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Unser Schmidt

Der Staatsmann und der Publizist

AutorTheo Sommer
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783455307207
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
'Politiker und Journalisten haben eines gemeinsam: Sie sollen heute schon über Dinge urteilen, die sie erst morgen verstehen.' Helmut Schmidt 'Das ist auch nicht schwieriger, als wenn man als Politiker in ein neues Ressort kommt und sich einarbeiten muss', sagte Helmut Schmidt, als er 1983 seinen Herausgeberposten bei der Zeit antrat. Ganz so einfach scheint es dann doch nicht gewesen zu sein, zumindest nicht für diejenigen, die bereits beim Blatt tätig waren. Er schärfte den Ressortleitern schon mal ein, 'die Wohngemeinschafts- und Gossensprache der 68er-Generation' zurückzudrängen. Die konterten: 'Eine Redaktion ist kein Ministerium.' Dennoch: In dem Bestreben, eine tolerante, weltoffene Zeitung zu machen, herrschte Einigkeit. Pointiert und unterhaltsam zeichnet Theo Sommer den Aufstieg Helmut Schmidts zur politisch-moralischen Instanz nach.

Theo Sommer, geboren 1930 in Konstanz, Studium der Geschichte und politischer Wissenschaften in Tübingen und den USA, seit 1958 Tätigkeit bei der 'Zeit', zunächst als politischer, dann zwanzig Jahre als Chefredakteur. Von 1992 bis 2000 Herausgeber und heute Editor-at-Large.

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Leseprobe

Herausgeber und Verleger:
Wie Helmut Schmidt zur ZEIT kam


Um ein Haar wäre Helmut Schmidt 1949 Journalist geworden. Nachdem er im Juni sein Examen als Diplomvolkswirt bestanden hatte, dachte er sich einige Zeitungsartikel aus, weil er hoffte, beim Hamburger Echo Beschäftigung zu finden. In dem vom Bombenkrieg ziemlich mitgenommenen Pressehaus am Speersort residierten damals neben dem Echo auch die Morgenpost, der Spiegel, die ZEIT, der Stern und die Zeitschrift Wild und Hund, die sich zunächst alle eine Rotationspresse teilten. Beim Ende 1966 eingestellten Echo spielte zu jener Zeit Herbert Wehner, der spätere SPD-Fraktionsvorsitzende, als Redakteur eine zentrale Rolle. Aber es wurde nichts aus Schmidts Vorhaben, weil die Zeitung ihn nicht haben wollte. So ging er zuerst in die Verwaltung der Hansestadt, dann in die Politik. Es dauerte vierunddreißig Jahre, bis er schließlich doch noch im Pressehaus landete.

Im Frühjahr 2008 ließ die ZEIT Helmut Schmidt aus einem besonderen Anlass hochleben: Am 1. Mai jenes Jahres war es ein Vierteljahrhundert her, dass der Altbundeskanzler als Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung zu dem Blatt gestoßen war. Mittlerweile gehörte er schon dreimal so lange zur ZEIT, wie er Bundeskanzler gewesen war; und zweimal so lange, wie er ein Regierungsamt innegehabt hatte. Ein Journalist geworden war er deswegen nicht; er blieb der Staatsmann, auch wo er Zeitungsartikel schrieb. Doch verstand er sich meisterhaft darauf, die Mittel der Publizistik zu nutzen, um seinen Ansichten und Einsichten Gehör zu verschaffen. Dabei schrieb er nie platte Politikerprosa, sondern hatte stets das Wohl des Gemeinwesens im Auge; ein aufklärerischer Republikaner, den die abwägende Ratio antrieb, nicht der wohlfeile parteipolitische Vorteil. Zu Recht ist von ihm gesagt worden, die policies, die politischen Kernfragen, seien ihm stets weitaus wichtiger gewesen als die politics, die Züge und Winkelzüge der partei- und personalpolitischen Geschäftigkeit.1 Darin lag seine enorme Wirkung begründet.

Als Publizist ist der Altbundeskanzler nicht nur ein Erfolgsautor geworden – er wurde im Lande zur Auskunftsperson, zum Vorbild, fast zur Ikone. »Helmut Schmidt sagt, was er denkt«, erklärte Jacques Schuster dies in der Welt. »Er hat keine Angst vor der Guillotine der politischen Korrektheit. Wahrscheinlich ist er deshalb so beliebt bei den Landsleuten. Hinzu kommt der Deutschen Sehnsucht nach dem Übervater. Andere Nationen morden ihre Väter, wir verlangen nach ihnen.«2 Nicht anders urteilte der Historiker Hans-Peter Schwarz: »Nach einem ersten Aufbegehren mit der ›Verrats‹-Kampagne gegen die FDP war Schmidt klug genug, sich aus dem Bundestag und der Parteiführung auf eine neue Ebene zurückzuziehen, die gleichfalls alles andere als unpolitisch war. [So] spielte er von dieser Plattform aus ein langes Vierteljahrhundert hindurch den alterfahrenen, noch immer bissigen Hecht im doch eher ruhigen Karpfenteich der deutschen politischen Publizistik, geistig völlig unabhängig, meinungsstark, scharfsinnig, schonungslos, aber stets mit sachlichen Argumenten.«3

Im Frühjahr 2010 erhielt der einundneunzigjährige Helmut Schmidt den Henri-Nannen-Preis für sein publizistisches Lebenswerk zugesprochen. »Seine Bücher, Leitartikel und Essays haben ihn in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer überparteilichen, nur dem Gemeinwohl verpflichteten Instanz werden lassen«, begründete der Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn die Verleihung. Die Meldung darüber überschrieb die Süddeutsche Zeitung mit drei Worten, die einem journalistischen Ritterschlag gleichkamen: »Einer wie keiner«.4

Es hat im Nachkriegsdeutschland manche Journalisten gegeben, die in die Politik gingen: Theodor Heuss, Willy Brandt, Herbert Wehner, Egon Bahr. Wenige nur sind den umgekehrten Weg gegangen. Der alte Bismarck, als er noch Reichskanzler war, hat gern über die »Preßbengels« geschimpft. Aber als der Pensionär im Sachsenwald lebte, wollte er vornehmlich journalistisch wirken. Sehr oft kam er nach Hamburg gefahren. In »Cöllns Austernstuben« traf er sich mit Emil Hartmayer, dem Eigentümer der Hamburger Nachrichten, der dem prominenten Ruheständler anbot, über das gesamte weiße Papier seiner Zeitung zu verfügen, und in Friedrichsruh diktierte er dessen Redakteur Hofmann zornige Leitartikel gegen seine Nachfolger in den Block, indirekt auch manches Hohnvolle über Wilhelm II. »Eine Zeit lang verfiel er ganz dem Journalismus«, schrieb einer seiner Biographen. »In summa war dieser Spätjournalismus Bismarcks kein glückliches Unternehmen.«5

Ähnlich hat Helmut Schmidt, als er noch in Amt und Würden war, über die »Wegelagerer« und »Indiskretins«6 aus der Medienzunft gelästert und ist dann ebenfalls auf die andere Seite der Barrikade gewechselt: in die Publizistik; sein Hartmayer war der ZEIT-Gründer Gerd Bucerius. Aber es gibt da doch einen großen Unterschied: Bismarcks Spätjournalismus war durchtränkt von Häme und Rachsucht, der Schmidts blieb, wie zuvor seine Politik, bestimmt von der Leidenschaft zur Vernunft. Und noch etwas unterscheidet die beiden schreibenden Exkanzler: Schmidts Publizistik war von Anfang an ein glückliches Unternehmen. Bei aller Kritik an den Medien glaubte er durchaus, »dass die Demokratie durch die Zeitung und am Bildschirm gedeihen kann«.7

Dass der Altbundeskanzler zur ZEIT kam, ist einem Geniestreich von Gerd Bucerius zu verdanken, dem Gründer und Inhaber des Blattes.

Im Sommer 1982 neigte sich die achtjährige Amtszeit des Bundeskanzlers Helmut Schmidt unübersehbar ihrem Ende zu. Die sozialliberale Koalition lag in Agonie. Auf zwei entscheidenden Politikfeldern hatte der Kanzler Probleme mit der eigenen Partei. Die SPD-Fraktion, der er im Juni die Leviten las, weigerte sich, seine Strategie der wirtschaftspolitischen Stabilisierung mitzutragen: mehr zu sparen also und die Neuverschuldung des Bundes (1982: 37,2 Milliarden D-Mark) zu reduzieren. Auch in der Sicherheitspolitik versagten Fraktion und Partei ihm die Gefolgschaft. Der von ihm angemahnte und angebahnte NATO-Doppelbeschluss von 1979 sah die Aufstellung von 572 US-Mittelstreckenraketen in Europa vor, 204 davon in der Bundesrepublik, sofern sich die Sowjets nicht in Verhandlungen überreden ließen, auf ihre ausschließlich die Westeuropäer bedrohenden SS-20-Raketen zu verzichten. Dieser Beschluss wurde nicht nur von den Grünen und der Friedensbewegung, sondern auch im eigenen politischen Lager immer heftiger angefeindet. Hätten die Freien Demokraten nicht mit dem »Scheidungsbrief« ihres Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff den Koalitionsbruch gezielt heraufbeschworen, wäre Helmut Schmidt wohl auch so schon bald der inneren Zerrissenheit der SPD zum Opfer gefallen.

Gerd Bucerius, von 1949 bis 1962 Bundestagsabgeordneter der CDU, war ein Mann mit politischem Instinkt. Er sah das Ende der sozialliberalen Koalition voraus; den Rücktritt des Kanzlers hielt er für möglich. Im Sommer 1982 bereits fragte er den ehemaligen Bundesbankpräsidenten Karl Klasen, mit dem beide befreundet waren, ob es vorstellbar sei, Helmut Schmidt als ZEIT-Herausgeber neben Marion Gräfin Dönhoff zu gewinnen.

Es erwies sich nicht nur als vorstellbar, sondern als machbar. Am 1. Oktober 1982 wurde der Bundeskanzler Helmut Schmidt per konstruktivem Misstrauen abgewählt, am 9. Oktober schon saß Bucerius bei ihm am Neubergerweg in Langenhorn. Es war das erste einer Reihe von Gesprächen, teils auf dem gelben Sofa im Bucerius-Büro, teils im Neubergerweg, einmal auch auf einem – zufälligerweise gemeinsamen – Flug nach Tokio. Dabei zimmerten sie eine Basis für die Zusammenarbeit. Freilich kamen dem Verleger zwischendurch doch immer wieder Bedenken, zumal als die SPD Helmut Schmidt für die Bundestagswahlen im März 1983 ein weiteres Mal die Spitzenkandidatur antrug und er vier Wochen lang mit der Frage rang, ob er sich nicht erneut in die Pflicht nehmen lassen müsse. Zwar erteilte er seiner Partei Ende Oktober eine Absage; zu tief war der Riss, der ihn von großen Teilen der SPD trennte. Auch erklärte er Bucerius, er wolle sich als elder statesman in der aktiven Politik beschränken, seinen Wahlkreis verteidigen, im Jahr eine, vielleicht zwei Bundestagsreden halten und im Übrigen aus der Parteispitze ausscheiden. Doch als der ZEIT-Inhaber erfuhr, dass Schmidt zehn Wahlkampfreden zu halten gedachte, schreckte er zurück. »Mit Marion Dönhoff war ich mir sofort einig«, schrieb er im Dezember an Schmidt: »Das waren zehn Reden zu viel. Schade, wir hatten uns auf die Zusammenarbeit gefreut; richtiger: uns viel davon versprochen.«

Bucerius übertrieb die ablehnende Haltung der Gräfin bei weitem. Zusammen mit dem Chefredakteur setzte die Herausgeberin vielmehr alles daran, Bucerius seine Zweifel auszureden. Doch der Verleger tat sich schwer mit seiner Entscheidung. Er schob sie vor sich her, und wie so oft in schwierigen Situationen flüchtete er sich in eine Angina. Am 17. Dezember schrieb er an Schmidt: »Eine fiebrige Halsentzündung hat mich wieder überfallen. Nach meiner Erfahrung bin ich Sonntag noch nicht wieder so hergestellt, dass ich mit klaren Gedanken verbindliche Abreden treffen kann. Vor allem geht es mir darum, Ihre Zukunftspläne zu erfahren und zu sehen, ob sie mit unseren Erfordernissen übereinstimmen. [...] Der Aufschub tut mir leid. Übrigens fliegen wir wohl in derselben Maschine nach Tokio.«8

Auf diesem Flug müssen die beiden manches geklärt...

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