2 Nach welchem Inklusionsmodell soll gearbeitet werden?
Die erste Frage, die sich ein Team stellen muss, das inklusiv unterrichten möchte ist: Welchem schulischen Inklusionsmodell wollen wir folgen?
2.1 Allgemeine Inklusionsmodelle, die auch für Schüler im Autismus-Spektrum geeignet sind
Die bereits entwickelten Inklusionsmodelle konzentrieren sich auf einzelne Aspekte des Unterrichts, wie die Gestaltung von Rahmenbedingungen und die Organisation der Förderung. Man kann sie also kombinieren oder sich auch zunächst auf den Bereich konzentrieren, der am einfachsten umzusetzen ist.
2.1.1 Fachkräfte bündeln: Die Schwerpunktschulen
Das Modell der Schwerpunktschulen beschreibt eine Möglichkeit, Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen und dafür spezialisierte Fachkräfte zusammen zu bringen. Die Unterrichtung von Schülern im Autismus-Spektrum braucht autismusspezifische sonderpädagogische Kompetenz. Es ist aus Gründen des Fachkräftemangels derzeit unrealistisch, sie an jeder Schule vorzuhalten. Die Gründung von Schwerpunktschulen, d. h. Schulen, die sich speziell auf die Unterrichtung von Schülern im Autismus-Spektrum konzentrieren und hierfür spezialisieren, kann ein erster sinnvoller Schritt in Richtung Inklusion darstellen (siehe Laubenstein, Lindmeier; Guthöhrlein & Scheer, 2015).
In England zeigten Eltern eine deutlich höhere Zufriedenheit mit einer autismusspezifischen Förderung in einer Regelschule oder sogar einer auf Autismus spezialisierten Einrichtung als Eltern, deren Kinder unbegleitete Regelschulen besuchten (Barnard, Prior & Potter, 2000). Dies spricht ebenfalls für eine Bündelung der Kompetenz.
Auch Schwerpunktschulen (ebenso wie andere Schulen) können den Unterricht noch nach verschiedenen Modellen organisieren. Das Modell kann sich im Laufe der Schulzeit verändern. Die Entscheidung wird u. a. davon beeinflusst
• wie groß die Gruppe sein darf, damit sie für den Einzelnen gute Rahmenbedingungen für seine Entwicklung bietet,
• ob und wie gut das Kind imitieren und damit vom Modell der anderen profitieren kann,
• ob das Kind spezielle Lernangebote braucht, die über das Niveau der anderen Kinder deutlich hinausgehen oder darunter liegen und sich in ihrem Klassenrahmen nicht realisieren lassen (z. B. im musischen Bereich),
• wie stark der Heranwachsende sich selbst oder/und andere verletzt,
• ob das Kind Stereotypien zeigt, die andere beim Lernen beinträchtigen (z. B. ob es ständig Geräusche macht),
• ob der Schüler in der Lage ist, elementare Normen und Regeln einer Schulklasse einzuhalten (z. B. eine Zeitlang ruhig am Platz zu sitzen, die Arbeitsergebnisse der Mitschüler nicht zu zerstören),
• wie die personelle Ausstattung einer Einrichtung ist,
• wie die Fähigkeit und Bereitschaft zur Teamarbeit sind.
Der Unterricht kann unterschiedlich organisiert werden. Insbesondere bei zieldifferentem Unterricht für Schüler mit erheblichem Unterstützungsbedarf aber auch bei Schülern mit besonderen Fähigkeiten kommen drei Unterrichtsformen zum Einsatz:
• individualisierter,
• kooperativer und
• gemeinsamer Unterricht.
Im individualisierten Unterricht kann in einer Einzelfördersituation autismusspezifisch gearbeitet werden. Inhalte können u. a. in der Kommunikationsförderung, in der Einführung von Aktivitätsplänen oder Arbeitsstationen4, aber auch der Förderung im Bereich der Selbstbedienung bestehen ( Abb. 2.1).
Im kooperativen Unterricht werden gemeinsam Aufgaben gelöst, wie sie z. B. innerhalb von Projekten realisiert werden. Gemeinsamer Unterricht findet u. a. in Form des Morgenkreises statt. Hier geht es um das Erleben von Gemeinschaft und Kommunikation untereinander. Das Erlernen und Einhalten sozialer Regeln stellt dabei eine wichtige Aufgabe dar (Bauersfeld & Terfloth, 2017). Gestaltet werden können diese Unterrichtsformen vom Lehrerteam nach folgenden Modellen:
Modell A: Partner-, Kooperations- und Außenklassen
Alle Kinder besuchen gemeinsam eine Schule, sind allerdings nicht die ganze Unterrichtszeit zusammen. 10% bis 90% des Tages können sie in speziellen Klassen verbringen.
So ist es beispielsweise in den USA. 99% der Schüler mit Behinderung besuchen dort die allgemeine Schule, aber nur 7% besuchen sie zu 100% (Theunissen, 2014). 33% der Schüler im Autismus-Spektrum nehmen an weniger als 40% des Unterrichts teil (NCES, 2013).
Dieses Modell ist auch durch sogenannte »Partner-, Kooperations- oder Außenklassen« umsetzbar (Wachtel, 2015, S. 46). Hier wird eine Klasse eines Förderzentrums zusammen mit einigen
Abb. 2.1: Arbeitsstation (mit freundlicher Genehmigung von Anke Lüth)
seiner Lehrer an eine Regelschule »ausgelagert«. Dort kooperiert die Klasse mit einer Klasse dieser Schule. Über die Ziele und den Umfang der Kooperation entscheiden die Teams und die Schulen (ebd.).
Insbesondere Schüler, die individuellen Unterricht in einer 1:1-Situation benötigen oder Schüler, die durch ihr Verhalten andere in ihren Lernmöglichkeiten beeinträchtigen, können von diesem Modell profitieren. Das können Mädchen und Jungen sein, die sich schlecht emotional regulieren können ( Kap. 4.4) und unter Umständen lange und oft weinen und schreien, oder motorisch extrem unruhig sind bzw. ständig Geräusche produzieren. Da alle Schüler das gleiche Recht haben, in Ruhe zu lernen, kann die Herauslösung des Schülers in bestimmten Lernphasen auch der Entlastung der anderen dienen.
Modell B: Zusätzliche Förderung im Extraraum
Alle Kinder besuchen gemeinsam eine Schule, einzelne Kinder bekommen aber parallel zum Unterricht zusätzliche Förderung in einem Extraraum. Wie viele Stunden das sind, ist nicht allgemein geregelt. Es hängt davon ab
• in welchem Bundesland sich die Schule befindet,
• welcher Förderbedarf festgestellt wurde,
• wieviel Sonderpädagogenstunden im Schulgesetz dieses Bundeslandes für den sonderpädagogischen Förderbedarf festgelegt wurden,
• wie die Schule die Verwendung der Sonderpädagogenstunden festlegt. Sie müssen nicht zwangsläufig für eine parallele Förderung des Schülers eingesetzt werden. Sonderpädagogen können z. B. auch beratend tätig werden, im Unterricht anwesend sein und haben oft gutachterliche Aufgaben, die innerhalb des Stundenvolumens erledigt werden müssen.
Eine Herauslösung aus der Lerngruppe kann vorteilhaft sein, wenn sich dadurch die Konzentration des Kindes erhöht, oder wenn es Förderangebote benötigt, die bewegungs- oder geräuschintensiv sind.
Ein Nachteil kann entstehen, wenn der Sonderpädagoge krank ist. Dann fällt die Förderung meist aus. Zudem hat der Schüler in diesem Modell für seine Mitschüler eine hervorgehobene Rolle.
Modell C: Stundenweise Begleitung durch Sonderpädagogen
Alle Kinder sind zu 100% in ihrem Klassenverband. Einige Kinder werden innerhalb der Klasse stundenweise von einem Sonderpädagogen gefördert.
In diesem Modell stellt die sonderpädagogische Kompetenz eine ergänzende Serviceleistung dar, in der das Anderssein einzelner Schüler besonders hervorgehoben wird (Laubenstein, Lindmeier; Guthöhrlein & Scheer, 2015). In der Schulrealität lässt es sich leider nicht immer umsetzen, dass der Sonderpädagoge auch gerade dann vor Ort ist, wenn der Schüler ihn dringend braucht.
Modell D: Co-Teaching
Alle Kinder lernen in einer Klasse. Es gibt ein Zwei-Pädagogen-System, das aus einem Pädagogen und einem Sonderpädagogen besteht (Theunissen, 2014).
Der Fokus liegt auf heterogenen Lerngruppen, nicht ausschließlich auf einzelnen Schülern. Vorlieben und fachliche Spezialisierungen können dabei durchaus berücksichtigt werden. Man nennt dies auch »Co-Teaching« (Albers, 2015, S. 138).
In Brunswick, Kanada, arbeiten sogenannte »M & R-Lehrkräfte« (Methoden- und Ressourcenlehrkräfte) in der Klasse und sind wie der...