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E-Book

Die Pfanne brät nicht!

Eine Kassiererin rechnet ab

AutorAlice Diestel
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783644488618
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der eine verbittet sich das Anfassen seines Toastbrots, ein anderer wählt vor dem Kühlregal den Käse mit Hilfe eines Pendels aus. Der Nächste möchte Waren umtauschen, die sich schon seit Jahren nicht mehr im Sortiment befinden. Und zu all diesen Kunden muss die Kassiererin immer schön freundlich sein, obwohl sie sie in den Wahnsinn treiben. Zeit für Alice Diestel, sich Luft zu machen: eine ebenso böse wie witzige Abrechnung mit dem merkwürdigen Verhalten von Otto Normalverbraucher beim Einkauf.

Alice Diestel arbeitet seit über zwanzig Jahren als Kassiererin in Deutschlands beliebtestem Discounter. Das soll auch so bleiben - daher schreibt sie unter einem Pseudonym.

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Leseprobe

Jetzt aber zackig!


An THEOs Kassen ist es hektisch.

An THEOs Kassen geht alles zu Bruch.

An THEOs Kassen wird man gehetzt.

An THEOs Kassen ist es ungemütlich.

An THEOs Kasse.

Ein Kundenpaar, sichtlich erbost.

Sie zu ihrem Mann – aber im Grunde meint sie natürlich mich: «Wir sind hier nicht auf der Flucht, Karl-Heinz! Wir wollen nur einkaufen!»

Genau! Nicht ihr seid auf der Flucht. Sondern wir!

Dieses leidige Thema, Auslöser der meisten Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und unseren Kunden, bedarf einiger Erläuterungen. Viele Kunden, insbesondere die Jüngeren, noch Ungeübten und all diejenigen, die zum ersten Mal bei THEO einkaufen, können einfach kein Verständnis für unsere ständige Eile aufbringen. Diesen Kunden möchte ich kurz die Augen öffnen und ihnen einen Einblick in das im Grunde sehr einfache System geben.

THEO ist dafür bekannt, besonders günstig zu sein, und das schätzen unsere Kunden. Doch das kommt nicht daher, weil unser guter alter THEO ein so weiches Herz hat und aus lauter Nächstenliebe seiner Kundschaft einen Gefallen erweisen möchte. Nö! THEO spart am Personal. Soll heißen: Für die ganze Arbeit wird so wenig Personal wie nur möglich eingesetzt. Und dieses auf das Minimum beschränkte Personal – zahlenmäßig, nicht geistig – soll das Maximum an Arbeit schaffen. Das nennt man Leistung. Und Leistung ist das oberste Ziel, das A und O, des Pudels Kern, das Ei des Kolumbus – der Heilige Gral des THEO! OOHHMMM!

Wir spielen also nicht den Sklaventreiber, um die THEO-Besucher zu ärgern, oder weil es uns Spaß bereitet, zuzusehen, wie ihnen an der Kasse der Schweiß ausbricht. – Obwohl, wenn ich es mir so recht überlege …

Aber nein, sondern weil wir uns schlicht und einfach dem System fügen müssen, wenn wir unseren Job behalten wollen. Jeder ist ersetzbar, und wie in jedem anderen Beruf warten auch vor THEOs Tür viele, um bei dem «Mercedes unter den Discountern» einen Arbeitsplatz zu ergattern. Dieses magische Wörtchen «Leistung» müssen wir uns also zehn Stunden am Tag wie ein Mantra «vor-oohhmmmen». Von unseren Kunden erwarten wir lediglich zwei Minuten konzentriertes «mit-oohhmmmen».

Für uns heißt das also in Kurzfassung: Finger jucken lassen. Kein Kleingeld annehmen. So schnell es geht wieder aus der Kasse raus und im Laden weiterarbeiten. Für den Kunden heißt das ebenfalls, Finger jucken lassen. Kein Kleingeld hervorkramen. Und sich bei Engpässen wie Pausen oder ungewöhnlich hohem «Verkehrsaufkommen» in Geduld üben müssen, wenn die Schlange länger und länger wird. Bei uns werden Sie keine Kassiererin sehen, die gelangweilt in der Kasse sitzt und wartet, bis ein Kunde kommt, sich womöglich vor dem Scanner-Spiegel noch die Lippen nachzieht. Seien Sie froh! Denn jede Verzögerung bezahlen im Endeffekt Sie, der Kunde! Zeit ist Geld. Je mehr Leute im Kleingeld kramen, desto mehr Kassen müssen geöffnet werden, und desto mehr Kassiererinnen werden benötigt. Je mehr Angestellte im Einsatz sind, desto höher die Personalkosten. Und woher sonst sollte THEO das Geld hierfür nehmen, wenn nicht direkt aus Ihrem Portemonnaie! Durch Preisaufschläge bei den Produkten. Darum ist der oft angebrachte Vorwurf mancher Kunden, wir würden so schnell arbeiten, damit wir mehr Geld verdienen, vollkommen fehl am Platz.

 

Das alles klingt reichlich ungemütlich oder vielleicht sogar unmenschlich. Womöglich werden Sie fragen: Wo sind nur die guten alten Tante-Emma-Läden abgeblieben? Was war das noch schön! Dorthin ging man täglich. Der Kohl fürs Mittagessen wurde dort gekauft und die Wurst fürs Abendbrot. In aller Gemütlichkeit bekam man dann seine Siebensachen schön verpackt und ausgehändigt. Aber meist blieb man noch ein wenig länger, denn dort konnte man in aller Seelenruhe noch einen Plausch halten und erfuhr gratis obendrein, mit wem Frau Lohmann aus der Hirschengasse ihren Mann betrogen hat und dass Herr Schulze wieder mal arbeitslos ist.

Die kleinen Läden an der Ecke sind nun leider vielerorts vom Erdboden verschwunden. Tante Emma hat mit dem Wort Leistung eben nichts am Hut gehabt. Wer kann es sich heute noch leisten, nur Hausfrau oder -mann zu sein, jeden Mittag frisch seine Familie zu bekochen und täglich dafür einkaufen zu gehen. Dazu haben die Wenigsten noch Zeit. Die Großfamilie, die früher alles möglich gemacht hat, ist so gut wie ausgestorben. In der Durchschnittsfamilie der Mittelschicht müssen oft beide Ehepartner ran und das Geld reinbringen, nebenher den Haushalt schmeißen und die Kinder hüten oder von A nach B bringen. Da bleibt keine Zeit mehr für den täglichen Schwatz bei Emma. Die Discounter haben Emma verdrängt, weil sie das anbieten, was die Leute heute wollen: viel – billig – schnell. Einmal die Woche geht’s zum Großeinkauf, und das soll möglichst zügig hinter sich gebracht werden. Die Menschen sind ständig in Eile und haben für nichts mehr Zeit. Darum gibt es immer mehr Fertiggerichte und Tiefkühlkost. Darum sind Mikrowellengeräte und Mini-Backöfen der Renner. Darum gibt es Discounter wie THEO, und darum gibt es uns ruhelose Ungeheuer an den Kassen.

«Der Jack the Ripper unter den Leistungswürgern», der Zeitfresser Nummer 1: das liebe Geld

Verantwortlich für die meisten Verzögerungen an unseren Kassen sind die Kunden, die ständig versuchen, ihr Kleingeld bei uns loszuwerden. Dabei bin ich mir sicher, dass ein großer Teil dieser Erbsenzähler uns gar nichts Böses will. Im Gegenteil. Sie denken, uns einen Gefallen damit zu erweisen. Also dürfen wir uns in die dunklen, undurchdringlichen Tiefen ihrer antiquarischen Lederlappen, auch Portemonnaies genannt, vortasten, um uns selber zu bedienen. Oder sie suchen in sämtlichen Fächern ihrer Hand- oder Hosentaschen nach den ungeliebten Centstücken. Einige kippen auch ihre wohlgefüllten Geldbörsen vor uns aus. Da kommt dann neben Münzen noch einiges andere zum Vorschein. Schmuck, Viagra, Rabattmarken und vieles mehr. Das dauert! Die Zeit nutzen wir natürlich, um ganz ungeniert die Ahnengalerie in den Portemonnaies zu bewundern. Was uns da alles so angrinst – da wird uns oft angst und bange. Die Portemonnaies einiger weniger Herren sind tatsächlich bis zur Unkenntlichkeit zugeklebt mit Ablichtungen knapp oder überhaupt nicht bekleideter Damen …

Zurück zu den Groschen. Bei 10,01 Euro nehmen wir selbstverständlich den Cent an. Manche von uns fordern ihn gar nicht erst ein. Bei anderen Beträgen ist es aber einfach nur unsinnig.

«19,97 Euro, bitte.»

«Warten Sie! Die 7 Cent habe ich bestimmt!»

(STÖHN)

«Oder sogar die 97 Cent!»

(O NEIN, BITTE NICHT)

«Das hilft Ihnen doch sicher! Sie brauchen doch immer Kleingeld.»

NEIN! Wir brauchen es nicht und wollen es nicht! Nur in den seltensten Fällen geht uns das Kleingeld aus. Jaja, ich weiß! «Wer den Pfennig nicht ehrt …!» oder «Kleingeld ist auch Geld!» Diese Sprüche bekommen wir immer wieder vorgebetet. Stimmt ja auch. Aber bedenken Sie dabei Folgendes: 3 Cent Wechselgeld haben wir in einer Sekunde griffbereit, aber die 7 oder gar 97 Cent, die der Kunde uns andrehen will? Die herauszufischen dauert meist eine kleine Ewigkeit. Das mag sich nach Haarspalterei anhören, aber Sekunden werden schnell zu Stunden. 1500 Kunden täglich, die nur 15 Sekunden nach Kleingeld suchen, verursachen eine Verzögerung von über 6 Stunden am Tag, 36 Stunden in der Woche. Das sind 2 zusätzliche Teilzeitkräfte.

Darum versuchen wir mit aller Kraft, unsere Kunden zu «erziehen», was sich oft als nervenaufreibend oder gar unmöglich herausstellt.

Ein junges Paar, noch grün hinter den Ohren, aber arrogant wie sonst was, steht an meiner Kasse. Ich nenne den Betrag, den sie zu zahlen haben.

Wie auf Kommando fangen beide gleichzeitig an, Münzen aus ihren Börsen herauszuklauben. Jedoch ohne sich abzusprechen à la: «Ich hab so viel, wie viel hast du?» Nichts! Kein Laut kommt über ihre Lippen. Und sie zählen und zählen.

Langsam komme ich mir ziemlich verarscht vor und suche schon nach der versteckten Kamera. Nach einer kleinen Ewigkeit in absoluter Stille (abgesehen vom Geklimper) ist meine Geduld dann schließlich zu Ende:

«Ähem. Wird das noch was heute?»

Keine Antwort. Sie wühlen weiter, jeder für sich. Jeder gefangen in seiner eigenen kleinen Welt. Die Kunden in meiner Schlange zappeln schon rum. Der nächste Kunde hat lediglich eine Tafel Schokolade und ein Brot auf dem Band. Darum sage ich zu meinem Pärchen: «Zählen Sie in Ruhe weiter. Ich kassiere dann schon mal den nächsten Kunden, bis Sie fertig sind.»

Ich greife gerade nach der Schokolade, als die junge Frau mich anschreit: «Wir sind fertig!»

Auf diese Tonlage reagiere ich schon gar nicht.

Sie brüllt nun regelrecht: «Ich habe gesagt, wir sind fertig!»

Und jeder für sich knallt ein Häufchen aus kleinen Münzen auf meine Kasse.

Wie haben die das nur gemacht? Telepathisch? Ich halte meine Wut, die sich vom Bauch ausgehend den Weg nach draußen zu bahnen versucht, zurück und erwidere so ruhig ich nur kann: «Ich habe es gehört», und wende mich...

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