Vorwort
Hurra, alle sind jetzt grün! Aber weiß noch einer, was das bedeutet?
»Früher einmal wusste ich die Antworten –
heute ahne ich die Fragen.«
Heinz Brandt
Als wir beide uns 1985 trafen, um eine neuartige Umweltzeitschrift (»Chancen«) zu entwickeln, war das grüne Denken in Deutschland schon ein Vierteljahrhundert alt. Bernhard Grzimek hatte 1959 mit seinem Film »Serengeti darf nicht sterben« Alarm geschlagen, dass die letzten Naturgebiete der Erde verschwinden. Willy Brandt forderte 1961, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden. 1962 sorgte das Buch »Der stumme Frühling« der amerikanischen Biologin Rachel Carson weltweit für Aufsehen, in dem sie den sorglosen Umgang mit Pestiziden anprangerte.
Die Farbe Grün, die in unsere Kindheit noch für Land- und Forstwirtschaft stand, war 1985 längst politisch geworden. Greenpeace, WWF und andere Öko-Organisationen gewannen Zehntausende Unterstützer. Die Grünen saßen seit zwei Jahren im Bundestag, und in Hessen war gerade der erste grüne Minister vereidigt worden. Jeder Student hatte »Die Grenzen des Wachstums« und »Global 2000« im Ikea-Regal. Tankerhavarien und Chemieunfälle, wie der im italienischen Seveso, hatten bewirkt, dass immer mehr Menschen Umweltschutz für das dringlichste politische Ziel hielten. Bis auf ein paar Wissenschaftler, die kein Gehör fanden, glaubte 1985 jeder Deutsche daran, dass der Wald schon sehr bald tot sein wird.
Bevor wir uns dem Thema journalistisch zuwandten, hatten wir kräftig mitgemischt, beim Anti-Atom-Protest in Brokdorf und Gorleben. Oder im Alltag als Anhänger der Alternativbewegung, die Arbeit und Konsum nach grünen Wertvorstellungen ausrichtete. Hautnah und sehr persönlich erlebten wir den Aufstieg der Grünen in Hessen. In jener Zeit entschlossen sich manche Freunde, Politiker zu werden. Wir blieben dann doch lieber Journalisten. Gemeinsam rührten wir bei den Zeitschriften »Chancen« und »natur« (damals das größte Umweltmagazin Europas) die Trommel für Biolandwirtschaft, Atomausstieg und mehr Naturschutz.
Doch es kam – zunächst schleichend, dann heftiger – zur Kollision zwischen journalistischem Anspruch und grüner Überzeugung. Die Recherche stand den apokalyptischen Botschaften immer öfter im Weg. Unübersehbar wurde der Zustand der Umwelt in Deutschland und anderen westlichen Ländern besser. Wir schrieben 1996 das Buch »Öko-Optimismus« und setzten uns damit in die Nesseln. Die grüne Gemeinde exkommunizierte uns. Doch unser Interesse an ökologischen Fragen und den politischen Antworten darauf blieb bestehen. Wir beobachten die Entwicklung der grünen Idee und ihre gesellschaftliche Wirkung bis heute.
Im Herzen blieben wir grün. Der Gesang einer Feldlerche oder der Anblick eines mäandernden Wildbachs bedeuten uns viel. Wir glauben allerdings nicht, dass man Feldlerchen und Bachtälern mit Ideologie und Wissenschaftsfeindlichkeit helfen kann. Und es geht uns mächtig gegen den Strich, dass diejenigen, die die Begriffe »grün« und »ökologisch« für ihre Karriere gekapert haben, den Menschen als Gefahr für den Planeten darstellen und ihn deshalb ständig einschränken und schulmeistern wollen. Zum Glück fanden wir neue Freunde unter jenen grünen Bürgerrechtlern, die die Mauer zu Fall gebracht hatten.
Unbestreitbar ist unser heutiger Zeitgeist grün, zumindest in Deutschland und den meisten anderen westlichen Industrienationen. Und das ist auch grundsätzlich gut so. Grünes Denken hat die Köpfe erobert, und wir müssen immer wieder staunen, wie schnell sich dieser Wandel vollzog.
An dieser Stelle eine kurze Zwischenbemerkung: Wenn wir Worte wie »grün«, »grünes Bewusstsein«, »grünes Denken«, »grüne Bewegung« verwenden, dann ist damit nicht speziell die Partei »Die Grünen« gemeint, auch nicht Organisationen wie Greenpeace oder der BUND. Wir benutzen diese Etiketten im weitesten Sinne für eine Denkweise, von der in Deutschland nahezu die ganze Gesellschaft durchdrungen ist, von Angela Merkel bis Margot Käßmann, von der Deutschen Bank bis zum ADAC. Den Begriff »Ökologismus«, den Sie in diesem Buch lesen werden, verstehen wir als Abgrenzung zu »Ökologie«. Ökologie ist eine Wissenschaft, ein Zweig der Biologie. Ökologismus dagegen benennt den Versuch, aus dieser Wissenschaft eine Weltanschauung abzuleiten.
Eine Bewegung, die es schafft, eine Farbe gleichsam in Besitz zu nehmen, hat einen bleibenden historischen Erfolg errungen. Seit die Sozialisten das Rot für sich reklamierten, hat keine neue soziale Bewegung so etwas mehr geschafft. Rot bedeutet längst nichts mehr, es ist beliebig geworden, ein bloßes Zitat aus der Vergangenheit, das jeder nach Gusto hervorkramt.
Wird es mit dem Grünen genauso gehen? Was bedeutet diese Farbe eigentlich noch? Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass man glaubt, grünes Denken überhaupt nicht mehr begründen zu müssen. Wer grün argumentiert, hat immer recht, denn er ist auf der Seite der moralisch Guten. Die grüne Bewegung, ja fast die ganze Gesellschaft, hat es sich abgewöhnt, zu überprüfen, ob die Prämissen, auf denen sie ihre Forderungen aufbaut, überhaupt noch stimmen. Sie ist denkfaul geworden. Mit der Macht kam die Arroganz. Und die ist kein guter Ratgeber für die Zukunft.
Seit einiger Zeit beobachten wir, wie der grüne Zeitgeist Risse bekommt. Die Widersprüche verschiedener ökologischer oder vermeintlich ökologischer Ziele werden sichbar. Da kämpfen Wald- und Landschaftsschützer gegen Klimaretter, die Windräder und Sonnenfarmen oder Speicherseen errichten wollen. Wir sehen, dass die Grünen Probleme haben, ihr Thema weiter hochzuhalten. Außerdem beginnen auch Teile der Gewerkschaften zu erkennen, dass aus einer Forderung, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen tatsächlich verbessert hat, durch den geschickten Lobbyismus des öko-industriellen Komplexes eine Umverteilungsmaschine von den Wenigverdienern zu den Wohlhabenden in Gang gesetzt worden ist. Und auch die NGOs, deren Verdienste nicht zu bestreiten sind, rücken für Demokratietheoretiker immer mehr in den Blickpunkt als globale Macht, die ohne Mandat und Legitimation handelt. Was bedeuten Begriffe wie »grün«, »ökologisch« oder »nachhaltig« überhaupt noch? Beliebigkeit breitet sich aus und jeder benutzt diese Chiffren wie sie ihm in den Kram passen – von der Krabbelgruppe bis zum Weltkonzern. Was hat der Windkraftinvestor mit dem Fledermausschützer gemein? An den Rändern des grünen Denkens breiten sich Heilslehren aus, die auch irgendwie »grün« daherkommen, doch mit Ökologie nichts zu tun haben, wie etwa Veganismus.
Es wird also Zeit, Bilanz zu ziehen. Blickt man auf die Anfänge, die zu dem führten, was später »grün« genannt wurde, also auf Grzimeks Appelle, Carsons Warnungen und Brandts Wahlkampf für saubere Luft, ist dieser große gesellschaftliche Paradigmenwechsel nun ein halbes Jahrhundert alt. Was haben uns diese 50 Jahre Umweltbewegung gebracht? Wo stehen wir heute?
Wir können uns gut erinnern, wie wir Grünen einmal angetreten sind. Es ging um den Schutz von Wäldern, Flüssen und Wildtieren. Karikaturisten stellten die junge grüne Partei einst klischeehaft als grünen Frosch dar. Eine Anspielung darauf, dass sogar das Leben von Lurchen für sie Bedeutung besaß. Die alten Parteien und etablierten gesellschaftlichen Institutionen fanden das lächerlich. Wie konnte man Leute ernst nehmen, denen der Erhalt eines Moores wichtiger war als der Bau einer Autobahn? Wir konnten sie ernst nehmen. Ihr Anliegen war sympathisch und ihre Kritik an der Umweltverschmutzung berechtigt. Sich für Amphibien einzusetzen, verdiente Respekt, weil es mutig und unpopulär war. Es gefiel uns, wie sich die verknöcherten Seilschaften der Altparteien über die Grünen ärgerten. Und ganz wichtig: Man konnte eine Autobahn schließlich auch um ein Moor herumbauen.
Heute reiben wir uns die Augen angesichts vertauschter Rollen: Vielen, die unter dem Dach »grün« firmieren, sind die Menschen egal, denen ein Lurch oder ein Rotmilan am Herzen liegt. Die allesamt ergrünten Parteien, die mittlerweile mächtigen Umweltverbände und die industriellen Profiteure grüner Subventionen stehen an der Spitze der Kräfte, die mit reinstem Gewissen die verbliebene Natur plattmachen.
Unser Buch beginnt mit einem Tagebuch aus unserem Öko-Alltag. Es folgt ein Kapitel zu den Fragen: Welches Naturbild und welches Menschenbild wird im grünen Denken transportiert? Dann kommt eine Bestandsaufnahme der großen ökologischen Themen (Klima, Energie, Naturschutz, Landwirtschaft), beginnend mit der Klimadebatte. Was wissen wir? Welche Prämissen haben sich etabliert und werden – oft zu Unrecht – nicht mehr hinterfragt? Danach befassen wir uns mit der gesellschaftlichen Wirkung: ein Blick auf die Gewinner des Wandels und ihren Ökolebensstil und auf die mittlerweile mächtigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Aber auch mit den Verlierern in Entwicklungsländern, die darunter leiden müssen, dass nach ihnen bessere Nahrungsmittel und effiziente Seuchenbekämpfung durch westliche Öko-Eliten zunichtegemacht werden. Der anschließende Buchteil heißt »Die alltägliche Angst« und fragt nach den Folgen der Öko-Apokalyptik auf die Wahrnehmung der Realität. Ein Kapitel über die Wurzeln grünen Denkens zeigt auf, dass diese in Deutschland so starke geistige Strömung nicht aus der politischen Linken stammt, wie allgemein angenommen, sondern ganz im Gegenteil. Und schließlich schildern wir noch, was unsere Kinder in den Schulen über Klimaerwärmung, Biolandbau und andere Umweltthemen eingetrichtert bekommen...