Einführung: Emotionale Intelligenz und Mimikresonanz
Nach diesem Kapitel können Sie die folgenden Fragen beantworten:
- Was ist emotionale Intelligenz und warum ist sie wichtig?
- Was ist Mimikresonanz und in welchen Situationen können Sie sie einsetzen?
- Was bringt es Ihnen, wenn Sie die Erkenntnisse dieses Buches anwenden?
- Wie wirken sich Stress und psychische Störungen auf unsere Fähigkeit aus, zu erkennen, wie sich andere Menschen fühlen?
- Was erwartet Sie in diesem Buch?
Was ist emotionale Intelligenz?
Bevor wir uns genauer anschauen, was emotionale Intelligenz ist, lassen Sie uns kurz einen Blick darauf werfen, was Emotionen eigentlich sind und warum wir sie haben. Für beides, so denkt man, sollte die Wissenschaft doch schon längst Antworten gefunden haben. Doch dem ist nicht so – zumindest gibt es keine einheitliche Antwort. Es gibt unzählige Definitionen davon, was Emotionen sind, und mindestens genauso viele Ideen, warum wir sie haben. Fakt ist und bleibt: Wir alle haben sie. Und auch wenn es manchmal Situationen gibt, in denen man sich wünscht, nicht mehr zu fühlen, so würde ein Leben ohne Emotionen furchtbar trist sein. Emotionen geben unserem Leben Farbe und einen Sinn. Denn Emotionen bewegen uns. Sie lassen uns lachen und auch weinen, lieben und hassen, umarmen und wegschubsen. Sie sind der Motor des Fortschritts wie auch der Zerstörung. Sie lassen uns zweifeln, aber auch hoffen. Sie sind unser Zugang zur Spiritualität. Sie halten uns zusammen. Und nahezu alles, was wir tun, tun wir, um bestimmte Emotionen zu erleben oder zu vermeiden. Kurz: Emotionen bedeuten Leben. Und unsere Fähigkeit mit ihnen umzugehen – mit den eigenen wie mit denen der anderen – hat großen Einfluss darauf, ob wir Glück und Erfolg in unserem Leben finden oder nicht. Und genau dies ist der Kern der emotionalen Intelligenz.
Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle richtig wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Sie hilft dabei, uns selbst besser zu verstehen, aber auch andere. In einer Welt, die immer schneller zu werden scheint, sind unsere Beziehung zu uns selbst und die Beziehung zu unseren wichtigsten Bezugspersonen zwei der wenigen stabilen Konstanten, die der Veränderung standhalten. Fragt man den 78-jährigen Psychiater und Harvard-Professor George Vaillant, dann ist Empathie – ein elementarer Bestandteil der emotionalen Intelligenz – der wichtigste Faktor für ein erfolgreiches und glückliches Leben. Und er muss es wissen. Vaillant übernahm 1967 die Leitung einer der längsten Studien zum Thema Glück – die Grant-Studie. Und er leitet sie noch heute. Eine Studie, die 1939 begann und an der u. a. 268 Harvard-Absolventen der Jahrgänge 1939 bis 1945 bis zu ihrem 80. Lebensjahr teilnahmen. In einem Interview mit dem Süddeutsche Zeitung Magazin (2013) antwortete Vaillant auf die Frage „Können Sie die Definition von Glück prägnant in einem Satz formulieren?“ mit folgender Aussage: „Glück ist, nicht immer alles gleich und sofort zu wollen, sondern sogar weniger zu wollen. Das heißt, seine Impulse zu kontrollieren und seinen Trieben nicht gleich nachzugeben. Die wahre Glückseligkeit liegt dann in der echten und tiefen Bindung mit anderen Menschen.“ Dies liest sich wie ein Rezept mit den wichtigsten Zutaten emotionaler Intelligenz. In mittlerweile unzähligen weiteren Studien wurde nachgewiesen, dass die emotionale Intelligenz den beruflichen Erfolg und das empfundene Lebensglück weitaus mehr beeinflusst als zum Beispiel der IQ. Auch Zusammenhänge zwischen Gesundheit und emotionaler Intelligenz wurden dokumentiert. Dass sie darüber hinaus eine bedeutende Einflussgröße auf unsere Beziehungsqualität hat, liegt nahe, ist sie doch ausschlaggebend für unsere Fähigkeit, eine Verbindung zu anderen Menschen herzustellen.
Das alles klingt danach, als sei die emotionale Intelligenz eine Art Super-Fähigkeit. Doch ist sie das wirklich? Man könnte sie als eine Art Meta-Fähigkeit bezeichnen, von der es abhängt, wie wir unsere übrigen Fähigkeiten einsetzen. Durch sie gelingt es uns, unser Potenzial zu entfalten.
Doch leider ist sie eine Fähigkeit, die in unserer heutigen Welt gefährdet ist. Denn mit emotionaler Intelligenz werden wir nicht geboren, sie muss sich entwickeln. In der Schule lernen wir darüber meist nichts. Und wie sieht es in den Familien aus? In einer Welt, in der es normal ist, dass schon die Vierjährigen mit Videokonsolen spielen, Stunden vor dem Fernseher verbringen und der echte zwischenmenschliche Austausch immer kürzer kommt, verkümmert unsere Fähigkeit, mit Gefühlen angemessen umzugehen, zunehmend. Kommuniziert wird mehr und mehr über E-Mail oder Facebook, echten Kontakt gibt es immer weniger. Doch der Kitt, der unsere Beziehungen zusammenhält, ist die emotionale Intelligenz, bei der sich drei Hauptelemente ausmachen lassen: Empathie, Emotionsmanagement und kommunikative Kompetenz. Und alle drei beeinflussen sich gegenseitig.
Abbildung 1: Zusammenspiel der Teilbereiche der emotionalen Intelligenz
Wenn wir die Gefühle anderer Menschen wahrnehmen (Empathie), löst dies auch in uns Gefühle aus. Hier spielen unter anderem die Spiegelneuronen eine entscheidende Rolle; dazu später mehr. Wenn wir in einem Gespräch ressourcenvoll agieren möchten, ist es auch wichtig, dass wir mit den eigenen Gefühlen wirkungsvoll umgehen können (Emotionsmanagement). Durch ein optimales Zusammenspiel dieser beiden Elemente kann sich das dritte Element voll entfalten: die persönliche kommunikative Kompetenz.
Schwerpunkt dieses Buches ist die Empathie. Es geht darum, unsere Wahrnehmung für die Gefühle unserer Mitmenschen zu schärfen – für die deutlichen, aber vor allem für die subtilen –, um so andere Menschen besser zu verstehen und eine beziehungsfördernde und wertschätzende Kommunikation zu fördern. Als Teil der emotionalen Intelligenz ist die Empathie – die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen – die Grundlage aller Menschenkenntnis und das Fundament zwischenmenschlicher Beziehungen. Je stärker unsere Empathie ausgeprägt ist, je besser wir erkennen, wie sich andere Menschen fühlen, desto schneller und treffgenauer können wir herausfinden, was sie brauchen und wollen. Diese Fähigkeit ist die Grundlage und unverzichtbare Voraussetzung dafür, mit den Gefühlen anderer Menschen angemessen umzugehen und in nahezu allen beruflichen Situationen die Basis für eine harmonische und erfolgreiche Zusammenarbeit. Gleichermaßen ist sie die Voraussetzung für Vertrauen und Wertschätzung in unseren Beziehungen zu anderen Menschen.
Was ist Mimikresonanz?
Mimikresonanz ist ein praxisorientiertes Konzept, um die Fähigkeit zu verbessern, in guten Kontakt mit unseren Gesprächspartnern zu kommen und deren Gefühle und Wünsche noch besser wahrzunehmen. Es kann sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld eingesetzt werden: sei es in Beratungsgesprächen, in der Mitarbeiterführung, im Bildungswesen, Service, Coaching, in der Mediation. Aber auch in der Partnerschaft oder in der Elternrolle.
Mimikresonanz bedeutet, mimische Signale zu erkennen, richtig zu interpretieren und angemessen mit ihnen umzugehen. Das Mimikresonanz-Konzept vervollständigt damit den Bereich der reinen Mimikdeutung durch ein zusätzliches praktisches Training, um die in einem Gespräch durch präzise Beobachtung gewonnenen Informationen auch angemessen und zielführend zu nutzen.
Unter anderem aufbauend auf den Forschungsergebnissen des amerikanischen Psychologen Paul Ekman habe ich das Mimikresonanz-Training im Jahr 2011 entwickelt. Es setzt sich aus drei Bereichen zusammen:
- Mimikscouting
- Mimikcode
- Resonanztraining
Mimikscouting: die „Spuren der Mimik“ lesen
Sie trainieren, das, was Sie in der Mimik Ihrer Gesprächspartner sehen, auch bewusst wahrzunehmen. Der Bereich des Mimikscouting nutzt dafür bewährte wissenschaftliche Systeme, wie zum Beispiel das Facial Action Coding System (FACS).
Mimikcode: die Mimik entschlüsseln
Sie trainieren, die mimischen Signale richtig zu interpretieren, um so die Gefühle und Wünsche Ihrer Gesprächspartner zu erkennen – auf der Grundlage neuester Erkenntnisse aus der Emotionsforschung, sowie der Persönlichkeits- und Motivationspsychologie. Die mimischen Signale werden ergänzt durch andere nonverbale Kanäle, wie Körpersprache und Stimme, die wichtig dafür sind, um präzise einzuschätzen, wie sich unser Gegenüber fühlt.
Resonanztraining: ressourcenvoll agieren
Sie trainieren angemessen und zielführend mit den Informationen, die Sie durch präzises Beobachten gewonnen haben, umzugehen. Hier liefert unter anderem die moderne Gehirnforschung wertvolle Impulse für eine ressourcenvolle und beziehungsfördernde Kommunikation.
Einsatzfelder von Mimikresonanz
Mimikresonanz lässt sich in allen Bereichen einsetzen, in denen eine Kommunikation von Angesicht zu Angesicht eine Rolle spielt. Im Folgenden werden einige konkrete Beispiele angeführt:
Als Coach oder Psychotherapeut bekommen Sie besser mit, welche Emotionen Ihre Klienten / Patienten bewegen und wo Ansatzpunkte für einen erfolgreichen Veränderungsprozess sind. Sie sehen schneller, welche Themen emotional aufgeladen sind und können den Erfolg der Veränderungsarbeit noch präziser an der nonverbalen Reaktion ablesen. Aber nicht nur das bessere Erkennen der Gefühle des Klienten beeinflusst den Coaching- oder Therapieerfolg....