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Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen

Dunkle Wahrheiten über das Priesterseminar

AutorDaniel Bühling
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783864133879
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Ein idealistischer junger Katholik beschließt Priester zu werden und hat keine Ahnung, was ihn bei dieser Ausbildung erwartet: eine Welt voll Scheinheiligkeit und Doppelmoral. Bühling berichtet von der Parallelwelt des Priesterseminars, in der Homosexualität unterdrückt ausgelebt wird und wo Psychosen und Wahnvorstellungen, Tabletten- und Alkoholmissbrauch an der Tagesordnung sind. Warum scheinen sich gerade in der Kirche Missbrauchsfälle überdurchschnittlich zu häufen? Warum hat die katholische Kirche ausgerechnet auf Homosexuelle eine enorme Anziehungskraft? Und warum ist eine große Anzahl von Priestern psychisch labil und suchtgefährdet, wo doch gerade diese Menschen eine Stütze für andere sein sollen? Daniel Bühling hat den Mut, erstmalig aus dem Innersten der katholischen Kirche zu berichten. Und scheut sich dabei nicht, offen kritische Fragen zu stellen und diese aus seiner Erfahrung im Priesterseminar auch zu beantworten.

Daniel Bühling, geboren 1978, entschloss sich mit Anfang 20 dazu, Priester zu werden. Er studierte acht Jahre lang an Priesterseminaren in Augsburg, München und Trier und blickte dort in das wahre Gesicht der katholischen Kirche. 2008 beendete er enttäuscht seine Ausbildung zum Pfarrer und ist seitdem als freier Theologe tätig.

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Leseprobe

Glück in einer ­zerbrechlichen Welt


Die Familienbeziehungen bewirken eine besondere gegenseitige Nähe der Gefühle, Neigungen und Interessen, vor allem, wenn ihre Mitglieder einander achten. Die Familie ist eine Gemeinschaft mit besonderen Vorzügen: sie ist berufen, »herzliche Seelengemeinschaft, gemeinsame Beratung der Gatten und sorgfältige Zusammenarbeit der Eltern bei der Erziehung der Kinder« zu verwirklichen.

(KKK 2206)

Kirche? Damit hatte ich die meiste Zeit meines Lebens nichts am Hut. Langweilig – so empfand ich, mit einem Wort gesagt, die Gottesdienste. In der Kirche war es kalt und düster, und in den Bänken saßen nur alte Leute in sich zusammengesunken da. Von der Predigt des greisen Pfarrers verstand ich kein Wort. Die Messe schien ewig zu dauern, und wenn dann endlich das Glöckchen klingelte und der Pfarrer die Hostie hochhielt, atmete ich auf: Nur noch ein paar Minuten, dann würde es vorbei sein.

In meiner Familie war bis auf meine Großeltern, vor allem meine Oma, niemand besonders religiös. Ich wuchs in einem kleinen Dorf bei Günzburg auf, im bayerischen Schwabenland. Ein paar Bauernhöfe entlang der Straße, 120 Einwohner. Wir waren eine traditionelle Großfamilie: Mein Vater hatte den Zimmereibetrieb seiner Eltern übernommen, und meine Großeltern lebten mit uns zusammen auf einem Grundstück – ebenso wie mein Onkel, meine Tante und mein zehn Jahre älterer Cousin sowie meine Urgroßmutter, die hier die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte.
Meine Großmutter war der Mittelpunkt der Familie und die Kraft, die uns alle zusammenhielt, trotz ihres eher herben als herzlichen Umgangs, ihrer strengen statt sanften Art. Ihre Küche war unsere Familienzentrale. Pünktlich um 10.30 Uhr gab es Brotzeit, zu der sich dort alle, die in der Werkstatt arbeiteten – darunter auch meine Mutter –, einfanden. Dass meine Oma meinen schwer kranken Opa pflegte, schien mir als Kind ganz normal. Warum sie so streng war und ein geradezu herrisches Regiment führte, wie hart sie mit sich selbst umging und was ihr tiefer Glauben damit zu tun hatte – das verstand ich damals noch nicht.

Großmutter war es sehr wichtig, mir und meinem fünf Jahre älteren Bruder Olli christliche Werte beizubringen und uns an die Kirche heranzuführen, erst recht, da meine Eltern sich so wenig dafür interessierten. Allerdings war unser Dorf so klein, dass wir nicht einmal eine Kirche hatten, sondern nur eine kleine Kapelle. Zum Gottesdienst mussten wir in den Nachbarort Wettenhausen fahren oder über die Felder dorthin laufen.

In Wettenhausen befinden sich ein Dominikanerinnen-Kloster und die für die Gegend zuständige Pfarrkirche, die sich direkt an das Kloster anschmiegt. Mit ihrem weißen Glockenturm und dem Zwiebeldach fällt die Pfarrkirche schon von Weitem ins Auge und ist auch im Innern – mit Stuck verziert und vielen Kunstwerken geschmückt – um einiges prächtiger als die Klosterkirche selbst. Da schon damals Personalmangel herrschte, war für Kloster wie Pfarrei derselbe Pfarrer zuständig.

Meine Großmutter war der Meinung, dass unsere Familie viel zu selten die Messe besuchte, und drängte uns Kinder, sie in die Kirche zu begleiten. Sie meinte es gut. Aber Olli war dazu nicht zu überreden und suchte schon früh seinen ganz eigenen Weg. Ich dagegen ging mit, zumindest manchmal, zusammen mit vielleicht zwei oder drei anderen Kindern, die ebenfalls von zu Hause aus in die Kirche gedrängt wurden. Aber für uns alle war das Schönste am Gottesdienst, wenn er vorbei war.

Als ich sechs Jahre alt war, ließen meine Eltern sich scheiden. Der Vater verließ das Dorf, weil er eine jüngere Frau kennengelernt hatte. Zum Arbeiten kam er aber weiterhin in den Betrieb. Als Kind verstand ich zunächst nicht, was da passierte – ich dachte, es wäre normal, dass ein Vater nicht mehr mit seiner Familie in einem Haus wohnt. In der Grundschule hänselten mich die anderen Kinder zwar dafür, dass meine Eltern geschieden waren, aber ich wusste nicht einmal, was »geschieden« bedeutet – in unserem Dorf kannte ich keine Geschiedenen. Dass auch meine Tante und mein Onkel sich getrennt hatten, war mir damals gar nicht aufgefallen, da nie darüber gesprochen wurde. Also musste ich meine Mutter fragen, was es mit diesem »geschieden sein« auf sich hatte. Erst da verstand ich, dass bei uns auf dem Land eine Scheidung wie ein Brandzeichen war: Meine Mutter war das schwarze Schaf im Dorf und durfte in der Messe nicht mehr zur Kommunion gehen – ein zusätzlicher Grund für sie, mit der Kirche zu brechen.

Nach knapp vier Jahren schloss der Vater den Zimmereibetrieb. Um unser Haus auch weiterhin erhalten zu können, arbeitete meine Mutter daraufhin in einer Fabrik für Elektrokleingeräte. Da sie einen Teil des Hauses allein abbezahlen und uns Kinder durchbringen musste, litt sie unter ständiger Existenzangst. Die sogenannte Hausfrauenschicht, zu der meine Mutter in der Fabrik eingeteilt war, ging von 17 bis 22 Uhr und war sehr anstrengend. Daher übernahmen meine Oma und meine Großeltern in Krumbach einen gewichtigen Teil meiner Erziehung und der meines Bruders. Wenn wir unter der Woche aus der Schule kamen, gab es in Omas Küche das Mittagessen. Wenn meine Mutter abends weg war, brachte Oma uns ins Bett. Die Wochenenden verbrachten wir dann meistens in Krumbach bei meinen anderen Großeltern, die meine Mutter dadurch entlasteten.

Mein Bruder war sehr wütend, fast hasserfüllt, und warf dem Vater vor, uns im Stich zu lassen. Überhaupt begehrte er in dieser Zeit ständig auf und tat, was er wollte. So sah er auch aus: lange Haare, AC/DC-­
T­-­Shirt, Lederjacke, Springerstiefel. Ich verstand mich nicht mit ihm, und es gab viel Streit. Ausgehen und Partymachen war alles, was ihn interessierte. Und so knatterte er jedes Wochenende auf seinem Moped davon. Niemand kam mehr an ihn heran, erst recht nicht der Vater, dem er stets mit dem Vorwurf konterte, er habe ihm nichts mehr zu sagen, weil er uns verlassen hatte.

Während Olli mit unserer Familie, dem Vater und dem Dorf am liebsten nichts mehr zu tun haben wollte, gab es für mich nichts Schöneres als meine Heimat und ein harmonisches Zusammenleben. Ich schaffte mir meine eigene kleine, heile Welt, indem ich mich viel mit Tieren beschäftigte. Einen richtigen kleinen Zoo baute ich mir auf. Zu den Stallhasen, die meine Großmutter schon immer gehalten hatte, bekam ich einen Zwerghasen dazu, im Haus hatten wir einen Wellensittich, und auf dem Hof tummelten sich Katzen. Ich liebte es, mit meiner Spielkameradin von nebenan in den Stall zu gehen und mit den Hofhunden herumzutollen. Ich nahm Reitstunden, und später baute ich mir noch eine große Voliere in den Garten, in der ich Wachteln und Fasane hielt. Im Gegensatz zu allen unseren Nachbarn hatten wir selbst zwar keinen Bauernhof, aber ich war trotzdem ein richtiges Landkind.

Deshalb war klar, dass ich mir zur Erstkommunion nichts sehnlichster wünschte als – einen eigenen Hund! Überhaupt ging es mir bei der Kommunion nur um die Geschenke und den schulfreien Tag, an dem der Kommunionausflug stattfand. Religion? War mir egal. Und die Kirche in Gestalt des alten Gemeindepfarrers tat auch reichlich wenig, um dies zu ändern. Der Pfarrer konnte mit uns Grundschulkindern nichts anfangen und hatte weder Geduld noch Gespür für uns. Mit seinen fast 80 Jahren – seine Priesterweihe war im Jahr 1931 gewesen – war er damit einfach überfordert. Daher gab es natürlich auch keine Kindergottesdienste in der Gemeinde. Zur Vorbereitung auf die Erstkommunion marschierte eine Gruppe von 25 Kindern ein Mal pro Woche in die düstere kalte Kirche, wo uns der Pfarrer dann – gerne mit erhobenem Zeigefinger – erklärte, was auf uns zukommen würde. Die Frage, ob jemand zur Kommunion geht oder nicht, stellte sich erst gar nicht. Es war ein völlig unumstößliches Ereignis, ein absolutes Muss.

Wir Kinder hatten eher Angst, als dass wir uns auf dieses Ereignis freuten, dort in der dunklen Kirchenbank vor dem Pfarrer, der uns gewaltigen Respekt einflößte. Vor einem Pfarrer muss man Ehrfurcht haben, das hatte man uns Kindern eingebläut, in der Gegenwart des Herrn Pfarrer darf man nichts Falsches sagen und sich nicht danebenbenehmen. Der Pfarrer war eine absolute Autoritätsperson. Gemocht haben wir ihn trotzdem nicht. Oder vielleicht gerade deswegen.

Den Religionsunterricht in der Schule fand ich dagegen großartig. Er war anders als die anderen Stunden, und ich mochte vor allem die biblischen Geschichten, die uns die Lehrerin erzählte. Während der Kommunionvorbereitung erklärte sie uns selbstverständlich auch, was die Hostie ist und die Gemeinschaft mit Christus bedeutet, aber das waren leere Worte für mich. Ich war bei der ganzen Sache dabei, weil alle anderen auch dabei waren – und wegen der Geschenke.

Fast hätte mein Bruder mir meinen Festtag verdorben. Wie immer gab es Streit zwischen ihm und dem Vater, und das schon am Morgen, als wir zur Kirche gehen wollten. Olli weigerte sich nämlich, mitzukommen. Er schrie und stieß wilde Drohungen aus, was sich fest in meine Erinnerung eingebrannt hat. Kirche und Glaube bedeuteten mir in jener Zeit ­zwar kaum etwas – meine Familie und unser harmonisches Miteinander dafür alles. Wie würde mein großer Tag wohl weitergehen, wenn schon zu Beginn der Haussegen schief hing? Allerdings wurde es dann doch ein schönes Fest. Für die Feier nach dem Gottesdienst hatten meine Eltern sogar einen Tisch in einem Wirtshaus reserviert – ein seltenes und deshalb ganz besonderes Erlebnis. Zu Hause wartete eine üppige Kaffeetafel auf uns, bis es am...

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