Gerichtsurteile in der Klassengesellschaft
Das scheinbar plumpe Vorurteil »Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen« erweist sich bei näherer Betrachtung geradezu als wissenschaftliche Analyse. Schwarzfahrer, kleine Ladendiebe oder Sprayer wandern zuweilen in den Bau, während die Justiz selbst Berufsbetrüger und Amateurzuhälter unter Verbiegung des Grundgesetzes und des Strafgesetzbuches auf freien Fuß setzt – auf dass sie, wie im Fall Hartz, recht bald wieder für Nuttennachschub aus Brasilien sorgen können. Allerdings konnte bislang noch keinem Richter nachgewiesen werden, dass er selbst davon profitiert hat. Glückwunsch an die Richtergattinnen.
Hartz
»Das klingt nach Gemauschel«, befand Johannes Röhrig im Stern nach dem im Wortsinne kurzen Prozess vor dem Landgericht Braunschweig gegen den Namensgeber der »Armut per Gesetz«, den VW-Manager Peter Hartz. Wegen Untreue und verbotener Begünstigung eines Betriebsrats erhielt er »wie verabredet« zwei Jahre auf Bewährung und für ihn lächerliche 576000 Euro Geldstrafe – »er bleibt frei«. Tatsächlich bedeutet Bewährung ja lediglich: Hartz muss seine Strafe nur dann absitzen, wenn er demnächst erneut einen VW-Betriebsrat besticht und ihm brasilianische Prostituierte zuführt.
Nach Meinung des Stern »wurde es ihm vor Gericht zu leicht gemacht. Nach lediglich zwei Verhandlungstagen war der Prozess vorbei, auf einige Fragen gab es nur unbefriedigende Erklärungen wie etwa zu denen über eine mögliche Mitwisserschaft des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch in der Affäre.« Im Klartext: Wirken gegen diese Geheimkungelei nicht sogar chinesische Schauprozesse wie rechtsstaatliche Verfahren?
»Sicher, nicht wenige Zuschauer im Gerichtssaal 141 hätten gern die Damen im Zeugenstand gesehen, mit denen sich Hartz auf seinen Reisen oder in einer diskret angemieteten Braunschweiger Wohnung auf VW-Kosten vergnügte. Dieses peinliche Kapitel des Skandals blieb Hartz erspart, das war Teil des Deals. Wer die Aussagen der Huren kennt, die sie vor der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gaben, kann erahnen, dass Prozessbeobachter hier um ihr Amüsement gebracht wurden.« Und weiter: »Wären die Huren aufgetreten, das Bild von Hartz wäre ein anderes … Zu welchem höheren Interesse besaß er einen Schlüssel zu einer von VW bezahlten Wohnung, die ausschließlich für diskrete Treffen mit Frauen aus dem Milieu genutzt wurde? Hartz, ein Verführter? Oder doch auch Verführer? Die Antwort hierauf ist der Prozess schuldig geblieben.«[12]
Liegen nicht rechtsstaatliche Lichtjahre zwischen derlei Schmierenkomödien und jenen Vergewaltigungsprozessen, in denen skrupellose Verteidiger in Pornomanier die Opfer nach den perversesten Details ausquetschen? Tja: Staatsanwälte sind weisungsgebunden,[13] letztlich gegenüber dem Justizminister und damit dem Regierungschef, in dessen Hand de facto auch ihre Karriere liegt.
Mannesmann
Ein ebenso riesiger wie für Teile unserer Justiz typischer Skandal war der Mannesmann-Prozess (2004–2006) vor dem Landgericht Düsseldorf gegen Teile des Aufsichtsrats wegen Untreue bzw. Beihilfe, weil sie fünf Vorstandsmitgliedern insgesamt über 111 Millionen DM (56,8 Mio. Euro) »Anerkennungsprämien« zugeschanzt hatten, darunter allein 50 Millionen DM (25,6 Mio. Euro) dem Vorstandschef Klaus Esser.
Am 23. Juni 2004 forderte die Staatanwaltschaft für den Aufsichtsratschef Joachim Funk drei Jahre Haft, für Klaus Esser zweieinhalb Jahre. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sollte zwei Jahre, IG-Metall-Boss Klaus Zwickel 22 Monate sowie Betriebsratschef Jürgen Ladberg und Personalchef Dietmar Droste je ein Jahr ins Gefängnis.[14]
Am 22. Juli 2004 jedoch wurden alle Angeklagten – wer hätte das gedacht in der Klüngelmetropole NRW? – freigesprochen.[15]
»So geht’s ja nun wirklich nicht, was soll denn das Ausland denken?«, dachten sich wohl die Richter des BGH, befanden am 21. Dezember 2005 die Angeklagten sehr wohl für schuldig und verwiesen das Verfahren an eine andere Düsseldorfer Strafkammer.[16] Dies allerdings juckte die rheinischen Ankläger und Richter herzlich wenig: Das zweite Verfahren wurde am 29. November 2006 gegen 5,8 Millionen Euro Geldbuße[17] mit Zustimmung der Ankläger vorläufig eingestellt. »Kein Freispruch zweiter Klasse«, jubilierte die FAZ.[18] Nach Erfüllung der Auflagen stellte die Strafkammer am 5. Februar 2007 gemäß § 153 a StPO das Verfahren endgültig ein.[19]
Helmut Kohl
Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil seiner Partei stellte die Bonner Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2001 gegen eine Zahlung von 300000 DM (153387 Euro) Geldbuße wegen geringer Schuld (!!!) gemäß § 153 a StPO ein.[20] Ein Prozess kam natürlich nicht in Frage – was gehen das gemeine Stimmvieh schon die kriminellen Machenschaften der Herrscherkaste an?
Aber auch sonst ging’s – Affären hin oder her – finanziell blendend. Zwischen 1999 und 2002 kassierte er vom Medienzaren Leo Kirch, dem er das Privatfernsehen ermöglich hatte[21], jährlich 600000 Mark (306775 Euro). Dafür habe er jährlich »bis zu zwölf persönliche Gespräche« mit Kirch führen müssen. Übrigens: Zur Zeit des Geldregens saß Kohl immerhin noch im Bundestag.[22]
Manfred Kanther
Manfred Kanther, früherer Bundesinnenminister, Herr über Recht und Ordnung und Saubermann der Nation, erhielt am 18. April 2007 vom Landgericht Wiesbaden 54000 Euro Geldstrafe wegen Untreue. Eine frühere Verurteilung zu 18 Monaten Knast auf Bewährung sowie 25000 Euro Geldstrafe hatte der BGH aufgehoben.[23]
Kanther hatte Ende 1983 als damaliger Generalsekretär der Hessen-CDU rund 20,8 Mio. Mark Parteivermögen in der Schweiz deponieren lassen, um die Veröffentlichungspflicht zu umgehen.[24]
Im Rahmen der hochkriminellen Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU gilt Kanther ebenso wie der damalige Staatskanzleichef Franz Josef Jung als Bauernopfer zugunsten des Unschuldslamms, Ministerpräsident Roland Koch. Und der hievte ja beide später in die Bundesregierung, Jung als Karikatur eines Verteidigungsministers.
Klaus Zumwinkel
Einer der seinerzeit wichtigsten und einflussreichsten deutschen Topmanager, Post-Chef Klaus Zumwinkel, erhielt vom Landgericht Bochum am 26. Januar 2009 zwei Jahre Haft – natürlich auf Bewährung – und eine Million Euro Geldbuße. Das leuchtende Vorbild des deutschen BWL-Nachwuchses hatte gestanden, über seine Stiftung in Liechtenstein zwischen 2002 und 2006 rund 970000 Euro Steuern hinterzogen zu haben. Und im Urteil wurde noch nicht einmal der verjährte Steuerbetrug berücksichtigt.[25] Um wie viel der kriminelle Konzernchef die Bürger insgesamt betrogen haben muss, lässt sich anhand der nach seinem Auffliegen von ihm »freiwillig« zurückgezahlten knapp vier Millionen Steuern, Zinsen und Gebühren erahnen.
Ganz anders als über die Kriminellen aus der Herrscherkaste urteilen unsere Richter, wenn es um das gemeine Volk geht, also um die, die den gesamten Reichtum der Parasitenklasse erarbeiten. Hier ein Beispiel, das womöglich für Hunderte, wenn nicht für Tausende steht:
Wer achthundertachtundachtzig Tage wie in einer Bananendiktatur unschuldig hinter Gittern saß, muss bei uns sogar die Kosten seines Unschuldbeweises selbst tragen. »Unschuld? Kostet 13000 Euro«, ätzte in der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl, früher selbst Staatsanwalt und Richter am Landgericht.
Ein klassischer Fall: Eine inzwischen fünfzigjährige Berliner Arzthelferin saß unschuldig achthundertachtundachtzig Tage als Mörderin, schwere Brandstifterin und Versicherungsbetrügerin hinter Gittern. Angeblich hatte sie das Haus, in dem sie mit ihrem Vater und ihrem Lebensgefährten wohnte, mit Spiritus angezündet, um die Versicherungssumme zu kassieren. »Auf der Basis eines schlampigen und falschen Brandgutachtens des Landeskriminalamts«, so der frühere Landgerichtsrichter Heribert Prantl, bekam sie vom berüchtigten Landgericht Berlin lebenslang die »besondere Schwere der Schuld« attestiert.
»Schulden für den Beweis der Unschuld«, konstatiert...