Vorwort von Timothy Ferris
Wenn, wie Paul Valéry es ausdrückte, »der wahre Dichter derjenie ist, der inspiriert«, dann ist Hunter Thompson ein wahrer Dichter. Sein Stil hat zahllose Nachahmer gefunden (die natürlich allesamt furchtbar gescheitert sind: Niemand schreibt wie Hunter), und er hat jenen Journalisten einen brillanten Fundus gnadenloser Gedankenschärfe und ätzender Empörung eröffnet, die genügend Feingefühl besitzen, um von seinem Vorbild zu profitieren, ohne zu versuchen, seinen Schreibstil zu kopieren. Seine berüchtigt intensive und impulsive Lebensweise – dokumentiert in seinen eigenen Werken und in den Berichten anderer, die den Mut hatten, ihn auf seiner Reise ein Stück weit zu begleiten – hat ebenfalls massenhaft Nachahmer auf den Plan gerufen. Die meisten von ihnen haben es allerdings klugerweise vermieden, sich zu nahe zu diesem sonderbar dunklen Stern hinaufzuschwingen. So gut wie jeder, der etwas von Hunter weiß, ist von ihm fasziniert, und die enge Verkettung seiner Arbeit mit seiner Person hat ihm ungewöhnlichen Ruhm eingebracht. Fünf Biografien sind über ihn erschienen, in Hollywood wurden zwei Spielfilme nach seinen Büchern gedreht, und sein Name erscheint auf einer halben Million Webseiten im Internet – öfter als die Namen William Burroughs, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Norman Mailer und Tom Wolfe zusammengenommen.
In Anbetracht dessen, dass er in den meisten seiner Werke agierender Protagonist ist, stellt sich die Frage, wer denn in erster Linie verantwortlich ist für all diese Inspiration und die faszinierenden Geschichten: Hunter, der Schreiber, oder Hunter, über den geschrieben wird? Eine Frage, die sich besonders deshalb aufdrängt, weil Königreich der Angst als Lebenserinnerung auftritt und als solche die Konfrontation eines Autors mit sich selbst darstellt. Die Antworten liegen nicht auf der Hand – besonders deswegen nicht, weil Königreich der Angst ebenso wie Einsteins Autobiographische Notizen von der Reflexion darüber, wer der Autor ist, sehr schnell abschweift zu Darstellungen dessen, was er tut. Und diese vermitteln uns alles andere, als ein geschlossenes Gesamtbild. Jeder Mensch ist viele Menschen – Whitman verwies auf diesen Sachverhalt, als er sagte, dass in ihm ganze Völker enthalten seien –, und keine simple Gegenüberstellung des Künstlers als Schöpfer und des Künstlers als Subjekt kann letztlich mehr liefern als einen flüchtigen Ausschnitt der Realität. Trotzdem dürfte die nähere Betrachtung des Verhältnisses zwischen Hunter, dem Autor, und seinem in der ersten Person erzählenden Protagonisten zumindest einen schwachen Lichtschein in die dunklen Katakomben seiner ausufernden Kreativität werfen.
Zunächst einmal schreibt Hunter äußerst witzig. Er zählt zu den größten amerikanischen Humoristen aller Zeiten. Sein Witz ist zudem, wie wahrer Witz eigentlich immer, im Wesentlichen ernsthaft, und in seinem Kern tobt ein himmelschreiender Wirbelsturm aus Empörung und Schmerz, den Hunter in Werke von bleibendem Wert zu verwandeln vermochte. Diese Werke besitzen darüber hinaus den Vorzug, von den Fakten her verlässlich zu sein – solange es der Autor so möchte. Hunter ist ein akribisch recherchierender Reporter, der nicht scherzte, als er seinem Publikum im Strand in Redondo Beach sagte: »Ich bin der genaueste Journalist, den ihr je zu lesen bekommen werdet.« Während der dreißig Jahre unserer Freundschaft hat er meinen Stil und meine Wortwahl öfter und zutreffender korrigiert als ich die seine – und er hat sich nicht nur deshalb durchgesetzt, weil er üblicherweise mit einer .454er Magnum bewaffnet war, mit der er einmal auch eine seiner vielen IBM-Selectric-Schreibmaschinen zerschoss. »Diese Waffe ist einfach zu heftig, es sei denn, man will auf zweihundert Meter einen Buick vernichten«, erinnerte er sich an die Schüsse auf seine elektrische Schreibmaschine. »Die Kugel hat die Maschine mit einer solchen Geschwindigkeit durchschlagen, dass man denken könnte, irgendein Strahl sei durch sie hindurchgefahren. Man konnte kaum erkennen, wo ich sie getroffen hatte. Also bin ich losgegangen und habe eine Magnum Schrotflinte Kaliber 12 geholt und die dazu passende Munition. Da sah das Einschussmuster schon ganz anders aus.« Er bekommt es fertig, ein bereits außer Kontrolle geratenes Besäufnis wieder zu erden, indem er penible Erwägungen zu den verschiedensten Dingen anstellt und vorträgt: von der Frage, wie glaubhaft das Gerücht sei, das während der Parteiversammlung der Demokraten 1972 aufkam und das andeutete, George McGovern werde in Kürze den zweiten Platz auf seiner Kandidatenliste Leonard Woodcock, dem Präsidenten der United Auto Workers, antragen (Hunter entschied sich, diesem Gerücht nicht zu trauen, und wie gewöhnlich behielt er Recht), bis hin zum Studium der Einträge, die sich im Thesaurus für das Wort Gewalt fanden. (»Dazu gehören hier Macht, Ungestüm, Kraft, Heftigkeit, Schärfe, Wildheit, Grausamkeit, Willkür, Kraftmeierei, Gräuel[tat], Wutausbruch, Aufruhr, gewalttätige Leidenschaft … Kann einem ja Angst machen; das ist ja wie eine Art Porträt von mir in Worten.«)
Aber dann verlieren seine Werke, auf ein kaum wahrnehmbares Zeichen hin, ihre Erdung und driften in eine Art Hyperraum, wo die Fakten auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen, ähnlich wie die Erde aus der Sicht eines Kosmonauten immer winziger wird. Das angestrebte Ziel ist dann nicht mehr die faktengetreue Darstellung, sondern verlagert sich auf die Suche nach einer verborgenen Wahrheit. Nur wenige Leser können diese Wendepunkte einwandfrei orten, und sehr viele stellen eine immer wiederkehrende Frage: Wie viel in den Schilderungen Hunters über seine Eskapaden – die schnellen Autos, unbändigen Motorräder, schwerkalibrigen Waffen und hochexplosiven Sprengstoffe, die schönen Frauen und die halluzinogenen Drogen, die beängstigenden Missgeschicke und die vielen waghalsigen Flirts mit dem drohenden Desaster, die seine Wendung »Angst und Schrecken« zu einem geflügelten Wort gemacht haben –, wie viel davon ist übertrieben?
Bei weitem nicht genug, als dass man sich entspannt zurücklehnen könnte.
Hunter hat sein Leben lang die Angst studiert – aber sie auch gelehrt. Er gab einem Song, den er kürzlich mit Warren Zevon schrieb, den Titel »You’re a Whole Different Person When You’re Scared«, und er ist überzeugt, sein Gegenüber nicht wirklich zu kennen, bevor er nicht auch diesen anderen Menschen in ihm kennt. Diverse Male ist er mit einer übel aussehenden Injektionsspritze für Pferde auf mich losgegangen, hat mich mit einer geladenen Schrotflinte bedroht, mit Elektroschockern und Reizgas-Spraydosen, hat mich mitgenommen, wenn er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in dunkler Nacht zu abgelegenen Mordschauplätzen raste – und ich möchte bezweifeln, dass meine Reaktionen auf derartige Strapazen sein Interesse weckten, denn ich habe ihm stets in aller Seelenruhe mein Leben anvertraut. Doch diejenigen, die sich angesichts solcher Behandlung derart verwandeln, dass sie die Infrarotsensoren von Hunters tückischer Neugier aktivieren, können sich auf einen interessanten Abend gefasst machen.
Gleichzeitig ist dieser heulende Gewaltbesessene – gewohnheitsmäßig voll bis an den Kragen mit starken Rauschmitteln und mit egomanischen Zügen Beethoven’scher Dimension unter der Schädeldecke – aber auch gewissenhaft und rücksichtsvoll, höflich und mitfühlend, seltsam friedliebend auf seine Weise und unerschütterlich freigebig. Als er und ich jung waren und abgebrannt und man mich aus dem letzten festen Job feuerte, den ich je hatte, bot er sofort an, mir vierhundert Dollar zu schicken – das ganze restliche Guthaben, das er damals noch auf seinem Konto hatte. Er hatte jedoch keine Ahnung, dass ich davon wusste. Wenn man sich fragt, wie er seine zahlreichen Exzesse hat überleben können, müssen seine tief verwurzelte Rechtschaffenheit und Integrität herausgestellt werden, aber hinzu kommt die Tatsache, dass er mit außergewöhnlichen Reflexen gesegnet ist. Ich habe einmal gesehen, wie er aus Versehen mit dem Handrücken einen Drink vom Tisch stieß, als er nach einem läutenden Telefon griff, aber dann das fallende Glas mit derselben Hand auffing, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Als wir Zuschauer unsere Verblüffung über dies Kunststück zum Ausdruck brachten, sagte er: »Na ja, wenn wir hier meiner Fähigkeit applaudieren, Rettungstaten zu vollbringen, sollten wir nie vergessen, wer die Unfälle eigentlich erst verursacht hat.« Mir ist nie jemand begegnet, der Hunter wirklich kannte und ihn nicht liebte.
Wir haben es mit einem hinreißenden, wenn auch furchteinflößenden Mann der Tat zu tun, so spektakulär und unvorhersehbar wie ein Blitzschlag, der gleichzeitig immer von einem eulenähnlichen, weisen Autor beobachtet wird, der zwar in derselben Haut steckt, aber nichtsdestoweniger ständig von dessen Verhalten überrascht und irritiert wird, genauso wie der Rest von uns. In Königreich der Angst ergeben sich aus den Interaktionen dieses seltsamen Gespanns Schilderungen von Abenteuern wie Hunters nächtlichem Ausflug zum Haus seines alten Freundes Jack Nicholson. Seinen Jeep hat er beladen »mit allerlei Scherzartikeln und technischem Plunder«, womit er die Herzen von Nicholsons Kindern zu erfreuen vorhatte: »Außer dem blutigen Wapitiherz gab es da noch einen klotzigen Outdoor-Verstärker, die Tonbandaufnahme vom Todeskampf eines Schweins, das lebendig von Bären gefressen wird, einen Suchscheinwerfer mit einer Million Watt und eine Neun-Millimeter-Pistole von Smith & Wesson, Halbautomatik mit Teakgriff, sowie eine Schachtel mit Hochleistungsmunition. Dann war da noch ein...