Jan Philipp Reemtsma
Vorwort
Terror ist systematisch angewandte irreguläre Gewalt. Irregulär kämpft die Armee, die die (geschriebenen oder ungeschriebenen) Regeln bricht, die zur Zeit des Krieges gelten, das heißt wer Objekt möglicher Gewalttat werden kann oder darf, an welchem Ort, zu welcher Zeit, mit welchen Mitteln. Wenn im Kampf von einzelnen solche Regeln gebrochen werden – und das geschah und geschieht in jedem Krieg –, liegt eine Regelverletzung vor, die man, wenn sie gravierend ist, »Kriegsverbrechen« nennt und zuweilen auch ahndet. Wenn eine Armee sich punktuell immer wieder oder gar generell von solchen Regeln entbindet, führt sie einen verbrecherischen Krieg. Sie führt, und damit wechselt man auf ein anderes Terrain der Beschreibung, insofern einen terroristischen Krieg, als mit der Suspendierung des Regelhaften auch das Moment der Berechenbarkeit verlorengeht bzw. absichtsvoll aufgegeben wird. Wer Opfer einer Gewalttat werden kann (Soldat oder Zivilist), wo er das werden kann (auf dem Schlachtfeld oder zu Hause), wie er das werden kann (mit den gewöhnlich in Kampfhandlungen verwendeten Waffen oder durch verseuchtes Wasser, Giftgas, Massenbombardement), ist unklar. Teil dieser Unberechenbarkeit ist auch die Vervielfachung des Schreckens, daher der Begriff »Terror«.
Binnenstaatlicher Terrorismus ist ebenfalls gekennzeichnet durch die Kombination von Irregularität/Unberechenbarkeit und Systematik. Wer sein Opfer wird, weiß nicht, wer das Recht oder den Auftrag hat, ihm was und wie lange zu tun; wer sein Opfer werden kann, weiß nur dies und nicht, wie er sich in eine Position der Sicherheit begeben kann. Rechtliche Normen und gesicherte Verfahren, auf die man sich berufen und die in Gang gesetzt werden können und mit denen die Exekution der Gewaltmaßnahmen unterbrochen und überprüft werden könnte, gibt es nicht.
Guerillaarmeen pflegen ihre Schwäche an Zahl und Bewaffnung dadurch zu kompensieren, daß sie ihren Kampf von vornherein zu Teilen oder ganz auf die Ausübung von Terror abstellen. Das gilt sowieso hinsichtlich der Wahrnehmung von außen: da sie keine anerkannten Kombattanten darstellen, weil sie keine regulären Armeen von Staats wegen sind, gilt ihr Kampf von seiten ihrer Gegner definitionsgemäß als irregulär. Aber es handelt sich nicht nur um Definitionsfragen. Es gehört zum Guerillakampf, so zu kämpfen, daß der Gegner sich nicht zum Kampf stellen kann, daß er überrascht wird, daß er dort und dann getroffen wird, wo er sich am wenigsten gut verteidigen kann. Es gehört zum Guerillakampf auch, ein Höchstmaß an Unsicherheit und Schrecken unter den Soldaten der bekämpften Armee zu erzeugen. Aber die meisten Guerillaarmeen kämpfen nicht nur gegen eine Armee, sondern auch gegen eine Bevölkerung, die sie nicht unterstützt, beziehungsweise sucht die Unterstützung, der sie zu ihren Operationen meistens bedarf, durch Terror zu erzwingen: sei es durch provozierten Terror der gegnerischen Armee, die durch die Guerilleros angegriffen wird, aber zwischen eigentlichen Guerilleros und unterstützender und/oder neutraler Bevölkerung nicht unterscheiden will oder kann und übergreifend zurückschlägt, das heißt ihrerseits terroristisch kämpft,1 sei es durch eigene präventive Gewalttaten oder deren Androhung.
Im Unterschied zu Guerillaarmeen, die sich zu regulären transformieren können und die zuweilen, wenn auch durchaus nicht immer, bewaffneter Teil einer politischen Alternative zu dem von ihr bekämpften politischen System sind, sind Terrorgruppen Gruppierungen, die nur im Medium des terroristischen Kampfes existieren, in ihm und für ihn sich bilden, und ihren Gruppenzusammenhalt, da sie nicht Teil von etwas anderem sind, aus den Modalitäten dieses Kampfes gewinnen. Die RAF war eine solche Terrorgruppe, und interessant ist, daß sie ihre eigene Wirklichkeit durch die Namengebung vorsorglich dementierte. Sie nannte sich »Rote Armee Fraktion«, um damit eine Konstellation von Teil und Ganzem zu suggerieren, die zwar kein Korrelat in der Wirklichkeit hatte, die sie aber zu ihrer Binnenlegitimation wie zu der nach außen wohl zu bedürfen meinte. Allerdings waren ihre tatsächlichen legitimatorischen Texte vom Pathos einer Avantgarde getragen, die den Teil für das noch nicht existierende Ganze nahm und einzig aus diesem Quidproquo ihre Legitimation bezog.
Es ist üblich, Terrorgruppen aus ihnen zugeschriebenen politischen oder weltanschaulichen Motiven verstehen zu wollen sowie aus Erfahrungen, die bei ihren Mitgliedern zu der Überzeugung geführt hätten, ihre Ziele nicht anders als durch mörderische und latent oder manifest selbstmörderische Gewalt verfolgen zu können. Wie immer man die Rolle der Motive und Ziele von terroristischen Gruppen im einzelnen bewerten will – es gibt einige, bei denen kaum etwas Derartiges zu erkennen ist, und andere, die, jedenfalls nach außen hin, großen Wert darauf legen, als weltanschaulich motiviert wahrgenommen zu werden –, ein kurzer Blick in die Weltgeschichte des Terrorismus zeigt, daß außerordentlich unterschiedliche Weltanschauungen (ebenso wie deren gänzliche Absenz) zu, was Mechanismen der Gruppenbildung sowie und Art und Weise praktischen Agierens anlangt, außerordentlich ähnlichen Resultaten führen können. Die Studien Mark Juergensmeyers haben gezeigt, daß die heutzutage über die Weltreligionen verteilten fundamentalistischen Terrorgruppen alle in einem übereinstimmen: sie hassen die USA und die Juden.2 Erweitert man den historischen Horizont, so stellt man fest, daß nur solche weltanschaulichen Angebote terrorfähig sind, die es erlauben, sowohl ein manichäisches Welt-Bild auszuprägen wie der eigenen Gruppe den Status einer Avantgarde mit Herrschaftsanspruch zuzusprechen. Nicht die (politische oder religiöse) Weltanschauung ist es, die Menschen geneigt macht, sich Terrorgruppen anzuschließen und an sie bindet, sondern die Möglichkeit, ein undifferenziertes, vor ambivalenten Emotionen geschütztes Weltbild auszubilden, und in dieser Welt (wenigstens dem Anspruch nach) zu herrschen. Daß die Terrorgruppe in dieser selbstgemachten Welt Herrin über Leben und Tod ist, versteht sich dabei nicht nur gewissermaßen von selbst, sondern macht die Gruppe zusätzlich attraktiv.
Manche Menschen sind gern gewalttätig, manche sind es nicht. Wer sich ohne Zwang in eine Gruppe begibt, deren selbsterklärter Daseinszweck es ist, Menschen zu töten, findet zumindest den Gedanken daran so attraktiv, daß er sich seiner Verwirklichung bis zur Tat nähert. Manche schrecken vor dem letzten Schritt zurück, sei es bei ihrer Verhaftung, sei es durch zeitiges Verlassen der Gruppe. Terrorgruppen, die Gewalt nicht kultivieren – auch ästhetisch –, können, wie es scheint, nicht existieren. Gewalt, Waffenkult, Sprache, die signalisiert, daß man »um der Sache willen« vor nichts zurückschreckt, erlaubt es auch demjenigen, der bisher einigermaßen unbeachtet dahingelebt hat, der eigenen Existenz eine apokalyptische Aura zu verleihen. Und dort, wo Terrorgruppen erfolgreich zugeschlagen haben, sind sie ja tatsächlich außerordentlich bedeutsame politische Faktoren geworden. Sowenig realitätshaltig die Verlautbarungen vieler Terrorgruppen auch klingen – in ihren Taten bringen sie zuweilen Selbstbild und reale Bedeutung zur Deckung. Die Gewalttat selbst ist die wichtigste Selbstlegitimation und der Selbstmordanschlag, psychologisch betrachtet, alles andere als merkwürdig: der eigene Tod wird zur finalen Bedeutsamkeitserklärung.
Nach außen hin legitimieren sich Terrorgruppen dadurch, daß sie erklären, sie betrieben die Sache anderer, die entweder zu schwach oder zu feige seien, sie selbst zu betreiben. Entscheidend ist dabei – wie bei allen legitimatorischen Anstrengungen –, daß sie wenigstens einige finden, die ihnen das glauben. Die müssen die Praxis der Gruppe nicht billigen, aber sie müssen akzeptieren, daß es der Gruppe um dieselben Ziele geht wie ihnen und daß die Motive der Terroristen den eigenen ähneln, nur zu anderen Konsequenzen geführt haben. Bei denen, die für solche Legitimationsstrategien empfänglich sind, führt das oft zu etwas wie einem schlechten Gewissen, auch dann, wenn sie den Terror der Gruppe eigentlich ablehnen: Könnte es nicht sein, daß diese Ablehnung der eigenen Schwäche entspringt? Aus dieser emotionellen Disposition entsteht das, was zur Zeit der RAF-Aktivitäten »Sympathisantenszene« genannt wurde. Aus solchen Szenen rekrutieren Terrorgruppen Nachwuchs.
Ohne ein Umfeld, das in irgendeiner Weise weltanschaulich mit der Gruppe übereinstimmt, geht die Gruppe nicht nur an mangelndem Nachwuchs zugrunde, sie kann auch ohne einen solchen Zusammenklang als Gruppe nicht bestehen. Die Erregung, die für das Durchstehen eines immerhin gefährlichen und nicht nur aus den Hochgefühlen erfolgreich absolvierter Tötungskriminalität bestehenden täglichen Lebens, die von der Phantasie genährt wird, im Dienste einer Mission unterwegs zu sein, braucht den anerkennenden Blick. Nur aus dem Spiegel ist dieser nicht zu bekommen, es...