Han Wu-ti jene Opfer ausführen wollte, waren die Vorzeichen gut: Im Jahr 113 v.Chr. soll ein berühmter Dreifuß aus dem Chou-Nachlass gefunden worden sein.37 Dies beweist die Notwendigkeit und den Wunsch des Kaisers, seine Legitimation und Verbundenheit mit den Gottheiten durch positive Vorzeichen abzusichern. Bei allen Aspirationen nach Sublimierung des individuellen Lebens steht doch das Interesse an der Herrschaftssicherung durch eine religiöse Bestätigung im Vordergrund. Jener Dreifuß war beim Untergang der Chou verloren gegangen. Seine Auffindung bestätigte die »Würdigkeit« Han Wu-tis.
Höchste Auszeichnung in diesem Sinne war jedoch die Ausführung der aufwendigen Feng- und Shan-Opfer, deren Details den konfuzianischen Staatsbeamten unklar waren. Hier konnten sich die religiösen Experten aus dem Kreis der Taoisten einbringen. Die erfolgreiche Ausführung sollte die »Güte« des Herrschers, als vom Himmel akzeptiert, bestätigen.
Der Großhistoriker Ssu-ma Ch’ien gibt in seiner Monographie (Shih-chi) sehr genau...