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E-Book

Abgedreht - Meine Frau, unsere Liebe und die Psychose

AutorMark Lukach
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783104037998
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine moderne Love Story, wie sie das Leben schreibt: spannend, anrührend, außergewöhnlich Mark und Giulia sind 18, als sie sich ineinander verlieben. Mit 24 heiraten sie. Als Giulia 27 ist, erleidet sie ihren ersten psychotischen Schub und muss in die Psychiatrie eingeliefert werden: An einem Tag ist sie lebenslustig und voll Energie, am nächsten tief deprimiert und suizidgefährdet. Sie wird als geheilt entlassen und Mark und Giulia bekommen einen Sohn, aber kurz nach der Geburt hat Giulia den nächsten Zusammenbruch, kurz danach einen dritten. Und alles, was dem jungen Paar sicher schien, wird auf den Kopf gestellt, nur ihre Liebe nicht. »Abgedreht« ist die berührende und außergewöhnliche Geschichte einer großen Liebe eines Mannes zu seiner psychisch kranken Frau. Mark hält zu Giulia, und sie kommt immer wieder zurück ...

Mark Lukach arbeitet als Lehrer und freiberuflicher Autor für die »New York Times«, den »Atlantic«, den »Pacific Standard«, »Wired« und andere. Er lebt mit seiner Frau Giulia und dem gemeinsamen Sohn Jonas in der Nähe von San Francisco.

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Leseprobe

Eins August 2000


Als ich meine Frau zum ersten Mal sah, ging sie über den Campus von Georgetown und ich rief ihr zu: »Buongiorno, Principessa!« Wie ein Blödmann. Sie war Italienerin, strahlend und mehrere Nummern zu groß für mich, aber ich war unerschrocken und habe mich praktisch auf der Stelle in sie verliebt. Sie hatte ein Lächeln bello come il sole (schön wie die Sonne) – ich lernte ein wenig Italienisch, um bei ihr Eindruck zu schinden – und als ich ihr auf einer Party wiederbegegnete, verbrachten wir die ganze Nacht flirtend im Gespräch versunken. Ich begleitete sie zu ihrem Zimmer und stahl mir einen raschen Gutenachtkuss, den sie erwiderte. Inzwischen wussten wir beide längst, was da zwischen uns passierte. Sie wohnte ein Stockwerk unter mir im selben Wohngebäude für Erstsemester. Am nächsten Morgen klopfte ich an ihre Tür, um sie zum Frühstück auszuführen. Sie antwortete in einem Ton, der sich beinahe anhörte wie: »Wo bist du denn gewesen? Es ist höchste Zeit, dass du dich hier blicken lässt.«

Im Laufe eines Monats wurden wir ein Paar. Sie machte an meinem Zimmer halt, um mich zu wecken, wenn ich meinen Unterricht zu verschlafen drohte. Ich klebte ihr Rosen an die Tür. Giulia hatte einen perfekten Notendurchschnitt. Ich hatte einen Irokesenschnitt und ein Longboard von Sector 9. Wir waren beide überwältigt davon, wie großartig es sich anfühlt, jemanden zu lieben und von ihm wiedergeliebt zu werden.

In der Nacht vor den Winterferien des ersten Semesters, in denen wir zum ersten Mal getrennt sein würden, seit wir uns kennengelernt hatten, saßen wir bis zum frühen Morgen zusammen, kauerten am Fenster meines Schlafzimmers und sahen zu, wie der Schnee den Hof der Universität mit einer Decke überzog. Bei der Vorstellung, uns für zwei Wochen trennen zu müssen, weinten wir uns die Seelen aus dem Leib. Es fühlte sich an, als müssten wir dem Tod in die Augen blicken. Ich hoffte, aufgrund des Schnees würde sich ihr Flug verspäten oder sogar gestrichen werden, so dass wir uns noch ein paar gemeinsame Stunden stehlen könnten, aber der Schneefall ebbte wieder ab, sie flog zu ihrer Familie nach Italien und ich zu meiner Familie nach Delaware. Und irgendwie schafften unsere zerbrechlichen Herzen es zu überleben. Als wir dann schließlich wieder im College vereint waren, sprachen wir bereits über eine gemeinsame Zukunft, als gäbe es daran keinerlei Zweifel. Unsere Liebe schien unausweichlich, so wie der Studienabschluss oder die Erdanziehungskraft, ein vorbestimmtes Schicksal, dem keiner von uns entfliehen wollte. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass wir erst achtzehn Jahre alt waren.

Je besser wir einander kennenlernten, desto begeisterter waren wir von unseren Gemeinsamkeiten. Wir waren beide Linkshänder, und unsere Mütter hatten denselben Geburtstag. Meine Familie war 1989 aus den Vereinigten Staaten ins Ausland, nach Japan gezogen; Julias Familie hatte Italien im selben Jahr verlassen, um in die USA zu ziehen. Wir redeten uns ein, dass diese simplen Zufälle viel bedeuten mussten, und so wurden sie Teil unserer Mythologie, die belegte, dass wir füreinander bestimmt waren.

Die wichtigste Gemeinsamkeit, die es zwischen uns gab, war die Bedeutung, die die Familie für uns hatte. Ich hatte drei Geschwister, Giulia dagegen nur eines, doch für uns beide stand die Familie im Zentrum unserer Identität.

Unsere beiden Familien begegneten sich zum ersten Mal an einem Weihnachtsabend, ein paar Häuserblocks von der Spanischen Treppe in Rom entfernt, in den Winterferien unseres zweiten Jahres. Meine Familie verbrachte dort ihren Urlaub, und Giulias besuchte entferntere Verwandte, die alle noch in Italien lebten. Es war also ein weiterer Zufall, dass beide Familien die Ferien im selben Land verbrachten.

Giulias Mutter Mariarita gab mir ihre Handynummer, damit ich ein Treffen für uns alle organisieren konnte, und das in einer Zeit, in der nur sehr wenige Leute überhaupt Handys hatten. Giulia war ein paar Tage vor uns eingetroffen. Am ersten Abend, den meine Familie in Rom verbrachte, aßen wir gemeinsam zu Abend und gingen über die kopfsteingepflasterten Straßen zurück zu unserem Hotel. Meine Mutter Mary ging voraus – sie hatte am College in Rom studiert und war berauscht von der Aussicht, mir und meinen drei Geschwistern die Stadt zu zeigen. Alle paar Häuserblocks verdrückte ich mich rasch in eine Bar oder ein Restaurant, um von einem Münztelefon aus Mariarita anzurufen, aber sie ging nie an ihr Telefon.

Ich war kurz davor aufzugeben, als wir um eine Ecke bogen und ich Giulia auf uns zukommen sah. Sie hatte den Kragen ihres Wintermantels hochgeklappt und ging Arm in Arm mit ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrem Bruder, die alle über denselben Witz lachten. Sie hielten abrupt inne, als sie uns auf sich zukommen sahen. Mariarita hielt das Handy in der Hand, um auf meinen Anruf warten zu können. Die Telefonlinien hatten es nicht geschafft, eine Verbindung zwischen uns herzustellen, aber wir hatten es auch ohne sie geschafft.

Niemand wusste, was er sagen sollte, so überrumpelt fühlten wir uns. Dieser Zufall war jetzt wirklich des Guten etwas zu viel.

Mein Vater C.J. war der Erste, der sich aus der Erstarrung löste und sich beeilte, sich Giulias Vater Romeo vorzustellen. Dann machten sich die Mütter miteinander bekannt, und alle Geschwister tauschten Umarmungen, bevor wir wieder getrennt unserer Wege gingen, jedoch nicht ohne uns für den folgenden Tag zu einem richtigen Treffen verabredet zu haben.

Niemand sprach es aus, aber ich glaube, jeder brach an dem Abend in dem Wissen auf, dass diese beiden Familien sich eines Tages in der Zukunft wiederbegegnen würden, in einer Kirche, zu einer Hochzeit, einer offiziellen Absegnung der Verbindung, und vielleicht war es ja das, was wir gerade ohnehin schon getan hatten.

Sobald wir wieder am College waren, begannen wir, unsere Pläne zu erweitern. Es ging nicht mehr nur darum, was wir am nächsten Wochenende machen würden – zum Beispiel auf einem Hochzeitsempfang hereinzuschneien, wie wir es an einem Samstagabend taten – sondern um das, was wir tun würden, wenn wir mit dem Studium fertig waren. Bereits seit der Highschool hatte ich geplant, Jura zu studieren, doch jetzt, in meinen entscheidenden Jahren am College, gelang es mir nicht sonderlich gut, mich von diesem Vorhaben zu überzeugen. Einigermaßen planlos schrieb ich mich für jede geisteswissenschaftliche Lehrveranstaltung ein, die mir interessant erschien, und schusterte so einen Abschluss mit Geschichte als Hauptfach und Englisch als Nebenfach zusammen. Während der Sommerferien flüchtete ich in einen kleinen Badeort in Delaware, ließ mich von Surf-Sessions zu Beach-Volleyball-Spielen treiben und arbeitete anschließend für Trinkgelder in Restaurants.

Giulia ihrerseits hätte gegensätzlicher und sich ihres Weges sicherer gar nicht sein können. Bis zu ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag wollte sie eine Stellung als Marketing-Chefin und drei Kinder haben, und sie war bereit, alle Arbeit auf sich zu nehmen, die nötig war, um dies zu erreichen. Das bedeutete Praktika und Termine mit Professoren und sogar so manchen in der Bibliothek verbrachten Freitagabend. Sie pflegte sich freitags um vier Uhr nachmittags hübsch anzuziehen, um dann für ein paar Stunden in die Bibliothek zu gehen, ehe sie sich mit mir traf – von ihren Büchern geradewegs zu ihrem Freund. Sie behauptete allerdings immer, sie würde irgendetwas mit Freunden unternehmen, statt fürs Studium zu lernen, weil sie Angst hatte, ich könne sie für allzu seltsam halten.

Sommerferien bedeuteten für Giulia Praktika in New York City – im ersten Sommer absolvierte sie eines in einem Modehaus, im folgenden Sommer eines in einer Werbeagentur für Boutiquen und im Sommer darauf in einer der großen Werbeagenturen. Im Sommer nach unserem dritten Jahr feierte diese große Werbeagentur das Ende der Saison, indem sie die Praktikanten zu einem Konzert einluden. Und ich fuhr übers Wochenende nach New York, um als Giulias Begleitung zu fungieren.

»Bitte vergiss nicht, dass mein Chef da sein wird, also denk daran, ihn zu begrüßen, und du weißt schon – benimm dich gut«, sagte Giulia zu mir. Wir drängten uns in dem winzigen Badezimmer ihres gemieteten Apartments. Giulia trug nur einen Rock und einen Büstenhalter, während sie Eyeliner auftrug. Ich war bereits fertig zum Ausgehen und hätte mich eigentlich nicht länger in diesem Badezimmer aufhalten müssen, aber ich war gern dabei, wenn sie sich fertig machte. So bekam ich Giulia zu sehen, ehe sie sich der Welt präsentierte, und hatte das Gefühl, zu einem Teil ihrer Geheimnisse zu werden. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, wie wir uns auf diese Weise gemeinsam für Konzerte und Partys fertig machen würden – und zwar für den Rest unseres Lebens.

»Und ob ich mich gut benehme«, beharrte ich und hob meine Hände, um meine Unschuld zu demonstrieren.

»Ich meinte, bitte mach keine Bemerkung über die Band«, sagte sie.

»Ach, du meinst Evanescence? Du willst nicht, dass ich irgendetwas darüber sagen, dass wir tatsächlich in ein Konzert von Evanescence gehen werden?« Ich hatte mich am Telefon über die Band lustig gemacht, seit sie mir zum ersten Mal von dem Konzert erzählt hatte.

»In der Tat«, erwiderte sie. »Genau das will ich: Dass du kein Wort darüber sagst.«

Sie war kurz davor, die Geduld mit mir zu verlieren, aber ich beugte mich vor und küsste sie auf die bloße Schulter. Ich konnte mir nicht helfen. Make-up...

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