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Seismographische Funktion von Öffentlichkeit im Wandel

AutorHeinz Bonfadelli, Kurt Imhof, Otfried Jarren, Roger Blum
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl345 Seiten
ISBN9783531911267
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis49,99 EUR




Prof. Dr. Kurt Imhof leitet den 'fög - Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft' am Soziologischen Institut und am IPMZ - Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.
Prof. Dr. Heinz Bonfadelli ist Leiter der Abteilung 2 am IPMZ - Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.
Prof. Dr. Roger Blum ist Direktor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern (ikmb).
Prof. Dr. Otfried Jarren ist Direktor des IPMZ - Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.



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Leseprobe
Einleitung (S. 7)

Medien zwischen Seismographie- und Frühwarnfunktionen

Heinz Bonfadelli

Den Medien und der medienvermittelten Öffentlichkeit werden in der theoretischen Literatur, aber auch im öffentlichen Diskurs vielfältige und oft normativ bestimmte Erwartungen und Leistungen zugeschrieben. Neben Information und Orientierung, aber auch politischer Meinungsbildung und gesellschaftlicher Integration ist nicht zuletzt immer wieder von der seismographischen Rolle und von der Frühwarnfunktion von Öffentlichkeit und Medien die Rede.

Unter der seismographischen Qualität der öffentlichen Kommunikation werden zumeist ganz unterschiedliche Dinge subsumiert, wobei das Konzept definitorisch oft nicht allzu trennscharf verstanden und kaum in einen weiteren theoretischen Kontext eingebunden wird. Prozessorientiert und in einer Zeitperspektive wird damit meist der Sachverhalt angesprochen, dass Medien im Sinne einer Frühwarnfunktion auf gesellschaftliche Probleme zuhanden von Öffentlichkeit und Politik hinweisen bzw. Entwicklungen thematisieren, mit denen sich die Gesellschaft zukunftsorientiert befassen sollte.

Erwartet wird von den Medien positiv ein Beitrag zur besseren Steuerung und zur zukunftsorientierten Problembewältigung. Negativ oder als Defizit der Medien moniert wird zugleich immer wieder, dass die Medien nicht aktiv genug agierten, sondern auf gesellschaftliche Veränderungen meist nur reagieren würden oder – kritischer formuliert – von sozialen Problemen oder gar Missständen ablenkten und im Dienste der herrschenden Eliten diese tendenziell sogar verschweigen oder gar unterdrücken würden.

So verstanden bezieht sich Seismographie eingeschränkt nur auf eine mehr oder weniger passiv verstandene Beobachterrolle von Medien und Öffentlichkeit im Sinne der mehr oder weniger verzerrten Spiegelung von Ereignissen und Entwicklungen, welche in der Gesellschaft als sog. primäre Realität geschehen.

Grundsätzlich kann zu dem mit Seismographie- und Frühwarnfunktionen angesprochenen Problembereich der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft festgehalten werden, dass es an verlässlichen empirischen Analysen zur Frage, ob und inwieweit die medienvermittelte öffentliche Kommunikation tatsächlich die in sie gesetzten Erwartungen hinsichtlich einer seismographischen Rolle mangelt.

Und nach wie vor gibt es weder eine umfassendere theoretische Reflexion noch eine breit abgestützte empirische Forschung zur umgreifenden Frage, wie sich moderne Gesellschaften über öffentliche Kommunikation reflexiv steuern, und ob oder unter welchen Randbedingungen die klassischen Massenmedien eine eher passive und distanzierte Rolle der Beobachtung und allenfalls der Trendverstärkung spielen oder mehr im Sinne der aktiven Beeinflussung und Steuerung – Stichworte: Inszenierung und Skandalisierung – agieren.

Auch in normativer Hinsicht bleibt durchaus umstritten, ob die Medien eher als unabhängige und neutrale Instanzen der Vermittlung und als mehr oder weniger passive Foren für die Meinungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen wie Politiker, Parteien, NGOs, Experten etc. verstanden werden sollen, oder in welchem Ausmaß und in welchen Situationen von den Medien als eigenständigen Akteuren auch eine Rolle in Richtung von Kritik und Kontrolle oder gar Beeinflussung von Politik, Wirtschaft und Kultur erwartet werden sollte.

Zu den oben konstatierten Kontroversen und Schwächen kommt hinzu, dass seit längerem ein Strukturwandel der Öffentlichkeit wie auch vielfältige Tendenzen eines Medienwandels zu beobachten sind, die in der Öffentlichkeit mit Stichworten wie Personalisierung, Emotionalisierung und Inszenierung, aber auch Skandalisierung umschrieben werden können. Und diese Veränderungen wiederum dürften nicht ohne Konsequenzen für die Seismographiefunktion der Medien geblieben sein.

Im Kontext der seismographischen Funktion von Öffentlichkeit und Medien, gerade auch im Hinblick auf die Dimension des Wandels von Gesellschaft und Medien, stellt sich somit eine Vielzahl an aktuellen Fragen, die 2006 am Mediensymposium Luzern theorieorientiert diskutiert und mit empirischer Forschung unterfüttert wurden. Die dazu verfassten fruchtbaren Tagungsbeiträge sind in diesem Sammelband dokumentiert.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber3
Inhalt6
Medien zwischen Seismographie- und Frühwarnfunktionen8
1. Die Regulation von Gesellschaft durch öffentliche Kommunikation16
Die seismographische Qualität der Öffentlichkeit17
Öffentlichkeit als Seismograph? Über Bedingungen der Enthüllungsfunktion von Medien am Beispiel der Dreyfus-Affäre57
Warum das Reformieren keine Freude mehr macht. Ökonomischer Wandel und der Wandel der Seismographie der öffentlichen Kommunikation80
Der Einzelne und die öffentliche Kommunikation102
2. Medienwandel und Seismographie117
Wandel redaktioneller Strukturen und Entscheidungsprozesse118
Journalismus und PR als Seismographen und Frühwarnsysteme?129
Zur Logik medialer Seismographie: Der Nachrichtenwertansatz auf dem Prüfstand145
Strukturen und Wandel von Öffentlichkeit und ihre seismographische Funktion169
3. Politikwandel und Seismographie188
Sphären des (Un-) Politischen. Ein Modell zur Analyse von Politikdarstellung und -rezeption.189
Pessimistische Theorie – Optimistische Praxis? Unterschiedliche Sichtweisen auf die Konsequenzen der Ökonomisierung der Medien für deren seismographische Funktion in der Demokratie208
Frankreichs Referendumsdebatte in deutschen Printmedien: Beobachtung von außen oder Stellvertreterdebatte?228
Die Mediatisierung der Kriegsgründe im Irak-Konflikt: Story Telling und evidenzbasierte Diskursfragmente im Widerstreit. Ein Vergleich der deutschen und US-amerikanischen ‚Qualitäts’-Presse245
4. Kulturkommunikation und Seismographie277
Feuilletondiskurs und seismographische Funktion von Kulturkommunikation278
Kulturberichterstattung im Wandel297
Die Wirkung von Fernsehdokumentationen zum Rechtsextremismus auf die seismographische Funktion der Adressaten317
Autoren342

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