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Verwenden statt verschwenden!

Nachhaltig mit Lebensmitteln umgehen

AutorKarsten Fehlhaber, Martin Kunz, Simone Varga-Kunz
VerlagMosaik bei Goldmann
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641092467
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Zu schade für die Tonne!
Warum werfen wir wertvolle Lebensmittel weg? Das Essen, das in Europa im Müll landet, würde zweimal reichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren. Viele Verbraucher sind schlicht unsicher, was man noch ruhigen Gewissens essen kann und was wirklich in die Tonne muss. 'Verwenden statt verschwenden!' liefert wertvolle Informationen zu Lebensmittelhygiene, Haltbarkeit, Lagerung und Verwertung, um den Abfallberg mühelos zu verkleinern. Damit ist jedem einzelnen wirklich geholfen. Ein wichtiger Beitrag für den eigenen Geldbeutel und ein deutliches Zeichen gegen die Dekadenz der Wegwerfgesellschaft.

Der Wissenschaftsredakteur Martin Kunz war 15 Jahre lang Leiter des Ressorts Forschung, Technik, Medizin beim Nachrichtenmagazin »Focus« und ist Autor des Bestsellers Die Volumetrics-Diät. Seit Januar 2012 ist er Leiter der Akademie der Bayerischen Presse (ABP).

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Leseprobe

Unglaubliche Verschwendung

Achtsamer Umgang mit Lebensmitteln – Fehlanzeige

Die Geschichte der Dekadenz

Den Niedergang einer Gesellschaft kann man fast überall, an jeder Straßenecke, in jedem Restaurant oder Supermarkt verfolgen. Zum Beispiel auch auf einer Gartenparty in einem besseren Viertel Münchens. Der Eingeladene kam etwas verspätet, wollte gerade die Gastgeber begrüßen und den Willkommensdrink genießen, als mehrere Kinder mit Gabeln bewaffnet über das sehr weitläufige Gartengelände liefen. Auf deren Gabeln waren mächtige gegrillte Steaks aufgespießt, und es schien, die Kinder würden damit in eine stille Ecke rennen, um die Beute zu verspeisen. Doch der gutsituierte Nachwuchs rannte und rannte wie wild. Später sahen die Gäste, wie einige der Kinder die großen Fleischstücke als Wurfgeschoß benutzten, und als die Erwachsenen dem leckeren Duft des Grills nachgingen, lagen mehrere der gegrillten Steaks – natürlich vom Biometzger – halb im Gras, halb im Matsch. Es hatte am Vormittag geregnet, der Boden war weich, und die Steaks waren nun auf einer Seite knusprig gegrillt und auf der anderen Seite mit matschiger Erde verschmiert. Erstaunlicherweise hatte die Steak-Verschwendung keinerlei Konsequenzen für den Nachwuchs – eine der Mütter eröffnete am nächsten Morgen beim Warten auf den Bus der Privatschule das Gespräch. »Also da lagen die Biosteaks im Schlamm, und keiner regte sich darüber auf«, sagte sie. »Ist ja irre«, kommentierte die andere. Bestürzung? Entsetzen? Ein mildes Lächeln war die Reaktion. Das Thema war nach einem Tag nur noch gut für einen Lacher an der Bushaltestelle – eigentlich traurig oder?

Dekadenz kommt vom französischen »décadence«; der geschichtsphilosophische Begriff beschreibt Veränderungen in Gesellschaften und Kulturen als Verfall oder Verkommenheit. Der französische Schriftsteller Nicolas Boileau führte im 17. Jahrhundert als Erster die décadence als ästhetischen und ethischen Begriff ein. Der Verfall der Sitten war schon damals für kritische Geister ein sicheres Anzeichen für die baldige Auflösung einer Kultur. Es scheint aber so zu sein, dass Dekadenz immer eine Begleiterscheinung der menschlichen Hochkultur oder feudaler Strukturen ist. Das Phänomen, Maßlosigkeit zur Schau zu stellen oder gemeinschaftliche Ressourcen egoistisch zu missbrauchen, war Alltag im alten Rom, im zentralafrikanischen Urwald von »Kaiser« Jean-Bédel Bokassa oder in der kommunistischen Autokratie Rumäniens von Nicolae Ceaus¸escu.

Die dekadenten Vorgänge, mit denen sich dieses Buch beschäftigt, finden aber heute statt, unter uns, in unseren Häusern. Und fast niemand kann behaupten, dass er nicht zumindest ein kleiner Teil dieser unglückseligen Entwicklung sei.

Die Wegwerfgesellschaft: Warum immer mehr Nahrungsmittel im Müll landen

»Unser Planet ist kein Discounter,
in
dem man sich nach Belieben bedienen kann, ohne auf die Konsequenzen zu achten.«

Filmemacher Valentin Thurn

Wer die Dekadenz der Wegwerfgesellschaft im großen Maßstab betrachten will, kann dies etwa beim BioWerk Hamburg tun: Eine Schlange von LKWs entlädt hier täglich Berge von Lebensmitteln. Verpackte und unverpackte Waren landen in einem riesigen Bunker der Biogasanlage, in der organische Abfälle in Energie verwandelt werden. In die Anlage wandern die Reste norddeutscher Esskultur – Fischreste aus der Nordsee, Obst aus dem Alten Land, Gurken aus dem Spreewald oder einfach stinkendes Frittenfett, Joghurts, Brot und Milch: insgesamt 20 000 Tonnen pro Jahr. Das Hamburger BioWerk wird mit überlagerten Lebensmitteln gefüttert, die Supermärkte hier bequem entsorgen können. Auch Restaurants, Hotels, Krankenhäuser, Kantinen oder Seniorenheime liefern ihre Abfälle hierher. Gut, dass aus dem Wohlstandsbiomüll zumindest Energie gewonnen wird, denn in den meisten Fällen verrottet das Ungegessene sinnlos im Kühlschrank oder auf der Müllkippe. Als Besonderheit gilt, dass auch verpackte Lebensmittel aufbereitet werden, schreibt der Betreiber BioWerk Hamburg.

Nach der Anlieferung durchlaufen die Abfälle zunächst eine Vorbehandlung: Sie werden zerkleinert und sogenannte Störstoffe wie Verpackungsreste werden abgetrennt. Das pumpfähige Abfallsubstrat gelangt nach einer Hygienisierung in den großen Fermentationsbehälter.

Bei einer Temperatur von 38 Grad Celsius verwandeln Bakterien den Biomüll in Gas. Dieses ist mit einem Methangehalt von circa 65 Prozent ein sehr energiereicher Brennstoff.

Nach der Trocknung und Entschwefelung treibt das Gas einen Verbrennungsmotor in einem Blockheizkraftwerk an – es entsteht elektrische und thermische Energie. Die in der Biogasanlage erzeugte Energie an Strom und Wärme ist deshalb klimaneutral, sie deckt den Energiebedarf von etwa 2500 Haushalten.

Das alles klingt erst einmal nach praktiziertem Umweltschutz und perfektem Recycling. Doch ist es bitter, sich vorzustellen, dass 20 000 Tonnen Lebensmittel dann nur noch ausreichen, um einige hundert Haushalte mit Energie zu versorgen, denn zur Herstellung, Verpackung, dem Vertrieb und der Zubereitung dieser 20 000 Tonnen Brot-Pudding-Bier-Gemüse-Obst-Butter-Wurst-Käse-Saft-Lawine ist ein Vielfaches dessen an Energie aufgewendet worden, was am Ende aus der Hamburger Biogasanlage herauskommt.

Anders gerechnet: Vor jedem dieser Haushalte türmt sich theoretisch jährlich ein Berg von acht Tonnen Speiseresten auf! Diese Essensverwertung ist so effizient, als würde man eine Kuh ein Kuhleben lang durchfüttern, um letztlich nur ihren Kadaver als kläglichen Energielieferanten zu verfeuern – was für eine unverantwortliche Verschwendung von Ressourcen! Es ist also an der Zeit, unser Verhalten bei Einkauf, Zubereitung, Aufbewahrung und Verwertung von Nahrungsmitteln zu überprüfen. Oder etwas programmatischer formuliert: Es ist höchste Zeit für einen Bewusstseinswandel!

Von der Ökonomie und Ökologie des Urmenschen lernen

Die Geschichte von der großen Verschwendung hat leider eine lange Tradition, mit aktuell zunehmender Dramatik. Unsere Vorfahren hingegen waren nicht nur genügsame Zeitgenossen, sondern auch höchst effizient in der Verwendung kostbarer Ressourcen. Von einem erlegten Tier blieb nichts übrig – jedes Stück Fleisch, Fett, Fell oder Knochen wurde als Nahrung, Baustoff, Werkzeug oder Energielieferant geschätzt. Sehr genussvoll beschreibt der Paleo-Experte Loren Cordain die Leckereien der Urmenschen: Sie stürzten sich auf erlegtes Wild und löffelten erst einmal das Hirn aus der Schädelkalotte, denn dies sei das gesündeste Stück vom Wild gewesen – wer isst heute schon noch Hirn? Die bittere BSE-Erfahrung hat das Verbraucherverhalten hier maßgeblich beeinflusst.

Auch das Sammeln beziehungsweise die Ernte von Gemüse und Früchten war eine anstrengende und zeitraubende Aktion für unsere Vorfahren: Es herrschte fast immer und überall Nahrungsmangel. Für alle Teile von Pflanzen und Tieren fanden sich sinnvolle Verwendungen – Abfallberge sind aus der Steinzeit nicht überliefert.

Über 100 000 Generationen waren Menschen Jäger und Sammler, seit etwa 500 Generationen sind wir abhängig vom Ackerbau, kaum zehn Generationen haben seit dem Beginn des Industriezeitalters gelebt – und entsprechend wenig Erfahrung besitzt der Mensch mit dem chronischen Nahrungsüberfluss. Dieser Zahlenvergleich ist keine Entschuldigung für die Maßlosigkeit unserer Zeitgenossen.

Ähnlich wie unsere Vorfahren sind auch die wenigen verbliebenen Naturvölker heute noch wahre Vorbilder im nachhaltigen, ressourcenschonenden Haushalten und Wirtschaften. Erst mit der Spezialisierung, der Sesshaftigkeit, Landwirtschaft und der Turbo-Industrialisierung nahm die Produktion von Abfall dramatisch zu. Je mehr Komfort die elitäre Spitze der Gesellschaft genoss, umso mehr Abfall entstand.

Heute hat sich das Problem teilweise verlagert: Während große Teile des gebildeten Bürgertums zumindest vorgeben, auf eine umweltschonende Lebensweise Wert zu legen, ist in der breiten Bevölkerung die Nahrungsversorgung mit einer beträchtlichen Abfall-Hinterlassenschaft verbunden. Denn industriell vorbereitete und verpackte Billiggerichte ersetzen die Rohwaren, frisches Obst und Gemüse beispielsweise, immer mehr. Mal ganz ehrlich: Kochen Sie noch Tomatensoßen aus den natürlichen Zutaten selbst oder greifen Sie zur Fertigsoße Arrabbiata/Napolitana/Bolognese im Glas?

Wo heute der meiste Abfall entsteht

Wer bei McDonald’s ein Big-Mac-Menü und ein Kindermenü bestellt, nimmt einen Abfallberg in Kauf, der kaum auf das Tablett passt. Pappkartons, Einwickelpapiere, Servietten, Becher sind voluminöser als das Futter, das damit verpackt wurde. Wer mit dem Essen fertig ist und den Papppapier-Plastik-Berg zum Container balanciert, kann erahnen, wie viel Energie allein in der Verpackung steckt – vom Wert der üppigen Essensreste, die sich zwischen zerknüllten Pappboxen und Papierservietten und Kunststoffdeckeln verbergen, ganz zu schweigen!

Der skandalöse Hauptakt des globalen Abfalldramas spielt also in den gutversorgten und wohlgenährten Industriestaaten. Er endet vielleicht in...

Blick ins Buch

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