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E-Book

Axel Cäsar Springer

Ein deutsches Feindbild

AutorTilman Jens
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783451339233
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
'Enteignet Springer' war eine der zentralen Forderungen der 68er-Bewegung. Die Abneigung gegen Springer und die Springer-Presse eint 68er wie politische Linke bis heute, die alten Reflexe funktionieren noch immer. In der DDR war Springer einer der bestgehassten Protagonisten des Westens. Auf Springer-Seite wird hingegen gerne jede Kritik an Axel Cäsar Springer ausgeblendet. Entweder Verdammung oder Heiligsprechung. Tilman Jens porträtiert einen großen, aber auch zutiefst zerissenen Menschen. Vor allem aber interessiert Jens, welche Rolle das Feindbild Springer für die politische Identitätsbildung der 68er wie ihrer Gegner spielte. Ein Lehrstück darüber, wie Helden und Bösewichte gemacht werden, und über die deutsche Unfähigkeit, die Ambivalenz großer Persönlichkeiten zu akzeptieren.

Tilman Jens, geb. 1954, ist Buchautor und Journalist. Er produziert regelmäßig für das ARD Fernseh-Reportagen. Seine erfolgreichen Bücher führen immer wieder kontroversen und wichtigen Debatten. Sein Buch 'Demenz' stand wochenlang auf den Bestseller-Listen.

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Leseprobe

2. Intermezzo in den Schweizer Bergen


DAS JAHR HÄTTE kaum anmutiger beginnen können. Glasklarer Himmel. Fernsicht bis auf den Wildstrubel hinauf. Die Alpenkette rund um Rougemont ist tief verschneit, als ein junger Architekt auf die zuvor sorgsam mit Fell umwickelten Skier steigt, um, begleitet von seiner großen Jugendliebe, die Reinheit der stolzen helvetischen Gipfel zu bewahren. Wie oft hat ihn die Freundin mit den grünen Augen als kleinbürgerlichen Stubenhocker verspottet, der immer und ewig nur zaudere. Nun aber wird er endlich zeigen, was lang schon in ihm schlummert: ein ganzer Kerl, ein Untergrundpionier. Jetzt, an diesem 5. Januar 1975, ruft der Dienst am Vaterland. An einem schönen Sonntag im Kalten Krieg habe ich oben auf einem Schweizer Berg Axel Caesar Springers Chalet in Brand gesteckt.

An diesem schönen Sonntag verschafft er sich mit Axt und Brecheisen Zutritt zu dem entlegenen Feriendomizil, einige Kilometer abseits von Gstaad, der höhenluftumwehten Steuer- und Urlaubsoase. Der Hausherr ist abwesend. Nicht einmal Personal bevölkert das mit Granitstein gemauerte, hochmütige Bauwerk, das ihn mehr an die Bergstation einer Seilbahn erinnert als an ein Refugium, das man aufsucht, um über die Geschicke der Welt nachzusinnen. Immerhin, aufs schieferne Dach hat sich der in Gottesfurcht lebende Eigner ein weithin sichtbares Glockentürmchen gesetzt, um dort, fernab der geteilten Heimat, seinen inneren Frieden zu finden. Die Selbsteinkehr wird ihm das brandschatzende Pärchen ein für allemal vergällen. Die junge Frau, mit Fernglas und Trillerpfeife bewaffnet, steht Schmiere vor der gepanzerten Haustür, derweil der Freund drinnen die Gardinen und Decken aus der guten Stube zum Fidibus macht.

In einem kriminologischen Lehrbuch hat er sich in die Finessen der Pyrotechnik eingelesen. Alles wird sorgsam mit Brandpaste verkleistert. Zuletzt entzündet er zwei rote Kerzen. Die sollen, die werden beim Niederbrennen an einem Punkt das große Feuer entfachen. Gründliche Arbeit. Die Residenz des Verachteten aus der Fremde brennt bis auf die Grundmauern nieder. Die Polizei argwöhnt, die ruchlose Tat habe Methode. Da wollen Feuerteufel einem geistigen Brandstifter das Handwerk legen. 18 Monate zuvor hatte am Sylter Watt – keineswegs durch Blitzschlag! – das Reetdach des »Klenderhof« in Flammen gestanden, die »Springerburg«, die Kampener Nobelherberge mit eigenem Hubschrauberlandeplatz. Hier wie dort scheinen Gesinnungstäter – vermutlich dieselben! – das perfekte Verbrechen zu verüben. Auch im Berner Oberland sind sie unerkannt entkommen. Keine Spuren im Schnee. Alles zerstört. Springer, der, wie die Fahnder, von einem terroristischen Anschlag auf seine Person ausging, hat vor einem verbliebenen Mauerrest eine kupferne Gedenktafel anbringen lassen, auf der ein Spruch seines Hausmystikers, des Schweizer Einsiedlers Nikolaus von Flüe, verewigt ist. »Was die Seele für den Leib ist, ist Gott für den Staat. Wenn die Seele aus dem Körper weicht, dann zerfällt er. Wenn Gott aus dem Staat vertrieben wird, ist er dem Untergang geweiht.« Von Alpengipfeln umkränzt eine letzte Kampfansage an die ungläubigen Feinde der bestehenden Ordnung. Dann wird die Akte des Falls, der viel Aufsehen erregt hat, für immer geschlossen.

Auf dem Chalet in den Schweizer Alpen durfte der Glockenturm nicht fehlen

Sage und schreibe 31 Jahre hat Daniel de Roulet, der mit Literaturpreisen wohldekorierte Autor aus Genf gebraucht, bis er sich 2006 in einem kleinen, sehr emotionalen Erinnerungsbuch an einen Sonntag in den Bergen, die Geschichte seiner fatalen Winterwanderung von der Seele schrieb und zu seinem strafrechtlich lang schon verjährten Brandanschlag in der Schweiz bekannte. Die Geliebte, die ihn damals angestachelt hat, war einige Monate zuvor gestorben. Eine letzte Blume am offenen Grab. Jetzt muss er keine Rücksicht mehr nehmen. Jetzt darf, jetzt wird er sein Schweigen brechen.

Nein, vom brennenden Palast auf der Nordseeinsel Sylt habe er nicht einmal gewusst. Er hat, das ist ihm wichtig, einzig das Chalet in den Berner Alpen auf dem Gewissen, dieses fürwahr bizarre Verbrechen. Bis heute gibt es Skeptiker, die ihm sein Geständnis nicht abnehmen wollen. Zu unglaublich scheint das Ganze. Wo ist das plausible Motiv? In der Schweiz gab es, de Roulet sagt es selbst, nicht einmal eine nennenswerte Studentenrevolte. Nur ein paar heroische Bergsteiger hissten Vietcongfahnen auf den Türmen unserer Kathedralen. Aber vor allem, was hat Springer ausgerechnet den Eidgenossen angetan? Die sind mit dem »Blick« genug gestraft. Hinter der helvetischen Variante von BILD aber steckt der heimische Ringier-Konzern. Das macht alles keinen Sinn.

Oder doch? Da war so ein vages Bauchgefühl, das de Roulet, aus dem Abstand, nun freiheraus benennt. Springer sei das Symbol des Kalten Krieges schlechthin gewesen. Die Freundin mit den grünen Augen erinnert sich dumpf an den Namen Dutschke. Aber ja doch, sie habe den Rudi gemocht. Springer hat ihm übel mitgespielt. Doch der großmächtige Verleger hat noch weit mehr auf dem Kerbholz. Die zwei verliebten Aktivisten jedenfalls verbinden mit seinem Namen all das, was uns in Deutschland an die Nazizeit erinnert. Nach vollbrachter Tat habe er klammheimliche Freude verspürt, wird der Autor im Interview zum Erscheinen seines Sühnebuches sagen, dem vermeintlichen Nazi eins ausgewischt zu haben. Viel Konkretes über Springer habe er damals freilich nicht in Erfahrung bringen können.

Aber ein paar Monate vor dem Anschlag hat er einem Kneipengespräch entnommen, dass sich dieser Fettwanst im Sommer seinen Champagner mit dem Jeep hoch ins Chalet liefern lasse. Im Winter mit dem Helikopter. Der aus Berlin zugezogene Almhüttenvater evoziert Klassenhass und rabiaten Patriotismus. Wir haben hier zwei Sorten von Ausländern, die, die beim Bau unserer Tunnel und Alpenstaudämme verrecken, und die, die sich unsere Berge kaufen. Raus mit den Nazis und Dritte-Welt-Ausbeutern, die unsere herrlichen Alpen als Schlupfwinkel missbrauchen.

Fettwanst, Schinder der Dritten Welt und Nazi natürlich: Der mächtige Medienmann, 1912 im einst preußischen Altona geboren, scheint die Inkarnation des Bösen. Ein Feindbild lebt nun einmal von seiner grellen Überzeichnung. Je mehr es sich aufblähen lässt, desto größer erscheint die Bedrohung, der es sich zu erwehren gilt. Die in Vietnam massakrierenden US-Soldiers waren weit weg. Der Zorn über die Napalm-Invasion im Mekong-Delta konnte sich allenfalls an ein paar Amerika-Häusern entladen. Springer aber schien greifbar. Als leibhaftige Provokation, als Eigner missliebiger Blätter, als kapitalistischer Großkotz, der seine Privatresidenzen über halb Europa verteilte. Er war die ideale Hassgestalt, die Unperson einer ganzen Generation. Da zählten keine biografischen Finessen: dass der eitle, in festem Glauben an sich und die eigene Mission ruhende Golfspieler nicht adipös, sondern eine eher sportliche Erscheinung war; dass er seine gelegentlich mit rüdem Expansionsdrang verfolgten Geschäfte nahezu ausschließlich nicht in Asien oder Afrika, sondern in der ersten Welt, zumeist in Deutschland zu tätigen pflegte … und, bei allem, was man ihm nachsagen kann, niemals ein Parteigänger Hitlers gewesen ist. Dessen Horden waren ihm, dem Snob seit jungen Jahren, früh schon vernarrt in feines englisches Tuch, allein schon ästhetisch zuwider.

… zurück blieb eine Brandruine

Aber es gab da einen kleinen braunen Flecken auf seiner Weste, über den das Gros seiner Biografen geflissentlich hinwegsah. Die junge Frau hieß Martha Else Meyer. Im Sommer 1930 ist die Tochter eines Hamburger Baumeisters dem 18-Jährigen Zeitungsvolontär Axel begegnet. Ein unschuldiger Spaziergang an der Alster. Für beide war’s die erste große Liebe. Die Romanze blieb nicht folgenlos. Im Frühjahr 1933 wird die Freundin, die er Baby nennt, schwanger. Im November ist, gerade noch rechtzeitig, Hochzeit. Die Tochter heißt Bärbel. Die elende und sehr deutsche Geschichte von Springers erster Ehe wäre beinah vergessen, hätte sich 2007 nicht die »taz«-Journalistin Katja Strube auf die Spuren von Martha Else Meyer gemacht. Da war sie bereits eine alte, gebrechliche, vom baldigen Tode gezeichnete Dame – und die kurze Liebesverbindung mit dem Jungredakteur Springer lang schon Geschichte. Keine zwei Jahre nach der Heirat hat sie in seinem Anzug ein Foto gefunden. Das Bild einer anderen Frau.

Junges Glück mit großem Auto: Axel Springer und seine erste Frau Martha Else, 1933

Die Szene unter den Eheleuten war gewiss bühnenreif und ist doch nur ein kleiner Teil des Dramas, das folgte. Martha Else Meyer gibt es nicht mehr, schreibt Strube lakonisch, sie hat ihren Namen geändert, als habe sie sich lossagen wollen von der Vergangenheit. Sie nennt sich Dicky Funke. […] Dicky hat man sie immer genannt, auch wenn sie dünn ist wie eine Gerte, und Funke, das war der Name ihres zweiten Mannes. Martha alias Dicky hatte das Pech, Tochter einer jüdischen Mutter zu sein. Ein Fall für die Nürnberger Rassegesetze. Bald ist sie de facto vogelfrei, ausgegrenzt vom öffentlichen Leben. Ihr Mann, erinnert sich die erste Frau Springer, hätte sie am liebsten in die große Standuhr eingesperrt und abends wieder rausgeholt. Das konnte auf die Dauer nicht gutgehen. Und der Twen tut, was damals nicht wenige taten: Er trennt sich, beendet die zur Blutschande...

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