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Gefangen in Deutschland

Wie mich mein türkischer Freund in eine islamische Parallelwelt entführte

AutorKatja Schneidt
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl285 Seiten
ISBN9783864151552
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
**Sarrazin schreibt von Parallelwelten - Katja lebte darin** Katja Schneidt ist eine junge, moderne, selbstbewusste Frau, die ihr Leben liebt und jede Menge Spaß hat. Bis sie Mahmud kennenlernt. Sie verlieben sich, ziehen zusammen und Mahmud zeigt sein wahres Gesicht - das Gesicht eines Tyrannen. Katja Schneidt wird als Deutsche mitten in Deutschland Teil einer fundamentalistischen Parallelgesellschaft. Sie darf das Haus nur mit Einwilligung Mahmuds verlassen, muss Kopftuch und lange Kleidung tragen und wird brutal misshandelt. Sie wird immer stärker in einen Abgrund hineingezogen, in dem sie Zeuge von Zwangshochzeiten, Hochzeiten mit minderjährigen Bräuten und schlimmsten Auswüchsen von Gewalt wird - vor allem gegen Frauen. Erst als sie zum wiederholten Mal halb tot geschlagen wird, sammelt sie all ihren Mut und flieht, um Mahmud anzuzeigen, gegen ihn vorzugehen und damit zur Geächteten zu werden, der bis heute die Blutrache von Mahmuds Familie droht. Eine erschütternde Geschichte aus der islamistischen Parallelgesellschaft, in die plötzlich auch deutsche Frauen hineingezogen werden.

Katja Schneidt, Jahrgang 1970, arbeitet hauptberuflich als private Arbeitsvermittlerin und teilt ihr Leben mit Tochter und Sohn sowie ihrem langjährigen Lebensgefährten, der ebenfalls einen Sohn und eine Tochter mit in die Beziehung brachte. Vier Hunde, sowie einige Kleintiere vervollständigen die Familie. Sie lebt heute in der Nähe von Frankfurt am Main.

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Leseprobe

1. KAPITEL

Liebe auf den zweiten Blick


Derselbe aufmerksame Blick, der mich schon an den letzten Abenden begleitet hatte, verfolgte auch an diesem Tag wieder jeden meiner Handgriffe. Jede Bewegung, jedes herzhafte Lachen mit einem Gast und jedes Gespräch, das ich führte, schien das Interesse des jungen Türken auf sich zu ziehen. Seit einer Woche kam er Abend für Abend in die kleine Gaststätte, in der ich mir neben meiner Ausbildung ein bisschen Geld verdiente. Meist bestellte er sich eine Cola und nahm am äußersten Ende der Theke Platz. Obwohl hier sehr viele Türken verkehrten, schien er kaum jemanden zu kennen. Nur selten unterhielt er sich mit einem anderen Gast. Seine Augen blickten beinah ein wenig böse, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass ihm irgendetwas fürchterlich missfiel. Fast löste seine Anwesenheit Unbehagen in mir aus.

Ich war bereits mit siebzehn Jahren von zu Hause ausgezogen, um etwa hundert Kilometer von meinem Heimatort entfernt eine Ausbildung zur Berufskraftfahrerin zu beginnen, und so konnte ich das Geld, das ich bei meinem Thekenjob verdiente, gut gebrauchen. Meine Mutter war nicht in der Lage, mich finanziell zu unterstützen, da mein Vater früh verstorben war und sie genug damit zu tun hatte, für sich selbst zu sorgen. Die Ausbildung war mir sehr wichtig und erfüllte mich auch mit Stolz, denn ich war eine der ersten Frauen, die es geschafft hatten, eine Lehrstelle in diesem Beruf zu bekommen. Viele Tests und Untersuchungen waren nötig gewesen, um die dafür erforderliche Ausnahmegenehmigung zu erlangen, da man als Berufskraftfahrer den Pkw- und Lkw-Führerschein früher erhält als im Normalfall. Um mir diesen Traum verwirklichen zu können, nahm ich den Nebenjob gern in Kauf.

Ich servierte einem Gast gerade sein zweites Bier, als ich wieder spürte, wie mich die Blicke des Fremden verfolgten. Unwillkürlich drehte ich mich zu ihm um und sah, wie sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Ich musste einfach zurücklächeln. Dann widmete ich mich wieder meinen Gästen.

Gegen dreiundzwanzig Uhr erschien mein Chef, um mich abzulösen. Giorgio wusste, dass ich am nächsten Morgen wieder fit und ausgeschlafen bei meiner Ausbildungsstelle sein musste und deshalb fast nie bis zur Schließung des Brückenwirts bleiben konnte.

Während ich die Abrechnung machte, bezahlte mein geheimnisvoller Beobachter und verließ grußlos das Lokal. Ich nahm mir vor, ihn an einem der nächsten Abende auf jeden Fall einmal anzusprechen. Irgendwie hatte er doch meine Neugier erregt.

So weit sollte es allerdings nicht kommen, denn als ich kurze Zeit später ebenfalls nach draußen ging, sah ich ihn lässig an der Hauswand lehnen. Ehe ich mir Gedanken darüber machen konnte, ob er wohl auf mich warten würde, sprach er mich auch schon an.

»Hallo, ich bin Mahmud! Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich der Meinung bin, diese Scheißkneipe hier ist nicht der richtige Ort für eine Frau wie dich.«

Der ging aber ran! Unwillkürlich musste ich grinsen. Etwas provokanter, als ich eigentlich beabsichtigt hatte …

»So? Dann kannst du mir ja bestimmt auch sagen, wo denn der richtige Ort für Frauen wie mich ist!«, entgegnete ich ironisch.

»Ja, klar, zu Hause! Wo denn sonst um diese Uhrzeit?«, sagte er, als handelte es sich um die größte Selbstverständlichkeit.

Nun konnte ich ein herzhaftes Lachen nicht mehr zurückhalten. Irritiert schaute er mich an.

»Komm, um die Ecke steht mein Auto! Ich fahre dich nach Hause«, bot Mahmud mir großzügig an.

»Wie käme ich denn dazu? Ich kenne dich doch gar nicht! Sehe ich etwa so aus, als würde ich mit jedem Dahergelaufenen einfach mitfahren?«

Was bildete sich dieser Typ ein? Ich war ehrlich entrüstet über seine Unverfrorenheit.

»Wir haben uns nun schon seit über einer Woche jeden Tag gesehen. Also kennen wir uns doch! Ich fahre dich jetzt nach Hause. Ich kann nicht verantworten, dass eine hübsche junge Frau wie du um die Uhrzeit noch allein unterwegs ist.«

Mahmud sprach so bestimmt und überzeugend, dass mir sofort klar wurde, dass er es nicht gewohnt war, Widerspruch gegen seine Vorschläge oder Anweisungen zu ernten.

»Wenn du Angst vor mir hast, kannst du gern noch mal zurück zu deinem Chef gehen und ihn nach mir fragen. Er kennt mich und kann dir bestätigen, dass ich ein anständiger Typ bin«, fügte er noch hinzu.

Sein Angebot war in der Tat verlockend. Ich war schließlich seit über siebzehn Stunden auf den Beinen und hatte noch einen etwa zwanzigminütigen Fußmarsch bis zu meiner kleinen Wohnung am Stadtrand vor mir. Konnte ich ihm wirklich vertrauen?

Bevor ich noch weiter hin und her überlegen konnte, nahm Mahmud mich einfach an der Hand und zog mich langsam, aber bestimmt zu seinem Auto. Schweigend lief ich neben ihm her und versuchte ihn unauffällig von der Seite zu mustern. Was ich sah, gefiel mir: Er hatte glänzende schwarze Haare, große dunkle Augen und eine sehr markante Nase.

Er spürte wohl, dass ich ihn betrachtete, denn unvermittelt blieb er stehen.

»Was guckst du mich so an?«

Ich fühlte, wie sich eine leichte Röte in mein Gesicht schlich.

»Wenn ich mich schon von einem fast fremden Mann nach Hause fahren lasse, will ich doch wenigstens genau wissen, wie er aussieht«, gab ich unsicher zurück.

Er seufzte hörbar und zog mich schweigend weiter. Kurz darauf erreichten wir den Parkplatz, auf dem er sein Auto abgestellt hatte. Er öffnete mir die Wagentür und ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Nachdem er den Motor gestartet hatte, ertönte leise orientalische Musik aus den Lautsprechern.

Ich nannte ihm meine Adresse und schloss die Augen, um einen Moment zu entspannen.

»Erzähl mir was von dir!«, forderte Mahmud mich auf.

»Ach, von mir gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich bin gerade achtzehn geworden, bin in der Nähe von München geboren, mein Vater starb, als ich zwölf war, meine Mutter lebt mit meinem älteren Bruder Ralf in meiner Heimatstadt, und ich mache nun hier eine Ausbildung zur Berufskraftfahrerin«, ratterte ich das Wichtigste in Kurzform herunter.

»Hast du einen Freund?«

Mahmud trommelte mit den Fingern den Rhythmus der Musik aufs Lenkrad, während er gespannt auf meine Antwort wartete.

»Nein, nicht mehr«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich in Erwägung gezogen, ihn anzulügen. Wenn er davon ausgehen musste, dass ich in festen Händen war, hätte er mich bestimmt zum ersten und letzten Mal nach Hause gefahren. Dass Mahmud mehr von mir wollte, als mich in der Gaststätte beim Kellnern zu beobachten und Small Talk mit mir zu halten, hatte ich schon gespürt. Aber irgendwie gefiel er mir. Es war wohl seine Andersartigkeit, die mich so anzog, und in mir erwachte der Wunsch, ihn näher kennenzulernen. Darum freute ich mich, als er mir anbot, mich auch am nächsten Tag wieder nach der Arbeit heimzufahren.

Beschwingt schloss ich die Haustür auf und warf meine Tasche auf einen Sessel. Ich war sehr stolz auf meine gemütliche kleine Wohnung. Sie hatte zwar nur zwei winzige Zimmer und die meisten Möbel hatte ich gebraucht gekauft, aber sie konnte sich sehen lassen. Eigentlich war ich zusammen mit meinem Freund hier eingezogen, doch schon kurze Zeit später war die Beziehung in die Brüche gegangen und ich allein in dem Apartment zurückgeblieben. Das Geld, das ich im Brückenwirt verdiente, reichte gerade für die Miete. Mein auch nicht gerade üppiges Ausbildungsgehalt deckte die sonstigen Unkosten ab. Große Sprünge konnte ich zwar keine machen, aber ich kam über die Runden. Ich hätte es sehr bedauert, aus der Wohnung wieder ausziehen zu müssen, da ich wunderbare Nachbarn hatte, mit denen ich mich gut verstand.

Ich ging ins Badezimmer, um Wasser für eine heiße Wanne einlaufen zu lassen. Normalerweise verzichtete ich zu so später Stunde auf dieses Vergnügen, denn das Apartmenthaus war ziemlich hellhörig. Wenn meine Nachbarin Maria niesen musste, konnte ich ihr durch die Wand Gesundheit wünschen und musste nicht einmal meine Stimme erheben, damit sie es auch hörte. Aber an diesem Abend konnte ich Maria die kleine Ruhestörung nicht ersparen: Ich hatte das dringende Bedürfnis, in dem duftenden warmen Wasser wieder Ruhe in meine aufgewühlten Gedanken zu bringen. Die kurze Begegnung mit Mahmud hatte mich wirklich sehr berührt.

Warum hatte ich mich neben ihm im Auto so geborgen gefühlt? Ich kannte ihn doch kaum! Geborgenheit – dieses Gefühl war für mich immer ein Fremdwort geblieben. Nachdem mein Vater gestorben war, hatte meine Mutter zu trinken angefangen. Meine Kindheit war mit einem Schlag zu Ende gewesen, weil ich mich ab dem Moment um sie hatte kümmern müssen statt umgekehrt. Auch sonst hatte es niemanden in meiner näheren Umgebung gegeben, keine Verwandten, Freunde meiner Eltern oder gar Lehrer, die sich für meine Belange interessiert, ein offenes Ohr für meine Sorgen und Nöte gehabt oder mich unterstützt hätten, wenn ich Hilfe brauchte. Mein Bruder Ralf, der das ganze Familiendrama natürlich aus nächster Nähe mitbekommen hatte, fiel aus – er hatte genug mit sich selbst zu tun. Er war zwar vier Jahre älter als ich, also beim Tod unseres Vaters bereits sechzehn, aber aus heutiger Sicht weiß ich, dass ein Junge, der mitten in der Pubertät steckt, einfach schlichtweg damit überfordert ist, sich um seine kranke Mutter und kleine Schwester zu kümmern. Und tatsächlich funktionierte ich ja auch immer bestens! Ich schien alles im Griff zu haben und die Umsicht und Verantwortung in Person zu sein. Was mich das...
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