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Deutsch-italienische Fremdheit und deren 'Ent-Fremdung' in 'Maria ihm schmeckt's nicht' von Jan Weiler

AutorSofia Doßmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl43 Seiten
ISBN9783640229604
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Donau-Schwäbisches Institut), Veranstaltung: Ent-Fremdungen: Anpassung an/ Distanzierung von der neuen Lebensumgebung. Erfahrungen der Migranten in der deutschen, in den europäischen und in den Literaturen Südosteuropas nach 1945, 50 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Jan Weilers Debütroman 'Maria ihm schmeckt's nicht' beinhaltet 'Geschichten von meiner italienischen Sippe' (so der Untertitel). 'Die meisten Geschichten davon sind wahr, andere sind erfunden, wieder andere lassen sich beim besten Willen nicht nachprüfen.' (S.276), meint Weiler am Schluss in seinen Danksagungen. Es handelt sich also um einen 'autobiofiktionalen' Roman, der die Begegnung zweier Männer schildert, die in kürzester Zeit von Fremden zu engen Vertrauten werden. Das Besondere daran ist: der eine ist Deutscher und der andere Italiener. Florian, der Deutsche, ist Ich-Erzähler und erlebt die Begegnung mit Antonio, dem Vater seiner Verlobten, aus einer fast durchgängigen Gedankenrede heraus. Dabei bekommt der Leser eine besonders eindrückliche Vorstellung seiner Empfindungen diese Begegnung betreffend, seiner Erwartungen und seiner Reaktionen. Das ist deshalb besonders interessant, weil der Austausch der beiden Männer durch ihre kulturelle Verschiedenheit und ihre charakterliche Gegensätzlichkeit eine starke Dynamik erhält. In der Betrachtung der Fremdbegegnung des deutschen Protagonisten Florian in dem Roman 'Maria ihm schmeckt's nicht' mit der italienischen Verwandtschaft seiner Verlobten Sara können bestimmte Charakteristika für dessen eigene Kultur und sein Verhältnis zu ihr sowie seine Auffassung von der fremden Kultur abgelesen werden. Wenn Weilers Roman dann beginnt mit 'Ein Fremder steht vor der Tür. Das bin ich.' (S.7), dann lässt das auf eine nicht unproblematische Beziehung zu sich selbst schließen, die unweigerlich die Entwicklung der kurz bevorstehenden Begegnung mit seinem italienischen Schwiegervater in Spe beeinflussen muss.Bei der ersten Lektüre des Romans 'Maria ihm schmeckt's nicht' hatte ich bereits den Eindruck, dass das Urteil des Protagonisten über die italienische Kultur und auch Antonio gegenüber tendenziell abwertend gefärbt war, auch wenn er mehrfach seine Sympathie für diese beteuerte. Prekär ist diese Beobachtung gerade auch wegen des zumindest teilweisen autobiographischen Anspruchs, den der Roman hat, weshalb davon auszugehen ist, dass die Perspektive Florians die Perspektive Weilers repräsentiert. In dieser Arbeit sollen also die Aspekte untersucht werden, die bei der Begegnung zweier verschiedener Kulturen relevant werden, besonders derer, die für die Kulturbegegnung förderlich bzw. hinderlich sind.Der Fokus liegt dabei auf der Perspektive Florians, da der Leser durch deren Färbung hindurch die Fremdbegegnung erlebt.

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Leseprobe

2 Die Begegnung mit dem Fremden


 

2.1 Florian trifft Antonio: der anankastische Charakter


 

Kurz vor der ersten Begegnung mit seinen zukünftigen Schwiegereltern fühlt sich Florian „vor sich selber fremd“ (S.7). Er rechtfertigt diese Empfindung in einer Gedankenrede mit der Mission, in der er angereist ist, die für ihn zum ersten mal ansteht: „Man bittet auch nicht sehr häufig im Leben um die Hand einer Tochter“ (S.7). Dazu kommt, dass es für das Paar, Florian und seine Verlobte Sara, ihr „erster gemeinsamer Besuch bei ihren Eltern“ (S.7) ist, d.h. seine zukünftigen Schwiegereltern sind ihm noch nicht persönlich bekannt. Zu diesem Zeitpunkt sind die Protagonisten Florian und Antonio so weit voneinander entfernt, wie es nur überhaupt möglich ist: sie sind sich noch nie im Leben begegnet. Denn durch die symbolische Geste des „um die Hand Anhaltens“ wird eine Veränderung der Familienverhältnisse angestrebt, nämlich die der bestehenden gegenseitigen Unbekanntheit in die Verschwägerung, d.h. in eine verwandtschaftsähnliche Beziehung. Das Ausmaß des Wandels, also die Dimension, die überwunden werden muss, ist demzufolge exorbitant groß. Zwei einander völlig fremde Männer sollen mit einem Mal zu „Quasi-Verwandten“ werden, eine beachtliche Entfremdung des Status Quo. Das heißt, sie sind je füreinander der von Simmel vielzitierte „Wandernde, der heute kommt und morgen bleibt“[5]: Ein Fremder, in der Intention sich anzunähern, aber „der seine Fremdheit nicht durch völlige Assimilation abstreift“[6], also zugleich nah und fern“ wird, in dem Sinn „dass der Nahe fern ist [und] dass der Ferne nah ist“[7]. Dass Florian dieser Schritt Unbehagen bereitet, lässt sich der Äußerung entnehmen, er fühle sich mit dem Blumenstrauß als Gastgeschenk in der Hand „als Schwiegersohn verkleidet“ (S.7): Er ist nicht er selbst in dieser Rolle, er spielt sie lediglich.

 

2.1.1 Appräsentative Erwartung


 

Der Schwiegersohn in Spe versucht in der unberechenbaren, da neuen Situation das, was er nicht kennt, zugunsten einer Neugewinnung von Struktur und Ordnung zu kategorisieren. Durch die gemeinhin als typisch deutsch geltende „Ordnungsliebe“ und durch „das Befolgen von Vorschriften und Regeln“[8] drängt er danach, sich etwas zu schaffen, woran er sich festhalten und orientieren kann in der für ihn ungewohnten bzw. unvorhersehbaren Situation. Seine Unsicherheit angesichts des bevorstehenden Verlobungs-Rituals zeigt sich, indem er wie zur Beruhigung an etwas denkt, das „völlig sicher“ (S.13) ist: „Die Architektur eines Reihenhauses“ (S.12). Denn in einem solchen wohnen auch die Eltern seiner Freundin. Florian will vorbereitet sein auf das, was ihn erwartet und strebt auf diese Art nach Konstanten zum Schutz vor dem unheilvollen Unbekannten: Er sinniert so intensiv und ausführlich in Gedanken über die zu erwartende Aufteilung, Anordnung und Möblierung im „Klassiker“ (S.12) der Reihenhäuser, dass er kurzzeitig abdriftet, um das augenblicklich bevorstehende Ereignis zu verdrängen, bis ihn seine Freundin in die Gegenwart zurückholt, indem sie ihn an sein eigentliches Vorhaben erinnern muss: „Hallo, klingeln“ (S.13). Als die beiden das Haus betreten, merkt er an, dass der Flur „sich nicht einordnen lässt, weil eigentlich kein Stil überwiegt“ (S.14) und dies ist für ihn das „Verstörende“ (S.14) an der Situation. Er hat durch Erfahrungswerte in der Vergangenheit mit anderen Reihenhäusern eine bestimmte Erwartungshaltung entwickelt, die ihn ein relativ festes Bild vom Interieur des Reihenhauses der Marcipanes vorhersehen lassen. Dieses Phänomen des „vom Teil auf das Ganze schließen“ wurde von Alfred Schütz und Edmund Husserl als „Appräsentation“[9] bezeichnet. Dieser Begriff beschreibt, dass der Mensch anhand eines typisierten inneren Bildes von etwas, z.B. von einem Haus, von dem er nur die Vorderseite sieht, darauf schließt, dass gleichzeitig eine Rückseite existiert: wir „sehen "ein Haus" und nicht bloss eine Fassade. Das Vorhandensein der Rückseite wird bereits in der Typisierung "Haus" impliziert“[10]. Es ist ein automatisches „Mitsetzen“ von Charakteristika zu einer Erscheinung, die prototypisch in einem inneren Bild in uns bereits vorexistiert. Es funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie Imagotypen bzw. Stereotypen, die ja auch als die „inneren ikonischen Repräsentationen“[11] bezeichnet werden können, die „mit der Vorstellung selbst identisch“ sind, die wir von etwas oder jemandem haben. Die Vorstellung also, unsere inneren oder mentalen Bilder „beherrschen aufs stärkste den ganzen Vorgang der Wahrnehmung“[12],  beeinflussen die Wahrnehmung dahingehend, dass „gewisse Gegenstände als vertraut oder fremdartig“ erscheinen, wobei das innere Bild als Maßstab für die Bewertung der Wirklichkeit fungiert, die aber „nicht auf unmittelbarem und sicherem Wissen beruht“[13], sondern eine assoziative Verknüpfung ist, die „‚einem ganz von selbst einfällt’ [...] als etwas seit jeher ‚selbstverständlich’ Einleuchtendes“[14]. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien“[15], die eben diese mentalen Bilder erzeugen, anhand derer wir Fremdes nach unseren Vorurteilen davon als vertraut oder fremdartig, bekannt oder abweichend, typisch oder untypisch bewerten.

 

2.1.2 Abweichung


 

Jan Weiler führt dem Leser vor, dass der Kontakt mit Fremden bzw. Fremdem typischerweise angstvoll, skeptisch und vorsichtig aufgenommen wird. Er zeigt, dass sowohl eine ungenaue Vorstellung als auch eine voreingenommene Meinung oder ein allzu fertiges Bild vom zu Erwarteten eine unbestimmte Ängstlichkeit fördern können. Denn dieses Bild, das sich Florian vom Interieur des Reihenhaus in Gedanken ausgemalt hat, tritt in der Realität abweichend hervor. Die Erwartung des Protagonisten an die Beschaffenheit des Reihenhauses seiner zukünftigen Schweigereltern und die tatsächlichen Gegebenheiten stimmen nicht miteinander überein. Etwas für sicher geglaubtes entpuppt sich als falsch, was natürlicherweise eine erste Irritierung hervorruft, die in eine Unsicherheit führen kann, die die Skepsis dem Fremden bzw. Fremdem gegenüber erhöht, da es wiederum uneinschätzbar, ja nahezu nicht greifbar wird.

 

Diese Abweichung vom Bild, das von Florian vorher angenommen wurde, kann auf die gesamte kulturelle Begegnung des Deutschen mit dem Italiener Antonio übertragen werden. Denn nicht nur von den architektonischen Charakteristika des deutsch-italienischen Lebensraumes im Haus Marcipane ist Florian verwirrt, sondern auch von der Mentalität des „Misch-Ehepaars“.

 

Er erwartet einen bestimmten Rhythmus und Ablauf während dieser Begegnung, getreu den deutschen Konventionen, denn „[d]em alltäglich Fremden begegnen wir mit der Grundannahme, daß er oder es Bestandteil der Ordnung jener Wirklichkeit ist, die wir als die „gegebene“ erfahren“[16]. Doch Saras Eltern „machen sich nicht viel aus Konventionen“ (S.18). Die Kenntnis der „mögliche[n] Verhaltensweisen“ in einer sozialen Situation, die von allen Partizipanten geteilt wird, hätte Florian, dem Fremden, eine soziale Kompetenz und damit ein Stück Sicherheit in dieser Begegnung geben können. Doch die in Deutschland kulturell und gesellschaftlich bekannten „Verhaltensregelmäßigkeiten“[17], die als sogenannte „soziale Norm“[18] die „normale“ Verhaltensweise des Gegenübers einschätzbar machen könnte, können bei Saras Eltern nicht erwartet werden. „Die Kommunikation in dieser Begegnung kann „chaotisch“ werden und „entgleisen“, wenn die inneren Vorannahmen für das jeweilige Verhalten des anderen und seine inneren Möglichkeiten nicht zutreffen, sich nicht entsprechen.“[19] So fühlt Florian sich angesichts der Nichteinschätzbarkeit der Situation „hilflos“ (S.16), als er mit seinem Schwiegervater allein ist und tritt in Gedanken sogar schon fast den Rückzug von seinem Vorhaben an: „Was mache ich hier eigentlich?“ (S.17). „Wenn ich nicht routinemäßig annehmen kann, mit dem anderen in ,,einer Welt" zu leben, also die Selbstverständlichkeiten meiner Alltagswelt mit ihm zu teilen, rechne ich ihm eine andere Wirklichkeitsordnung zu, die mir „fremd“, weil unüberschaubar ist.“[20] Durch die Unmöglichkeit, sich über die in Deutschland typischen Höflichkeitskonventionen zu verständigen, ist den beiden Protagonisten eine grundlegende gemeinsame Interaktions-Basis genommen, ohne die sich der Protagonist im fremden „Herrschaftsraum“, dem Zuhause der Marcipanes,  deutlich unwohl fühlt. Er zeigt sich verunsichert, ängstlich und defensiv, die Unberechenbarkeit dieses Zusammentreffens scheint Florian ganzheitlich aus sich selbst heraus zu entwurzeln, weshalb er sich als „Fremder“ (S.7) vor sich selbst und „verkleidet“ (S.7) fühlt.

 

„Indem etwa kommunikatives Routinehandeln durch die Konfrontation mit den fremden Routinen ‚desautomatisiert’ wird, werden seine Strukturen und Prozesse, Muster und Schemata,...

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