MEIN MOPS, MEIN LABBIMÄDCHEN UND ICH
Ein Hund kann das Leben ganz schön durcheinanderwirbeln. Das gilt erst recht, wenn plötzlich eine kleine Hundedame in einem Männerhaushalt landet und lebhafter Labrador auf stoischen Mops trifft. Wenn mir das mal einer früher gesagt hätte …
Hunde begleiten mich, seit ich klein bin. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich immer geborgen und beschützt. Die erste Hündin in meinem Leben war Chica, eine betagte, stolze Airedale-Terrier-Mix-Dame, die mich dreijährigen Stöpsel, wie eine Supernanny, nie aus den Augen ließ und auf Schritt und Tritt verfolgte. Danach trat Fido in mein Leben, ein gigantischer 28-Kilo-English-Basset mit ewig langen Schlappohren, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Sein Bellen klang so tief und beruhigend wie der Donner während eines lang ersehnten Sommergewitters. Dieser Hund war so was von gemütlich, entspannt und geduldig, dass er sogar seinen Namen wortlos hinnahm, obwohl »er« eigentlich eine Hündin war, kein Rüde.
Aktuell teile ich mein Leben mit zwei ganz besonderen Exemplaren der Spezies Canis lupus familiaris, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Gizmo ist ein acht Jahre alter Mopsrüde, Khaleesi eine vierjährige Labradorhündin. Buddhistische Ruhe prallt auf ungezügeltes Temperament – und gleicht sich in unserer kleinen Familie auf magische Weise perfekt aus. Das war allerdings nicht immer so. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als mein Mann Matthias und ich beschlossen haben, für uns und unseren kleinen Mopsprinzen eine Prinzessin zu suchen. Eine Hündin, die unseren Männerhaushalt mit weiblichem Yin bereicherte. Ja, Sie denken jetzt bestimmt: Typisch, so können auch nur zwei schwule Männer denken. Und ja, vielleicht haben Sie recht. Wir haben das Ganze tatsächlich ziemlich naiv durch eine rosa Brille gesehen. Ein zweiter Hund in der Familie. Was macht das schon groß für einen Unterschied? Der Aufwand bleibt doch derselbe. Und so ein kleines, süßes Welpenmädchen bringt sicher frischen Wind in Gizmos eher gemütliches Mopsleben. Im Gegenzug, so dachten wir, würde sein ruhiges Wesen unserem blauäugigen Labradorbaby die Eingewöhnungszeit erleichtern. Gizmo würde wie ein liebevoller älterer Bruder ihr Heranwachsen begleiten. Ja, genau das dachten wir.
Kurzer Reality Check zwischendurch: Rüden sind kleinen, temperamentvollen und von Mutter Natur mit rasiermesserscharfen Zähnen ausgestatteten Hundebabys gegenüber häufig eher abweisend eingestellt. Welpen dagegen sind in ihrer ganzen Kommunikation unbeholfen und distanzlos. Im Zusammenleben mit anderen Hunden überschreiten sie ständig Grenzen und testen sich aus. Vergessen Sie dabei bitte das Märchen vom Welpenschutz. Es gibt kein genetisches Programm, das erwachsene Hunde daran hindert, fremde Welpen oder junge Hunde zu beißen. Genauso hält sie kein Instinkt davon ab, unfreundlich mit ihnen umzugehen.
»KHALEESI SOLLTE FÜR FRISCHEN WIND IN DER MÄNNER-WG SORGEN.«
VON NAIVEN MENSCHEN UND ÜBERFORDERTEN HUNDEN
Von alldem hatten wir jedoch nicht die leiseste Ahnung, als Khaleesi, gerade mal zehn Wochen alt und wahrlich ein königliches Exemplar von einem süßen Drachen, in unsere Dreier-WG Einzug hielt. Dabei hatten wir als verantwortungsvolle Hundeeltern durchaus vorgesorgt: Drei Wochen vorher fuhren wir mit Gizmo zu der mit uns befreundeten Züchterin, um unserem »Erstgeborenen« die sensationelle Möglichkeit zu bieten, sein neues »Schwesterchen« möglichst früh kennenzulernen. Lustlos trottete er mit uns ins Welpenhaus – um attackiert von acht endorphingepushten Hundebabys sofort wieder den gesicherten Rückzug anzutreten. Interesse für seine zukünftige Mitbewohnerin: zero. Matthias‘ und meine Erwartungen an dieses erste Kennenlernen hatten, schon bevor es überhaupt begann, einen fetten Dämpfer bekommen. Während des gesamten Besuchs ließ sich Gizmo nicht mehr blicken. Er hatte Besseres zu tun. Schließlich lagerte im Nebenzimmer das Welpenfutter, und sich daran großzügig zu bedienen war in seinen Augen offenbar die gerechte Entschädigung für den plötzlichen Welpenschock.
Wenige Wochen später zog unser Familienzuwachs bei uns ein – und entwickelte sich prächtig. Okay, unser Alltag wurde vom ganz normalen Babywahnsinn bestimmt: Bloß nicht die Pipikackazeiten alle zwei Stunden und nach dem Herumtollen, Aufwachen und Fressen verpassen. Für die neugierige Flut an Besuchern, die unseren Nachwuchs natürlich sehen wollten, hätten wir fast schon Tickets vergeben können. Und die Frage »Na, schläft eure Kleine denn schon durch?« durften wir Glückspilze bereits nach zehn Tagen mit stolz geschwellter Elternbrust bejahen.
Läuft bei uns, dachten wir damals. Was für eine gigantische Fehleinschätzung! Denn für ein Individuum in unserem Haushalt sah die Realität deutlich weniger harmonisch aus. Ich werde das Bild wohl nie mehr aus meinem Kopf bekommen: Gizmo saß wimmernd und regungslos auf dem Parkett, während ein vier Monate alter Labradorwelpe sein Piranhagebiss in sein kleines, flauschiges Kringelschwänzchen bohrte. So zerrte sie den zehn Kilo Mops erst noch zögerlich ruckhaft, dann aber energisch und skrupellos durchs Wohnzimmer. Spätestens ab diesem Moment ahnte ich, dass wir womöglich in den letzten Wochen einiges falsch gemacht hatten.
Gizmo und Khaleesi sind heute ein Herz und eine Seele. Bis es so weit war, mussten sie aber eine Menge lernen – so wie ich auch.
DES EINEN FREUD, DES ANDEREN LEID
Ersthunde in einer Familie brauchen besonderen Schutz und Rückzugsräume, wenn ein neuer Hund einzieht – egal, ob der noch ein Welpe ist oder bereits erwachsen, zum Beispiel aus dem Tierschutz. Gizmo hatte im Umgang mit anderen Hunden in seinem Leben bisher nur positive Erfahrungen gemacht. Deshalb reagierte er auf die Attacken eines übermütigen Welpen anfangs noch cool und zurückhaltend. Aber auch wenn er nach außen gewohnt gelassen und stoisch alles erduldete: Unsere über die Jahre hinweg gewachsene Bindung aus Vertrauen und Verständnis begann zu bröckeln. Je mehr wir uns darauf konzentrierten, Khaleesis erste Lebensmonate so sicher und perfekt wie nur möglich zu gestalten, desto mehr vergaßen wir, die Bedürfnisse unseres Ersthundes nach Schutz, Ruhe, Liebe und Aufmerksamkeit zu stillen. Unsere Beziehung hatte einen echten Knacks bekommen. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Typischer Fall von grober Vernachlässigung.
Noch deutlicher zeigte sich das ganze Dilemma beim Gassigehen. Khaleesi wuchs immer mehr heran und wollte mit uns die Welt entdecken. Und wo ging das besser als bei unseren täglichen Spaziergängen zu viert. Spielerisch übten wir mit ihr das Laufen an der lockeren Leine oder trainierten schon mal den Rückruf. Ihr als Labrador Retriever genetisch fixiertes Aufsammeln und Heranschleppen von Stöckchen, Ästen oder halben Bäumen feierten wir stolzen Hundeeltern mit Standing Ovations. Und wie ihre mittlerweile ins Bernsteinhelle gewechselten Augen blitzten und leuchteten, als wir ihr beibrachten, hinter einem quietschgelben Tennisball herzujagen. Unbeschreiblich! Endlich konnte sich unsere kleine Actionheldin mal so richtig auspowern. Und unser knopfäugiger Mops-Buddha? Der kommentierte all diese Dinge für gewöhnlich mit einem abschätzigen Blick. Zeug anschleppen und Bällen hinterherjagen? Das war eindeutig unter seiner Würde.
Noch mal ein kurzer Reality Check: Das mit dem Tennisball war richtig Kacke. Zu glauben, dass Hinter-einem-Tennisball-Herrennen einen Hund auslastet, ist ein fataler Irrtum. Was stimmt: Die meisten Hunde lieben diese Art von Ballsport. Die Hundespielzeugindustrie hat ihn deswegen sogar so weit pervertiert, dass sie entsprechende Wurfschleudern anbietet, damit sich Frauchen und Herrchen nicht mal mehr großartig bücken müssen und der Ball fast bis hinter den Horizont fliegt. Die Wahrheit hinterm Horizont ist allerdings erschütternd: Hunde lieben es, hinter fliegenden Objekten herzujagen, weil diese Beute imitieren. In ihnen läuft also ein genetisch fixiertes Programm ab.
In der Endphase, kurz vor dem Zugriff, muss der Hund noch einmal all seine Kräfte bündeln. Der Körper schüttet daher das Stresshormon Adrenalin aus. Das Herz pumpt das Blut jetzt noch schneller durch den Körper, die Muskulatur ist bis zum Zerreißen gespannt, bereit, Höchstleistungen zu vollbringen. Der ganze Körper steht unter Strom.
Kaum hat der Jägersmann das Beute-Bällchen im Maul, belohnt ihn dann sein Nebennierenmark zusätzlich mit einer großzügigen Ladung Dopamin. Und dieses Hormon macht glücklich und süchtig. Auf diese Weise zieht man sich regelrechte Ball-Junkies heran, die einem hechelnd und mit suppentellergroßen Pupillen unaufhörlich, wie in einer Zeitschleife gefangen, Bällchen oder Stöckchen vor die Füße legen.
Das Problem ist nicht...