2 Einführung
J. Osterwalder
2.1 Definition
Die Sonografie ist ein anerkanntes bildgebendes Verfahren mit definierten Vor- und Nachteilen gegenüber anderen Methoden. In der Praxis hat sich neben der ursprünglichen formalen oder umfassenden Sonografie die Point-of-Care-Sonografie – bestehend aus 3 weiteren Bereichen: fokussierte, klinische und interventionelle Sonografie – etabliert. In Notfallsituationen haben alle 4 Anwendungen ihren Platz und Stellenwert. ▶ Tab. 2.1 gibt dazu einen Überblick.
Tab. 2.1 Funktionelle Einteilung der Sonografie.
Anwendungsbereich | Klinische Situationen | Zweck | Inhalt/Fokus | Beispiele | Grenzen | Domäne |
fokussiert (organbezogen) | Verdacht auf innere Blutungen, spezifische Pathologie eines einzelnen Organs | Entscheidungshilfe für Sofortmaßnahmen und weiteres Vorgehen | einzelne und binäre Fragestellungen (ja/nein) | freie intraperitoneale Flüssigkeit, Gallensteine | kein Ersatz für formale und umfassende Untersuchung, falsche oder unpräzise Fragestellung, keine Ausschlussdiagnostik | |
klinisch (organ- und fächerübergreifend im Rahmen von Algorithmen/klinischen Pfaden) | Symptome/Befunde (Auswahl): Kreislaufstillstand Atemnot Schock/Synkope Koma Schmerz Trauma Reanimation
| Entscheidungshilfe für Sofortmaßnahmen und weiteres Vorgehen | Klärung oder Einengung von Differenzialdiagnosen im Rahmen notfallmedizinischer Algorithmen oder „klinischer Pfade“ | Differenzierung von: | kein Ersatz für formale und umfassende Untersuchung, gültig nur innerhalb von Algorithmen oder „klinischen Pfaden“ | |
formal (umfassend) | alle Situationen mit Sonografieindikationen | reine Diagnostik | komplette Untersuchung eines Organs, einer Region oder einer physiologischen Einheit mit Ein- und Ausschlussdiagnose | Tumorsuche im Abdomen, pränatales Screening | methodische Grenzen | |
interventionell | invasive Verfahren | Erhöhung der Treffsicherheit, Erhöhung der Sicherheit und Vermeiden von Komplikationen | Lokalisation von Punktionsstellen, Führung der Punktionsmittel, Lokalisation von FK und Hilfestellung bei Entfernung | zentrale Gefäßzugänge, Nervenblock | technische Grenzen (Luft, Knochenbarriere für US-Wellen) | Notfallmediziner Generalist Spezialist
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FK: Fremdkörper, US: Ultraschall |
Unter Notfallsonografie (NFS) versteht man die fokussierte Anwendung der Ultraschalluntersuchung im Rahmen einer organ- und fächerübergreifenden Bedside-Evaluation sowie Behandlung von Notfallpatienten. Dabei unterstützt die Sonografie das Behandlungsteam bei schwierigen Entscheidungen, risikoreichen invasiven Verfahren, beim Monitoring von bestimmten Vitalparametern und bei der Kontrolle von Erstmaßnahmen.
Die NFS ist keine neue Disziplin per se und will keine neuen Techniken einführen. Sie vereint vielmehr alle notfallrelevanten Elemente der etablierten Ultraschallbereiche, wie z.B. Abdominal-, Thorax-, Bewegungsapparat-, Gefäßsonografie und Echokardiografie, unter einem Dach. Der Unterschied zur klassischen Sonografie liegt in der Zielsetzung, d.h. einem streng fokussierten und auf das Individuum zugeschnittenen, problemorientierten Ansatz, der die engen Fachbereichsgrenzen überschreitet, sowie in der Integration des Ultraschalls in die körperliche Untersuchung. Die damit gewonnenen Zusatzinformationen erleichtern dem Behandlungsteam erste dringliche Entscheidungen.
2.2 Einbindung in Stufenplan
Wie bereits erwähnt, ist die NFS Teil der klinischen Untersuchung sowie des Monitorings und Führungsinstrument bei schwierigen und gefährlichen Punktionen. Sie folgt dem etablierten diagnostisch-therapeutischen Stufenplan der Notfallmedizin.
2.2.1 Stufe 1
In der ersten Stufe geht es um die nach Prioritäten geordnete schnelle Beurteilung und Behandlung lebensbedrohlicher Zustände (primäres ABCDE). Primäres ABCDE bedeutet Kontrolle über Airway, Breathing, Circulation, Disability und Exposure. Dabei liefert die NFS grundlegende morphologische und funktionelle Zusatzinformationen, die in der Regel der klinischen Untersuchung verborgen bleiben. Der Anwender ist in der Lage, anatomische Veränderungen und pathophysiologische Zusammenhänge in Echtzeit bildlich darzustellen und zu verstehen. Diese Darstellungen schaffen ideale Voraussetzungen für wichtige diagnostisch-therapeutische Entscheidungen in Akutsituationen. Ziel ist die Stabilisierung von Patienten in kritischen Zuständen. Die NFS hilft dem erstbehandelnden Arzt aber auch bei der Entscheidung, jemanden mit größerer Erfahrung oder einen weiteren Fachbereich unverzüglich hinzuzuziehen und erste Maßnahmen einzuleiten, bis die Unterstützung eintrifft. Diese Vorgehensweise impliziert, dass die Sonografie in Notfallsituationen keineswegs eine formale Untersuchung durch den Spezialisten zu einem späteren Zeitpunkt ersetzt.
2.2.2 Stufe 2
Auf das primäre ABCDE...