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E-Book

Die Gesellschaft und ihre Reichen

Vorurteile über eine beneidete Minderheit

AutorRainer Zitelmann
VerlagFinanzBuch Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783960922971
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Seit die Finanzkrise vor zehn Jahren ausbrach, geraten Reiche und Superreiche immer stärker ins Visier der Kritik. Wie oft in der Geschichte, werden sie zu Sündenböcken für gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Dr. Dr. Rainer Zitelmann, promovierter Historiker und Soziologe, hat diese erste internationale Studie zu Vorurteilen über Reiche entwickelt. In Zusammenarbeit mit den renommierten Instituten Allensbach und Ipsos MORI wurden Amerikaner und Europäer über ihre Einstellung zu reichen Menschen befragt. Wodurch genau entsteht Sozialneid? Und wie unterscheiden sich Amerikaner, Deutsche, Briten und Franzosen in ihrer Einstellung zu Reichen? Rainer Zitelmann hat erstmals ausführlich untersucht, wie unsere Gesellschaft reiche Menschen sieht, und herausgearbeitet, wie unterschiedlich Reiche international wahrgenommen werden. Damit gelingt es ihm erneut, wissenschaftliche Erkenntnisse in verständlicher und unterhaltsamer Weise darzustellen.

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker und Soziologe. Er arbeitete Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. Danach war er Ressortleiter bei der Tageszeitung Die Welt. Im Jahr 2000 gründete er ein Unternehmen zur Kommunikationsberatung in der Immobilienwirtschaft, das er zum Marktführer machte und 2016 verkaufte. Zitelmann hat 22 Bücher geschrieben und herausgegeben, die weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden.

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Leseprobe

1. Was sind Vorurteile und Stereotype?


Vorurteile über Vorurteile: Sie müssen nicht falsch, negativ oder vorschnell sein


Vorurteile kann man über vieles haben, aber meist wird der Begriff heute in Verbindung mit Urteilen über Gruppen von Menschen gebraucht. Oft geht es um die Beurteilung von Minderheiten. Wenn wir im Alltagssprachgebrauch sagen, jemand habe ein Vorurteil über eine Gruppe von Menschen, dann schwingt dabei meist nicht nur ein Vorwurf mit, sondern eine Reihe von Vorwürfen. Wohl selten gebrauchen wir den Begriff, wenn jemand eine positive Meinung über eine Gruppe von Menschen hat. Und wir gebrauchen den Begriff umgangssprachlich auch nicht, wenn wir die Meinung des anderen teilen bzw. als richtig ansehen. Indem wir den anderen als Träger eines Vorurteils bezichtigen, wollen wir sagen: »Du hast eine negative Meinung über eine Gruppe von Menschen und diese Meinung ist falsch.«

Diese alltägliche Verwendung des Wortes ist problematisch. Denn es stecken unausgesprochene Annahmen darin, die überprüfungsbedürftig sind.

Die erste Annahme lautet: Ein Vorurteil ist eine falsche, irrtümliche Meinung.

Die zweite Annahme lautet: Ein Vorurteil ist eine negative Meinung oder Einstellung.

Die dritte Annahme lautet: Hätte sich der Mensch, den wir des Vorurteils bezichtigen, nur eingehender informiert, dann wäre er zu einer anderen, positiveren Meinung gelangt.

So verwendet ist »Vorurteil« jedoch kein wissenschaftlicher Begriff, sondern eher ein rhetorischer Kampfbegriff. Und so wird er auch meist in der Alltagssprache verwendet. Wenn beispielsweise jemand über einen anderen sagt: »Der hat Vorurteile gegen Migranten«, dann will er damit sagen, der andere habe negative Meinungen und Gefühle über Migranten, diese Ansichten seien jedoch irrtümlich bzw. ungerechtfertigt, und der Irrtum sei dadurch zustande gekommen, dass sich der andere nicht gründlicher über Migranten informiert habe.

Wissenschaftler, die sich mit dem Begriff und seiner Bedeutung intensiv befasst haben, stellen vieles von dem, was im Alltagssprachgebrauch mitschwingt, infrage. Viele Wissenschaftler bestreiten, dass ein Vorurteil unbedingt falsch sein muss. Manche bestreiten auch, dass es unbedingt negativ sein muss. Auf beide Punkte werde ich später zu sprechen kommen.

Wie »abgewogen« und »faktenbasiert« sind unsere Urteile wirklich?


Ich möchte mit der kompliziertesten Frage beginnen, nämlich damit, ob ein Vorurteil dadurch charakterisiert ist, dass sich jemand nicht intensiv, nicht ausführlich genug mit einem Thema – bzw. mit einer Gruppe von Menschen – befasst hat. Die Wortbedeutung legt dies nahe, denn das Präfix »Vor«, das vor dem Urteil steht, bedeutet ja, dass jemand ein Urteil gefällt hat, bevor er sich intensiver mit etwas befasst hat. Diese allgemeine Verwendung des Wortes kommt auch in der Definition der deutschen

Wikipedia-Version zum Ausdruck: »Vorurteil heißt ein Urteil, das einer Person, einer Gruppe, einem Sachverhalt oder einer Situation vor einer gründlichen und umfassenden Untersuchung, Abklärung und Abwägung zuteil wird, ohne dass die zum Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Fakten verwendet werden.«23 In eine ähnliche Richtung weist die Definition im Chambers English Dictionary (1988). Prejudice wird dort definiert als »ein Urteil oder eine Meinung, die vorschnell oder ohne angemessene Überprüfung formuliert wird«.24

Diese Definitionen lassen viele Fragen offen, wenn man genauer darüber nachdenkt. Wer verwendet vor der Urteilsbildung wirklich »die zum Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Fakten«? Ist es nicht eine Illusion, dass die Mehrheit der Menschen bei den meisten Dingen, über die sie urteilen, sämtliche Fakten kennt bzw. berücksichtigt und sich ein Urteil nur nach einer »umfassenden Untersuchung, Abklärung oder Abwägung« bildet? Diese Ausweitung des Vorurteilsbegriffs macht sämtliche Urteile, die nicht von spezialisierten Wissenschaftlern getroffen werden, zu Vorurteilen.

Eine unausgesprochen in vielen Vorurteilsbegriffen enthaltene Fehlannahme besteht darin, dass eine intensive Beschäftigung mit einem Thema und genaue Kenntnisse automatisch vor negativen Vorurteilen bewahren. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil Werturteile eben generell nicht aus Tatsachenfeststellungen oder -abwägungen ableitbar sind. Hat jemand tief sitzende negative Gefühle gegenüber einer Gruppe von Menschen, dann wird ihn oftmals auch eine intensive Beschäftigung mit dieser Gruppe von Menschen nicht zu einer positiveren Einstellung bringen. Ohne dass ihm dies bewusst ist, nimmt er stärker das zur Kenntnis, was ihn in seiner negativen Einstellung bestärkt. Gegenläufige Informationen nimmt er möglicherweise sogar zur Kenntnis, aber er interpretiert sie um: »Das ist ja nur die Ausnahme, welche die Regel bestätigt.« Es ist eher eine Frage der Bildung und der sprachlichen Fähigkeit, ob jemand seine negative Einstellung mit vielen Fakten und in einer sachlich anmutenden Sprache begründet oder ob er seinen negativen Emotionen einfach in Form abfälliger Äußerungen ihren Lauf lässt.

Es gibt sogar Wissenschaftler, die ihr ganzes Leben damit verbringen, Fakten zu sammeln, die ihr ursprüngliches Ressentiment über ein Thema bestärken. Man kann zu Recht einwenden, diese Wissenschaftler seien gar keine, weil ein solches Vorgehen nicht den Kriterien der Wissenschaft genüge. Aber sie werden als solche angesehen, sind zum Teil Professoren an angesehenen Universitäten und verwenden Methoden, Argumentationsstrategien und die Sprache der Wissenschaft. Man kann ihnen viel vorwerfen, aber sicherlich nicht, dass sie sich nicht ausreichend mit einem Thema befasst hätten.

Wie kompliziert die Sache bei genauerem Nachdenken ist, zeigt sich daran, dass die Zahl der Definitionen des Begriffs Vorurteil fast so groß ist wie die Zahl der Autoren, die darüber schreiben. Einige dieser Definitionen will ich im Folgenden darstellen und diskutieren, um dann zu erklären, wie ich den Begriff Vorurteil in diesem Buch verwende.

Allport nannte in seinem Klassiker »The Nature of Prejudice« als kürzeste Definition von Vorurteil: »Von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken.«25 Er fügte hinzu, diese erste Annäherung an den Begriff sei unzulänglich, und schrieb, »dass wir Vorurteil auch so definieren könnten: eine ablehnende oder feindselige Haltung gegen eine Person, die zu einer Gruppe gehört, einfach deswegen, weil sie zu dieser Gruppe gehört und deshalb dieselben zu beanstandenden Eigenschaften haben soll, die man dieser Gruppe zuschreibt.«26

Nicht jede negative Generalisierung sei jedoch ein Vorurteil, sondern Allport hält den Begriff nur dann für gerechtfertigt, wenn die Person nicht bereit ist, ihr Urteil angesichts abweichender Informationen zu ändern. »Voreingenommenheiten sind nur dann Vorurteile, wenn sie angesichts neuer Informationen nicht geändert werden können.«27

Nun wissen wir jedoch, dass ein Vorurteil nicht in jedem Fall unabänderlich ist und dass Menschen oder ganze Gesellschaften die Einstellung zu anderen Gruppen von Menschen ändern können. Letzteres kann manchmal schon in wenigen Jahrzehnten geschehen, wie die Änderung der Einstellung in vielen westlichen Gesellschaften zu Homo-sexuellen zeigt.

Etwas genauer scheint daher – allerdings nur mit Blick auf die Frage der Unabänderlichkeit und Starrheit – die Definition, die Davis 1964 vorschlug. Er behauptet nicht, dass Vorurteile irreversibel seien, sondern sagt, dass sie sich nur schwer korrigieren ließen, was den Sachverhalt genauer trifft: »Vorurteile sind negative oder ablehnende Einstellungen einem Menschen oder einer Menschengruppe gegenüber, wobei dieser Gruppe infolge stereotyper Vorstellungen bestimmte Eigenschaften von vornherein zugeschrieben werden, die sich aufgrund von Starrheit und gefühlsmäßiger Ladung selbst bei widersprechender Erfahrung schwer korrigieren lassen.«28 Allerdings hat diese Definition andere Schwächen, weil sie Vorurteile generell auf negative Einstellungen verkürzt.

In der frühen Vorurteilsforschung wurden Vorurteile oft sogar als Krankheiten und als Ausdruck von Persönlichkeitsstörungen betrachtet. Demnach wären Vorurteile eher Ausnahmen als die Regel. Wolf hat 1969 zwischen der Ausnahme- und der Gleichheitsthese unterschieden. Nach der Gleichheitsthese handelt es sich bei der Entstehung von Vorurteilen um einen unvermeidlichen Prozess, der alle Menschen betrifft. »Niemand ist demnach vorurteilsfrei, nur müsse nach Intensität und Objekt des jeweiligen Vorurteils unterschieden werden.«29 Die Ausnahmehypothese geht dagegen von der Vorurteilsbehaftetheit als individuelle, persönlichkeitstypische Form des Verhaltens aus. Klassisch dafür ist das von Adorno und anderen entwickelte Konzept der »Autoritären Persönlichkeit«. Problematisch...

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