Tagebuch Philippinen 2006
Das Komitee „Ärzte für die Dritte Welt“ (jetzt „German Doctors“) wurde 1983 vom Jesuitenpater Bernhard Ehlen gegründet und betreut Projekte in Indien, Bangladesch, Kenia, Sierra Leone, Nicaragua und auf den Philippinen. Die Organisation sieht ihre Aufgabe darin, Menschen, die unter ärmsten Bedingungen leben, zum Beispiel in den Slums von Kalkutta, kostenlose medizinische Behandlung zu gewähren. Dazu wurde in den Einsatzgebieten eine eigene Logistik mit Gebäuden und einheimischem Personal aufgebaut. Die deutschen Ärztinnen und Ärzte werden
nach genauen Einsatzplänen entsandt, sodass eine kontinuierliche Versorgung mit Ärzten gewährleistet ist. Ein Einsatz dauert mindestens sechs Wochen, eine Facharztanerkennung ist nicht erforderlich. Seit 1983 haben etwa 3.000 Ärztinnen und Ärzte circa 6.400 Einsätze geleistet. Die Organisation hat einen hohen Bekanntheitswert in der deutschen Ärzteschaft durch Veröffentlichungen in der Standespresse und eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit. Mit meiner Frau fuhr ich zu einem Informationstag nach Frankfurt, wo die Organisation ihre einzelnen Projekte vorstellte. Ich meldete mich für einen Einsatz in Asien, wurde bald darauf für einen sechswöchigen Einsatz auf der philippinischen Insel Mindanao eingeteilt und erhielt eine Mappe mit Informationen über den Einsatzort sowie Berichte vorangehender Ärzte. Bürokratische Hürden gab es nicht: Ich musste mich nicht bei der philippinischen Ärztekammer registrieren lassen, geimpft war ich ausreichend, das Flugticket besorgte die Organisation und das Visum gab es bei der Einreise. Dem Einsatz stand also nichts mehr im Wege.
Freitag, den 28. Juli 2006
Der gestrige Tag fing wie üblich an: Um 6.30 Uhr brachte ich unseren fast zweijährigen Enkeln Konrad und Florian, die bei uns für eine Woche zu Besuch waren, die Milchflaschen. Sie tranken schnell und zügig und blieben dann noch in ihren Bettchen. Ich machte mich fertig und packte provisorisch meinen Rucksack, besonders die Waschsachen und Medikamente. Der Koffer war fertig, das Gewicht noch unter 20 kg. Dann wurden die Kinder unruhig. Monika und ich gingen nach oben, wo sie uns strahlend empfingen. Draußen war es wieder sehr heiß.
Unsere Stimmung war etwas gedrückt, denn heute Abend würde ich nach Frankfurt fahren und für sechs Wochen mit der Organisation „Ärzte für die Dritte Welt“ auf die Philippinen fliegen, eine für uns unvorstellbar lange Zeit. Vielleicht hätte Monika mich gerne begleitet, aber bei dieser Organisation war es nicht möglich. Die Gründe lagen auf der Hand: Die Unterbringung der Ärzte war in der Regel sehr schlicht und beengt, meistens direkt in den Slums, außerdem sollte der Eindruck vermieden werden, dass ein Einsatz touristisch genutzt würde.
Unsere Putzfrau kam, alles schien sich in den normalen Gleisen zu bewegen, aber Monika und ich blickten doch häufig auf die Uhr. In drei Stunden würde ich abfahren.
Wir holten die Kinder aus dem Mittagschlaf, alles war wie immer: Sie aßen Joghurt im Garten in der großen Hitze, spielten im Planschbecken und spritzten mit dem Gartenschlauch. Ich glaube, Monika und ich empfanden die Situation als unwirklich. Um kurz vor halb fünf zog ich mich um, unsere Nachbarn Andrea und Rüdiger kamen, Andrea, um Monika zu helfen, Rüdiger, um mich zum Bahnhof zu fahren. Ein herzlicher Abschied von den Kindern, die sogar winkten, einige Küsse für Monika, die Tränen in den Augen hatte. Sechs Wochen Trennung, eine lange Zeit. Wahrscheinlich ist es für denjenigen, der zurückbleibt, schwieriger, besonders, da Monika ungern alleine ist. Ich aber würde Neues erleben.
Der Zug war pünktlich. Ich war eine Stunde früher gefahren, da ich mich in Frankfurt noch mit meinem Sohn Steffen treffen wollte. Wegen Gewitter im Raum Frankfurt musste unser Zug umgeleitet werden. Ich kam mit einer Stunde Verspätung an. Steffen erwartete mich und wir gingen zu Steffens Freundin Larissa, die gerade Dienst hatte und hinter einem Lufthansaschalter saß. Ich checkte bei der Fluggesellschaft Emirates ein und erhielt einen Platz in der Businessklasse bis Dubai. Das hatte mein anderer Sohn Christian organisiert. Steffen und ich plauderten noch ein wenig bei einem kleinen Getränk über seine privaten und beruflichen Perspektiven, dann ging ich zur Pass- und Handgepäckkontrolle. Kurze Zeit später saß ich im Flugzeug in einem sehr bequemen Sessel, ringsherum nur wenige Mitreisende. Kurz nach dem Start bekam ich eine Menü- und Getränkekarte, davor gab es ein Glas Champagner. Die Flugbegleiterinnen waren fast ausnahmslos Europäerinnen. Zu ihrer Uniform gehörte ein rotes Hütchen mit einem Schleier, der seitlich befestigt war, locker herabfiel und vor der Brust auf die gegenüberliegende Schulter geführt wurde. Das sollte wohl andeuten, dass in Arabien ein Schleier getragen wurde. Bei den Getränken entschied ich mich für einen Mumm-Riesling für die Vorspeisen, zum Hauptgang – Lammbraten – einen Rotwein. Mein gedeckter Tisch wurde mit einer Orchideenblüte geschmückt. Zum Abschluss des Menüs gab es eine Käseplatte, auf Obst oder Eis verzichtete ich. Bald wurde das Licht in der Kabine gelöscht und ich verstellte meinen Sitz so, dass ich fast liegen konnte. Ich schlief einigermaßen, aber recht kurz. Als ich nach etwa vier Stunden aufwachte, war es draußen hell, aber sehr dunstig. Wir überflogen gerade die arabische Halbinsel, ich konnte die gewaltigen Sandflächen sehen. Aber es war kein Vergleich mit der Sicht auf die Sahara vor gut sieben Wochen. Dann flogen wir über das Meer und nahmen Kurs auf Dubai. Die Stewardess servierte Tee und Wasser, sie wirkte frisch und ausgeschlafen.
Nach sechs Stunden Flug landeten wir in Dubai. Am Boden war es dunstig, das verstärkte noch den sandigen Eindruck. Auf dem Flugplatz herrschte ein gewaltiger Betrieb. Ich sah Araber, Europäer, viele Asiaten, wenige Afrikaner. Es war halb sieben Ortszeit. Ich machte mich ein wenig frisch und schlenderte umher. Die Maschine nach Manila hatte zwei Stunden Verspätung. Die Zeit verging zäh. Ich rief meinen Kollegen Dr. Kuch an, der aus München angereist war und mit dem ich zusammen nach Manila fliegen sollte. Wir verabredeten uns an unserem Abfluggate. Dort war nicht zu übersehen, dass die Maschine auf die Philippinen flog: Überall saßen kleingewachsene Menschen herum, einige mit rundlichen, andere mit eckigen Gesichtern. Eine elegante Asiatin setze sich zu einer anderen Asiatin auf den Sitz neben mir.
„Auf diesen Stühlen haben zwei Asiatinnen Platz“, sagte sie und beide lachten.
Schließlich traf ich meinen Kollegen Kuch Er war etwa so groß wie ich und ebenso gebaut. Wir unterhielten uns über das, was wir bisher gemacht hatten und was uns wohl auf der philippinischen Insel Mindanao erwarten würde. Er war schon viel in der Welt herumgekommen. Während ich nach der bisherigen Planung nur an der Klinik in Cagayan de Oro, dem Hauptort an der Nordseite der Insel, arbeiten sollte, würde er zwei Wochen in der Klinik in Valencia sein und dann zwei Touren mit der Rolling Clinic machen. Wir waren beide sehr gespannt.
Das Flugzeug war sehr gut besetzt. Ich schaute neidisch in Richtung Businessklasse, nicht wegen des guten Essens und Trinkens, sondern wegen der Bequemlichkeit, stand uns doch ein über achtstündiger Flug bevor. Die Kabinenbesatzung war asiatisch, die Stewardessen erinnerten mich an Tempeltänzerinnen.
Ich schlief ein wenig. Aber welch ein Unterschied zur vergangenen Nacht! Das Essen war üppig, kein Vergleich zu den innereuropäischen Strecken. Die meiste Zeit verbrachte ich mit dem Schreiben des Tagebuchs. Wir flogen über den östlichen Teil der arabischen Halbinsel, den arabischen Golf, den indischen Ozean und den Golf von Bengalen. Über Indien und dem bengalischen Golf war es in der Luft wegen des Monsuns etwas unruhig. Dann führte die Strecke über Bangkok, Kambodscha, Laos und Vietnam in Richtung Manila über das südchinesische Meer. Leider hatte ich keinen Fensterplatz. Als die Einreisezettel verteilt wurden, war es noch eine Stunde bis Manila. Vorher gab es einen kleinen Imbiss.
Das Flugzeug landete. Ich wartete auf Herrn Kuch und wir gingen zusammen zur Passkontrolle. Eine schier unendliche Menschenmenge bevölkerte eine Halle, an deren Ende viele Kabinen der Polizei standen. Die Prozedur ging schnell vonstatten, allerdings hatte Herr Kuch vergessen, einen Einreisezettel auszufüllen, sodass er wieder zurück und einen Zettel besorgen musste. Währenddessen sah ich meinen Koffer auf dem Band und holte ihn mir. Bei Herrn Kuch dauerte es etwas länger und am Ende fehlte eine Tasche. Er wandte sich an einen Mitarbeiter des Flughafens. Aber dann löste sich alles schnell auf. Irgendjemand hatte seine Tasche vom Band genommen und auf den Fußboden gestellt. Beim Ausgang wurde das Gepäck nochmals dahingehend kontrolliert, dass der richtige Besitzer sein Gepäck in Empfang genommen hatte. Die Gepäcknummer am Koffer und auf dem Flugschein mussten übereinstimmen.
Das Auto, das uns zur Malate Pension bringen sollte, war schnell gefunden. Mitternacht war schon vorbei, als wir dort eintrafen. Sie lag mitten im Vergnügungsviertel und ringsherum war es sehr laut. Wir ließen uns einige Zimmer zeigen. Sie waren alle klein und stickig. Bevor wir zu Bett gingen, setzten wir uns noch in den Garten der Pension und tranken Bier. Die Luft war warm und feucht, die Flaschen beschlugen sofort. Zwei leichte Mädchen fragten, ob wir uns zusammen an einen Tisch setzen könnten. Wir sagten, dass wir gut alleine sitzen würden und sie sich davonscheren sollten. Wir beschlossen auch noch, dass wir uns duzen sollten, so wie es bei den „Ärzten für die Dritte...