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E-Book

Fritzi und ich

Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein

AutorJochen König
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783451346934
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,49 EUR
Jochen ist 27 als er erfährt, dass seine Freundin schwanger ist. Er will das Kind, sie ist skeptisch. Daraufhin entscheiden die beiden sich für einen radikalen Rollenwechsel: Nach ihrer Geburt zieht Fritzi zu ihrem Vater. Für den beginnt nun eine turbulente Zeit zu zweit - er will nicht nur ein guter Vater sein, sondern auch sein Leben im hippen Berlin nicht aufgeben. Ein authentisches Buch über das Leben eines echten 'neuen Vaters', über Rollenklischees, Partys und die Liebe.

Jochen König kam mit 20 Jahren nach Berlin. Raus aus der hessischen Kleinstadt, rauf auf die Tanzflächen der Hauptstadt. Er wurde Zivi, Student, Sozialpädagoge, prekär beschäftigter Selbstständiger, Arbeitnehmer, Arbeitsloser, Feminist. Dann kam Fritzi. Und alles wurde anders.

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Leseprobe

VOR DER GEBURT


Zellhaufen


Die Geschichte beginnt im Jahr 2008. Ich bin 27 Jahre alt. Fritzis Mutter, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht Fritzis Mutter ist, liegt am Morgen mit weit aufgerissenen Augen neben mir im Bett. Da sind zwei Streifen, sagt sie. Ich bin am Tag zuvor aus der Ukraine zurückgekommen. Schwarzes Meer. Krim. Odessa. Alleine. Sommer. Wir haben uns gefreut, uns wiederzusehen. Wir haben Bier getrunken, bei mir. In meiner WG. Und sind dann zusammen eingeschlafen. Ich bin sofort hellwach. Ich weiß, was das bedeutet.

In zwei Tagen wollen wir nach Frankreich fahren. Mein Bruder, Eva, Moritz, Fritzis Mutter, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht Fritzis Mutter ist, und ich. Zu fünft mit dem Auto für knapp zwei Wochen an die französische Atlantikküste. Jetzt diese beiden Streifen, auf dem Schwangerschaftstest aus der Apotheke. Wie zuverlässig sind solche Tests? Wir fahren zusammen zur Frauenärztin. Wir sprechen kaum miteinander. Entweder, der Spuk ist gleich vorbei und wir können im Nachhinein darüber lachen. Über diesen aufregenden Sommertag mit einem fehlerhaften Schwangerschaftstest und über die Stunden, in denen wir dachten, wir müssten uns ernsthaft mit der Möglichkeit auseinandersetzen, ein gemeinsames Kind zu bekommen. Oder wir müssen uns wirklich ernsthaft mit der Möglichkeit auseinandersetzen, ein gemeinsames Kind zu bekommen. Wir warten einen Moment im Wartezimmer. Dann warte ich alleine. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.

Schließlich kommt Fritzis Mutter, die wohl in diesem Moment zum ersten Mal konkreter anfängt darüber nachzudenken, Fritzis Mutter werden zu können, aus dem Behandlungszimmer. Ich sehe an ihrem Blick, dass die zwei Streifen am Morgen aus gutem Grund auf dem Schwangerschaftstest erschienen sind. Die Ärztin hat in ihrer Gebärmutter etwas gefunden. Einen Zellhaufen, der es sich in ihr gemütlich gemacht hat. Später, als sie schon Fritzis Mutter ist, wird sie sagen, dass sie in meinem Blick ein geheimes Lächeln über diese Nachricht erkannt haben will. Wir spazieren zusammen von der Frauenärztin zu mir nach Hause. Jetzt reden wir viel. Wir wollen beide Kinder haben. Irgendwann. Aber jetzt? Wir miteinander? Wie könnte ein Leben mit Kind für uns aussehen? Der Zellhaufen ist noch sehr klein. Fünfte oder sechste Schwangerschaftswoche. Das bedeutet, wir haben genügend Zeit, uns Gedanken zu machen. Wir können in Ruhe in den Urlaub fahren und haben dann immer noch die Möglichkeit eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs.

Wir kommen in meiner WG an. Im Wohnzimmer sitzen zwei meiner Mitbewohnerinnen. Selten gibt es so spannende Neuigkeiten zu berichten. Wir erzählen es ihnen sofort. Lisa sagt später, dass ich in diesen Momenten ein immer wiederkehrendes Grinsen nicht verbergen konnte. Und was macht ihr jetzt? Keine Ahnung. Wir überlegen es uns in Ruhe. Erst einmal machen wir einen Termin zu einer Schwangerschaftskonfliktberatung am nächsten Tag. Um einen Beratungsschein zu bekommen. Um einen Abbruch straffrei durchführen lassen zu können. Außerdem kann eine sozialpädagogische Beratung in unserem Fall ja nicht schaden. Wir gehen zusammen zu dem Gespräch. Es wird immer deutlicher, dass ich es mir schon ganz gut vorstellen könnte, zusammen dieses Kind zu bekommen. Fritzis Mutter ist sich noch nicht so sicher, ob sie wirklich Fritzis Mutter werden möchte. Ich sage immer wieder, dass ich ihre Argumente und Bedenken gut verstehen kann und sie auch unterstütze, wenn wir uns für einen Abbruch entscheiden. Wenn sie sich für einen Abbruch entscheidet. Es ist klar, dass die Entscheidung letztendlich ihre Entscheidung sein wird. Ich kann meine Position deutlich machen und mit ihr überlegen, wie es mit oder ohne Kind weitergehen kann. Ich kann mit ihr zum Schwangerschaftsabbruch gehen. Oder ein paar Monate später zur Geburt. Wenn ich schwanger wäre, würden wir das Kind wahrscheinlich bekommen, sagen wir. Wir haben Angst, unsere ganzen Freiheiten aufzugeben. Die Schwangerschaft bedeutet für die Schwangere neun Monate lang die Aufgabe vieler Freiheiten. Auf Alkohol und Rauchen komplett verzichten, dadurch auch nur sehr eingeschränkt Partys feiern. In den letzten Monaten wird sogar einfaches Laufen und Treppensteigen durch den Schwangerschaftsbauch zu einer Herausforderung. Und danach geht es mit der Geburt des Kindes erst richtig los.

Wir gehen mit dem Beratungsschein wieder nach Hause. Tasche packen. Urlaub vorbereiten. Am nächsten Tag fahren wir mit dem Zug zu meinen Eltern nach Hessen. Von dort weiter mit dem Auto meines Vaters nach Frankreich.

Das Wetter ist toll, wir liegen am Strand. Jeden Tag. Wir reden immer wieder über unsere Zukunft. Im nächsten Jahr wollten wir eigentlich einen Monat durch die USA reisen. Darauf müssten wir mit Baby wohl erst einmal verzichten. Es ist nicht der perfekte Zeitpunkt, ein Baby zu bekommen. Fritzis Mutter steht kurz vor dem Abschluss ihres Studiums. Sie möchte arbeiten gehen. Karriere machen. Und nicht einfach nur Fritzis Mutter sein. Ich habe mein Studium vor zwei Jahren abgeschlossen, arbeite mittlerweile seit einiger Zeit als Sozialpädagoge und kann mir gut vorstellen, mit dem Baby zu Hause zu bleiben. Ich kann mir vorstellen, ein Jahr in Elternzeit zu gehen. Wahrscheinlich gibt es keinen perfekten Zeitpunkt, ein Baby zu bekommen. Vieles passt bei uns gerade dennoch ganz gut, vor allem unsere Vorstellung über die Aufgabenverteilung. Wir entscheiden uns dafür, das Baby zu bekommen. Mit unseren Mitreisenden trinken wir eine Flasche alkoholfreien Sekt. In der Nacht blitzt und donnert es. Es stürmt und regnet. Wir flüchten aus dem Zelt ins Auto. Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Und wir genießen weiter unseren Urlaub.

Auf dem Rückweg machen wir wieder kurz Halt in Hessen. Nachdem wir die ganze Nacht auf der Autobahn verbracht haben, frühstücken wir bei meinen Eltern. Mein Bruder, Eva, Moritz, Fritzis Mutter, ich und meine Eltern sitzen zusammen am Tisch. Ihr werdet Großeltern, sage ich. Wir erzählen von den zwei Streifen und den Gedanken, die wir uns in den letzten Tagen gemacht haben. Ich sehe ein paar Tränchen bei den zukünftigen Großeltern. Gepäck aus dem Auto auf unsere Schultern. Mit dem Zug zurück nach Berlin.

Feindiagnostik


Nach der Entscheidung, das Kind zu bekommen, verändert sich in unserem Alltag erst einmal nicht viel. Zwei kleine Vorteile bietet die Schwangerschaft dann aber doch von Beginn an. Fritzis Mutter, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht anzusehen ist, dass sie Fritzis Mutter werden wird, bekommt ihre Tage nicht mehr. Und auch nicht die damit zusammenhängenden Schmerzen. Außerdem müssen wir uns vorerst keine Gedanken mehr über Verhütung machen. Genau auf diesem Gebiet waren wir zuvor ja grandios gescheitert, wodurch diese Geschichte überhaupt erst ihren Lauf nehmen konnte.

Als ich Fritzis Mutter kennenlernte, also zu einer Zeit, als Fritzi noch lange kein Thema zwischen uns war, kam die Pille für uns als Verhütungsmittel nicht infrage. Als wir uns kennenlernten war klar, dass das Verhütungsmittel unserer Wahl nicht nur eine Schwangerschaft verhindern müsste, sondern auch die Übertragung von Krankheiten. Sex also nur mit Kondom. Darüber hinaus hatte Fritzis Mutter keine guten Erfahrungen mit der Pille gemacht. Schlechte Laune. Weniger Lust auf Sex. Persönlichkeitsveränderungen. Sicherlich hat die Pille vielen Frauen zu einem völlig neuen, freieren Umgang mit ihrer Sexualität – befreit von der Angst, schwanger werden zu können – verholfen; ich kann dennoch keine Frau guten Gewissens dazu ermutigen, ihren Körper mit Hormonen vollzupumpen, nur um mit mir Sex haben zu können, ohne davon schwanger zu werden. Vielmehr ist Verhütung mindestens zur Hälfte auch meine Aufgabe und ich habe nicht vor, meine Hälfte der Verantwortung dafür an die jeweilige Frau abzugeben. Es scheint für die forschenden Pharmaunternehmen nicht lukrativ zu sein, eine Pille für den Mann zu entwickeln, denn die wenigsten Männer wären wohl bereit, durch die Einnahme von Hormonen (mit den damit zusammenhängenden psychischen und körperlichen Veränderungen) Schwangerschaften zu verhindern.

Irgendwann, mit zunehmender Dauer unserer Beziehung und zunehmendem Vertrauen, begannen Fritzis Mutter und ich mit verschiedenen alternativen Verhütungsmethoden zu experimentieren. Dabei waren wir zwar nicht völlig naiv und leichtsinnig, aber wohl zumindest etwas fahrlässig. Herausgekommen sind die bereits erwähnten zwei Streifen auf dem Schwangerschaftstest und der Zellhaufen auf dem Ultraschallfoto der Frauenärztin. Diese ist als Fotografin nicht sehr engagiert. Lediglich zu Beginn der Schwangerschaft bekommen wir von ihr ein Ultraschallfoto dieses kleinen Zellhaufens mit nach Hause. Ansonsten weigert sie sich standhaft, uns weitere Fotos auszudrucken. Dabei müssen wir unseren Freundinnen, Freunden und Eltern doch irgendetwas zeigen! Die Frauenärztin sagt, wir sollen zur Feindiagnostik gehen. Dort würden wir tolle Fotos bekommen. In Berlin werde die Untersuchung generell verschrieben und damit von den Krankenkassen bezahlt, sagt sie, in anderen Bundesländern gebe es die Überweisung nur bei Komplikationen oder bei einem Verdacht auf eine Behinderung des Kindes. Wir fahren zu einer Praxis in der Friedrichstraße. Schon in der Praxis der Frauenärztin bei uns im Kiez waren wir immer einigen anderen schwangeren Frauen begegnet; hier in der Praxis für pränatale Diagnostik sind alle schwanger. Also zumindest fast alle. Bei der Frauenärztin waren alle schwangeren Frauen alleine, hier sind auch einige Männer dabei. Alle schwangeren Frauen sind hier in Begleitung, es sind jedoch nicht immer die Männer. Viele der schwangeren Frauen sind mit ihren Müttern hier. Die...

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