Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ist für die Beurteilung des Investitionslandes von entscheidender Bedeutung. Dieser Abschnitt befasst sich mit der ökonomischen Entwicklung und den Zukunftsaussichten der Türkei, sowie den impulsgebenden, politischen Faktoren.
Die aktuelle Finanzkrise, die ihren Ursprung im amerikanischen Subprime- Markt hat und sich zunächst in eine globale Finanzkrise verwandelte, um schließlich eine große Weltwirtschaftskrise auszulösen, hat viele Länder hart getroffen. Viele Volkswirtschaften befinden sich in Folge dieser Krise in einer Rezession und deshalb rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit lediglich 0,5% Wachstum der Weltwirtschaft in 2009. Für Deutschland rechnet der Fonds gar mit einem Einbruch um 2,5%.[20]
Doch die Türkei hatte bereits 2001 eine verheerende Wirtschaftskrise zu überstehen. Ausgelöst durch einen öffentlichen Streit im Frühjahr 2001 zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit und dem Präsidenten Ahmet Nejdet Sezer über die Korruption im Lande, verloren die Märkte und das Volk ihr Vertrauen gegenüber der Regierung.[21] Neben der Korruption waren insbesondere Misswirtschaft und ein marodes Bankensystem die wichtigsten Kritikpunkte und schließlich Auslöser der Krise.[22] Im Zuge des Disputs zwischen den beiden Politikern verloren die Aktienmärkte bis zu 18% ihres Wertes an nur einem Tag und über ein Drittel in nur wenigen Tagen. Die bis dahin an wichtige Währungen wie dem US- Dollar und dem Euro gekoppelte Türkische Lira musste aufgrund der Kapitalflucht der Anleger durch die Zentralbank freigegeben werden und wurde somit den Kräften der Devisenmärkte ausgesetzt. Innerhalb eines Tages verlor dadurch die Türkische Lira 27% gegenüber dem US- Dollar und Inflationsraten schnellten auf Werte von über 60%. Kurzfristige Darlehen kosteten zeitweise über 5.000%.[23] Verschuldete Unternehmen mussten aufgrund der unbezahlbaren Schuldzinsen Insolvenz anmelden und trieben Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit. Eine schwere Rezession mit Werten über 8% war die Folge.[24] Der IWF hat der Türkei in dieser Situation mit einem Staatskredit unter die Arme gegriffen und vor einem möglichen Staatsbankrott gerettet, gleichzeitig im späteren Verlauf als Wächter der Haushaltspolitik und wichtiger Reformen fungiert.
Während heute das Finanzsystem weltweit wankt, der Staat in vielen Ländern eingreifen muss, und große Unternehmen die Reißleine ziehen müssen, hat sich das türkische Bankensystem in der Krise als stabil erwiesen. Da im türkischen Hypothekensystem Subprime-Kredite[25] nicht zulässig sind und das Bankensystem gut reguliert ist, blieben die türkischen Banken von der Krise weitestgehend verschont. Lediglich weniger als ein halbes Prozent der Immobiliendarlehen in der Türkei sind in Zahlungsschwierigkeiten.[26] Die türkischen Bankinstitute wurden im Zuge der Wirtschaftskrise von 2001 neu strukturiert und gekräftigt. Eine Reihe von entscheidenden Strukturreformen wurde in die Wege geleitet, um das System zu verbessern. So wurden beispielsweise viele Institutionen vom Staat übernommen, Fusionen und Übernahmen fanden statt und die Eigenkapitalquote wurde aufgestockt (2007 lag der Durchschnitt bei 18,8%)[27]. Das Kerngeschäft wurde forciert, Risikogeschäfte konnten aufgrund der harten Regularien nur sehr eingeschränkt getätigt werden. Dank dieser Reformen sind türkische Banken nicht direkt von der aktuellen Krise betroffen, sie führt jedoch zu einem Rückgang der Geschäfte, bedingt durch die Abnahme der Anzahl der Kreditvergaben.[28]
Bemerkenswert ist die Entwicklung nach den Reformen, denn viel ausländisches Kapital floss besonders in den Bankensektor und dies erklärt auch die starke Zunahme der Direktinvestitionen der letzten Jahre in der Türkei. In 2007 erreichten die Investitionen ein Rekordniveau von 21,9 Mrd. US- Dollar. Ausländische Investoren halten inzwischen über 40% des Gesamtkapitals im Bankensektor. Die türkische Bankenbranche kann also trotz des aktuell schwierigen Umfeldes weiterhin mit guten Ergebnissen rechnen.[29]
In den vergangenen fünf Jahren vor der Weltwirtschaftskrise hat die Türkei die idealen Rahmenbedingungen durch den Neuaufbau gut genutzt und konnte einen durchschnittlichen Zuwachs des Bruttoinlandproduktes von 6,9% verzeichnen und zugleich einen starken Rückgang der Inflation auf einstellige Werte vermelden. Die zunehmende Integration in den Welthandel spielte dabei ebenso eine wichtige Rolle wie die höher werdende wirtschaftliche Stabilität, sowie die immer weiter voranschreitende Umsetzung von Strukturreformen wie z.B. die Liberalisierung von wichtigen Industriezweigen und des Bankensektors.[30] Doch die Türkei birgt in ihrer wirtschaftlichen und politischen Zusammensetzung auch Gefahren. Sie ist stets für externe und interne Schocks anfällig. So sind die wirtschaftlichen Fundamentaldaten immer noch hinter denen der so genannten BRIC- Länder (Brasilien, Russland, Indien, China). Zudem sind die enorme Abhängigkeit von ausländischem Kapital, der immer wieder auftretende Inflationsdruck und die Risiken einer politischen Unruhe als ständige Begleiterscheinung der Türkei ein Störfeuer für die positive Entwicklung der Wirtschaft. Eine Verschärfung dieser Umstände könnte jederzeit zum Ausbleiben wichtiger, ausländischer Kapitalzuflüsse führen.[31]
Unabhängig von der Entwicklung in der Türkei ist aktuell auch zu beobachten, dass den Investoren aufgrund der globalen Wirtschaftskrise die Mittel ausgegangen sind und daher vermeintlich riskantere Anlagen wie z.B. in die Türkei gegen sichere Staatsanleihen in US- Dollar oder Euro getauscht werden. Also leidet die Türkei hier indirekt an der Krise mit.[32]
Die politischen Entwicklungen in der Türkei sind stets mit besonderer Brisanz gefüllt, von ihr ist inländische Stabilität, aber auch wirtschaftliche Beständigkeit abhängig. Doch meist bildet das politische Umfeld eher ein Risiko für die Entwicklung der Türkei. Das überdosierte Machtstreben türkischer Politiker, sowie Korruption anstelle von gemeinnütziger Reformen, die Kurdenthematik, die Ungleichheit zwischen Ost und West, aber insbesondere auch die Rolle des türkischen Militärs bilden regelmäßig Unsicherheiten für außenstehende Beobachter und Investoren. So hat das Militär bereits dreimal mit militärischen Interventionen Einfluss auf die Regierung genommen und bei einem vierten Mal 1997 durch Drohung eines Putsches die Regierung zum Rücktritt bewegt. Für die Demokratie im Lande und Sicherheit der Märkte sind dies keinesfalls unterstützende Maßnahmen.[33]
In der Türkei fanden am 29. März 2009 landesweite Kommunalwahlen statt. Das Ergebnis war folgendes: die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufbau (AKP) des Ministerpräsidenten Erdogan bleibt mit 38,79% an der Spitze und trotz Stimmverlusten behält sie einen eindeutigen Vorsprung gegenüber der Opposition. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) erreichte bei diesen Wahlen nur 23,13% und 16,05% stimmten für die rechtsorientierte Partei der Nationalen Bewegung (MHP). Die Demokratische Volkspartei (DTP) erhielt 5,67%, während die islamistische Partei der Glückseligkeit (SP) 5,16% der Stimmen bekommen hat.[34] Der Erfolg der AKP kann auf ihre Nähe zum Volk zurückgeführt werden. Allerdings gibt es landesweite Proteste sobald eine Islamisierung sich spürbar macht. Denn das türkische Volk, das zwar an religiöse Werte gebunden ist, toleriert keine radikale Islamisierung. Besonders die offizielle Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU und die Bemühungen, die dafür notwendigen Reformen durchzusetzen, hat die Wählerschaft überzeugt. Außerdem verfolgen Erdogan und seine Partei eine freundliche Kurdenpolitik.[35]
Jedoch sollte hier angemerkt werden, dass die AKP, wie andere Parteien auch, eine eigene „Vetternwirtschaft“ aufgebaut hat. Die Opposition hat sich während der Wahlkampagne besonders darauf bezogen, um die Wählerschaft auf solche Ereignisse aufmerksam zu machen. Da das Volk heute kein Vertrauen mehr in die CHP hat, war die Kampagne eher erfolglos. Die von Atatürk gegründete CHP wird als zu „volksfremd“ empfunden, da ihre Bestrebungen nicht mit den Wünschen der gläubigen Türken übereinstimmen. Sie ist unreligiös und lehnt sowohl Privatisierungen, ausländische Direktinvestitionen, als auch die EU- Vorgaben ab. Gerade an einem Zeitpunkt, an welchem die Türkei versucht sich in die Weltwirtschaft zu integrieren und ausländische Kapitalflüsse anzulocken, ist die Einstellung der CHP unerwünscht. Die nationalistische MHP ist besonders in Provinzen beliebt, in welchen die kurdische Binnenmigrationsrate hoch ist. Die Kurden, die schätzungsweise 20%, d.h. 10-15 Millionen der Gesamtbevölkerung vertreten, wählen meist die DTP, doch die Religiösen unter ihnen vertrauen der AKP. Die radikale DTP von der behauptet wird, dass sie unter terroristischen Einflüssen steht, gibt den Nationalisten einen guten Vorwand, um...