|13|Belastungs- und Unterstützungsfaktoren für die Entwicklung von Kindern in Trennungsfamilien
Sabine Walper und Alexandra N. Langmeyer
1 Zur Einleitung: Die Instabilität von Paarbeziehungen im Kontext des Wandels von Familie
Familien haben im Verlauf der vergangenen Jahre in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern – einen beträchtlichen Wandel erfahren. Eine Reihe von Familienformen, die vom „Normalitätsentwurf“ der verheirateten Kernfamilie abweichen, haben deutlich an Bedeutung gewonnen (Jurczyk et al., 2014). Ursachen hierfür sind die sinkende Stabilität von Partnerschaftsbeziehungen, die sich in gestiegenen Trennungs- und Scheidungsraten niederschlägt und die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Die gestiegenen Trennungszahlen lassen sich mit veränderten Ansprüchen an Ehe und Partnerschaft begründen: Während früher der Versorgungsaspekt der Ehe im Vordergrund stand, ist es heutzutage vor allem der Wunsch nach partnerschaftlichem Zusammensein, was mit gesteigerten Erwartungen an die Ehe einhergeht. Lassen sich diese Erwartungen nicht umsetzen, entscheiden sich Männer und Frauen heute häufiger für eine Scheidung als noch vor 20 Jahren (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2017). Vielfach sind auch Kinder von einer Trennung der Eltern betroffen. Welche Veränderungen in den Lebens- und Entwicklungsbedingungen eine Trennung der Eltern für Kinder mit sich bringt, steht im Mittelpunkt dieses Kapitels.
Schätzungen zufolge wird mehr als jede dritte Ehe in Deutschland durch eine Scheidung beendet (Bundeszentrale für politische Bildung, 2016). Im Jahr 2015 betraf dies 163 335 Ehen mit insgesamt 131 749 minderjährigen Kindern (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2017). Gleichzeitig sinken die Eheschließungszahlen, und die Ehe hat als normativer Rahmen für die Familiengründung an Bedeutung verloren: Im Jahr 2015 wurden in Deutschland mehr als ein Drittel der Kinder nichtehelich geboren (35 %). In Ostdeutschland liegen |14|die Quoten noch höher, dort gilt dies sogar für mehr als jedes zweite Kind (Langmeyer & Walper, 2013a). Obwohl Kinder unverheirateter Eltern heute mit 80 % weit überwiegend in einem Paarhaushalt geboren werden (Langmeyer & Walper, 2013b), erweisen sich diese nichtehelichen Partnerschaften im Vergleich zu Ehen als weniger stabil. Auswertungen der UK Millennium-Cohort-Study zeigen, dass die Trennungsrate verheirateter Eltern mit Kindern bis zu 5 Jahren bei 10 % liegt, hingegen sind es 35 % bei nichtehelichen Eltern (Callan et al., 2006). Auch in Deutschland ist das Trennungsrisiko unverheirateter Eltern höher als das von verheirateten Eltern (Schnor, 2012).
Entsprechend der hohen Trennungsraten ist insbesondere die Zahl Alleinerziehender erheblich angestiegen. Im Jahr 2014 waren 20 % aller Haushalte mit minderjährigen Kindern in Deutschland Ein-Eltern-Haushalte. Dies sind weit überwiegend – zu 90 % – alleinerziehende Mütter (Bundeszentrale für politische Bildung, 2016). Hinzu kommen jene Zwei-Eltern-Familien, die nach einer Trennung durch eine neue Partnerschaft entstanden sind, sogenannte Stieffamilien. Nach Daten des Gender and Generations Survey (GGS) aus dem Jahr 2005 sind in Deutschland 13.6 % aller Haushalte mit minderjährigen Kindern Stieffamilien, d. h. mindestens ein Kind lebt mit einem neuen Partner des leiblichen Elternteils zusammen (Steinbach, 2008). Stieffamilien entstehen vorwiegend, indem die hauptbetreuende Mutter eine neue Partnerschaft eingeht. Entsprechend finden sich unter den im GGS ausgewiesenen Stieffamilien weit mehr Stiefvaterfamilien (69 %) als Stiefmutterfamilien (27 %). Nur in einer Minderheit der Fälle sind beide Partner Stiefelternteile für mindestens ein Kind im Haushalt (4 %).
Im Folgenden geben wir zunächst einen Überblick über die Forschung zu Trennungs- und Scheidungskindern und beleuchten anschließend zentrale Aspekte des Familienlebens, die sowohl im Mittelpunkt wissenschaftlicher Diskurse über die Entwicklung von Kindern mit getrennten Eltern stehen als auch im Kontext der familienrechtlichen Begutachtung vielfach besonders relevant sind: die Beziehung und Kooperation zwischen den Eltern sowie die Kontakte und Beziehung zum getrennt lebenden Elternteil bzw. die Wahl des Betreuungsmodells.
2 Trennungs- und Scheidungskinder im Spiegel der Forschung: ein Überblick
2.1 Themen und Trends der Forschung zu Trennungsfolgen
Die internationale Forschung zu Trennungsfamilien und insbesondere zu den Folgen einer elterlichen Trennung und Scheidung für Kinder hat sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte merklich weiterentwickelt und ausdifferenziert. Zahlreiche Aspekte des Familienlebens und insbesondere der kindlichen Entwicklung |15|wurden in empirischen Studien beleuchtet, deren Befunde ihrerseits wiederholt in Metaanalysen zusammengeführt wurden (Adamsons & Johnson, 2013; Amato, 2001; Amato & Keith, 1991a, 1991b). Lange beschränkte sich die einschlägige Forschung weitgehend auf die USA, aber mittlerweile hat sich auch in Europa eine differenzierte Scheidungsforschung etabliert. Mit Blick auf die Befundlage zum Wohlergehen von Trennungskindern in Europa hat eine jüngere Metaanalyse 17 Studien aus Europa einbezogen (Amato, 2014). Diese geben Einblick in die Verhaltens- und emotionalen Probleme der Kinder und Jugendlichen (aus Bulgarien, den Niederlanden, Griechenland, Deutschland und Norwegen), beleuchten die schulischen Leistungen (Studien aus Italien und Schweden), Gesundheitsprobleme, Alkohol- und Tabakkonsum sowie riskantes Sexualverhalten (Studien aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden und der Slovakei), informieren über Delinquenz (zwei Studien aus Dänemark) und untersuchen die Bindungssicherheit (eine Studie aus Deutschland). Fast durchgängig erbrachten diese Studien eine ungünstigere Entwicklung bzw. ein geringeres Wohlergehen der Kinder mit geschiedenen bzw. getrennten Eltern im Vergleich zu Kindern aus Kernfamilien mit verheirateten Eltern. Die gewichtete Effektstärke betrug im Durchschnitt aller Studien Cohens d = .17 und erwies sich damit als eher schwach, aber vergleichbar zu den Befunden aus den USA. Interessanterweise zeichnet sich im Zeitvergleich trotz steigender Verbreitung und „Institutionalisierung“ von Trennung und Scheidung sowie einer geringeren Stigmatisierung von Trennungskindern keine Abschwächung dieser Unterschiede ab, weder in den USA (Amato, 2001) noch in Europa. Im Gegenteil erbrachte ein Zeitvergleich auf Basis des Generations and Gender Surveys größere Nachteile von Scheidungskindern in Ländern und zu Zeiten mit höherer Scheidungsrate (Bernardi & Radl, 2014).
Wenngleich solche einfachen Vergleiche zwischen Scheidungs- und Kernfamilien hilfreich sind, um die Unterschiedlichkeit der Lebensbedingungen und der kindlichen Entwicklung abzuschätzen, geben sie doch keine angemessene Auskunft über die Wirkung einer elterlichen Trennung und der hiermit verbundenen Veränderungen in den Lebensumständen. Zudem verdecken sie die Heterogenität der Reaktionen auf Seiten der betroffenen Eltern und Kinder. In diesem Sinne betont Amato (2010): „Focusing on the average effects of divorce masks the substantial degree of variability that exists in people’s adjustment“ (S. 661). Um Aufschluss über diese Variationen in der Trennungsbewältigung zu gewinnen, hat sich das Augenmerk zunehmend auf die Diversität und Dynamik von Trennungsfamilien und deren Bedeutung für die Entwicklungsverläufe von betroffenen Kindern und Jugendlichen gerichtet (Amato, 2000, 2010; Hetherington, Bridges & Insabella, 1998; Hetherington & Kelly, 2003). Neben ehemals verheirateten Scheidungsfamilien wurden auch Trennungen nichtehelicher Lebensgemeinschaften in den Blick genommen (Alt & Bender, 1998; Manning, Smock & Majumdar, 2004). Die Bedeutung der rechtlichen Rahmung elterlicher Rollen nach Trennung und Scheidung wurde mit Blick auf das Sorgerecht untersucht (Bausermann, 2002; |16|Proksch, 2002), das ehemals verheirateten Eltern seit 1998 im Regelfall gemeinsam zusteht und auch von nicht verheirateten Eltern durch die Abgabe einer Sorgeerklärung als gemeinsames Sorgerecht begründet werden kann (Jurczyk & Walper, 2013). Und mit dem Fokus auf Folgepartnerschaften der Eltern sind Stieffamilien ins Blickfeld gerückt (Bien, Hartl & Teubner, 2002; Hetherington & Jodl, 1994; Jeynes, 2006).
Vor allem haben sich – auch jenseits dieser eher strukturellen Merkmale von Trennungsfamilien – zahlreiche Forschungsarbeiten mit der Ausgestaltung von...