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E-Book

Das Gesetz der Krise

Wie die Banken die Politik regieren

AutorSusanne Schmidt
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783426416129
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Krise, die mit der Lehman-Pleite vor vier Jahren einen ersten Höhepunkt fand, erlebte ihren zweiten, als 2011 immer neue Rettungsschirme aufgespannt werden mussten; inzwischen reden wir von Brandmauern in Billionenhöhe. Den Banken ist es gelungen, für die Folgen ihres Tuns andere verantwortlich zu machen, ihre Verluste zu verstaatlichen und ihre Boni zu sichern. Die Regierenden knicken immer wieder vor der Macht der Finanzmärkte ein. Die Europäische Zentralbank verhinderte jedoch einen Kollaps des Bankensystems, verschaffte den Krisenländern eine Atempause und beflügelte sogar die Aktienmärkte. Doch zu welchem Preis? Die Inflationsgefahr ist groß. Schon jetzt müssen die Sparer und Rentner die Kosten tragen. Die Politik muss dringend in den Krisenländern Wettbewerb und Wachstum zum Thema Nummer eins machen - und eine stringente Finanzmarktregulierung durchsetzen. Wenn ihr das nicht gelingt, wird am Ende der Bürger alles zahlen müssen - so will es das Gesetz der Krise.

Susanne Schmidt, geboren 1947, ist promovierte Nationalökonomin. Sie arbeitete mehr als dreißig Jahre lang in der Londoner City, dem neben der Wall Street weltweit wichtigsten Finanzplatz. Zwanzig Jahre lang war sie in leitender Funktion für internationale Bankhäuser tätig, die letzten zehn Jahre war sie Moderatorin und Kommentatorin des Börsensenders Bloomberg-TV. Susanne Schmidt lebt außerhalb Londons auf dem Land.

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Leseprobe

Das Bankensystem steht auf schwankendem Boden


Ende 2011, gut drei Jahre nach der Lehman-Pleite, stand die Finanzwelt kurz vor einem neuerlichen eruptiven Ausbruch, was allerdings in der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde. Es ächzte ganz gewaltig im Gebälk des Finanzsystems, das Grummeln des Vulkans war deutlich zu hören, der Boden fing an zu schwanken. Zwei Institute waren bereits im Oktober 2011 unter die Räder gekommen: die Brüsseler Bank Dexia und das große amerikanische Brokerhaus MF Global. Dexia hatte im Juli 2011, beim so genannten Stresstest, den die Europäische Bankenaufsicht durchführte, noch recht gut dagestanden, aber nur drei Monate später konnte sie sich ganz plötzlich nicht mehr refinanzieren; sie musste aufgespalten und verstaatlicht werden. Wenige Tage später ging MF Global kaputt: Das Brokerhaus, keine regulierte Bank, sondern ein im Schattenbankensystem tätiges Institut, verursachte die achtgrößte Pleite in der US-Geschichte. Man hatte sich mit europäischen Staatsanleihen verspekuliert, wies einen hohen Fremdverschuldungsgrad von 40:1 auf, stellte sich im allerletzten Moment übers Wochenende selbst zum Verkauf, entdeckte dabei, dass 1,2 Milliarden Dollar Kundengelder fehlten – und war am Montag pleite (den Verbleib der fehlenden Kundengelder hat man übrigens bis heute nicht ermitteln können).

Es war ein ominöses Déjà-vu. Schon 2007 war es in der Finanzbranche zu einer Reihe bedrohlicher Schieflagen von Instituten gekommen; in Deutschland betraf es die IKB, in Großbritannien Northern Rock, in den USA Bear Stearns, sie alle hatten entweder verstaatlicht, aufgespalten oder zwangsverkauft werden müssen. Mit der Pleite von Lehman Brothers im September 2008 erreichte die Krise dann ihren bis heute gefährlichsten Ausbruch.

Auch wenn seither manches repariert werden konnte, so stehen die Banken doch nach wie vor auf einem brüchigen Fundament. Ihre Profitabilität ist angeschlagen und wird noch auf längere Zeit unter Druck stehen. Zum einen liegt das an der schon erfolgten oder in Aussicht genommenen Neuregulierung. So müssen zum Beispiel mehr Kapital und Liquidität vorgehalten und gewisse risikoreiche Aktivitäten vermindert werden: Das erhöht die Kosten und senkt die Erträge. Zum anderen sind die Erträge aufgrund der Schuldenkrise drastisch eingebrochen. Vormals als sicher geltende Staatsanleihen mussten wertberichtigt oder mit Verlust am Markt verkauft werden – und der griechische Schuldenschnitt tat ein Übriges. Die Interdependenz zwischen Staatsfinanzierung, Staatsbonität und Banken stellt nicht zuletzt die Banken selbst vor enorme Probleme und schmälert ihre Erträge. Auch die prekäre konjunkturelle Situation in weiten Teilen Europas wirkt sich negativ auf die Profitabilität aus. Die allgemeine Unsicherheit auf den Finanzmärkten schließlich hat zu einer signifikanten Verringerung der Gewinne am Kapitalmarkt und im M&A-Geschäft geführt.

Aufgrund der mangelnden Profitabilität und trüber Zukunftsaussichten sind viele Institute von den Ratingagenturen heruntergestuft worden, und das wiederum bedeutet eine Verteuerung ihrer Refinanzierungskosten am Markt. Insbesondere für einige Banken in den Krisenländern ist die Situation bedrohlich. Hinzu kommen hausgemachte Fehler, die von den Banken selbst zu verantworten sind; zum Beispiel höhere Personalkosten durch eine drastische Anhebung der Grundgehälter – als Ausgleich für eine geringere Barkomponente bei den Boni – und ein rasantes Anheuern von Personal im Jahr 2010, da man meinte, der Buße für die Finanzkrise sei nun Genüge getan und man könne wieder beginnen, lukrative Geschäfte nach altbewährtem Moral Hazard-Muster zu tätigen.

Zurzeit gibt es eine Vielzahl von Banken, deren Aktiva deutlich wertberichtigt werden müssten. Das ist insbesondere in Europa der Fall, aber auch in den USA. Ein guter Indikator für eine notwendige Wertberichtigung ist die Börsenkapitalisierung. Bei den meisten börsennotierten Banken erreicht diese noch nicht einmal den Buchwert, was darauf hindeutet, dass Marktteilnehmer noch manches in den Bilanzen vermuten, was eigentlich abgeschrieben gehört. Die europäischen Banken erreichten Anfang 2012 im Durchschnitt nur eine 40-prozentige Börsenkapitalisierung des Buchwertes, das heißt, sie waren an der Börse nicht einmal die Hälfte dessen wert, was ihnen ihre Wirtschaftsprüfer bescheinigt hatten. Wenn höhere Abschreibungen nötig sind, benötigen die Banken mehr Eigenkapital, um die Abschreibungen zu verkraften. Die Europäische Bankenaufsicht bezifferte den Fehlbetrag Ende 2011 europaweit auf 115 Milliarden Euro, davon 13 Milliarden für deutsche Institute. Sie forderte die Banken deshalb auf, ihre Kernkapitalquote bis Ende Juni 2012 auf neun Prozent zu erhöhen.

Aufgrund der sich Ende 2011 verdichtenden Anzeichen, dass das Bankensystem auf eine neuerliche Explosion zuraste, zog die EZB die Notbremse. Sie flutete das System mit zusätzlicher Liquidität, und zwar mit Hilfe des so genannten LTRO-Kredites (long term refinancing offering). Dieser Kredit wurde in zwei Tranchen, Ende Dezember 2011 und Ende Februar 2012, ausgezahlt und läuft über drei Jahre. Er war in seiner Höhe unbegrenzt, die Banken konnten also so viel Geld nachfragen, wie sie nur haben wollten. Im Dezember wurden 489 Milliarden Euro, im Februar 530 Milliarden nachgefragt, insgesamt also gut eine Billion Euro. An der ersten Tranche beteiligten sich 523 Banken, an der zweiten sogar 800 Banken. Von diesen 800 Banken kam über die Hälfte aus Deutschland! Und sogar die deutsche Autoindustrie konnte sich nicht beschweren. Sowohl Daimler als auch Volkswagen waren mit ihren Auto-Finanzierungsgesellschaften dabei, desgleichen andere europäische Industriekonzerne, die Konsumfinanzierung betreiben. Es ist eine groteske Konsequenz unseres aufsichtsrechtlichen Bankensystems, dass höchst gesunde, global agierende, realwirtschaftliche Konzerne auf billige Rettungskredite der EZB zurückgreifen können.

Mit dem sagenhaften Kredit von gut einer Billion Euro hat die EZB erreicht, dass die bei vielen Banken ganz akuten Refinanzierungsprobleme zunächst unter den Teppich gekehrt werden konnten (laut EZB hatten die europäischen Banken Anfang 2012 einen Refinanzierungsbedarf von 1,5 Billionen Euro innerhalb der nächsten drei Jahre, davon 550 Milliarden in diesem Jahr). Das laute Grummeln des Vulkans ließ nach.

Auch war befürchtet worden, dass die Banken aufgrund mangelnder Refinanzierungsmöglichkeiten zu hastig große Teile ihrer risikogewichteten Aktiva (im Wesentlichen an das Schattenbankensystem) verkaufen würden und es damit zu einer Kaskade von Fire Sales und entsprechenden Preisverzerrungen käme. Dieser Furcht war nun ein Ende gesetzt. Die Märkte empfanden die Geldspritze als einen Befreiungsschlag. Die Aktienmärkte und die Kurse der Banken stiegen, und viele Banken konnten sogar wieder ihre eigenen Anleihen im Markt unterbringen (der DAX schloss das erste Quartal mit einem Rekordplus von 17,8 Prozent ab – trotz des zum Teil flauen März –, der S&P 500 mit einem Plus von 12 Prozent, dem besten Ergebnis seit 1998).

Das Vertrauen der Banken untereinander blieb allerdings weiterhin gestört. Die so genannte »Angstkasse« der Banken, also ihre eintägigen Einlagen von Überschussliquidität bei der EZB, schoss Anfang März auf ein Rekordhoch von 821 Milliarden Euro. Wenn das Bankensystem normal funktioniert, wird diese Überschussliquidität im Interbankenhandel ausgeliehen. Der allergrößte Teil der Einlagen hatte seinen Ursprung im LTRO. Der kostet ein Prozent, für ihre Einlagen bekommen die Banken aber nur ein Viertel Prozent. Auf das Jahr hochgerechnet bedeutet das also gewaltige Zinskosten von etwa 6,16 Milliarden Euro für das Bankensystem (821 Milliarden x 0,75 %). Weil es sich um extrem kurzfristige Übernachteinlagen handelt, kommt es zwar nicht effektiv zu diesen Zinskosten, aber die Rechnung zeigt, wie groß das gegenseitige Misstrauen der Banken war und ist.

Der (temporäre) Befreiungsschlag für das Bankensystem hatte allerdings ein saftiges Preisetikett. Zum einen hatte die EZB die Besicherungsvorschriften für die zweite LTRO-Tranche deutlich gelockert und gab sich nun auch mit Wertpapieren niederer Bonität als Besicherung zufrieden. Sie akzeptierte also auf gut Deutsch auch Schund. Zum anderen gab es erhebliche Mitnahmeeffekte, denn auch solche Banken fragten das billige Geld nach, die es eigentlich gar nicht brauchten (siehe Autoindustrie). Nirgendwo sonst hätten sie sich zu einem so billigen Kreditzins am Markt finanzieren können, sie wären sträflich dumm gewesen, dies nicht zu tun. Der so genannte Carry Trade wurde damit faktisch subventioniert, das heißt, die Banken nahmen das Geld von der EZB zu einem Prozent auf, um es in höher verzinsliche Anleihen oder andere risikoreichere, aber gewinnversprechende Finanzanlagen zu investieren.

Zu den Nachteilen zählt auch, dass sich die Banken von dem Druck befreit sehen, ihr Geschäftsmodell zu ändern. Sie können weitermachen wie bisher, denn sie sind nicht mehr auf den Markt als Hauptrefinanzierungsquelle angewiesen. Auf diese Weise werden auch solche Banken am Leben erhalten, die eigentlich aufgespalten und abgewickelt oder verkauft werden müssten. Zusätzlich besteht die Frage, ob der LTRO-Kredit nicht indirekt auch die Boni der Banker und die Dividenden der Bankaktionäre finanziert...

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