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Der Koran

Eine Einführung

AutorHartmut Bobzin
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2019
ReiheBeck'sche Reihe 2109
Seitenanzahl143 Seiten
ISBN9783406734281
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Koran erschließt sich einem Leser nicht leicht - ganz unabhängig davon, ob dieser Leser Muslim ist oder nicht. Gleichzeitig ist der Koran, die heilige Schrift der Muslime, jedoch ein Buch, das wie kaum ein anderes den Gang der Geschichte bestimmt hat und für die weltumspannende Kultur des Islams auch heute noch von prägender Bedeutung ist.
Hartmut Bobzin erläutert die Entwicklung, den Aufbau sowie die sprachliche und literarische Form des Korans, behandelt seine theologischen Grundlehren und erklärt seine Funktion als Gesetzbuch. Schließlich widmet er sich der Frage der Übersetzbarkeit des Korans, eines sprachlichen Kunstwerks besonderer Art. Die bewährte Einführung wurde für diese Neuauflage überarbeitet und aktualisiert.

Hartmut Bobzin ist Professor em. für Islamwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Neuübersetzung des Korans wurde von der Kritik einhellig gelobt.

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Leseprobe

2. Was heißt eigentlich «Koran»? Einige Grundbegriffe


Der Koran als Vortragstext


Mit dem Wort «Koran» (betont wird die letzte Silbe) ist gewöhnlich das gesamte heilige Buch des Islams gemeint, das heißt die Sammlung der von Mohammed empfangenen und öffentlich verkündigten Offenbarungen Gottes. In diesem Sinne wird arabisch qurʾān von Muslimen auch ganz überwiegend verwendet und dann meistens mit einem ehrenden Beiwort versehen, und zwar entweder mit karīm «edel, wert, geehrt» (vgl. 56:77), oder mit mağīd «ruhmreich, preiswürdig» (vgl. 50:1; 85:21).

Übrigens verwenden die Muslime noch eine Reihe anderer Bezeichnungen für den Koran. Man nennt ihn oft einfach kitāb, «das Buch» oder «die Schrift». Oder er heißt «das Buch Gottes» (kitāb Allāh) oder auch «das weise Buch» (al-kitāb al-ḥakīm, vgl. 10:1 und 31:1). Andere Bezeichnungen beziehen sich entweder mehr auf die äußere Form, wie muṣḥaf«Buch, Kodex», oder aber auf die Funktion des Korans. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn man ihn als «die weise mahnende Erinnerung» (al-ḏikr al-ḥakīm) bezeichnet, z.B. in dem folgenden, sehr aufschlussreichen Vers aus Sure 3, der uns gut in die Nähe der ursprünglichen Bedeutung des Wortes qurʾān führen kann. Nachdem nämlich in dieser Sure ab Vers 45 ausführlich über Geburt und Wirken Jesu berichtet wird, heißt es in Vers 58, in dem Gott sich an Mohammed wendet:

58 Das ist es, was wir dir vortragen von den Zeichen und der weisen Mahnung.

Mit dem Begriff der «Mahnung» (ḏikr) wird im Koran stets etwas angedeutet, was der Hörer im Grunde weiß, woran er aber immer wieder erinnert und wozu er ermahnt werden muss. Der Kern der Botschaft ist also nicht eigentlich neu, sondern altbekannt und bedarf nur der Wiedererinnerung, und zwar durch Verlesung oder Vortrag. Und genau das, nämlich den «Vortrag» bzw. die «Rezitation», bezeichnet das Wort qurʾān in seiner ursprünglichen Bedeutung.

Wenn man alle siebzig Stellen im Koran durchgeht, an denen das Wort qurʾān vorkommt, erkennt man, dass die Gleichsetzung von Koran mit Buch (kitāb) nicht überall passt, wie z.B. in Sure 17:78:

78 Verrichte das Gebet vom Niedergang der Sonne bis hin zur Finsternis der Nacht

und die Lesung (qurʾān) der Morgendämmerung!

Hier ist mit qurʾān eine bestimmte Tätigkeit, ein Akt, gemeint, und zwar eine Rezitation, ein lauter (!) Vortrag von Texten. Mit einiger Sicherheit handelt es sich hier um einen ziemlich alten, aus dem Beginn des Gemeindelebens stammenden Beleg dafür, dass es eine ganz enge konzeptionelle Verbindung gegeben haben muss zwischen der sog. ṣalāt, dem rituellen Gebet, das der Muslim fünfmal am Tag zu verrichten hat, und dem qurʾān, der lauten Lesung der geoffenbarten Botschaft Gottes an Mohammed.

Noch näher an den Vorgang des Offenbarungsgeschehens bringt uns Sure 20:114:

114 Du übereile dich nicht mit der Lesung (qurʾān),

ehe ihre Eingebung an dich nicht abgeschlossen ist!

Daraus ist zu entnehmen, dass zunächst eine Eingebung oder Offenbarung Gottes an Mohammed ergeht, die dann vom Propheten vorgetragen wird. Dieses «Vortragen» des geoffenbarten Textes heißt «Koran» (qurʾān). Um den Vorgang der Offenbarung, die diesem Vortragen vorausgeht, zu beschreiben, werden vor allem zwei Begriffe benutzt, nämlich «Eingebung» (waḥy) und «Herabsendung» (tanzīl). Beide Begriffe erscheinen sehr häufig im Koran. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang folgender Text, in dem sich Gott, der hier von sich im Plural redet, an Mohammed wendet (75:16–18):

16 Bewege deine Zunge nicht mit ihm [dem geoffenbarten Text],

damit du dich mit ihm [seinem Vortragen] nicht übereilst!

17 An uns ist nämlich seine [des geoffenbarten Textes] Sammlung und dann seine Lesung,

18 und wenn wir ihn gelesen, so setz du seine Lesung fort!

Hieraus lässt sich entnehmen, dass man sich die Eingebung bzw. Herabsendung offenbar so vorstellt, dass Mohammed ein zuvor komponierter Text vorgetragen wird. Dieser erste Vortrag wird in einer jüngeren Stelle (2:97) dem Engel Gabriel zugeschrieben:

97 Sprich: «Wer Gabriel feindlich gesinnt ist –

denn siehe, er ist es, der ihn [den qurʾān] in dein Herz hinabgesandt,

mit Erlaubnis Gottes, bestätigend, was vor ihm war,

als rechte Leitung und als frohe Botschaft für die Gläubigen.»

Unter qurʾān sind also, wie man nach den vorangegangenen Überlegungen sagen kann, vier verschiedene Dinge zu verstehen: a) das Vortragen eines Offenbarungstextes an Mohammed selbst, b) das öffentliche Vortragen dieses Textes durch Mohammed, c) der Text selbst, der vorgetragen wird, d) die Gesamtheit der vorzutragenden Texte, das heißt der Koran als Textsammlung bzw. Buch.

In den ersten beiden Bedeutungen wird das Wort qurʾān für eine Tätigkeit benutzt, in den beiden letzten jedoch für den vorgetragenen Text selbst bzw. für die Gesamtheit dieser Texte. Im Koran selbst wird also unterschieden zwischen einer gleichsam dynamischen Bedeutung von qurʾān, nämlich seinem mündlichen Vortrag, und einer eher statischen Bedeutung, die den geschriebenen und schließlich in Buchform präsenten Text meint. Der Koran als Vortrag und der Koran als Buch – das sind zwei Seiten einer Medaille, und man kann den Koran nicht verstehen, wenn man ihn nur auf eine seiner beiden Präsentationsformen reduziert.

Aus dem bisher Gesagten folgt, dass der Koran nicht gleich als Ganzer in der heute vorliegenden Buchform offenbart wurde, wie man es z.B. aus 2:185 herauslesen könnte:

185 Der Monat Ramadan, in dem herabkam der Koran …

Wenn damit nämlich der gesamte Koran gemeint wäre, könnten Mohammeds ungläubige Gegner nicht zu ihm sagen (25:32):

32 «Warum wurde der Koran nicht in einem Stück auf ihn herabgesandt?»

Einige muslimische Koranausleger meinen daher, dass mit qurʾān in Sure 2:185 nicht der gesamte Koran gemeint ist, sondern lediglich der Beginn der Offenbarung, dessen Zeitpunkt die Tradition gewöhnlich mit der lailat al-qadr, einer der letzten ungeraden Nächte des Monats Ramadan, gleichsetzt. Diese Nacht ist das Thema der berühmten Sure 97 (Übersetzung Friedrich Rückert):

1 Wir sandten ihn hernieder in der Nacht der Macht.

2 Weißt du, was ist die Nacht der Macht?

3 Die Nacht der Macht ist mehr als was In tausend Monden wird vollbracht.

4 Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, Auf ihres Herrn Geheiß, dass alles sei bedacht.

5 Heil ist sie ganz und Friede, bis der Tag erwacht.

In dieser Nacht soll der erste qurʾān, also der erste vorzutragende Text, geoffenbart worden sein. Wir werden in Kapitel 3 sehen, welcher Korantext genau damit gemeint sein könnte.

Die Sure


Der Koran, so wie er uns heute als Buch vorliegt, ist eingeteilt in 114 «Suren» (sūra, Pl. suwar). Sie sind von sehr unterschiedlicher Länge, die man allerdings nicht nach der Anzahl der – wiederum sehr unterschiedlich langen – Verse zu messen hat, sondern nach Zeilen. Danach ist Sure 108 mit drei Versen auf anderthalb Zeilen am kürzesten, am längsten ist Sure 2 mit 286 Versen auf ca. 615 Zeilen. Ein so großer Unterschied im Umfang und die Tatsache, dass gerade die besonders langen Suren zu Beginn des Korans (Suren 2 bis 7) eine Fülle unterschiedlicher Themen enthalten und eine klare Gliederung, wie sie für die meisten mittellangen und kürzeren Suren erkennbar ist, vermissen lassen, macht die Frage unausweichlich, was das Wort «Sure» ursprünglich bedeutet. Die Etymologie hilft hier wenig, denn das Wort scheint eine koranische Prägung zu sein. Betrachtet man den koranischen Sprachgebrauch, dann hat das Wort sūra (es kommt insgesamt zehnmal vor) eine ähnliche Bedeutung wie qurʾān. Wie von einem qurʾān heißt es auch von einer sūra, dass sie «herabkommt» bzw. «herabgesandt» wird (arab. unzilat), so mehrfach in Sure 9. Auch die Sure ist also ein geoffenbarter, vorzutragender Text. Der Beginn von Sure 24:1 lautet:

1 Eine Sure, die wir herabgesandt und verordnet,

in der wir klare Verse herabgesandt haben –

vielleicht lasst ihr euch mahnen.

An dieser Position – nämlich in den «Eröffnungsversen» einer Sure – erscheint sonst viel häufiger qurʾān (vgl. 12:2; 15:1 und öfter). Noch augenfälliger ist die...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über den Autor2
Impressum4
Inhalt5
Hinweise zur Aussprache arabischer Laute6
Vorwort zur 10. Auflage7
1. Das missverstandene Buch: Der Koran im Abendland8
2. Was heißt eigentlich «Koran»? Einige Grundbegriffe17
3. Mohammed und seine Sendung: Der Beginn des Korans26
4. Hauptthemen der frühen koranischen Botschaft36
5. Die Entwicklung der koranischen Verkündigung46
6. Theologische Grundlehren57
7. «Rechtleitung für die Menschen»: Der Koran als Gesetzbuch75
8. Die sprachliche und literarische Form94
9. Sammlung, Redaktion und Textgeschichte106
10. Korankommentare und muslimische Koranphilologie117
11. Koranübersetzungen und das Problem der «Übersetzbarkeit» des Korans126
Mekkanische und medinensische Suren132
Deutsche Koranübersetzungen133
Weiterführende Literatur135
Personen- und Sachregister138
Verzeichnis der zitierten Koranstellen142

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