Die Spitze der Klitoris
Warum gerade jetzt noch ein Buch über Feminismus? Wahrscheinlich wird jeder Mensch, der ein neues Buch zu diesem Thema schreibt, sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, warum sie/er/es dies tut. Wo es doch schon eine Reihe von feministischen Büchern gibt. Allerdings stammen diese in den letzten Jahren überwiegend von weißen cis (gender) Frauen ohne Migrationsbiografie, also weitgehend jenen, die nichts mit etwa muslimischen oder People-of-Color-Lebenswelten am Hut haben und mit der Geschlechtsidentität, die ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde, d’accord sind. Von Frauen oder queeren Menschen mit Migrationsbackground oder Women of Color gibt es bisher so gut wie keine populären Bücher zu Feminismus in Deutschland. Und das, obwohl gerade Themen wie muslimische Lebenswelten, der Islam, Rassismus oder die Schwarze Pop- und Hip-Hop-Kultur unser tagtägliches Leben in Deutschland mitbestimmen und wichtige Fragen aufwerfen. Der Begriff »Intersektionalität« existiert zwar in der Bedeutung der Mehrfachdiskriminierung seit mehreren Jahren in den zeitgenössischen (gender-)feministischen, aktivistischen Debatten in Deutschland – doch reell kommt dieser Bereich des Zusammenspiels von Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus in unseren gesellschaftlichen Debatten zu kurz.
Feminismus hat mittlerweile Popularität erlangt, ja. Und ist im Mainstream, bei der Mehrheitsgesellschaft angekommen. T-Shirts mit feministischen Sprüchen schmücken schon seit Langem die Kleiderstangen von H & M oder Mango, Beyoncé und Rihanna kokettieren mit weiblicher Selbstbestimmung, und Kopftuch-Emojis zieren als Zeichen feministischer Diversität unseren Alltag. Auch wenn der größere Teil unserer Gesellschaft kein Interesse an feministischen Themen zeigt und ein anderer Teil sich in sozialen Netzwerken mit Händen und Füßen dagegen wehrt, weiß allmählich auch die Mehrheit der Nicht-Feminist*innen, was Gender Pay Gap oder Mansplaining bedeuten. Doch welche Frauen sind es, die sich an vorderster Front als Feministinnen zeigen (dürfen)? Was bedeutet die Salonfähigkeit des Feminismus konkret für feministische Debatten und Allianzen? Inwieweit lässt die Debatte noch Kritik zu? Gibt es vielleicht Lücken, die mittels Kritik allmählich geschlossen werden können? Bringen nicht gerade das In-Werden und die Kommerzialisierung von Feminismus auch Nachteile für feministische Diskurse mit sich? Ist es nicht an der Zeit, dass wir diese Oberfläche, die wir nun im feministischen Sinne angerissen haben, auch tiefgründiger abhandeln?
2007, als ich zu Gast bei Menschen bei Maischberger war und über die Sexualmoral Deutschlands diskutiert wurde, sah die Welt noch anders aus. Feminismus war eine marginalisierte Nische und von den meisten aufgrund des damals bereits kursierenden Images der »männerhassenden, schlecht gekleideten Lesbe« verpönt. Da passte es nicht ins Bild, dass eine Rapperin – auch noch mit türkischem Background – namens Lady Bitch Ray in einer übersexualisierten Sprache positiv und öffentlich über ihre Sexualität sprach. Und mit der Nutzung von Vulgärausdrücken für Genitalien auf die Gender-Unterschiede bei der Erziehung von Mädchen (im Gegensatz zu Jungs) hinwies. Sie musste von der Mehrheitsgesellschaft erstmal wieder in ihre »strengtürkischen« Schranken verwiesen werden, denn das, was sie da tat, »durfte sie als Türkin ja gar nicht!«. »Was klagen Sie an, die Freiheit der Frau war doch schon da?!« hielt mir die Schauspielerin Michaela May, die mit bürgerlichem Namen Gertraud Elisabeth Berta Franziska Mittermayr heißt, in der Sendung entgegen. Getreu dem Motto: Was wollen Sie? Wir haben uns doch schon in den 1968ern emanzipiert. Dass aber mit der sexuellen Befreiung etwa die muslimische Frau von westdeutschen Frauen erneut in eine Rolle der Bedürftigkeit nach Befreiung vonseiten weißdeutscher Frauen gedrängt wurde, sagte damals niemand. Auch nicht, dass dieses Streitgespräch zwischen Frau May und mir den Wendepunkt zwischen dem Feminismus der zweiten und jenem jüngeren, intersektional ausgerichteten der dritten Welle markierte. Dass ich den Beginn einer neuen Generation von Feministin*nen sichtbar machte, die bald selbstermächtigend auf ihre Rechte als Frauen, als Queers sowie als Women of Color pochen, Genderlinguistik betreiben, feministische Magazine gründen und sich durch Hashtag-Bewegungen politisch gegen Sexismus und Rassismus einmischen würde. »Und, Frau May?«, möchte ich sie heute fragen: »Wie war das nochmal mit der Befreiung der Frau von damals?«
Als »armes Provokationswürstchen im goldenen Glitzerdarm« wurde ich stattdessen einen Tag nach dieser Sendung von dem FAZ-Journalisten Peer Schader in seinem Artikel vorgestellt. Wie die Maischberger-Redaktion überhaupt darauf käme, so eine Provokateurin in ihre Talkrunde zu lassen? Wolfgang Büschers hypothetische Aussage, dass Songtexte von Skandal-Rappern, denen er mich zuordnete, vernachlässigte Jugendliche negativ beeinflussten, zitierte er hingegen als starke Stimme in der Runde. Schader hatte null Interesse daran, meine Texte vielleicht als feministische Antwort auf ebensolche Texte oder als Emanzipationsvorlage für junge Mädchen zu betrachten. Auch eine kritische Position gegenüber des christlich evangelikalen Kinder- und Jugendhilfswerks Die Arche bezüglich des Umgangs mit den Themen Sexualmoral, sexueller Missbrauch, Schwangerschaft und Homosexualität bei der Arbeit mit sozial vernachlässigten Kindern schienen für den FAZ-Journalisten nicht von Interesse zu sein. Dieser sexistisch-lookistische Artikel von Herrn Schader befindet sich übrigens immer noch im Netz.[1]
Im Stil von Schaders Text – Slutshaming, die Diffamierung eines von der Norm abweichenden Sexualverhaltens von Frauen oder in meinem Fall aufgrund meiner sexualisierten Sprache und Kunst – ging die damalige Rezeption von mir, Lady Bitch Ray, dann weiter. Knowhow über Hip-Hop-Feminismus? – Fehlanzeige. Wissen über Geusenwörter in Riot-Grrrl-Manier? – Nix da. Politische Auseinandersetzung mit meiner Person statt blinder Skandalisierung? – Pustekuchen! Jedes Mal musste ich meine Reclaiming-Absichten bei meiner Selbstbezeichnung von vorne erklären. Was ich erntete, waren neben anhaltender Echauffierung und Reduktion meiner Person auf das Sexuelle Fremdzuschreibungen und Zensur; anscheinend war feministische Aufklärung nicht das Ziel der Journalist*innen jener Tage. Auch in der deutschen Rap-Szene reagierte man auf mich als wäre ich ein Alien: eine Frau, die andere Rapper herausfordernd über ihre eigene Sexualität rappte und ihre Selbstbestimmung und Respekt einforderte – das gab’s bis 2006 im Deutschrap nicht. Heutzutage gibt es einige Rapperinnen mehr, die über Sexualität und emanzipatorische Themen rappen, aber auch da gibt es Unterschiede, auf die ich in diesem Buch eingehe. Umso glücklicher war ich – der vaginalen Göttin der Gerechtigkeit sei Dank – als einige Jahre später weitere junge Frauen und queere Menschen meiner Spur folgten und Feminismus immer voguer und voguer wurde. Durch meine sexpositive, die Körperlichkeit bejahende Haltung wurden weitere Frauen in den Medien sichtbar, sei es die Buchautorin Charlotte Roche oder ihr folgenden Sexromane von weiblichen Autorinnen, die dasselbe emanzipatorische Muster wie mein Sex-Rap bedienten. Oder das feministische Missy Magazin aus Berlin, das 2008 gegründet wurde und Feminismus und Popkultur behandelt. Ebenso das Buch Wir Alphamädchen von 2009, in dem für die Notwendigkeit eines Updates von alten Feminismen durch neue feministische Debatten mit zeitgerechteren Themen wie etwa dem positiven Zugang zur Sexualität, neuer Kritik an Frauenbildern in den Medien oder neuen Möglichkeiten für Frauen zwischen Beruf und Familie plädiert wird. All dies bestärkte meinen neuen feministischen Weg. Auch wenn ich solche Bücher als wichtige Werke unserer feministischen Ära betrachte, hundertprozentig identifizieren konnte ich mich als Arbeiterkind mit türkischem Background, als muslimische Alevitin, als Hip-Hop-Fan und feministische Rapperin mit ihnen nicht. Denn diese und andere populärwissenschaftliche Bücher gingen in keiner Weise auf den Bereich der Intersektionalität, auf den Islam, das Alevit*innentum und/oder die Lebenswelt der türkischen, kurdischen oder arabischen Frau und/oder LGBTQI*s, geschweige denn auf den Bereich des islamischen Feminismus oder die Hip-Hop-Kultur ein. Um hierüber mehr zu erfahren, musste ich auf wissenschaftliche Literatur zurückgreifen, wo dann wiederum der Aspekt des Empowerments ebenso wie der Bezug auf...